Inkluencerin

Über die sozialen Medien Tausende von Menschen erreichen und auch noch Geld damit verdienen? Das klingt wie eine realitätsferne Traumvorstellung, die eigentlich nichts in der Arbeitswelt-Rubrik der Brücke zu suchen hat. Doch Fabiana, die als Ypsilon Youtube für sich entdeckte, um Aufklärungsarbeit zu machen, kann heute als Aktivistin für Inklusion - oder besser als Inkluencerin wie die Aktion Mensch es nennt – tatsächlich von ihrem Medien-Engagement leben. Wie das geht und wie es dazu kam, erzählt sie uns diesen Monat im Brücke-Interview.

Die Brücke: Jetzt bist du Inkluencerin – aber wie bist du überhaupt zu deinem Social-Media-Engagement gekommen? Immerhin liegt es ja nicht sonderlich nahe, sich als Blinde eine Kamera zu schnappen!

 

Fabiana: Als ich hier in Köln mit dem Studium angefangen habe, sind mir im Alltag immer dieselben Fragen begegnet. Das kennt hier wohl jeder: Wohnst du alleine? Kannst du kochen? Wie machst du das mit der Orientierung? Ich habe jede geduldig beantwortet und mich erst mal über das Interesse gefreut, aber – und das kennt wohl auch jeder! - irgendwann wurde es mir zu viel und ich wollte allen am liebsten einen Zettel in die Hand drücken und sagen: Guckt einfach auf dieser Seite im Internet nach…

Gleichzeitig habe ich selbst viel Youtube konsumiert, meistens Trash- und Lifestyle-Formate in meiner Freizeit.  Es gibt zum Beispiel Videos, wo Leute ganz genau beschreiben, was sie eingekauft haben. Das war für mich die beste Quelle, um herauszufinden, was so modern war.

Irgendwann habe ich dann gedacht: Wieso ein Zettel - es gibt doch diese kostenlose, unverbindliche Plattform! Aber es hat trotzdem noch anderthalb Jahre gedauert, bis ich mich entschlossen habe, wirklich das erste Video hochzuladen. Als Namen habe ich extra Ypsilon gewählt, weil ich wollte, dass das alles weit weg von meiner Person ist und ich schnell wieder rauskomme. Allerdings ist das Ganze dann in eine ganz andere Richtung gelaufen!

 

DB: Allerdings! Nur wie geht das denn ganz praktisch zum Beispiel mit der Kameraführung?

 

F: Wenn ich selbst filme, dann über mein Iphone, Da weiß ich genau, wie ich die Kamera halten muss, wenn ich ein Selfie mache oder welche Taste ich wann drücken muss. Auch ein bedienbares Schnittprogramm ist verfügbar. Allerdings muss ich sagen, dass ich froh bin, dass ich das alles am Anfang noch mit Sehrest gemacht habe, weil ich mich so gut einarbeiten konnte. wenn ich mit einer supercoolen, professionellen Kamera filme, nehme ich lieber jemanden mit. Die Bedienung geht zwar, aber was den Output angeht, bin ich alleine bei meinem Handy sicherer! Insgesamt muss man aber schon sagen, dass es manchmal fast mühselig ist, so viel Energie in etwas zu stecken, mit dem ich kein Geld verdiene – denn mit Youtube verdiene ich wirklich nichts!

 

DB: Aber bei Youtube blieb es ja auch gar nicht, denn du machst das jetzt hauptberuflich! War das geplant?

 

F: Ehrlich gesagt habe ich das vielleicht mal geträumt, aber realistisch war das nicht! Mein Gedanke war einfach, Aufklärungsarbeit zu betreiben und ich konnte überhaupt nicht absehen, dass ich regelmäßig was für Aktion Mensch machen oder Millionen von Leuten im Fernsehen erreichen könnte. Dass ich mich das überhaupt trauen würde, hätte ich nie gedacht!

 

DB: Was war dein eigentliches Berufsziel?

 

F: Ich habe Erziehungswissenschaften studiert und eine studienbegleitende Ausbildung zu systemischem Coaching gemacht. Ich wollte ganz klar immer in die beraterische, therapeutische Richtung – das war schon vor dem Abi fest eingeplant!

 

DB: Na gut, da bist du jetzt in einer leicht anderen Richtung unterwegs…

 

F: Teils, Teils! Ich habe immerhin immer noch mit Menschen zu tun - wenn auch hinter dem Bildschirm -  die ich begleite, in gewisser Weise vielleicht sogar berate. Aber etwas anderes ist es natürlich trotzdem! Irgendwann möchte ich meinen Plan A auch noch mal realisieren, aber Youtube hat mir irgendwann so viel Spaß gemacht, da habe ich so viel Zeit und Energie investiert, dass meine Prioritäten in die Richtung gingen.

Wer dann von der Medienseite wann auf mich aufmerksam wurde, kann ich gar nicht so sagen, aber es hat seinen Lauf genommen. Der Unispiegel war, glaube ich, der erste. Damals war ich total überrascht und habe gedacht, der Spiegel – das ist total krass! Da kommt eine Fotografin für ein kostenloses Fotoshooting extra zu dir nach Hause… Aber so ging das weiter: SternTV kam und ich habe Martin Rütter kennengelernt, weil ich so Probleme mit meinem Hund hatte. Ich habe schnell gemerkt, das macht mir Spaß und ich kann Menschen erreichen!

 

DB: Was möchtest du denen denn sagen oder zeigen?

 

F: Ich  will einfach zeigen, wie positiv man mit seiner Behinderung umgehen kann, dass wir eben nicht alle mit gesenktem Kopf zu Hause im Sessel sitzen. Ich will natürlich nicht als Paradebeispiel dastehen - ich kann ja nur für mich sprechen! Aber ich wollte unbedingt ein junges, frisches, positives Bild vermitteln. Was mir dabei ganz wichtig ist: Ich will authentisch sein und bleiben, denn gerade im Fernsehen – da konnte ich viele Erfahrungen sammeln – ist vieles auf Quote, nicht auf Authentizität ausgerichtet.

 

DB: Und davon kannst du trotzdem deinen Lebensunterhalt bestreiten?

 

F: Im Moment ja. Ich bin als Freiberuflerin in verschiedenen Medien präsent und bekomme dafür Honorare beziehungsweise Aufwandsentschädigungen, zum Beispiel für verschiedene Fernsehformate. Ich schreibe Blogeinträge, habe die Social-Media-Kampagne von Pro Retina begleitet und habe auch auf Youtube Kooperationen mit anderen Youtubern.

Youtube ist sozusagen meine Visitenkarte, wo man sieht, wie ich das mache. Auf Youtube und Instagram offenbare ich meine Überlegungen und Gedanken – so werden Medien auf mich aufmerksam und öffnen mir andere Kanäle.

 

DB: Es ist schon beeindruckend, dass du das wirklich hauptberuflich machst – mit Blick auf dich selbst, die davon leben kann, aber auch mit Blick auf das Interesse, das offensichtlich vorhanden ist!

 

F: Ja, wobei ich glaube, dass das auch nicht von ganz langer Dauer sein wird. Wenn die Fernsehformate das Thema einmal hatten, brauchen sie es auch nicht noch mal. Wir brauchen viele blinde Menschen, die in den Medien präsent sind. Ich bin hier und jetzt gerne auch dabei, aber weil ich weiß, dass die Medien immer nur ein zeitweiliges Interesse haben, bin ich jetzt schon in der Orientierungsphase. Wohin es genau geht, weiß ich noch nicht, aber es gibt verschiedene Bereiche, die sich so aufgetan haben – Schulworkshops, Peer-Counceling, Social-Media-Beratung.

 

DB: Könntest du dir vorstellen, jenseits des Inklusionsschwerpunkts hauptberuflich Moderatorin zu werden?

 

F: Kommt drauf an, wo. Ich habe ganz verschiedene Eindrücke bekommen - man ahnt nicht, was hinter den Kulissen so abläuft. Ein Studio, das total schickimicki aussieht kann nur aus Holzplanken bestehen! Außerdem ist es sicher sehr nervenzehrend, das hauptberuflich zu machen, sehr viel Druck! Und ich habe tatsächlich einen Nachteil, weil ich zum Beispiel nicht vom Teleprompter ablesen kann und auch nicht so fließend Braille lese, dass ich die Infos irgendwo versteckt dabei haben könnte. Ich glaube allerdings schon, dass ich es schaffen könnte. Auch jetzt moderiere ich manchmal schon mit Moderationspartnern zusammen… Alles in allem muss ich die Frage wohl doch bejahen: Moderatorin kann ich mir schon vorstellen!

 

DB: Brauchst du bei deiner Arbeit Assistenz?

 

F: Ich habe keine Arbeitsplatzassistenz, bräuchte aber eine und werde sie auch beantragen! Ich kann im Wesentlichen schon alles alleine, aber es ist unglaublich viel Aufwand! Ich will alles immer selber machen, egal, wie lange es dauert, aber ich muss einsehen, dass ich von einer Assistenz enorm profitieren kann: Die Energie brauche ich für andere Dinge! Ich will nicht sagen, dass es jeder blinden Person automatisch so geht, aber ich muss gucken, wofür ich meine Energie effizient einsetze. Ich muss auch in Verbindung mit meinem Sehrest einfach Prioritäten setzen

Unnötige Energieverschwendung ist zum Beispiel, an irgendeinem Bahnhof zu stehen, weil doch mal vergessen wurde, mich abzuholen. Reisebegleitung könnte ich also gut gebrauchen! Der wichtigste Punkt aber ist der Bürokratiekram, den im Moment mein Freund oder meine Mama erledigen. aber das will ich auch nicht dauerhaft. Assistenz hilft einem einfach zur Selbstständigkeit, das muss man sich eingestehen!

 

DB: Was bekommst du denn für Feedback für deine Beiträge und von wem?

 

F: Als ich angefangen habe, kam sehr viel Feedback aus Betroffenengruppen, in denen sich viele durch meine Berichte direkt angesprochen gefühlt haben. Ich finde es schön, diesbezüglich auch eine Art Auffangbecken sein zu können. Mit der Zeit kamen aber immer mehr Angehörige dazu und schließlich ist es ein Selbstläufer geworden – und jetzt sind es schon insgesamt mehr Nicht-Betroffene, die auf meine Beiträge reagieren.

Inhaltlich habe ich supergroßes Glück, was das Feedback angeht: total positiv und konstruktiv, wobei es schon darauf ankommt, welche Formate ich betrachte, das heißt ob meine eigenen oder andere. Und wenn jemand schreibt, die Schnatterente nervt, dann soll er halt wegschalten! Das Beste, das über mich gesagt wurde, war, ich würde eine Sendung mit der Maus für Arme machen!

 

DB: Mit der Sendung mit der Maus verglichen zu werden ist doch äußerst ehrenwert!

 

F: Ja, und ich finde auch, arme Menschen sollten Zugang zur Sendung haben!

 

DB: Ist dein Medien-Engagement nachahmenswert und was muss man dafür selber mitbringen?

 

F: Wer nur reich und berühmt werden oder sich selbst eine Fanbase schaffen will, der sollte vielleicht lieber einen anderen Weg gehen. Wenn jemand aber sagt, ich habe das Gefühl, auf eine coole Art und Weise etwas machen zu können, was noch niemand so gemacht hat, wenn jemand andere Leute mit seinen Gedanken erreichen möchte und bereit ist, viel Zeit und Energie zu investieren, ohne viel Profit rauszuziehen, dann go for it!

Dann muss es aber auch nicht unbedingt Youtube oder Instagram sein, Auch der direkte Kontakt face to face ist ganz wichtig, also zum Beispiel  an Schulen zu gehen. Das mache ich auch und finde es mindestens genauso wichtig! Davon kann es gar nicht genug Engagierte geben!

Was Youtube angeht: Die Algorithmen sind übrigens wirklich mies. Du kannst nicht davon ausgehen, dass die Leute dein Video überhaupt zu sehen kriegen… Du brauchst Geduld, Regelmäßigkeit, viele kreative Ideen und musst trotz kritischer Stimmen von dem überzeugt sein, was du machst. Auch wenn es Videos gibt, die ich aus heutiger Sicht handwerklich lieber anders gemacht hätte, stehe ich inhaltlich hundertprozentig zu meiner Botschaft

(Interview mit Fabiana am 26.11.2019)