DBSV-Stellungnahme zum Fragenkatalog zur Erarbeitung eines Gesamtkonzepts zur Neuordnung und Stärkung der Ausbildung der Gesundheitsfachberufe (Gesundheitsberufereform)

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) vertritt als Spitzenverband die Interessen der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland. Zu seinen Aufgaben gehören auch die Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabemöglichkeiten dieses Personenkreises.

Vor diesem Hintergrund nimmt der DBSV zum Fragenkatalog zur Erarbeitung eines Gesamtkonzepts zur Neuordnung und Stärkung der Ausbildung der Gesundheitsfachberufe vom 24.05.2019 in Bezug auf die Berufe „Masseur und Medizinischer Bademeister“ sowie „Physiotherapeut“ wie folgt Stellung:

Blinde und sehbehinderte Masseure und Physiotherapeuten leisten seit Jahrzehnten einen erheblichen Beitrag zur Fachkräftesicherung im Bereich der medizinisch-therapeutischen Berufe. Ihre Expertise ist anerkannt und wird von den Patientinnen und Patienten geschätzt. Wegen unserer zunehmend älter werdenden Bevölkerung und einem damit zu erwartenden ansteigenden Fachkräftebedarf im Bereich der medizinisch-therapeutischen Berufe sind blinde und sehbehinderte Masseure sowie Physiotherapeuten auch zukünftig unverzichtbar.

Gleichzeitig bieten die Berufe „Masseur und medizinischer Bademeister“ sowie „Physiotherapeut“ für blinde und sehbehinderte Menschen traditionell sehr gute Beschäftigungsmöglichkeiten. Über 90 % der Abgänger der speziellen Ausbildungsstätten für blinde und sehbehinderte Menschen werden sofort im Anschluss an ihre berufsfachschulische Ausbildung in Arbeit vermittelt. Das ist mit Blick auf die bei blinden Menschen insgesamt außerordentlich geringe Erwerbsquote von unter 30 % ein extrem gutes Ergebnis.

Bei einer Novellierung des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (MPhG) fordert der DBSV daher:

  1. Beide Berufe, das heißt, „Masseur und medizinischer Bademeister“ sowie „Physiotherapeut“ müssen uneingeschränkt erhalten bleiben. Der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters darf keinesfalls wegfallen.
  2. Blinde und sehbehinderte Menschen müssen weiterhin die uneingeschränkte Erlaubnis für die Ausübung der Berufe „Masseur und medizinischer Bademeister“ sowie „Physiotherapeut“ erwerben können und die entsprechende Berufsbezeichnung führen dürfen.
  3. Für die Berufe „Masseur und medizinischer Bademeister“ und „Physiotherapeut“ muss es weiterhin grundständige Ausbildungen auf Fachschulniveau geben. Eine Vollakademisierung lehnt der DBSV ab. Akademische Ausbildungsgänge für diese Berufszweige dürfen nur ergänzend angeboten werden, wobei sicherzustellen ist, dass sie ebenfalls uneingeschränkt für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich sind.
  4. Bei der Einführung von Schulgeldfreiheit und ggf. Ausbildungsvergütungen ist sicherzustellen, dass die fachgerechte blinden- und sehbehindertenspezifische Ausbildung erhalten bleibt und nicht durch inkompatible Finanzierungsstrukturen in Frage gestellt wird.

Zu Abschnitt I – Berufsgesetze

Beide Berufe, das heißt, „Masseur und medizinischer Bademeister“ sowie „Physiotherapeut“ müssen uneingeschränkt erhalten bleiben. Der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters darf keinesfalls wegfallen.

Blinde und sehbehinderte Menschen müssen weiterhin die uneingeschränkte Erlaubnis für die Ausübung der Berufe „Masseur und medizinischer Bademeister“ sowie „Physiotherapeut“ erwerben können und die entsprechende Berufsbezeichnung führen dürfen.

Es besteht aus Sicht des DBSV ein Modernisierungsbedarf bei der Weiterentwicklung des Fächerkanons.

Die Weiterbildungen für die sogenannten Zertifikatspositionen sind zumindest teilweise in die Ausbildung zu integrieren. Es wird dringend empfohlen, die Manuelle Therapie künftig direkt zum Ausbildungsinhalt in der Physiotherapie und die Manuelle Lymphdrainage direkt zum Ausbildungsinhalt beim Masseur und medizinischen Bademeister zu machen. Die vorbenannten Qualifikationen gehören heute zur Grundvoraussetzung, um überhaupt beruflich tätig sein zu können. Das gilt für behinderte und nicht behinderte Berufstätige gleichermaßen. Gerade für blinde und sehbehinderte Menschen ist aber die Organisation und Finanzierung eines behindertengerechten Weiterbildungsangebots zum Erwerb der o. g. Zertifikate mit besonderen Hürden verbunden. Die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen direkt mit der Grundqualifikation zu erwerben, ist daher umso notwendiger.

Zu Abschnitt II – Ausbildung

Der DBSV lehnt eine Vollakademisierung im Bereich der Physiotherapie und Massage ab (vgl. die ausführlichen Ausführungen zu Abschnitt IV).

Abgesehen davon können die notwendigen Kompetenzen für die berufliche Tätigkeit aus Sicht des DBSV besser in den Berufsfachschulen im Rahmen einer Fachschulausbildung vermittelt werden. Physiotherapeuten und Masseure arbeiten in praktischen Berufen am Patienten. Dem muss die Ausbildung Rechnung tragen. Kompetenzen zum wissenschaftlichen Arbeiten, wie sie primär in akademischen Settings vermittelt werden, sind nur für einen Teil der Berufstätigen erforderlich.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des demographischen Wandels der Patientenanteil mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen stetig zunimmt. Es ist längst überfällig, diesem Umstand bei der Festlegung der Ausbildungsinhalte Rechnung zu tragen. Insbesondere ist hier die Vermittlung von Kenntnissen zur ICF und dem biopsychosozialen Modell von Behinderung als Grundlage für das Erbringen von Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe zu nennen. Damit in Zusammenhang stehend ist ein Kompetenzerwerb für eine interdisziplinäre, multiprofessionelle Zusammenarbeit sicherzustellen. Ferner sind die Auszubildenden aber auch im Umgang mit Menschen, die über ganz unterschiedliche Beeinträchtigungen verfügen, zu unterweisen. Dazu gehören die Vermittlung sowohl von Kenntnissen über Beeinträchtigungen, als auch über die sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergebenden Rechte und Anforderungen bis hin zur Kommunikation bei der Behandlung. Um Letzteres mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Physiotherapeuten müssen krankengymnastische Übungen auch gut verbalisieren können, um sie Menschen mit Seheinschränkungen vermitteln zu können.

Letztlich spielt im Praxisalltag zunehmend eine digitale Kommunikation eine Rolle. Ein Kompetenzerwerb in diesem Bereich muss sich auch in den Ausbildungsinhalten widerspiegeln.

Abschnitt III - Kompetenzerweiterung / neue Aufgaben und Übertragung einer höheren Verantwortung

Es sollte eine Aufgaben- und Kompetenzerweiterung im Bereich der Diagnostik erfolgen. Ein Direktzugang wird ausdrücklich begrüßt.

Die Schaffung neuer Berufsausbildungen auf Assistenz-/Helferniveau ist nicht erforderlich, wenn der Beruf des Masseurs und Medizinischen Bademeisters erhalten und gestärkt wird.

Abschnitt IV – Akademisierung

Der DBSV lehnt eine Vollakademisierung im Bereich der Physiotherapie und Massage ab. Es besteht bislang schon ein erheblicher Fachkräftemangel. Der Bedarf an Physiotherapeuten und Masseuren wird sich durch eine zunehmend ältere und damit verstärkt auf Gesundheitsleistungen angewiesene Bevölkerung noch erhöhen. In dieser Phase die Berufszugangsvoraussetzungen zu verschärfen und eine Fachhochschul- bzw. Hochschulreife zur Voraussetzung zu machen, ist kontraproduktiv. Die ganz überwiegende Anzahl blinder und sehbehinderter Menschen, die als Physiotherapeuten oder Masseure/medizinische Bademeister arbeiten, verfügen über einen Haupt- oder Realschulabschluss. Bei einer Vollakademisierung wären sie plötzlich von einem Berufsfeld nahezu gänzlich ausgeschlossen, dass ihnen bislang – anders als nahezu alle anderen Berufe – eine sehr gute Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben bietet. Dazu darf es nicht kommen. Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass blinde und sehbehinderte Menschen nur außerordentlich geringe berufliche Entfaltungsmöglichkeiten haben, weil sie behinderungsbedingt viele Berufe nicht ausüben können. Die zunehmende Digitalisierung verstärkt diese Problematik mangels barrierefreier Software.

Gerade für die überwiegende Anzahl der blinden und sehbehinderten Menschen, die nicht über eine gymnasiale Bildung verfügen, müssen die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten im Bereich der Physiotherapie und Massage also erhalten bleiben. Sie sind auch unverzichtbar, um den jetzt schon bestehenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken.

Die Nachteile einer vollständigen Akademisierung sind zusammengefasst:

  • Ausweitung des Fachkräftemangels insgesamt wegen zu hoher Zugangshürden
  • deutlich weniger Praxisbezug in der Ausbildung
  • Verschließung von Möglichkeiten blinder und sehbehinderter Menschen zur Teilhabe am Arbeitsleben und damit verbunden ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit dieses Personenkreises
  • fehlende Vergütungsstrukturen für allein akademisch ausgebildete Fachkräfte.

Eine Akademisierung im Sinne eines Aufbaustudiengangs zur Qualifizierung eines Teils der Berufstätigen (etwa 10–20 Prozent) ist hingegen denkbar. Für die Lehre und die Leitungsebene bietet es sich an, eine Teilakademisierung zu ermöglichen.

Eine Durchlässigkeit von der abgeschlossenen Berufsausbildung zu einem Aufbaustudium ist zu begrüßen. Dabei ist sicherzustellen, dass die abgeschlossene Berufsausbildung immer zu einer Hochschulzugangsberechtigung für entsprechende Aufbaustudiengänge berechtigt.

Wenn ergänzend die Möglichkeit einer akademisierten Ausbildung geschaffen wird, dann muss auch hier ein uneingeschränkter Zugang für blinde und sehbehinderte Menschen abgesichert werden. Das bedeutet zum Einen, dass die Anforderungen zur Teilnahme an den akademischen Ausbildungsgängen auch von blinden und sehbehinderten Menschen erfüllt werden können, womit die konzeptionelle Ausgestaltung ebenso angesprochen ist wie die Anerkennung von erforderlichen Nachteilsausgleichen. Es ist zum anderen zwingend notwendig, dass neu entwickelte Studiengänge von den zuständigen Rehabilitationsträgern als Rehabilitationsmaßnahme anerkannt werden, damit blinden und sehbehinderten Menschen die behinderungsbedingt entstehenden Mehraufwendungen finanziert werden.

Zu Abschnitt VI – Finanzierung

Schulgeldfreiheit und eine Ausbildungsvergütung sind sinnvoll, wenn sie für alle Auszubildenden gleichermaßen erfolgen.

Eine Finanzierung der Ausbildung darf dabei aber nicht allein zu Lasten der Versichertengemeinschaft geschehen. Einer generellen Verschiebung der fachschulischen Ausbildung in die Strukturen der Krankenhausfinanzierung steht der DBSV kritisch gegenüber. Stattdessen sollten die Aufwendungen einer Schulgeldbefreiung und von Ausbildungsvergütungen aus Steuermitteln finanziert werden.

Bei der Einführung von Schulgeldfreiheit und ggf. Ausbildungsvergütungen ist in jedem Fall sicherzustellen, dass die fachgerechte blinden- und sehbehindertenspezifische Ausbildung, die bislang an besonderen Einrichtungen erfolgt und dort unter Einbindung von Auszubildenden ohne Behinderungen weitgehend inklusiv organisiert wird, erhalten bleibt. Wie bislang schon, muss es also auch künftig möglich sein, dass die Berufsförderungswerke inklusive Ausbildungsgänge anbieten können. Bei einer Schulgeldfreiheit und der Zahlung von Ausbildungsvergütungen müssen die entstehenden Aufwendungen für die Unterrichtung der Teilnehmenden ohne Behinderung damit unabhängig vom Lernort (also auch bei einer Ausbildung in einer inklusiven Lerngruppe z. B. eines Berufsförderungswerkes) von der öffentlichen Hand getragen werden.