Museumsführerin im Blindenmuseum

Wenn man schon selbst blind ist, muss man doch nicht auch noch bei der Arbeit um die Blindheit kreisen? Warum eigentlich nicht die Behinderung zur Expertise machen? Diesen Monat erzählt uns Mandy aus ihrer Arbeitswelt im Blindenmuseum.

Die Brücke: Erzählst du uns erst mal, was du machst?

 

Mandy: Ich arbeite auf Zuruf als Museumsführerin im Blindenmuseum. Anfragen für Führungen bekomme ich als Mail und kann sie dann annehmen oder auch nicht. Das ist ganz flexibel! Es gibt Zeiten, in denen es ganz viel zu tun gibt oder auch mal „saure-Gurken-Zeit, v.a. während der Ferien im Sommer, denn die meisten  Führungen mache ich für Schulklassen. Deshalb arbeite ich auch meistens vormittags.

 

DB: Wie genau läuft das ab?

 

M: Ich führe die Gruppen ungefähr anderthalb Stunden durch die gesamte Ausstellung. So eine Führung hat meistens zwei Teile. Im Punktschriftteil geht es darum, wie die Punktschrift entstanden ist, wie es vorher für Blinde war und welchen Quantensprung Louis Braille für uns geschaffen hat. Ich zeige ganz verschiedene Exponate, z.B. haben wir eine sehr schöne, naturgetreue Büste von Louis Braile, die ein linder Bildhauer erstellt hat, aber auch „Rasseköpfe“, anhand derer Blinde in der NS-Zeit erfühlen sollten, wer als Untermensch galt. Auch dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte darf nicht ausgespart werden!

Wir haben aber auch eine ganze Wand mit der Harry-Potter-Gesamtausgabe in Kurzschrift, um zu demonstrieren wie viel Platz Punktschrift so braucht – und zeigen im Vergleich dazu die kleine Hörbuchkiste. Gerade, weil ich Harry Potter selbst so mag und quasi auswendig kann, ist es auch immer wieder schön vorzulesen. Das habe ich auch schon mal im Theater gemacht. Nach der Lesung konnten die Leute mir dann Fragen stellen und bei Interesse z.B. ihren eigenen Namen schreiben. So entstehen einfach schöne Momente, in denen man ganz nahe am Menschen ist.

Aber wir sind sowieso ein Mitmach-Museum: Wir haben drei Tafelplätze und vier Schreibmaschinenplätze, an denen die Leute mit Hilfe des Punktschriftalphabets kreativ werden können. So ein Namensschild nimmt jeder gern mit nach Hause!

Im zweiten Teil der Führung packe ich dann die Hilfsmittelkiste aus: Farberkennungsgerät, Lichtprüfer, Zollstock mit Punktschriftbeschriftung, Waschmaschinen- und Wahlschablone und, und, und. Wenn Interesse besteht, gehen wir dann noch zum Computerarbeitsplatz. Sehr gut kommen auch private Hilfsmittel wie das Iphone an. Und den Stock zeige ich natürlich auch.

Wenn es kleinere Kinder so im Vorschulalter sind, mache im ich Hilfsmittelteil meistens erst mal ein Spiel unter der Dunkelbrille, damit die Kinder eine akustische Erfahrung machen. Sie müssen sich einen Klingelball zurollen und können dabei merken, wie gut man eigentlich hören kann. Gerade von Kindern kommen sehr interessante Fragen. Erwachsene haben da eher Hemmungen und trauen sich oft nicht einmal, das Schreiben auszuprobieren.

 

DB: Wer kommt denn sonst so ins Museum? Kannst du die übrigen Besucher kurz beschreiben?

 

M: Alle möglichen Leute und Gruppen - Betriebsausflüge, Wandergruppen, manchmal auch Einzelpersonen. Mittwochs von 15 – 18 Uhr und den ersten Sonntag im Monat ab 11 Uhr haben wir reguläre Öffnungszeiten bzw. eine Sonntagsführung, für die man sich nicht vorher anmelden muss. Da kommen dann auch manchmal Leute, die schon mal da waren und jetzt ihren Angehörigen das Museum gern noch mal zeigen oder selbst etwas intensiver nachschauen wollen. Manchmal auch Blinde, die einfach gucken möchten, wie das Thema umgesetzt wurde.

 

DB: Gibt es Situationen in deinem Arbeitsalltag, in denen du Assistenz brauchst?

 

M: Assistenz brauche ich nicht, aber manchmal gibt es Situationen, in denen ich doch die Lehrer in die Pflicht nehme - wenn es nämlich akustisch zu unübersichtlich wird. Die Lehrkräfte müssen die Verantwortung behalten! Ich sage sonst auch ehrlich, dass ich die Führung gerne jederzeit abbrechen kann, wenn das nichts wird. Man darf und muss sich seinen Abstand bewahren! Vor allem Kinder in der Pubertät können schwierig sein, aber ich hatte auch schon mal eine Gruppe von notorischen Schulverweigerern, die so richtig interessiert waren!

 

DB: Das klingt irgendwie schon auch anstrengend. Welche Kompetenzen muss man denn selbst mitbringen?

 

M: Die Punktschrift zu beherrschen ist eine sehr wichtige Kompetenz.

man sollte auch eine gewisse Redegewandtheit und eine gute Portion Humor haben - da springt dann schnell der Funke über! Ich lache gern und wenn ich merke, die Gruppe ist zu Scherzen aufgelegt, reiße ich auch mal einen Blindenwitz – wenn mir z.B. mein Stock umfällt: „Oh, jetzt ist mein Stielauge umgefallen“ oder wenn sie schreiben:  „Jetzt möchte ich auch Ergebnisse sehen!“ Außerdem sollte man unbedingt die Offenheit mitbringen, auch über Probleme zu reden und ein gewisses Fertigsein mit der eigenen Behinderung, denn wenn ich selbst in Depressionen stecke, ist es mehr als schwer die richtige Botschaft - dass es doch geht – überhaupt rüberzubringen.  Wer keine soziale Kompetenz, kein Einfühlungsvermögen und vor allem keinen Spaß an Menschen hat, sollte es lieber lassen!

 

DB: Wolltest du diese Arbeit schon immer machen? Und wie bist du dazu gekommen?

 

M: Das war ein Zufall. Ich bin hier nach Berlin gezogen und bin da ehrenamtlich reingerutscht. Ich hatte von der Museumsnacht gehört und da einfach mehrere Jahre am Stück mitgemacht.  Das hat mir sehr viel Spaß gemacht! Manchmal war ich stattdessen auch in der Dunkelbar im Blindenhilfswerk tätig – auch das liebe ich sehr, weil man ganz nah am Menschen ist, mit deren Ängsten konfrontiert wird und sie in dieser Ersterfahrung mit Blindheit unterstützen kann. Irgendwann ist im Museum ein Kollege ausgefallen und ich habe mich kurzerhand beworben. Und da mein Chef ja schon wusste, auf wen er sich da einlassen würde, wurde ich sofort genommen. Später habe ich dann auch die festen Öffnungszeiten übernommen. Es gäbe auch Aufgaben wie Bücher in den Bücherkatalog aufzunehmen. Das müsste dringend auch mal gemacht werden - aber das ist einfach nicht mein Ding!

 

DB: Was ist für dich das Schönste an deiner Arbeit?

 

M: Das Schönste ist für mich der Dienst an der Basis, dass man den Leuten klar machen kann, dass das alles nicht so schrecklich ist, wie sie sich das vorstellen - ich bin ziemlich selbständig! Klar färben wir auch nichts schön. Ich zeige auch, was nicht geht. Da sorgt regelmäßig ein billiges Farberkennungsgerät für Spaß. Aber das ist schon ein tolles Gefühl, dass die Leute so viel Vertrauen haben, alle Fragen stellen, die sie auf dem Herzen haben, und hinterher die richtige Botschaft mit nach Hause nehmen. Ich bin auch immer ehrlich und beziehe mich bei meiner Darstellung des Lebens mit Blindheit oder Sehbehinderung gern auf andere, z.B.: blinde Freunde oder ich versuche, die Unterschiede zwischen Geburtsblinden und Späterblindeten herauszuarbeiten. Wenn manchmal Ratsuchende kommen, die zu erblinden drohen, mache ich auch schon mal eine Hilfsmittelberatung und versuche, den Leuten die Botschaft mitzugeben, dass sie sich was trauen und unter Leute wagen sollen. Ich glaube, das Wunderbare für mich ist einfach diese ganz profane, basale menschliche Nähe und das Gefühl, den Leuten etwas mit auf ihren Weg geben zu können.

(Interview vom 25.3.2018)