Bericht von der Anhörung zur Umsetzung der EU-Richtlinie für barrierefreie Webseiten und Apps

Erst vor kurzem hat der DBSV über den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie für barrierefreie Webseiten und Apps berichtet (siehe Pressemitteilung "Sollen behinderte Menschen bei der Digitalisierung abgehängt werden?"). Heute fand im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum „Entwurf des Gesetzes … zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen vom 16.03.2018“ (BT-Drs. 19/2072) statt. Konkret ging es um Neuregelungen im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes. DBSV-Rechtsreferentin Christiane Möller nahm als Sachverständige teil und wurde von Abgeordneten verschiedener Fraktionen ausführlich befragt. Es folgt ihr Bericht.

Vorab sei angemerkt, dass das Tempo dieses Gesetzgebungsverfahrens der Komplexität der Rechtsmaterie nicht gerecht wird. Für die Abgeordneten bleibt wenig Zeit, um sich mit den Bewertungen und Kritikpunkten der Sachverständigen auseinanderzusetzen. Schon am Mittwoch wird die abschließende Beratung des Arbeits- und Sozialausschusses stattfinden und am Donnerstag oder Freitag soll das Gesetz den Bundestag passieren. Dennoch hoffen wir natürlich, dass die vorgebrachten Argumente überzeugen und zu Änderungen am vorliegenden Gesetzentwurf führen.

Der zentrale Kritikpunkt des DBSV und vieler weiterer Verbände wurde bei der Anhörung von mehreren Sachverständigen angesprochen: Der Gesetzentwurf bleibt hinter den europarechtlichen Vorgaben zurück und bedeutet in Punkto digitale Barrierefreiheit sogar Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen Recht im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), anstatt die Potentiale der Digitalisierung für behinderte Menschen zugänglich zu machen und die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Dies ist umso verheerender, als die bundesgesetzlichen Regelungen auch Auswirkungen auf die parallel stattfindende Umsetzung auf Länderebene haben werden.

Konkret hält der DBSV unter anderem folgende Änderungen für notwendig:

  • Es muss weiterhin die gesetzliche Pflicht bestehen, „Graphische Programmoberflächen“ barrierefrei zu gestalten: Werden graphische Programmoberflächen nicht mehr im Gesetz genannt, muss nicht webbasiert funktionierende Software nicht mehr barrierefrei programmiert werden. Das betrifft etwa bestimmte Software zur Nutzung des elektronischen Personalausweises oder zur Abgabe einer elektronischen Steuererklärung. Von diesen Anwendungen wären blinde und sehbehinderte Benutzer dann dauerhaft ausgeschlossen.
  • Die bestehenden Regelungen, die öffentliche Stellen zur Barrierefreiheit „ihrer Internetangebote“ verpflichten, müssen bestehen bleiben. Der Begriff „Internetangebote“ bedeutet mehr als die Barrierefreiheit der eigenen Webseite. Gibt man den in § 12 Abs. 1 BGG bislang greifenden Wortlaut „ihre Internetangebote“ auf, fällt auch die Verpflichtung von Trägern öffentlicher Gewalt weg, ihre im Web über Soziale Netzwerke veröffentlichten Informationen barrierefrei anzubieten.
  • Derzeit hat das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes das Ziel, vollständige digitale Barrierefreiheit zu schaffen. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Ausnahmen von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit sind ein Rückschritt im Vergleich zu diesem geltenden Recht und müssen gestrichen werden. Sollten sich die Ausnahmeklauseln aufgrund europäischer Vorgaben gar nicht vermeiden lassen, müssen die Hürden für deren Nutzung deutlich erhöht werden.
  • Der vorgesehene Durchsetzungsmechanismus muss gestärkt werden, damit die europarechtlichen Vorgaben zur wirksamen und effektiven Umsetzung von Barrierefreiheit wirksam erfüllt werden.
  • Auch private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen müssen zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Ein Einstieg kann die Einbeziehung von Anbietern von Sozial- und Gesundheitsdiensten und weiteren Verantwortlichen für die Daseinsvorsorge in den Anwendungsbereich der neuen gesetzlichen Regelungen sein.