Das Thema "Auge" muss in den Seniorenheimen ankommen!

In deutschen Seniorenheimen besteht massiver Handlungsbedarf, wenn es um Augenerkrankungen, Sehbehinderung und Blindheit geht - das ist das zentrale Ergebnis der Studie OVIS (Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen), die in den Jahren 2014 bis 2016 durchgeführt wurde. So lag beispielsweise der letzte Besuch beim Augenarzt durchschnittlich vier Jahre zurück. Nicht selten fehlte es schlicht an einer passenden Brille, um gutes Sehen und auch Lesen zu ermöglichen.

Im Oktober 2017 fand deshalb ein Runder Tisch zu diesem Thema statt, an dem auch Vertreter des DBSV und des Aktionsbündnisses „Sehen im Alter“ teilnahmen. In der Folge wurde ein Maßnahmenplan abgestimmt und heute der Öffentlichkeit präsentiert. Er wird von einem breiten Bündnis unterstützt. Die Maßnahmen reichen von konkreten Vorschlägen zur Ermöglichung von Vorsorgeuntersuchungen bis zur Entwicklung eines Zertifikats für sehbehindertenfreundliche Pflege- und Senioreneinrichtungen.

"Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, dass die Vorschläge zügig umgesetzt werden, und dabei die Betroffenenperspektive einbringen, beispielsweise bei der Aus- und Fortbildung des Pflegepersonals“, betont DBSV-Geschäftsführer Andreas Bethke.

Es folgt der vollständige Maßnahmenkatalog im Wortlaut.

Maßnahmen zur Verbesserung der ophthalmologischen Versorgung von Menschen in Pflege- und Seniorenheimen

Augenleiden sind Volkskrankheiten! Viele Menschen in Deutschland leiden an Augenerkrankungen, die unbehandelt bis zur Erblindung führen können. Aufgrund des demografischen Wandels wird sich die Zahl der ophthalmologischen Patienten bis zum Jahr 2030 deutlich erhöhen, auch da die meisten Augenerkrankungen im Alter auftreten.

Die Behandlungsfälle bei den über 60-Jährigen werden – so aktuelle Hochrechnungen – um 35,8 Prozent steigen. Dies unterstreicht die Bedeutung der augenärztlichen Versorgung, gerade auch für Senioren.

Obwohl in Deutschland augenärztliche Versorgung auf höchstem Niveau flächendeckend verfügbar ist, gelangt sie oft nicht zu den Menschen in Pflege- und Seniorenheimen. Unbehandelte Augenerkrankungen und Einschränkungen im Sehvermögen bringen nicht nur die Gefahr einer Erblindung: Übersehene Teppichkanten oder Stufen können Stürze verursachen und Knochenbrüche mit sich bringen, die nicht selten zu Pflegebedürftigkeit oder sogar vorzeitigem Tod führen. Auch für die Selbstständigkeit, Mobilität und geistige Gesundheit spielt das Sehen eine große Rolle. Es ist ein wichtiger Faktor für Lebensqualität und für gesellschaftliche Teilhabe.

Die Studie OVIS (Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen) der Stiftung Auge zeigt, dass es offensichtlich erheblichen Nachholbedarf hinsichtlich der augenärztlichen Versorgung in Pflege- und Seniorenheimen gibt. Die Ergebnisse der deutschlandweit größten einschlägigen Versorgungsstudie auf diesem Gebiet belegen: Der letzte Besuch beim Augenarzt lag durchschnittlich vier Jahre zurück. Rund die Hälfte der Befragten gab dabei den Transport als größte Hürde an. Zu den häufigsten im Rahmen der Studie festgestellten Augenerkrankungen zählten altersabhängige Makuladegeneration (AMD), Grauer Star und Grüner Star. Bei rund der Hälfte der Studienteilnehmer lag ein Grauer Star vor, bei knapp 40% wurden Zeichen einer AMD festgestellt und bei rund 21 Prozent bestand der Verdacht oder die gesicherte Diagnose eines Grünen Stars. Nicht selten fehlte es schlicht an einer passenden Brille, um gutes Sehen und auch Lesen und dadurch wieder die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Diese Defizite sind in einem hochentwickelten Gesundheitssystem wie Deutschland eines hat nicht hinnehmbar. Die Versorgung von alten Menschen in Senioren- und Pflegeheimen muss sich verbessern!

Das muss sich ändern:

  1. Augenärztlicher Befund und Empfehlung vor dem Einzug in Alten- oder Pflegeeinrichtung standardisiert dokumentieren

Gerade bei altersabhängigen Erkrankungen des Auges können, wenn sie rechtzeitig erkannt und behandelt werden, Alterserblindung verhindert und gutes Sehen bis ins hohe Alter ermöglicht werden. Daher empfehlen der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands und die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, sich ab dem 50. Lebensjahr einmal jährlich augenärztlich untersuchen zu lassen. Das Ergebnis der OVIS-Studie zeigt jedoch: Im Durchschnitt lag der letzte Besuch beim Augenarzt bei den Studienteilnehmern vier Jahre zurück. Daher sollte der Hausarzt dem Patienten vor dem Einzug in eine Alten- oder Pflegeeinrichtung eine Kopie des letzten augenärztlichen Berichts an die Einrichtung mitsenden. Falls kein Bericht vorliegt, sollte zumindest vom Hausarzt erfasst werden, wann der Patient zuletzt einen Augenarzt konsultierte. Auf dieser Grundlage kann dann entschieden werden, in welchem Zeitraum nach dem Einzug in eine Pflegeeinrichtung ein Termin beim Augenarzt vereinbart werden sollte. So kann gewährleistet werden, dass beim Einzug in eine Pflegeeinrichtung auch die augenheilkundliche Versorgung nicht vergessen wird. Wenn der letzte Augenarztbesuch länger als ein Jahr vor dem Einzug stattgefunden hat, sollte innerhalb der ersten drei Monate nach dem Einzug eine ärztliche Untersuchung erfolgen.

Bei einem geplanten Einzug in ein Heim, sollte der Augenarzt in einem Arztbrief für die künftigen Heimbewohner gut verständliche Empfehlungen für die weitere ophthalmologische Versorgung definieren, einen Behandlungsplan mitgeben und festhalten, in welchen Intervallen weitere Kontrollen stattzufinden haben. Das ist insbesondere bei chronischen Erkrankungen, wie beispielsweise dem Glaukom und der AMD, wichtig.

Für den Erfolg der künftigen Therapie ist außerdem der Austausch zwischen dem behandelnden Arzt und dem Pflegepersonal von großer Bedeutung.

  1. Bundesweite Stärkung des Themas „Auge“ in der Pflegeausbildung und -fortbildung

Anzeichen für Augenerkrankungen gibt es viele. Entscheidend für den Therapieerfolg ist es, genau diese frühzeitig zu erkennen. Lassen sich häufiges Stolpern, Kopfschmerzen, Leseprobleme oder der Rückzug aus dem sozialen Leben nicht durch andere Krankheitsbilder erklären, so sind häufig Sehbeeinträchtigungen durch Augenerkrankungen die Ursache.

Veränderungen im Verhalten der Senioren werden häufig zuerst durch das Pflegepersonal festgestellt. Aber nur mit spezifischem Hintergrundwissen können diese Veränderungen richtig gedeutet werden. Hierfür ist eine entsprechende Unterstützung und Sensibilisierung des Pflegepersonals unerlässlich. Die Stiftung Auge fordert daher, den Themenbereich Auge und Sehen ausführlicher als bisher mit in den Lehrplan der Pflegeausbildung und in entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen aufzunehmen. Sinnvoll sind dabei u.a. auch Elemente der praxisgerechten Hilfen und Checklisten.

Mit der Kenntnis und Durchführung einfacher Screening-Tests, wie beispielsweise dem sogenannten „Amsler-Gitter“ lassen sich Veränderungen der Netzhaut schon früh detektieren. Werden hierbei Defizite festgestellt, sollte dringend ein Augenarztbesuch veranlasst werden. Dies ist bei Menschen, deren kognitive Fähigkeiten nicht eingeschränkt sind, einfach anwendbar. Es gibt bereits Checklisten, worauf Pflegende im Alltag bei Menschen mit Sehbeeinträchtigungen besonders achten müssen. Diese müssen allerdings flächendeckend Anwendung finden, was unter anderem durch regelmäßige Fortbildungen des Personals innerhalb der Einrichtungen gestärkt werden kann.

Hierzu gehört auch die Aufklärung der Bewohner, Angehörigen und des Pflegepersonals darüber, wie wichtig Sehen im Alltag der Menschen ist und welche einschneidenden Folgen unbehandelte Augenerkrankungen haben können. Aktive Mitarbeiterschulungen ermöglichen es, ein tiefgreifendes Bewusstsein für Sehbehinderungen zu schaffen. Hier könnten beispielsweise Selbsterfahrungen durch den Einsatz von Simulationsbrillen helfen. Häufig hilft es schon, farbiges Geschirr auf weißen Tischtüchern zu verwenden, um durch den geschaffenen Kontrast dem Sehbeeinträchtigten die Orientierung und Selbstständigkeit beim Essen zu erleichtern.

Über die Erkennung von ersten Anzeichen für Augenerkrankungen hinaus, ist es wichtig, dass bei Menschen mit chronischen Augenkrankheiten Therapiepläne und Kontrollintervalle eingehalten werden. Steht ein Bewohner vor einem Augenarzttermin, gilt es außerdem sicherzustellen, dass dieser entsprechend vorbereitet ist.

  1. Ermöglichung von Screening-Untersuchungen im Heim und Ausstattung der Heime mit Untersuchungsinstrumenten

Nicht alle Bewohner von Pflege- und Seniorenheimen sind mobil genug und in der Lage, einen Augenarzt in der Praxis aufzusuchen. Somit muss sichergestellt werden, dass eine Vorsorgeuntersuchung auch innerhalb der Einrichtungen vorgenommen werden kann. Viele Augenerkrankungen können gut behandelt oder sogar aufgehalten werden, vorausgesetzt sie werden rechtzeitig erkannt. Hierfür empfiehlt die Stiftung Auge, dieses Screening – für den Fall, dass dies nicht augenärztlich darstellbar sein sollte – durch qualifizierte nicht-ärztliche Praxisassistenten durchführen zu lassen, die von der jeweiligen Augenarztpraxis in die Heime kommen. Hierfür kommen speziell geschulte Medizinische Fachangestellte oder Orthoptistinnen in Frage.

Auch die Ausstattung der Pflege- und Senioreneinrichtungen müsste dafür entsprechend angepasst werden. Einfache Screening-Maßnahmen wie Sehtests sollten auch dort durchführbar sein. Fest steht: Die qualitativ hochwertige augenärztliche Versorgung erfordert eine Ausstattung auf dem Stand neuester technologischer Entwicklungen. Dies ist so optimal nur in der augenärztlichen Praxis umsetzbar. Die Basismaßnahmen sind jedoch hilfreich, um die wenig mobilen Patienten zu identifizieren, die eine professionelle augenärztliche Versorgung benötigen. Entscheidend hierbei ist die Sicherstellung der Finanzierung dieser Leistung. Um dies zu gewährleisten, müssten die Prozesse genau beschrieben werden, um für die Leistung entsprechende finanzielle Mittel zu erhalten. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen diese Kosten tragen und die Leistungen verantworten. Hier müsste eine spezifische Abrechnungsziffer für diese Basisuntersuchungen vereinbart werden.

  1. Transport zum Augenarzt für mobile Bewohner

In der OVIS-Studie galt der Transport mit rund 50 Prozent als größte Hürde, einen Augenarzt aufzusuchen. Mehr als die Hälfte (61 Prozent) der Studienteilnehmer gab an, prinzipiell noch mobil genug zu sein, um einen Augenarzt-Besuch zu bewältigen, allerdings wussten sie nicht, wie sie hin- und zurückkommen sollten.

Der Transport muss gewährleistet sein und die Begleitung durch Personal muss – wenn nötig – sichergestellt sein, vor allem wenn Angehörige dies nicht leisten können. Hieraus ergeben sich folgende Forderungen:

  • a) Auch die personelle Begleitung der Pflegebedürftigen zum Arzt und deren Finanzierung muss sichergestellt werden. Gerade Personen, die in höhere Pflegegrade eingestuft sind, brauchen oft die Begleitung und Unterstützung von Pflegepersonal beim Arztbesuch. Hierzu gehört die klar geregelte Finanzierung über die Krankenversicherung, da der Besuch beim Augenarzt keine pflegerische Maßnahme ist, sondern unter den Bereich Krankenversorgung fällt. Entscheidend für die Planung des Pflegepersonals ist, dass der Augenarztbesuch der Bewohner planbar ist und man weiß, wie viel Zeit der Termin in Anspruch nimmt. Augenärzte sollten Patienten, die durch Pflegepersonal belgeitet werden, in der Praxis bevorzugt behandeln, da das Pflegepersonal in der Einrichtung fehlt.
  • b) Orientiert an Modellversuchen sollte von den Kostenträgern ein einheitliches Konzept entwickelt werden, wie gegebenenfalls auch Gruppentransporte umgesetzt werden können. Beispielsweise könnten kostengünstige Sammeltransporte etabliert werden. Hier muss zugleich mitgedacht werden, dass die Modellprojekte auch in der Fläche umsetzbar sind.

Fest steht: Die augenärztliche Versorgung darf nicht am fehlenden Transport scheitern!

  1. Modellprojekte etablieren

Um eine bessere augenärztliche Versorgung in Seniorenheimen aufzubauen, schlägt die Stiftung Auge vor, Modellprojekte zu etablieren. Es gibt bereits Pflegeeinrichtungen, die diese Versorgung in den Alltag integriert haben. Um diese Modelle flächendeckend umzusetzen, braucht es eine gesicherte Finanzierung dieser Modellprojekte und damit der augenärztlichen Untersuchung, der nachfolgenden Behandlung und der Datenerhebung vor Ort.

Um dieses Ziel zu erreichen, plant die Stiftung Auge ein Anschlussprojekt, in dem Möglichkeiten, die Versorgung in Seniorenheimen zu verbessern, entwickelt und getestet werden sollen. Dieses Projekt soll an einer Reihe von Seniorenheimen umgesetzt werden.

Als Anreiz für die Beachtung des Themas Sehen in Pflegeeinrichtungen könnte eine Zertifizierung zur sehbehindertenfreundlichen Pflege- und Senioreneinrichtung dienen. Dieses Zertifikat könnte bescheinigen, dass die Einrichtung sich sowohl im pflegerischen Bereich als auch hinsichtlich der Barrierefreiheit mit dem Thema befasst. Eine Zertifizierung müsste geprüft und Kriterien für die Zertifizierung ausgearbeitet werden. Solch ein Zertifikat sollte entwickelt werden.

Unterstützer dieses Maßnahmenkatalogs:

  • Andreas Bethke, Geschäftsführer Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV)
  • Dr. Elisabeth Fix, Referentin Rehabilitation, Alten- und Gesundheitspolitik im Berliner Büro des Deutschen Caritasverband e. V.
  • E. Anita Götzer, Schulleitung Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe der Stiftung Kath. Familien- und Altenpflegewerk, München
  • Dr. Frank Johannes Hensel, Caritasdirektor Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.
  • Prof. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Diplom-Psychologin Ursula Lehr, stellvertretende Vorsitzende Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO)
  • Herbert Mauel, Geschäftsführer Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.
  • Dr. Ludwin Monz, Vorstandsvorsitzender Carl Zeiss Meditec AG
  • Christian Seuß, Koordinator des Aktionsbündnisses „Sehen im Alter“, Deutscher Blinden und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV)