Geplante Reform des Teilhaberechts schließt Blindenhilfe aus

Berlin. Im Koalitionsvertrag war das Ziel klar formuliert: Die Bundesregierung wollte behinderte Menschen aus dem „Fürsorgesystem“ herausführen. Das soll aber offensichtlich nicht für blinde Menschen gelten, denn im Bundesteilhabegesetz kommt die Blindenhilfe nicht vor. Sie soll weiterhin nur dann gewährt werden, wenn der Empfänger sozialhilfebedürftig ist. Am 7. November, dem Tag der Anhörung zum Gesetzentwurf, ruft der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) deshalb zu einer Protestaktion vor dem Reichstagsgebäude auf.

Frau L. weiß aus erster Hand, was es bedeutet, Leistungen nach Sozialhilferecht zu erhalten: „Ich bin 50 Jahre alt und wegen voller Erwerbsminderung durch meine Blindheit in Rente. Seit 2010 erhalte ich Landesblindengeld und aufstockende Blindenhilfe. Im Sommer ist mein Lebensgefährte zu mir gezogen. Mit seinem Verdienst als Handwerker übersteigt unser gemeinsames Einkommen die Sozialhilfegrenze, so dass ich jetzt rund 270 Euro weniger Blindenhilfe im Monat erhalte. Ich finde es ungerecht, dass das Einkommen meines Partners auf die Blindenhilfe angerechnet wird. So bin ich plötzlich von meinem Partner abhängig. Dabei ist doch die Blindenhilfe ein Ausgleich für die Mehrkosten wegen meiner Blindheit und ich kann nicht nachvollziehen, wieso diese Mehrkosten jetzt mein Partner finanzieren soll.“

Hintergrund:

Menschen, die durch eine Behinderung benachteiligt werden, können sogenannte Teilhabeleistungen beantragen. Die wichtigste Teilhabeleistung für viele behinderte Menschen in Deutschland ist die Eingliederungshilfe, für blinde Menschen dagegen das Blindengeld, mit dem blindheitsbedingte Mehraufwendungen ausgeglichen werden sollen. Das Blindengeld ist eine freiwillige Leistung des Bundeslandes, in dem man wohnt. Wieviel Blindengeld man erhält, ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich (Informationen unter http://blindengeld.dbsv.org). So kann beispielsweise ein Umzug von Nordrhein-Westfalen nach Niedersachen eine Kürzung der Leistungen um mehr als die Hälfte bedeuten. Der DBSV fordert deshalb seit vielen Jahren eine bundeseinheitliche gerechte Blindengeldlösung. Das Blindengeld kann durch die so genannte „Blindenhilfe“ aufgestockt werden, die im Sozialhilferecht geregelt wird.

Zwei Teilhabeleistungen – zwei Bemessungsgrenzen? Um Eingliederungshilfe bzw. Blindenhilfe zu erhalten, muss Bedürftigkeit bestehen, das heißt, man muss sozialhilfeberechtigt sein. So darf man nicht mehr als 2.600 Euro ansparen, weder Bausparvertrag noch Lebensversicherung besitzen und neben den Kosten für „eine angemessene Unterkunft“ nicht mehr als 808 Euro verdienen. Bei der Eingliederungshilfe soll sich das zukünftig ändern. Laut Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz bleiben die finanziellen Mittel des Partners außen vor, zudem werden die Grenzen für Einkommen und Vermögen angehoben. Die Blindenhilfe jedoch soll weiterhin nur bei Sozialhilfebedürftigkeit des blinden Menschen und seines Partners gewährt werden.

Für DBSV-Präsidentin Renate Reymann ist das ein Unding: „Beim Bundesteilhabegesetz wird gerade die Chance verpasst, eine bundeseinheitliche gerechte Blindengeldlösung zu schaffen. Dass nun auch noch die Blindenhilfe zu einer Teilhabeleistung zweiter Klasse degradiert werden soll, ist unerträglich!“

DBSV-Aktion am 7. November vor dem Reichstagsgebäude

Blinde und sehbehinderte Menschen dürfen nicht zu den Verlierern des Teilhabegesetzes werden!

  • Aktion aus Anlass der Anhörung zum Bundesteilhabegesetz
  • Ort: Berlin, vor dem Reichstagsgebäude (Westseite/Platz der Republik)
  • Zeit: Montag, 7. November 2016, 10:30-12:00 Uhr

Mehr Infos unter http://bthg.dbsv.org