DBSV-Stellungnahme zu Art. 3 des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Apps öffentlicher Stellen

Voraussichtlich am 17.05.2018 findet die 1. Lesung zum Entwurf des Gesetzes zur Verlängerung befristeter Regelungen im Arbeitsförderungsrecht und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen vom 16.03.2018 (BR Drs. 86/18) statt.

Als Spitzenorganisation der mehr als 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland fordert der DBSV, Artikel 3 dieses Entwurfs unbedingt zugunsten von Menschen mit Behinderungen nachzubessern.

Der Megatrend der Digitalisierung bestimmt heute und noch viel stärker in der Zukunft unser gesamtes Leben. Für blinde und sehbehinderte Menschen bietet Digitalisierung große Chancen für mehr Teilhabe. Voraussetzung ist aber, dass Webseiten, mobile Anwendungen und sonstige grafische Programmoberflächen barrierefrei zugänglich sind. Technisch ist das möglich und zwar ohne einen größeren Kostenaufwand, wenn Barrierefreiheit konsequent mitgedacht und mit geplant wird.

2016 ist die Richtlinie (EU) 2016/2102 (im Weiteren RL genannt) in Kraft getreten. Sie hat das Ziel, dass durch geeignete Gesetzesvorschriften und weitere Maßnahmen Websites und mobile Anwendungen für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich werden. Auf diese Weise soll die gleichberechtigte Teilhabe an Informationen und Dienstleistungen erreicht werden. Der vorgelegte Gesetzentwurf (BR Drs. 86/18) soll die europarechtlichen Vorgaben in deutsches Recht umsetzen.

Dieser Gesetzentwurf bedarf allerdings dringend der Nachbesserung, damit eine richtlinienkonforme und an der UN-BRK ausgerichtete Umsetzung erfolgt. Die Richtlinie selbst sieht eine Mindestharmonisierung vor. Wir erwarten, dass Deutschland seine Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nutzt. Vollkommen inakzeptabel ist es für uns daher, dass der bisherige Entwurf nur die nach der RL möglichen Einschränkungen und Ausnahmen von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit ausschöpft und damit teilweise Verschlechterungen im Vergleich zum geltenden Recht auslöst, während die mit der Richtlinie möglichen Potentiale für echte Verbesserungen gegenüber dem bisher geltenden Recht, insbesondere hinsichtlich der Durchsetzung von Barrierefreiheit und zur Einbeziehung von privaten Anbietern von Gütern und Dienstleistungen in die Verpflichtungen, ungenutzt bleiben. Notwendig sind aus unserer Sicht folgende Änderungen:

  • Beibehaltung der in § 12 BGG bislang vorgesehenen Einbeziehung „grafischer Programmoberflächen“ in den Anwendungsbereich
  • Abschaffung oder zumindest deutliche Einschränkung der in § 12a Abs. 6 BGG_E vorgesehenen Klausel, die vorsieht, dass öffentliche Stellen in bestimmten Fällen von der Herstellung barrierefreier digitaler Angebote absehen können
  • Stärkung des vorgesehenen Durchsetzungsmechanismus, damit die Barrierefreiheitsanforderungen tatsächlich und effektiv umgesetzt werden.

Das bedeutet im Einzelnen:

Rückschritte ausschließen - Beibehaltung der Einbeziehung von „grafischen Programmoberflächen“

Der Wortlaut des bisherigen § 12 Abs. 1 BGG wird zugunsten einer wörtlichen Übernahme der Vorgaben aus der RL aufgegeben. Das ist ein Rückschritt im Vergleich zum bisherigen Recht. Nicht erfasst sind damit künftig grafische Programmoberflächen, die nicht webbasiert sind. Beispiele sind u. a.:

  • Software, die erforderlich ist, um bestimmte Verwaltungsverfahren durchführen zu können (z. B. bei der Nutzung von ELSTER oder des elektronischen Gerichts- und Anwaltspostfachs).
  • Terminalbasierte Anwendungen (z. B. künftig entstehende Bedienplattformen zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte in Arztpraxen).
  • CDs und DVDs mit Informationsmaterial der Bundesverwaltung, deren Inhalte sich nicht mit einem Webbrowser wiedergeben lassen.
  • 12 Abs. 1 BGG nennt mobile Anwendungen und sonstige Apps bisher als Unterfall der grafischen Programmoberflächen. Dies zeigt, dass der Anwendungsbereich der grafischen Programmoberflächen deutlich über den der mobilen Anwendungen hinausgeht. Gemessen an der bisherigen Rechtslage führt die Streichung der grafischen Programmoberflächen damit zu einer deutlichen Verschlechterung. Wir erachten es daher für dringend notwendig, dass die grafischen Programmoberflächen ausdrücklich im Tatbestand des § 12a Abs. 1 BGG_E genannt bleiben. Dieser könnte wie folgt formuliert werden:

„Öffentliche Stellen gestalten ihre Websites und die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen, einschließlich der mobilen Anwendungen und sonstigen Apps, barrierefrei. Zu den Websites gehören neben den Auftritten und Angeboten im Internet auch die für die Beschäftigten bestimmten Informationen im Intranet.“

Ausnahmeregelungen

§ 12a Abs. 5 BGG_E

Die Formulierung des Ausnahmetatbestandes in § 12a Abs. 5 BGG_E ist entgegen der Intention der RL zu weit gefasst. Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der RL erlaubt, dass Nichtregierungsorganisationen unter bestimmten Voraussetzungen ihre Websites und mobilen Anwendungen nicht barrierefrei gestalten müssen. Ausgeschlossen sein sollen nur solche überwiegend gemeinnützigen Zwecken dienende, freiwillige selbstverwaltete Einrichtungen, die keine für die Öffentlichkeit wesentlichen oder spezifisch auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichteten Dienstleistungen anbieten. Gemeint sind Dienstleistungen, die nicht unmittelbar vom Staat oder von Gebietskörperschaften beauftragt sind. Das trifft längst nicht auf alle öffentlichen Stellen im Sinne von § 12 Nrn. 2 und 3 BGG_E zu. Insoweit ist der gesetzeswortlaut präziser zu fassen.

Klarzustellen ist mit Verweis auf Art. 9 Abs. 1 S. 2 der RL ferner, dass Nutzer von Websites und mobilen Anwendungen die Begründung für eine Ausnahme nach § 12a Abs. 5 BGG_E durch die Schlichtungsstelle überprüfen lassen können.

§ 12a Abs. 6 BGG_E

Zur Umsetzung der UN-BRK erachten wir es für notwendig, dass sich Deutschland für eine generelle digitale Barrierefreiheit einsetzt und keine Ausnahmeregelungen, wie in § 12a Abs. 6 BGG_E vorgesehen, zulässt. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der besonders großen Bedeutung von Digitalisierung für unser gesamtes Leben.

Bislang ist Ziel des BGG, dass alle Internetauftritte und -anwendungen einschließlich mobiler Anwendungen barrierefrei gestaltet werden. Durch die Formulierung „schrittweise“ in § 12 Abs. 1 BGG ist allein ein Korrektiv zur Vermeidung von Überforderungen der Träger öffentlicher Gewalt in zeitlicher Hinsicht vorgesehen.

Den Anspruch, vollständige Barrierefreiheit herzustellen, gibt der Gesetzgeber durch den vorgesehenen Ausnahmetatbestand auf. Das ist ein Rückschritt und vollkommen inakzeptabel. Die RL zwingt nicht zu diesem Schritt. Sie bildet gemäß Art. 2 lediglich Mindestanforderungen ab. Damit kann Deutschland auch weitergehende Regelungen vorsehen.

Soweit in der Begründung zum Gesetzentwurf ausgeführt wird, dass für Einrichtungen des Privatrechts, die bislang nicht nach § 12 BGG verpflichtet waren, ihre Informationstechnik barrierefrei zu gestalten, die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung geboten sein könne, weil sie - z.B. als befristet geförderte Zuwendungsempfänger - nicht über hinreichende finanzielle Ressourcen zur barrierefreien Gestaltung ihrer Informationstechnik verfügen, kann dies nicht nachvollzogen werden. Unserer Auffassung nach hat der Bund durch seine Förderpraxis sicherzustellen, dass diese öffentlichen Stellen über entsprechende Nebenbestimmungen zum Förderbescheid zur Barrierefreiheit ihrer Websites und mobilen Anwendungen verpflichtet werden und diese Verpflichtung durch ausreichende finanzielle Mittel zu hinterlegen. Hinzu kommt, dass die EU selbst davon ausgeht, dass die notwendigen Technologien zur Herstellung von Barrierefreiheit vorhanden sind.

Sollte sich Deutschland dennoch nicht dazu in der Lage sehen, § 12a Abs. 6 BGG_E gänzlich zu streichen, dann ist durch eine Schärfung der Formulierung sicherzustellen, dass der absolute Ausnahmecharakter deutlich wird. Das schließt klare Auflagen zur Begründung und zur Beweislast für den Gebrauch der Ausnahmeregelung ein, wie dies in Art. 5 sowie Erwägungsgrund 39 der RL zum Ausdruck kommt. Öffentliche Stellen des Bundes, die von der Ausnahmeregelung Gebrauch machen wollen, müssen ganz klar signalisiert bekommen, dass ein Abweichen von der Barrierefreiheit keine Lappalie ist und diese Begründung muss sowohl im Rahmen des Schlichtungsverfahrens, als auch im Rahmen gerichtlichen Rechtsschutzes überprüfbar sein . § 12a Abs. 6 BGG_E sollte in diesem Fall wie folgt formuliert werden:

„(6) Von der barrierefreien Gestaltung dürfen öffentliche Stellen des Bundes nur dann ausnahmsweise absehen, wenn und soweit sie durch eine barrierefreie Gestaltung im Einzelfall unzumutbar belastet würden. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausnahme ist detailliert zu begründen.“

12c Abs. 2 Nr. 1 Buchst b ist wie folgt zu fassen:

„(2)  Die Erklärung zur Barrierefreiheit enthält

1. für den Fall, dass ausnahmsweise keine vollständige barrierefreie Gestaltung erfolgt ist,

a) …

b) eine detaillierte und überprüfbare Begründung für die nicht barrierefreie Gestaltung sowie

c) …“

Durchsetzung von Barrierefreiheit

Einen echten und im Vergleich zur bisherigen Rechtslage entscheidenden Fortschritt der RL bilden die vorgesehenen Maßnahmen zur Durchsetzung von Barrierefreiheit. Die RL sieht hier verschiedene Instrumente vor und zwar:

  • eine umfassende, leicht verständliche und gut auffindbare Erklärung zur Barrierefreiheit der Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen
  • einen Feedback-Mechanismus, mit dem Nutzer jegliche Mängel der Barrierefreiheit mitteilen können
  • ein wirksames Durchsetzungsverfahren, das Nutzer in Anspruch nehmen können, wenn sie eine Barriere gemeldet und darauf keine zufriedenstellende Antwort bekommen haben und
  • ein Monitoring

Die im BGG vorzusehenden Regelungen müssen diesen Anforderungen gerecht werden. Hier bedarf es dringender Verbesserungen.

Erklärung zu Barrierefreiheit und Feedback-Mechanismus

Die Anforderungen an die Erklärung zur Barrierefreiheit in § 12b abs. 1 BGG_E sind sprachlich zu schärfen, um der Intention der RL gerecht zu werden. Hier sollte wie folgt formuliert werden:

„(1) Die öffentlichen Stellen des Bundes veröffentlichen eine umfassende, verständliche und leicht auffindbare Erklärung zur Barrierefreiheit ihrer Websites und mobilen Anwendungen.“

12b Abs. 2 BGG_E ist unvollständig. Der Feedback-Mechanismus soll es Nutzern ermöglichen, jegliche Mängel der Barrierefreiheit von Websites oder mobilen Anwendungen mitzuteilen und nicht barrierefrei zugängliche Informationen in einer für sie zugänglichen Form anfordern zu können (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der RL). Das ist deutlich mehr, als die in Nr. 2 vorgesehene Möglichkeit, Informationen über die Barrierefreiheit erfragen zu können. Außerdem ist die Erklärung zur Barrierefreiheit laut RL auf einem aktuellen Stand zu halten. § 12b Abs. 2 Nr. 2 BGG sollte wie folgt gefasst werden:

„(2) Die Erklärung zur Barrierefreiheit ist stets aktuell zu halten und enthält

  1. eine unmittelbar zugängliche barrierefrei gestaltete Möglichkeit, elektronisch mit der jeweiligen öffentlichen Stelle Kontakt aufzunehmen, um bestehende Barrieren mitzuteilen und nicht barrierefreie Informationen in einer zugänglichen Form anfordern zu können.“

Eine Reaktionszeit der öffentlichen Stelle auf Mängel der Barrierefreiheit von bis zu einem Monat erachten wir als zu lang, denn Nutzer sind darauf angewiesen, dass ihnen bestimmte Informationen wie z. B. Formulare oder Bezahlsysteme zeitnahe zur Verfügung stehen. § 12b Abs. 4 BGG sollte daher wie folgt gefasst werden:

„(4) Die öffentliche Stelle des Bundes antwortet auf Mitteilungen oder Anfragen, die ihr aufgrund der Erklärung zur Barrierefreiheit übermittelt werden, unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von zwei Wochen.“

Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass der vorgeschriebene Feedback-Mechanismus bei allen öffentlichen Stellen eine höhere Anzahl an zu bearbeitenden Anfragen erwarten lassen dürfte. Mit Blick auf die Verpflichtungen in § 13 Abs. 2 BGG_E steht zudem zu erwarten, dass die Bundesfachstelle Barrierefreiheit erster und zentraler Ansprechpartner für die öffentlichen Stellen sein wird, um zu erfragen, wie sie ihre Angebote barrierefrei gestalten können. Die Fachstelle Barrierefreiheit verfügt unserer Kenntnis nach bislang aber nur über eine halbe Personalstelle für den Bereich der digitalen Barrierefreiheit. Das ist angesichts der Tatsache, dass sich der potentielle Kreis der Ratsuchenden durch die Ausweitung der verpflichteten öffentlichen Stellen vergrößert und mit Blick auf die zunehmende Bedeutung von Digitalisierung deutlich zu wenig, um hier eine effektive Unterstützung leisten zu können. Auch die neu in § 13 Abs. 3 BGG_E vorgesehene Überwachungsstelle kann dies nicht auffangen, denn die individuelle Beratung der öffentlichen Stellen auf Anfrage gehört laut Gesetzeswortlaut nicht in den Kompetenzbereich der Überwachungsstelle. Während für die Einrichtung der Überwachungsstelle bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit erforderliche Haushaltsmittel für Personal- und Sachkosten eingeplant werden, wird der zusätzliche Beratungsaufwand der Bundesfachstelle lediglich mit einer Ergänzung in § 13 Abs. 2 S. 2 der Bundesfachstelle übertragen, ohne dass hierfür entsprechende Ressourcen eingeplant sind. Die zusätzliche Beratungstätigkeit der Bundesfachstelle Barrierefreiheit ist de facto damit nicht finanziert und droht zu Lasten der bisherigen erfolgreichen Beratungsarbeit der Bundesfachstelle zu gehen. Nach alledem halten wir es für zwingend notwendig, dass bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 13 Abs. 2 S. 2 BGG_E zusätzliche personelle Ressourcen geschaffen werden, damit der Feedback-Mechanismus zu einem effektiven Durchsetzungsinstrument werden kann. Dies steht im Übrigen im Einklang mit Art. 7 Abs. 3 der RL, der die Mitgliedsstaaten auffordert, Maßnahmen zu treffen, um die Anwendung der Barrierefreiheitsanforderungen zu erleichtern.

Effektives Durchsetzungsverfahren

Als zweite Ebene des Durchsetzungsmechanismus verpflichtet die RL in Art. 9 dazu, ein wirksames und effektives Durchsetzungsverfahren zu gewährleisten, um eine wirksame Behandlung der über den Feedback-Mechanismus abgegebenen Mitteilungen oder Anfragen zu ermöglichen und die Gründe für das ausnahmsweise Absehen von Barrierefreiheit (Art. 5) zu überprüfen. Deutschland hat sich dafür entschieden, insoweit die Schlichtungsstelle einzusetzen. Dies ist dann nachvollziehbar, wenn man zum einen das Schlichtungsverfahren an die Anforderungen effektiver Durchsetzung anpasst und zweitens den sich ggf. anschließenden gerichtlichen Rechtsschutz stärkt.

Stärkung der Schlichtungsstelle: Das Schlichtungsverfahren gem. § 16 BGG setzt auf Freiwilligkeit der Beteiligten. Freiwilligkeit heißt, dass sich die öffentliche Stelle dem Schlichtungsverfahren entziehen kann, indem sie entweder gar nicht erst am Verhandlungstisch Platz nimmt oder indem sie nicht konstruktiv und lösungsorientiert mitwirkt. Intention der RL ist jedoch, eine effektive Durchsetzung von Barrierefreiheit zu gewährleisten. Das ist mehr als eine Schlichtung, im Rahmen derer die widerstreitenden Interessen in einen Ausgleich gebracht werden sollen. Das Schlichtungsverfahren ist also so zu stärken, dass die beteiligte öffentliche Stelle im Rahmen der Umsetzung der RL verpflichtet wird, am Schlichtungsverfahren aktiv mitzuwirken und dass beim Scheitern des Schlichtungsverfahrens Feststellungen zu Verstößen gegen die Barrierefreiheit getroffen werden können. Dies wird den Druck auf Seiten der öffentlichen Stellen erhöhen, sich ernsthaft um die Umsetzung von Barrierefreiheit einzusetzen.

Stärkung der Klagemöglichkeit: Anders als im Gesetzentwurf vorgesehen, darf in den §§ 14 und 15 BGG keine Beschränkung auf Träger öffentlicher Gewalt i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 BGG erfolgen. Vielmehr sind alle öffentlichen Stellen i. S. v. § 12 BGG_E einzubeziehen. Außerdem fehlt in der Aufzählung die Nennung von § 12b BGG_E. Auch bei einer Verletzung der Pflichten zur Veröffentlichung der Erklärung zur Barrierefreiheit nach § 12b BGG_E muss eine gerichtliche Überprüfbarkeit möglich sein. Nach bisherigem Recht ist zumindest im Falle des Verbandsklagerechts bei Verstößen gegen Vorschriften des BGG lediglich die Erhebung einer Feststellungsklage möglich. Diese Klageart ist jedoch nicht ausreichend, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nunmehr auch privatrechtlich organisierte Rechtsträger verpflichtet sind. Unserer Auffassung nach ist daher auch die Erhebung einer Leistungsklage zuzulassen.

Folgende Änderungen der §§ 12b, 14, 15 und 16 BGG sind damit erforderlich:

§ 12b Abs. 2 Nr. 3:

„3. einen Hinweis auf das Durchsetzungsverfahren, das

  1. a) die Möglichkeit, ein Schlichtungsverfahren nach § 16 BGG durchzuführen, erläutert und die Verlinkung zur Schlichtungsstelle enthält und
  2. b) einen Hinweis auf gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten, einschließlich der Klagemöglichkeiten im Sinne der §§ 14, 15 BGG, beinhaltet.“

§ 14

„Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten aus § 7 Absatz 1, § 8 Absatz 1, § 9 Absatz 1, § 10 Absatz 1 Satz 2 sowie §§ 12a und 12b, soweit die Verpflichtung von öffentlichen Stellen des Bundes zur barrierefreien Gestaltung von Websites und mobilen Anwendungen betroffen ist, verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände nach § 15 Absatz 3, die nicht selbst am Verfahren beteiligt sind, Rechtsschutz beantragen; …“

§ 15 Abs. 1 Nr. 1

„(1) Ein nach Absatz 3 anerkannter Verband kann, ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Klage nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung oder des Sozialgerichtsgesetzes erheben wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot für Träger der öffentlichen Gewalt nach § 7 Absatz 1, die Verpflichtung des Bundes zur Herstellung der Barrierefreiheit in § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Satz 2 sowie die Verpflichtung der öffentlichen Stellen des Bundes zur Herstellung der Barrierefreiheit in § 12a einschließlich der Verpflichtungen aus § 12b, soweit die barrierefreie Gestaltung von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen des Bundes betroffen ist.“

§ 16

(1)…

(2) Wer der Ansicht ist, in einem Recht nach diesem Gesetz durch einen Träger öffentlicher Gewalt oder eine sonstige öffentliche Stelle des Bundes verletzt worden zu sein, kann bei der Schlichtungsstelle nach Absatz 1 einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens stellen.

(3) Ein nach § 15 Absatz 3 anerkannter Verband kann bei der Schlichtungs­stelle nach Absatz 1 einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens stellen, wenn er einen Verstoß eines Trägers öffentlicher Gewalt oder einer sonstigen öffentlichen Stelle des Bundes

behauptet.

(4) Der Antrag nach den Absätzen 2 und 3 kann in Textform oder zur Niederschrift bei der Schlichtungsstelle gestellt werden. Diese übermittelt zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens eine Abschrift des Schlichtungs­antrags an den Träger öffentlicher Gewalt oder die sonstige öffentliche Stelle des Bundes.

(5) Die schlichtende Person wirkt in jeder Phase des Verfahrens auf eine gütliche Einigung der Beteiligten hin. Sie kann einen Schlichtungsvorschlag unterbreiten. Der Schlichtungsvorschlag soll am geltenden Recht ausgerichtet sein. Die schlichtende Person kann den Einsatz von Mediation anbieten.

(6) Im Falle der Geltendmachung einer Verletzung der Verpflichtungen aus § 12a und 12b sind die öffentlichen Stellen des Bundes verpflichtet, am Schlichtungsverfahren mitzuwirken.

(7) …

(8) Das Schlichtungsverfahren endet mit der Einigung der Beteiligten, der Rücknahme des Schlichtungsantrags oder der Feststellung, dass keine Einigung möglich ist. Wenn keine Einigung möglich ist, endet das Schlichtungs­verfahren mit der Zustellung der Bestätigung der Schlichtungsstelle an die Antragstellerin oder den Antragsteller, dass keine gütliche Einigung erzielt werden konnte; im Falle der Geltendmachung einer Verletzung der Verpflichtungen aus §§ 12a und 12b schließt diese Feststellung eine Einschätzung über den behaupteten Verstoß ein.

(9) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, das Nähere über die Geschäftsstelle, die Besetzung und das Verfahren der Schlichtungsstelle nach den Absätzen 1, 4, 5, 6 und 7 zu regeln sowie weitere Vorschriften über die Kosten des Verfahrens und die Entschädigung zu erlassen.

Monitoring

Die in § 12c BGG_E getroffenen Regelungen über den Inhalt und die Erstellung der gegenüber der EU-Kommission regelmäßig abzugebenden Berichte zum Stand der Barrierefreiheit sind zu ergänzen, denn nach Art. 8 Abs. 4 S. 3 RL hat der Bericht an die EU-Kommission auch Informationen über die Nutzung des Durchsetzungsverfahrens gemäß Art. 9 RL zu enthalten. In § 12c BGG könnte ein Absatz 2 mit folgendem Wortlaut eingefügt werden:

„(2) Die Schlichtungsstelle nach § 16 erstattet alle drei Jahre, erstmals zum 30. Juni 2021, der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (§ 13 Absatz 3) Bericht über die Inanspruchnahme des Schlichtungsverfahrens in Fällen der Geltendmachung einer Verletzung der Anforderungen an die Barrierefreiheit gem. § 12a und 12b.“

  • 13 Abs. 3 BGG_E ist insofern zu ergänzen, als in Nr. 2 zu den Aufgaben auch gehören muss, die geprüften öffentlichen Stellen hinsichtlich der Beseitigung der Mängel zu kontrollieren. Außerdem ergibt sich in § 13 Abs. 3 Nr. 3 BGG eine Folgeänderung bei einer Berichtspflicht der Schlichtungsstelle. Die Formulierung könnte wie folgt lauten:

„(2)

2. die öffentlichen Stellen anlässlich der Prüfergebnisse zu beraten und bei der Feststellung von Mängeln zu kontrollieren, ob die Mängel beseitigt werden,

  1. die Berichte der obersten Bundesbehörden, der Schlichtungsstelle und der Länder auszuwerten“

Öffentliche Stellen des Bundes

Mit der in § 12 BGG_E vorgesehenen Definition werden nicht alle öffentlichen Stellen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der RL erfasst. Das betrifft insbesondere die Auslandsvertretungen des Bundes, die gemäß § 1 Abs. 4 BGG die Ziele dieses Gesetzes nur „berücksichtigen“ müssen. Die Webseiten und mobilen Anwendungen der Auslandsvertretungen müssen ebenfalls barrierefrei gestaltet werden, damit man z. B. konsularische Angelegenheiten erledigen kann. Das betrifft Deutsche, die im Ausland dauerhaft leben ebenso wie Reisende, die sich während eines Auslandsaufenthalts an eine deutsche Auslandsvertretung wenden möchten. Außerdem müssen auch die Beschäftigten der Auslandsvertretungen Zugang zu barrierefrei gestalteten Intranetangeboten haben. Die Formulierung des § 12 Nr. 1 BGG kann wie folgt lauten:

„Öffentliche Stellen des Bundes sind ….

  1. die Träger öffentlicher Gewalt, einschließlich der Auslandsvertretungen des Bundes im Sinne von § 1 Absatz 4.“

Weitere Änderungsbedarfe

Einbeziehung weiterer Stellen

Erbringer von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen sollten verpflichtet werden, ihre Auftritte und Angebote im Internet und im Intranet sowie die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen einschließlich Apps und sonstiger Anwendungen für mobile Endgeräte barrierefrei zu gestalten. Gesetzlich ließe sich dies in § 17 SGB I verankern.

Darüber hinaus ist es dringend geboten, endlich auch Private zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Handlungsbedarf resultiert nicht nur mit Blick auf die Umsetzung der UN-BRK. Auch die RL ermutigt die Vertragsstaaten zum Handeln. In Erwägungsgrund 34 heißt es: „Die Mitgliedstaaten sollten ferner ermutigt werden, die Anwendung dieser Richtlinie auf private Stellen auszuweiten, die Einrichtungen und Dienstleistungen anbieten, die der Öffentlichkeit offenstehen bzw. bereitgestellt werden, unter anderem in den Bereichen Gesundheitswesen, Kinderbetreuung, soziale Integration und soziale Sicherheit sowie in den Sektoren Verkehr, Strom, Gas, Wärme, Wasser, elektronische Kommunikation und Postdienste.“

Schulung des Personals öffentlicher Stellen

Art. 7 Abs. 4 der RL sieht vor, dass Schulungsprogramme zur Erstellung, Verwaltung und Aktualisierung barrierefrei zugänglicher Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen für die einschlägigen Interessenträger und das Personal öffentlicher Stellen gefördert und erleichtert werden. Der an die Kommission zu erstellende Bericht muss gemäß Art. 8 Abs. 5 Buchst. d Auskunft darüber geben, welche Maßnahmen insoweit erfolgt sind. Der vorliegende Entwurf macht zu etwaigen Schulungsprogrammen keine Aussagen. Schulungen sind für eine effektive Durchsetzung der Barrierefreiheit aber unbedingt notwendig und können auch dazu beitragen, die Bundesfachstelle Barrierefreiheit sowie das bei der Schlichtungsstelle angesiedelte Durchsetzungsverfahren zu entlasten.