Sozialarbeiterin in der Selbsthilfe

Wer sozialrechtliche Fragen in punkto Hilfsmittelbeantragung hat, kann sie in Berlin zum Beispiel Antje Samoray stellen. Sie arbeitet im Sozialdienst des ABSV (Allgemeiner Blinden- und Sehbehindertenverein), koordiniert das Projekt „Blickpunkt Auge“ und die EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung). Im Brücke-Interview erzählt sie uns diesen Monat, wie sie auf diesen Berufsweg gekommen ist und worin genau ihre Tätigkeiten bestehen.

Die Brücke: Jetzt bist du Sozialarbeiterin – aber wie bist du dazu gekommen? Kannst du uns deinen Berufsweg kurz nachzeichnen?

Antje: Nach dem Abitur in Königswusterhausen habe ich 2005 an der Uni Potsdam ein Zweifachmagisterstudium in Erziehungswissenschaften und Germanistik angefangen – und zwar mit dem erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung und vor allem Beratung. Mit letzterer habe ich mich bereits im Studium und sogar in meiner Abschlussarbeit sehr auseinandergesetzt und schon während meines Studiums in der Studienberatung gearbeitet. Ich habe Studierende mit Beeinträchtigungen aller Art – also körperlich wie psychisch - zum Studienleben und der Studienorganisation beraten.

Außerdem habe ich an der Gestaltung des Programms „Tutorenwerkstatt“ mitgewirkt, in dessen Rahmen Tutoren für die Erstsemesterbetreuung ausgebildet wurden. Wenn es z.B. darum ging, ein Tutorium zum wissenschaftlichen Arbeiten anzubieten, habe ich das didaktisch aufbereitet und den Tutoren Techniken an die Hand gegeben, wie sie ihre Veranstaltung aufbauen und durchführen könnten. So habe ich selbst Erfahrung im Lehren und Anleiten von Gruppen gesammelt. Das war eine richtig schöne Arbeit!

Bei meinem Abschluss kam mein Beratungsschwerpunkt wieder zum Tragen: In meiner Magisterarbeit habe ich mich – anhand von Interviews mit Studienberatern und Behindertenbeauftragten in ganz Deutschland - mit der Frage beschäftigt, ob Studierende mit gesundheitlicher Beeinträchtigung oder Behinderung eine spezielle Studienberatung benötigen.

Auch danach bin ich der Studienberatung der Uni Potsdam treu geblieben und habe in einem Projekt gearbeitet, das über den Europäischen Sozialfond gefördert wurde. Es ging fast ausschließlich um Beratung zum wissenschaftlichen Arbeiten, aber meinen Behinderungsschwerpunkt habe ich auch hier beibehalten.

Die Stellenausschreibung vom ABSV habe ich zufällig gelesen, und weil ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Verwaltung immer nur Zeitverträge hatte, habe ich mich einfach beworben. Druck hatte ich keinen, weil mein Vertrag noch zwei Jahre weitergelaufen wäre, aber schon am nächsten Tag hatte ich die Zusage!

DB: Hattest du jemals ein klares Berufsziel?

A: Ein konkretes Berufsziel hatte ich nie im Hinterkopf. Ich wollte mich immer im erziehungswissenschaftlichen Bereich auf Pädagogik und Beratung spezialisieren – wobei ich es auch toll fand, dank der Germanistik noch einen zweiten, ganz anderen Ansatz des wissenschaftlichen Arbeitens kennengelernt zu haben. Eine Zeitlang wollte ich sogar mal in die Personalrichtung gehen, also in der Personalabteilung von Unternehmen arbeiten, aber da sich alles während meines Studiums schon so gefügt hat, bin ich einfach immer weiter in die Beratungsrichtung gegangen – und fand sie super!

DB: A propos Beratung: worin genau besteht deine jetzige Tätigkeit?

A: Meine jetzige Tätigkeit ist vor allen Dingen die Beratung von Menschen, die in irgendeiner Weise einen Sehverlust erlitten haben, vielleicht auch schon länger nicht oder schlecht sehen. Es sind vor allem Fragen zu sozialrechtlichen Ansprüchen, welche Gelder ihnen zustehen, wie sie einen Behinderungsgrad beantragen können, was die Merkzeichen auf dem Ausweis bedeuten, welche Hilfsmittel praktisch sind, aber vor allem was ihnen zusteht. Welcher Kostenträger bei der Hilfsmittelbeantragung zuständig ist, hängt ja vom Lebenszusammenhang der Beantragenden ab, arbeitet die Person gerade, sind die Hilfsmittel nur für den privaten Bereich usw.

DB:  Wer kommt denn so zu dir – kannst du deine Zielgruppe beschreiben?

A: Größtenteils sind es ältere Menschen, aber auch andere: Eltern mit Kindern, Studierende, junge Menschen, die ihre Ausbildung absolviert haben und jetzt Arbeit suchen. Aber den größten Anteil haben schon die über 60jährigen mit Sehverlust nach einer Augenerkrankung.

DB: Musstest du dich intensiv in deinen neuen Tätigkeitsbereich einarbeiten oder konntest du viel von deinen Uni-Erfahrungen profitieren?

A: Was das sozialrechtliche Fachwissen anging, musste ich mich auf jeden Fall einarbeiten, denn an der Uni hatte ich ja mit anderen Problemlagen zu tun – z.B. mit dem Prüfungsrecht oder der Anrechnung von Studienleistungen. Ich habe schon viel recherchiert, viel gelesen und ganz viel mit Kollegen geredet!

Im Moment bin ich aber gar nicht mehr so sehr in der Beratung tätig, weil ich auch koordinatorische Aufgaben übernommen habe. Ich bin für die Koordination des Beratungsprogramms „Blickpunkt Auge“ zuständig. (hier vielleicht noch mal kurz Blickpunkt Auge erklären?) und seit einem Jahr für die EUTB (Unabhängige Teilhabeberatung).

DB: Was machst du da genau?

A: Ich bin Ansprechpartnerin für die Mitarbeiter, die wir eingestellt haben habe ein Auge darauf, wer wie viel Arbeitsbelastung hat, das heißt zum Beispiel, wie viele Fälle er betreut. Ich habe auch den Hut auf, was die Koordination und die Reihenfolge der anstehenden Aufgaben angeht. Ich gucke, was eigentlich gemacht werden muss, also müssen zum Beispiel Sachberichte geschrieben oder Mittel abgefordert werden. Ich habe also auch engen Kontakt zur Buchhaltung - wir beraten uns regelmäßig!

DB: Wie teilst du denn deine verschiedenen Tätigkeitsbereiche ein? Wie sieht eine typische Arbeitswoche bei dir aus?

A: Seit diesem Jahr habe ich angefangen, mich bzw. meine Arbeitswoche ganz klar zu strukturieren: montags, donnerstags und freitags mache ich nur „Blickpunkt Auge“ und EUTB, an den beiden anderen Tagen Beratung. Dann wissen die anderen Mitarbeiter im Verein auch genau, an welchen Tagen ich eventuell nicht im Haus bin – manchmal werde ich z.B. vor Ort in der EUTB-Außenstelle gebraucht. Auch für mich selbst ist es arbeitseffizienter, wenn ich den einen Tag meinetwegen nur Mails an die „Blickpunkt Auge“-Berater schreibe und mich am nächsten dem EUTB-Sachbericht widme.

DB: Empfindest du behinderungsbedingt Einschränkungen in deiner Arbeit?

A: Dadurch dass ich eine sehr gute Arbeitsplatzausstattung (klassisch mit Screenreader und Braillezeile) und eine Arbeitsplatzassistenz habe, habe ich keine behinderungsbedingten Einschränkungen oder Nachteile, denn die werden ja – wie es Sinn der Sache ist - durch die Assistenz ausgeglichen!

Meine Assistenz macht genau das, was ich nicht machen kann, weil ich es nicht sehe: zum Beispiel Posteingang, Gestaltung von Homepages, Begleitungen zu Hausbesuchen. Gerade wenn die Leute mit Befunden oder Bescheiden in die Beratung kommen, machen wir das gemeinsam, indem sie mir erst mal alles vorliest.

DB: Was ist denn das Beste an deiner Arbeit? Und was gefällt dir nicht?

A: Das Beste ist der Kontakt zu den Menschen, zu sehen, wie ich denjenigen mit meinem Rat helfen konnte, die wirklich ein Problem hatten, und die hinterher sagen: Jetzt geht es mir gut, ich fühle mich sicher, kann alleine rausgehen, selbstständig mein Leben bestreiten. Das finde ich super!

Was nicht so cool ist, ist diese administrative Arbeit, sich zum Beispiel auch mit irgendwelchen Förderrichtlinien herumzuschlagen – gucken zu müssen, ob wir das jetzt überhaupt so machen dürfen, wie wir uns das vorstellen…  Das ist ungemein wichtig bei vielen Projekten, aber trotzdem nervig!

DB: Welche Kompetenzen muss man denn mitbringen, um deine Arbeit zu machen? Für wen könnte das etwas sein?

A: Es ist auf jeden Fall total unabhängig davon, ob jemand blind ist oder sehend! Wichtig ist natürlich, dass die Person auf Menschen zugehen kann, empathisch ist, gut zuhört und wertschätzend mit Menschen umgeht. Manchmal ist auch Geduld gefragt!

Und Teamfähigkeit ist bedeutsam, weil wir hier sehr oft im Kollegenteam oder mit andren Ratsuchenden arbeiten. Es sollte einfach niemand sein, der gern alleine seine Posten von der To-do-Liste abarbeitet, sondern auch wirklich Kontakt zu anderen möchte!

(Interview mit Antje Samoray am 25.1.2019)