Online-Konsultation zum "Telemedienauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks"

Im Rahmen der o. g. Online-Konsultation (hier finden Sie die Veröffentlichung der Online-Konsultation) nimmt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) zu den vorgelegten Vorschlägen zur Änderung des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) nachstehend wie folgt Stellung:

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) vertritt als Spitzenverband die Interessen der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland. Dementsprechend beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen ausschließlich auf Regelungsinhalte, die die Barrierefreiheit betreffen.

Vorgelegte Änderungen seitens der Rundfunkreferenten betreffend § 11d RStV

Der DBSV begrüßt ausdrücklich, dass bei der Gestaltung von Telemedienangeboten gem. § 11d Abs. 3 S. 2 die Belange von Menschen mit Behinderungen besonders berücksichtigt werden sollen. Nur so lassen sich auch die in § 11d Abs. 3 S. 1 formulierten Ziele, allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft zu ermöglichen, Orientierungshilfe und Möglichkeiten der interaktiven Kommunikation zu bieten sowie die technische und inhaltliche Medienkompetenz aller Generationen und von Minderheiten zu fördern, erreichen. Es ist für die praktische Umsetzung von § 11d Abs. 3 S. 2 weiterhin zu begrüßen, dass beispielhaft aufgezählt wird, was zur Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen gehört und in diesem Zusammenhang besonders die Bereitstellung von Audiodeskription genannt wird.

Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass die eigenständige und selbstbestimmte Nutzung von Telemedienangeboten im Sinne der Zielsetzung von § 11d Abs. 3 S. 1 voraussetzt, dass nicht nur der einzelne Beitrag bzw. Inhalt barrierefrei angeboten wird. Vielmehr ist es erforderlich, dass bei der Konzeption des gesamten Telemedienangebots beachtet wird, dass die dargebotenen Inhalte und Angebote eigenständig aufgefunden und angesteuert werden können. Um es ganz plastisch zu machen: einem blinden Nutzer einer Mediathek nutzt der dort eingestellte Beitrag mit Audiodeskription nichts, wenn die Internetseite/Plattform, auf der der Beitrag bereitgestellt ist, an sich nicht barrierefrei gestaltet und damit nicht bedienbar ist oder wenn die barrierefreien Angebote nicht leicht auffindbar sind. Da es in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes bereits eine umfassende Definition des Begriffs Barrierefreiheit gibt, sollte auf diese Bezug genommen werden.

Wir schlagen daher vor, § 11d Abs. 3 S. 2 wie folgt zu modifizieren:
„Bei der Gestaltung und Darbietung dieser Telemedienangebote sind die Belange von Menschen mit Behinderungen besonders zu berücksichtigen, insbesondere durch barrierefreie Zugänglichkeit im Sinne von § 4 Bundes Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), u. a. durch Bereitstellung von Audiodeskription, Untertitelung, Gebärdensprache, Manuskripten oder Telemedienangeboten in leichter Sprache.“

§ 11d Abs. 4 S. 1 ist wie folgt zu ergänzen:

„Die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio bieten ihre Angebote in barrierefrei zugänglichen elektronischen Portalen an …“

Weitere Änderungsbedarfe

Zusätzlich sehen wir weiteren Änderungsbedarf in folgenden Bereichen:

Gleichberechtigte Teilhabe

Zur Stärkung der Rechtspositionen von Menschen mit Behinderungen sollte mit Blick auf Art. 3 des Grundgesetzes in § 3 Abs. 1 S. 1 RStV das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen Berücksichtigung finden. Die Vorschrift könnte wie folgt neu gefasst werden:

„§ 3 Allgemeine Grundsätze

(1) Die in der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), das Deutschlandradio und alle Veranstalter bundesweit verbreiteter Rundfunkprogramme haben in ihren Angeboten die Würde des Menschen zu achten und zu schützen; die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten. Die Angebote sollen dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, der Gleichberechtigung aller Menschen, vor Glauben und Meinungen anderer zu stärken.“

Barrierefreiheit stärken

Korrespondierend mit der Anerkennung und dem Schutz der Gleichberechtigung aller Menschen erachten wir es für notwendig, dass die Belange behinderter Menschen durch zugängliche Angebote stärker berücksichtigt werden als bisher. Gleichberechtigung im Sinne der 2009 in Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention beschränkt sich nicht auf eine formal-juristische Gleichstellung. Vielmehr setzt eine volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe an allen Aspekten des Lebens voraus, dass Maßnahmen zur tatsächlichen Gleichstellung behinderter Menschen ergriffen werden. Aus diesem Grund kommt der barrierefreien Zugänglichkeit an allen Angeboten, die der Öffentlichkeit bereitstehen, egal ob diese staatlich oder privatwirtschaftlich organisiert sind, eine besondere Bedeutung zu.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einschließlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist einer der wesentlichen Pfeiler jeder demokratischen Gesellschaft sowie eine der wichtigsten Bedingungen der Entwicklung und Entfaltung des Einzelnen. Das Recht der Meinungsfreiheit und damit auch DER Freiheit, sich zu informieren, kann von behinderten Menschen nur dann gleichberechtigt mit anderen wahrgenommen und gelebt werden, wenn die Informationen – und dazu zählen auch Rundfunk- und Telemedienangebote –  in einem für sie zugänglichen Format zur Verfügung stehen. Dementsprechend konkretisiert die UN-BRK das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit sowie den Zugang zum kulturellen und politischen Leben wie folgt:

„Artikel 21

(1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit, einschließlich der Freiheit, Informationen und Gedankengut sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben, gleichberechtigt mit anderen und durch alle von ihnen gewählten Formen der Kommunikation im Sinne des Artikels 2 ausüben können, unter anderem indem sie

d) die Massenmedien, einschließlich der Anbieter von Informationen über das Internet, dazu auffordern, ihre Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu gestalten;“

„Artikel 30

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen

...

b) Zugang zu Fernsehprogrammen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten in zugänglichen Formaten haben;“

Vor diesem Hintergrund bedarf es wirksamer Mechanismen, die sicherstellen, dass behinderte Menschen die gleichen Möglichkeiten haben wie andere auch, von den Rundfunk- und Telemedienangeboten zu profitieren.

Das Engagement, das die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Zugänglichkeit ihrer Angebote zeigen, wissen wir zu würdigen. Es ist erforderlich, dass diese Anstrengungen kontinuierlich fortgesetzt und ausgebaut werden.

Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die bisherigen Mechanismen im Rundfunkstaatsvertrag (§ 3 Abs. 2) nicht dazu geführt haben, dass ein flächendeckendes, über alle Anbieter und Programmsparten hinweg ausreichendes Angebot in zugänglichen Formaten, wie u. a. der Audiodeskription, zur Verfügung steht. Insbesondere private Rundfunk- und Mediendiensteanbieter verweigern bislang vollständig Maßnahmen zur Herstellung von Zugänglichkeit ihrer Angebote für blinde und sehbehinderte Menschen und das, obwohl sie laut Präambel zum RStV zur „freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Meinungsvielfalt verpflichtet“ sind. Die Situation ist umso dramatischer für die Betroffenen, weil für die Öffentlichkeit besonders relevante Ereignisse (z. B. die Übertragung der Olympischen Spiele ab 2018) nicht mehr über öffentlich-rechtliche Fernsehsender ausgestrahlt werden, sondern die Übertragungsrechte immer häufiger an private Anbieter verkauft werden. Findet hier keine regulatorische Einwirkung statt, werden behinderte Menschen – und hier insbesondere sinnesbehinderte Menschen – dauerhaft von sozialer Teilhabe und dem menschenrechtlich verbrieften Recht auf umfassende Informations- und Meinungsfreiheit schlicht ausgeschlossen.

Aus unserer Sicht bedarf es daher verbindlicher Regelungen, die einen kontinuierlichen Zuwachs von barrierefreien Angeboten, die die unterschiedlichen Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen, wie etwa Audiodeskription sicherstellen. Großbritannien ist ein gutes Beispiel dafür, dass Quotenregelungen ein geeignetes Instrument zur Erreichung dieses Ziels sein können. Starre Quoten halten wir zwar nicht für zielführend, können die Freiwilligkeit des Engagements aber auch nicht grenzenlos akzeptieren. Deshalb sollen alle Veranstalter von Rundfunk und Telemedienangeboten verpflichtet werden, Programme zum schrittweisen Ausbau von barrierefrei zugänglichen Angeboten zu entwickeln und ständig fortzuschreiben. Damit einhergehend sollte die Verpflichtung zur schrittweisen Herstellung von Barrierefreiheit durch Berichtspflichten und im Wege eines Monitorings ständig überprüft werden, da die Regelungen ansonsten ein „stumpfes Schwert“ bleibt.

§ 3 Abs. 2 könnte etwa wie folgt neu gefasst werden:

„Die Veranstalter nach Abs. 1 S. 1 gestalten ihre Angebote schrittweise barrierefrei. Dies umfasst die Verpflichtung, unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit, Programme und Aktionspläne einschließlich kontinuierlich zu steigernder Quotenregelungen in Bezug auf barrierefrei zugängliche Angebote, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen berücksichtigen, u. a. mit Audiodeskription, Untertitelung und Clear-Audio sowie Gebärdensprache mit dem Ziel der vollen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen Angeboten zu entwickeln; dabei ist den Bereichen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung gleichermaßen Rechnung zu tragen. Die Veranstalter nach Abs. 1 S. 1 übermitteln ihren Aufsichtsgremien bzw. im Falle privater Rundfunkanbieter den Landesmedienanstalten alle zwei Jahre einen Bericht über den Stand der Barrierefreiheit ihrer Angebote und verbindliche und überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum weiteren Abbau von Barrieren zur Veröffentlichung vor. Unabhängig von der Verpflichtung zur schrittweisen Herstellung von Barrierefreiheit haben die Veranstalter im Sinne von Abs. 1 S. 1 sicherzustellen, dass die Übertragung von Veranstaltungen von großer gesellschaftlicher Bedeutung im Sinne von § 4 Abs. 2 in jedem Fall auch hörgeschädigten, blinden und sehbehinderten Menschen barrierefrei zugänglich ist.“

Verbraucherschutz - § 9b

Weiterhin ist es für eine gleichberechtigte Wahrnehmung der Verbraucherrechte notwendig, dass sich Personen barrierefrei zugänglich informieren können. § 9b Abs. 2 sollte daher wie folgt neu gefasst werden.

㤠9b Verbraucherschutz

(2)    Rundfunkveranstalter haben folgende Informationen im Rahmen ihres Gesamtangebots leicht, unmittelbar, barrierefrei und ständig zugänglich zu machen: …“

Fazit

In Bezug auf den barrierefreien Zugang zu Rundfunk- und Telemedienangeboten sind größere Anstrengungen zu unternehmen als bisher. Die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen durch barrierefrei zugängliche Angebote ist dabei keine Frage der Wohlfahrt und Fürsorge. Es geht um den Schutz menschenrechtlicher Garantien.

Berlin, 06.07.2017