Resolution "Umfassende Verpflichtungen zur Barrierefreiheit schaffen und Diskriminierungsschutz stärken"

Fehlende Barrierefreiheit bedeutet Diskriminierung und Exklusion. Es ist überfällig, die gesetzlichen Regelungen, insbesondere im 2006 eingeführten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), weiterzuentwickeln.

Barrierefreiheit muss vergleichbar dem baurechtlichen Brandschutz ein Muss werden – egal ob im Internet, an Bankautomaten, beim elektronischen Zahlungsverkehr, bei der Gesundheitsversorgung, bei Haushaltsgeräten, bei Film und Fernsehen, in der Kita, der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Senioreneinrichtung. Gut lesbare Schrift und kontrastreiche Gestaltung oder barrierefreie Apps und Internetauftritte helfen nicht nur blinden und sehbehinderten Menschen, sondern auch der wachsenden Zahl älterer Menschen mit Sehproblemen. Der digitale Wandel kann neue Teilhabechancen eröffnen, wenn der barrierefreie Zugang von Anfang an mitgedacht und konsequent umgesetzt wird.

Die Politik darf bei dieser so wichtigen Grundbedingung für die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben nicht länger auf Freiwilligkeit setzen. Der im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode verankerte „Prüfauftrag“ zur Novellierung des AGG muss in konkretes gesetzgeberisches Handeln münden. Es ist an der Zeit, dass Deutschland seine Blockadehaltung im privatrechtlichen Bereich aufgibt und endlich seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nachkommt. Wir fordern für den privatrechtlichen Bereich:

  • Im AGG muss geregelt werden, dass Barrierefreiheit für alle privaten Anbieter von für die Öffentlichkeit bereitgestellten Gütern und Dienstleistungen verpflichtend ist; fehlende Barrierefreiheit ist zu sanktionieren. Der Begriff der Barrierefreiheit muss dabei demjenigen in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) entsprechen. Ein zeitlich gestuftes Umsetzungsverfahren muss jetzt eingeleitet werden, bei dessen konzeptioneller Ausgestaltung der DBSV seine Expertise gern einbringt.
  • Das Konzept der angemessenen Vorkehrungen, also geeignete und verhältnismäßige Einzelfalllösungen zur Überwindung von Zugangshürden, muss rechtlich umgesetzt werden und zwar für Fälle, bei denen die Verpflichtung zur Umsetzung von Barrierefreiheit nicht möglich ist oder (noch) unverhältnismäßig erscheint, z. B. für Bestandsangebote. Die Versagung angemessener Vorkehrungen muss als Diskriminierung ausdrücklich im Gesetzeswortlaut verankert werden. Vorbildcharakter können dafür die Regelungen in § 7 BGG haben.
  • Bisher zulässige Rechtfertigungsgründe für eine ungleiche Behandlung müssen eingeschränkt werden. Es darf nicht sein, das behinderte Menschen wegen einer vorgeschobenen Gefahrenabwehr aus „versicherungsrechtlichen Gründen“ vom Zugang zu öffentlichen Angeboten, wie Schwimmbädern, Saunen, Fitnessstudios, Freizeitparks oder Reisen ausgeschlossen werden.
  • Der Rechtsschutz bei Verstößen gegen das AGG muss gestärkt werden. Das umfasst die Erweiterung des verbandsklageberechtigten Organisationenkreises auf Verbände im Sinne von § 14 BGG bei einer Diskriminierung wegen einer Behinderung einschließlich der Geltendmachung von Verstößen gegen die Pflicht zur Barrierefreiheit, die Option, auch Entschädigungsansprüche im konkreten Diskriminierungsfall geltend machen zu können (Prozessstandschaft) und die Einführung einer niederschwelligen Beschwerdestelle (Schlichtungsstelle) nach dem Vorbild in § 16 BGG. Zudem ist eine Beweiserleichterung vorzusehen. Das heißt, beim Fehlen von Barrierefreiheit und der Verweigerung von angemessenen Vorkehrungen wird eine Diskriminierung im Sinne des AGG vermutet.

Verabschiedet vom Verbandstag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) am 30. Juni 2018 in Berlin