DBSV-Stellungnahme zum Fortschreibungsbedarf der Produktgruppe 07 - Blindenhilfsmittel (i.d.F. der Bekanntmachung v. 12.10.2021) des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) nach § 139 SGB V

Der DBSV nimmt zu den Bereichen „Orientierung und Mobilität“, „Elektronische Blindenhilfsmittel“ und „Blindenführhunde“ Stellung.

1. Zum Themenkomplex Orientierung und Mobilität

Seit der letzten Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) ist klargestellt, dass Schulungen in Orientierung und Mobilität (O&M) auch als Intensivschulung stattfinden können (Siehe S. 8) . Diese Änderung begrüßt der DBSV nach wie vor. Leider erhalten wir in der Beratung blinder und hochgradig sehbehinderter Menschen immer wieder Beschwerden dazu, dass die Nebenkosten, wie Übernachtung und Reisekosten, von einigen Krankenkassen als nicht in ihre Leistungspflicht fallend angesehen und damit abgelehnt werden. Das erachtet der DBSV als mit § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V unvereinbar. Zur Klarstellung wird daher vorgeschlagen, nach dem Satz „Sofern zweckmäßig, kann die Basisschulung auch stationär als Intensivschulung erfolgen“, den folgenden Satz anzufügen:
„Die insoweit anfallenden Nebenkosten der Intensivschulung, wie u. a. Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten der Versicherten und Overheadkosten der Rehabilitationsfachkräfte gehören zum Leistungsumfang nach § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V“.


2. Zum Themenkomplex elektronische Blindenhilfsmittel

2.1 Systeme zur Schriftumwandlung

Der DBSV weist darauf hin, dass das aktive Lesen zum Grundbedürfnis des selbstständigen Wohnens einschließlich der hierfür erforderlichen Erschließung eines geistigen und körperlichen Freiraums zählt. Aktives Lesen ist für blinde Menschen nur mittels Brailleschrift möglich. Die Brailleschrift hat im Alltag eine große Bedeutung, sei es zum Identifizieren von Medikamenten (Braille-Aufdrucke auf den Verpackungen), zur Identifizierung von selbst beschrifteten Etiketten, zum Lesen und Erfassen von textlichen Inhalten und der Überprüfung der Schreibweise von Begriffen, Namen etc. oder zur eigenständigen Mobilität (z.B. Erfassen von Beschriftungen an Treppengeländern mit der taktilen Anzeige des Bahnsteigs). Die im Hilfsmittelverzeichnis für Erwachsene vorgenommene Einschränkung, dass eine Braillezeile für den PC nur dann durch die Krankenkasse zu finanzieren sei, wenn die Brailleschrift bereits beherrscht wird, erachtet der DBSV vor diesem Hintergrund als eine unverhältnismäßige Einschränkung.
Braillezeilen mit spezieller Software werden auch dazu genutzt, um das Erlernen der Brailleschrift zu unterstützen. Es wird daher vorgeschlagen, den auf den Seiten 15 und 18 abgefassten Satz „Eine Erweiterung um eine zusätzliche, zur Ausgabe von Brailleschrift erforderliche Braillezeile ist begründet, sofern die Versicherten entsprechende Leseanforderungen haben und das Lesen der Blindenschrift beherrschen“ wie folgt neu zu fassen:
Eine Erweiterung um eine zusätzliche, zur Ausgabe von Brailleschrift erforderliche Braillezeile ist begründet, sofern die Versicherten entsprechende Leseanforderungen haben und das Lesen der Blindenschrift beherrschen oder begründbar darlegen, dass sie die Blindenschrift zur Deckung ihrer Leseanforderungen im Rahmen eines strukturierten Programms erlernen.“
Gegebenenfalls kann in einem solchen Fall die Braillezeile für die Dauer des Brailleschrift-Kurses leihweise überlassen und die endgültige Versorgung an die erfolgreiche Absolvierung des Brailleschrift-Kurses geknüpft werden.

2.2 Schreibhilfen und Schreibgeräte (siehe S. 18)

Im Hilfsmittelverzeichnis wird darauf abgestellt, dass Schreibhilfen und Schreibgeräte nur von schulpflichtigen Kindern im Rahmen der Erfüllung der Schulpflicht benötigt würden.
Aus Sicht des DBSV werden in diesem Abschnitt die Belange von taubblinden Menschen nicht ausreichend berücksichtigt. Sie können einen Bedarf an solchen Hilfsmitteln haben, um Informationen aufnehmen und mit ihrer Umwelt kommunizieren zu können. Eine verbale Kommunikation ist für die Betroffenen nicht möglich. Dies ist entsprechend im Hilfsmittelverzeichnis klarzustellen.

3. Zum Themenkomplex „Versorgung mit Blindenführhunden“

3.1 Übergreifende Anmerkungen

  • Um die Regelungen zur Blindenführhundversorgung im Hilfsmittelverzeichnis übersichtlicher, verständlicher und chronologisch nachvollziehbar zu gestalten empfehlen wir, diese systematischer und grundsätzlich so darzustellen, dass sie der Chronologie eines (Führ)Hundelebens bzw. des Ablaufs der Blindenführhundversorgung folgen: von der Antragstellung über Auswahl und Ausbildung des Hundes sowie Einarbeitungslehrgang und Gespannprüfung von Mensch und Hund bis zu den Rechten und Pflichten der Halterinnen und Halter, den Kosten der Hundehaltung und der Außerdienststellung des Hundes. Mit Blick auf die Beratungspraxis ist festzustellen, dass Sachbearbeitende der Krankenkassen nicht immer so über die Versorgungsabläufe und Anforderungen informiert sind, wie dies mit Blick auf die ausführlichen Regelungen im Hilfsmittelverzeichnis zu erwarten wäre. Eine klare und am Ablauf des Versorgungsprozesses bzw. der Lebensabschnitte des Hundes orientierte Systematik könnte zu Verbesserungen beitragen. In diesem Sinne sind im Folgenden die Anmerkungen strukturiert, die sich daher nicht strikt an der Reihenfolge in der aktuellen Fassung der PG 07, sondern an der genannten Systematik orientieren.
  • Die Wörter „Hundeführerin“ bzw. „Hundeführer“ (siehe Seiten 102, 105) sollten durch „Führhundhalterin“ bzw. „Führhundhalter“ oder „Blindenführhundhalterin“ bzw. „Blindenführhundhalter“ ersetzt werden. In Deutschland sind die Ausdrücke „Hundeführerin“ bzw. „Hundeführer“ im allgemeinen Sprachgebrauch nicht (mehr) verbreitet.

3.2 Zusätzliche Hilfeleistungen (S. 12)

In der aktuellen Fassung ist festgelegt, dass sich der Hund „in seiner Ruhe bzw. Erholungszeit in seiner Familie nicht mit der Erwartung seiner Halterin oder seines Halters zusätzlich zu „erledigender diensthundlicher Aufgaben und Pflichten“ konfrontiert fühlen darf und deshalb eine zusätzliche Ausbildung z.B. zum „Diabeteswarnhund“ oder „Behindertenbegleithund“ nicht im Sinne der GKV“ sei.

Diese Festlegung sollte gestrichen oder zumindest abgemildert werden. Die Regelung berücksichtigt nicht die Lebensrealität von blinden oder hochgradig sehbehinderten Menschen mit zusätzlichen Beeinträchtigungen. Für sie können zusätzliche Unterstützungsleistungen des Hundes im Alltag notwendig sein. Der Gedanke der aktuellen Regelung, dem Hund nicht zusätzlich zur Führarbeit Leistungen abzufordern, ist grundsätzlich verständlich. Dass der Hund nicht über seine Kräfte hinaus beansprucht werden darf, ergibt sich aber hinreichend schon aus dem Überforderungsverbot in § 3 Nr. 1 TierSchG. Im Gegensatz zu den Führleistungen können Assistenzleistungen wie Bringen von Gegenständen jedoch auf natürliche Verhaltensweisen des Hundes aufgebaut werden (z.B. Aufnehmen von Objekten). Insofern ist wahrscheinlich, dass Hunde dazu bereit und motiviert sind. Natürlich müssen Ruhe- und Erholungszeiten gewährleistet sein. Aus der Assistenzhundeverordnung (AHundV) folgt für die allermeisten anderen Assistenzhunde, dass sie Hilfeleistungen aus den Bereichen mehrerer Assistenzhundearten erbringen können (vgl. § 3 Absatz 2 AHundV). Auch im europäischen Normen-Entwurf für Assistenzhunde findet sich ein entsprechender Vorschlag. Angesichts dieser aktuellen Entwicklungen und Diskussion im Bereich der Assistenzhunde sollte das Hilfsmittelverzeichnis entsprechend offener formuliert werden.

3.3 Gespannprüfung

Mit Bezug auf Seite 13 weist der DBSV erneut darauf hin, dass der Abschnitt über die Prüfkommission (Erfordernis, Zusammensetzung, Unabhängigkeit) klarer formuliert und zusätzlich zur Funktionstauglichkeit in die Ausführungen zur Gespannprüfung in Abschnitt III der besonderen Qualitätsanforderungen der Produktuntergruppe 07.99.09 integriert werden sollte. Durch die Formulierung ist besser zu gewährleisten, dass die Kommission stets mit zwei bewertenden Gespannprüfenden besetzt ist, und zwar mit je einer/einem Erfahrenen Hundetrainer/Hundetrainerin/Hundeausbilderin mit Erfahrungen im Bereich Rehabilitation, Orientierung und Mobilität für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen (O&M), sowie ein/eine Rehalehrer-/in für O&M bzw. staatlich geprüften Fachkraft der Blinden- und Sehbehinderten-rehabilitation mit Erfahrungen im Bereich Hundeverhalten und Hundetraining. In der Praxis kommt es häufig vor, dass die Prüfung nicht, wie aktuell bereits eigentlich vorgesehen, von einer Prüfkommission, die schon dem Wortsinne nach aus mehreren Mitgliedern bestehen muss, sondern lediglich durch eine/n einzelne/n Gespannprüfenden abgenommen wird. Die Einordnung in die besonderen Qualitätsanforderungen (aktuell Seite 99 ff.) würde dafür sorgen, dass die Regelung verbindlicheren Charakter erhielte als bisher.

Folgende Formulierung wird vorgeschlagen:

„Die Gespannprüfung ist vor einer sachverständigen, unabhängigen Prüfungskommission abzulegen. Diese soll in der Regel wenigstens mit zwei bewertenden Gespannprüferinnen bzw. Gespannprüfern besetzt sein; sie kann weitere, beratende Mitglieder haben.

Die eine bewertende Gespannprüferin bzw. der eine bewertende Gespannprüfer muss eine erfahrene Hundetrainerin/Hundeausbilderin bzw. ein erfahrener Hundetrainer/Hundeausbilder sein und über grundlegende Erfahrungen im Bereich Orientierung und Mobilität blinder und sehbehinderter Menschen verfügen. Die andere bewertende Gespannprüferin bzw. der andere bewertende Gespannprüfer muss Lehrerin bzw. Lehrer für Orientierung und Mobilität oder staatlich anerkannte Fachkraft für Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation sein und über grundlegende Erfahrungen im Bereich Hundeverhalten/Hundetraining/Hundeausbildung verfügen.

Die Gespannprüferinnen und Gespannprüfer müssen als solche hinreichend qualifiziert sein und sich regelmäßig fortbilden. Beratend können der Prüfkommission angehören

  • eine Vertreterin oder ein Vertreter von Organisationen der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe auf Bundes- oder Landesebene und
  • eine Vertreterin oder ein Vertreter der jeweiligen Krankenkasse.“

Ergänzend weist der DBSV darauf hin, dass dringend weitere Gespannprüferinnen und Gespannprüfer qualifiziert werden müssen, um flächendeckend Gespannprüfungen zu gewährleisten. Der DBSV steht gern zur Verfügung, um entsprechende Qualifizierungen zu initiieren, zu konzeptionieren und zu organisieren. Allerdings benötigt der DBSV als gemeinnützige Selbsthilfe-Organisation finanzielle Ressourcen, um das vorhandene Kurrikulum an aktuelle Anforderungen und Entwicklungen anzupassen sowie dazu, die bei der Qualifizierung der Gespannprüfenden eingesetzten ehrenamtlich tätigen Führhundhaltenden (Praxisphase Übungsläufe) zu schulen. Die Weiterbildungskosten selbst müssen von den künftigen Gespannprüfenden selbstverständlich selbst getragen werden. Der DBSV bittet den GKV-Spitzenverband erneut zu prüfen, ob die Konzeption eines entsprechenden Kursangebots finanziell durch eine Krankenkasse oder den GKV-Spitzenverband unterstützt werden kann.

3.4 Nebenkosten der Blindenführhundversorgung (S. 12 f.)

Regelmäßig entstehende Kosten (u.a. Futterkosten, Impfkosten, Entwurmung und sonstige Gesundheitsprophylaxe) werden von der Krankenkasse durch Zahlung eines monatlichen Pauschbetrages (auch Futtergeld genannt) geleistet. Die Höhe dieser Futtergeldpauschale richtet sich bislang nach § 14 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Eine Anpassung der Verweisnorm zur Höhe der Leistung ist erforderlich. Das BVG ist mit Wirkung zum 01.01.2024 außer Kraft getreten. Die Regelungen sind nunmehr dem Sozialgesetzbuch vierzehntes Buch – SGB XIV und den dazugehörigen Rechtsnormen zu entnehmen. Es gibt insoweit eine Nachfolgeregelung zu § 14 BVG. Auf diese sollte im Hilfsmittelverzeichnis künftig abgestellt werden. Auf die Anmerkungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hierzu möchten wir verweisen, wo es heißt: „Mit Außerkrafttreten des BVG am 1. Januar 2024 wird der Zuschuss zum Unterhalt eines Blindenhundes oder zu den Aufwendungen für fremde Führung (auch als Futtergeldpauschale bezeichnet), abschließend im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geregelt. Ab diesem Zeitpunkt regelt § 2 Abs. 2 OrthVersorgUVV den grundlegenden Leistungsanspruch. Der konkrete Zahlbetrag des Zuschusses wird zukünftig den gemeinsamen Richtlinien der Verbände der Unfallversicherung zu entnehmen sein und jährlich angepasst.“ Und weiter „Daher können sich Krankenkassen sowie die Träger der Eingliederungshilfe weiterhin am Zahlbetrag des vorgenannten Zuschusses orientieren.“

Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, den entsprechenden Satz im Hilfsmittelverzeichnis wie folgt zu ändern:

„Regelmäßig entstehende Kosten (u.a. Futter-, Impfkosten, Entwurmung und sonstige Gesundheitsprophylaxe) werden von der Krankenkasse durch Zahlung eines monatlichen Pauschbetrages in Höhe des nach Anlage 1 der Gemeinsamen Richtlinien der Verbände der Unfallversicherungsträger über die Hilfsmittelversorgung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nach §31 Abs. 2 SGB VII jeweils gültigen Betrages abgegolten.“

3.5 Anforderungen an den Hund (S. 99 f.)

3.5.1 Herkunft des Hundes

Zur Herkunft wird folgender Änderungsvorschlag unterbreitet:

„Hunde, die als Führhunde ausgebildet werden, dürfen nicht aus einer Massenzucht oder vom gewerblichen Tierhandel (ausgenommen Züchterinnen und Züchter) stammen oder erworben worden sein. Hunde aus dem Tierschutz können im Einzelfall bei sonstiger Eignung in die Ausbildung aufgenommen werden. Die Herkunft der Hunde muss durch die Führhundausbilderin oder den Führhundausbilder zweifelsfrei nachgewiesen werden.“

Begründung: Hunde aus dem Tierschutz („von Tierheimen“) kategorisch von der Führhundausbildung auszuschließen, erscheint nicht mehr zeitgemäß. Es handelt sich um eine historisch überholte Regelung, als in Deutschland noch Massenzuchten üblich waren. Heute sind diese in das Ausland verlegt; Hunde daraus werden inkl. FCI-Papieren nach Deutschland importiert. [Anm.: FCI steht für Fédération Cynologique Internationale] Auch Hunde aus dem Tierschutz haben sich in der Praxis im Einzelfall als für die Führhundausbildung tauglich erwiesen. Die Nachweispflichten sollen weiterhin bei der Führhundschule liegen.

3.5.2 Welpen- und Junghundaufzucht

Zur Welpen- und Junghundaufzucht (siehe Seite 100) wird folgende Änderung vorgeschlagen:
„Der Hund soll als Welpe und Junghund bis zur Ausbildung im engen Verbund mit Menschen aufgewachsen und entsprechend mit Menschen, Artgenossen und anderen Tieren sozialisiert und umfassend an Umweltreize habituiert sein. Das kann bei einer/einem Welpen- und Junghundpaten / -patin, in einer geeigneten Hundeschule oder bei der bzw. dem zukünftigen Führhundehalterin bzw. Führhundehalter gewährleistet sein.“

Begründung: Die Aufzucht einschließlich der notwendigen Grunderziehung erstreckt sich möglichst vom Welpenalter bis der Hund als Junghund – im Alter von mindestens 15 Monaten – die Ausbildung zum Führhund beginnt. Der Begriff „Welpen- und Junghundpate“ im Sinne einer Person, die die Grunderziehung eines Hundes im Auftrag einer Ausbildungsstätte durchführt (vgl. auch § 2 Nr. 1 AHundV), ist präziser als der bisher verwendete Ausdruck „Patenfamilie“. Die Welpen- und Junghundaufzucht einschließlich der notwendigen Grunderziehung sollte auch bei der bzw. dem zukünftigen Blindenführhundhalterin bzw. -halter möglich sein.

Das „dann“ im ersten Satz der aktuellen Fassung scheint sich auf den Absatz davor zu beziehen. Er lautet:
Der Junghund ist so früh als möglich (vor der Aufnahme der Führhundausbildung) einem Wesenstest zu unterziehen und aus tierärztlicher Sicht zu untersuchen, ob die Grundvoraussetzungen für eine spätere Ausbildung, einen Einsatz und ein Leben als Führhund gegeben sind.“ (Seite 100)

Die Zusammenschau beider Absätze vermittelt den Eindruck, dass ein Bezug auf sogenannte Welpentests besteht. Da ein Welpentest jedoch keine Prognose über die Verhaltens-/Persönlichkeitsentwicklung des Hundes liefert, sollten sich Anforderungen im Hilfsmittelverzeichnis nicht darauf beziehen. Sollte mit „Wesenstest“ hingegen eine Überprüfung im unmittelbaren Vorfeld der Ausbildung gemeint sein, so wäre die durch das Wort „dann“ vermittelte Abfolge falsch: Zunächst erfolgt die Aufzucht inkl. Grunderziehung des Hundes, möglichst vom Welpenalter und bis zum Junghundalter. DANN findet beim Junghund die Eignungsüberprüfung bezüglich Verhalten/Persönlichkeit sowie Gesundheit statt, und bei positivem Ergebnis kann die Ausbildung aufgenommen werden.

3.5.3 Feststellung der grundsätzlichen charakterlichen Eignung des Hundes / Wesenstest (S. 99, 100)

Zur bisherigen Formulierung „Die grundsätzliche charakterliche Eignung des Hundes für die Ausbildung zu einem Führhund soll vor der Ausbildung durch dafür geeignete Tierärztinnen bzw. Tierärzte oder eine Gespannprüferin oder einen Gespannprüfer ermittelt werden.“ (Seite 99) stellt sich die Frage, ob mit „Feststellung der grundsätzlichen charakterlichen Eignung des Hundes für die Ausbildung zu einem Führhund“ und dem auf Seite 100 erwähnten „Wesenstest“ dasselbe oder zwei unterschiedliche Feststellungen bzw. Tests gemeint sind. Dies ist bislang nicht klar erkennbar.

Deshalb wird vorgeschlagen, wie folgt zu formulieren:
Vor Beginn der Ausbildung stellt die Ausbildungsstätte fest, dass der Hund die charakterlichen Voraussetzungen für die Ausbildung, den Einsatz und das Leben als Führhund erfüllt. Die Eignungsfeststellung ist zu dokumentieren.

Begründung: Die charakterliche Eignung eines Hundes für die Ausbildung zu beurteilen ist eine Aufgabe, die letztendlich nur durch die sachkundige unmittelbare Bezugsperson und im Lebensumfeld des Hundes leistbar ist. Sie sollte daher von der Ausbildungsstätte (und nicht von beauftragten Dritten) überprüft werden, denn nur die Ausbildungsstätte kann beurteilen, ob der Hund in den Ausbildungsbetrieb passt (Beziehungsdynamik mit anderen Hunden, Menschen und Tieren, Haltungsform, betrieblicher Alltag etc.). Zur Nachvollziehbarkeit der Eignungsfeststellung müssen Beurteilungskriterien und -verfahren dokumentiert werden. Insoweit verweisen wir auch auf die DBSV-Stellungnahme vom 06.05.2021, in der die ersatzlose Streichung des Textes auf S. 99 mit folgender Begründung gefordert wurde: „Tierärztinnen und Tierärzte sind nicht automatisch durch das Tiermedizinstudium dazu qualifiziert, Hundeverhalten einzuschätzen. Die Verhaltensmedizin in der Veterinärmedizin ist eine eigene und sehr kleine Sparte. Davon dürften bis auf wenige Ausnahmen die meisten Schwierigkeiten haben, die konkreten Bedarfe an einen Führhund einzuschätzen, solange einheitliche standardisierte Tools zur Verhaltenseinschätzung und Auswahl angehender Führhunde fehlen.“ (DBSV-Stellungnahme vom 6.5.2021, Punkt 9)

3.5.4 Feststellung der gesundheitlichen Eignung (S. 100)

Vorgeschlagen wird folgende Neufassung:
„Der Hund muss als Blindenführhund gesundheitlich geeignet sein. Die gesundheitliche Eignung ist vor Aufnahme in die Führhundausbildung durch eine tierärztliche Untersuchung festzustellen. Bei der tierärztlichen Untersuchung muss der Hund mindestens zwölf Monate alt sein. Der Hund muss insbesondere über eine intakte Wirbelsäule (z.B. frei von Kompression des Rückenmarks) und intakte Gelenke verfügen und frei von Hüft-/Ellenbogengelenksdysplasie (HD/ED) oder anderen Gelenkerkrankungen, wie z. B. Osteochondrosis Dissecans (OCD), Augenkrankheiten (z. B. progressive Retina-Atrophie) sowie Herz-/Kreislauferkrankungen sein. Steht die gesundheitliche Eignung fest, stellt die Tierärztin oder der Tierarzt ein Attest aus. Das Attest darf bei Beginn der Führhundausbildung nicht älter als drei Monate sein.“

Begründung: Die vorgeschlagene Fassung ist mit der aktuellen Regelung inhaltsgleich. Sie ist aber unseres Erachtens systematisch klarer und damit nachvollziehbarer formuliert. Sie nimmt Formulierungen aus § 5 Absatz 1 und 4 Satz 1 AHundV auf.

3.6 Anforderungen an die Führhundausbildung (S. 100 f.)

3.6.1 Anzahl der trainierten Hörzeichen (S. 101)

Es wird vorgeschlagen, Zahlenangaben der zu erlernenden Führzeichen ersatzlos zu streichen. 40 bis 70 Hörzeichen sind viel zu viel. Das können die Hunde nicht leisten. Dass der Hund zahlreiche Signale trainiert haben muss, ergibt sich schon hinreichend aus der Anforderung, dass er „die Führleistungen gemäß dem Katalog der Führleistungen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V. (DBSV) oder entsprechender Kataloge erbringen“ sollte.

3.6.2 Weitere Schulung von Sozial- und Umweltverhalten sowie Gehorsam in der Führhundausbildung

Der DBSV schlägt vor, die (weitere, auf die Grunderziehung aufbauende) Schulung von Sozial- und Umweltverhalten sowie Gehorsam ausdrücklich als Inhalte der Ausbildung aufzunehmen. In der aktuellen Fassung wird bei den Anforderungen an die Ausbildung lediglich darauf abgestellt, was der Hund gelernt haben soll, um als Hilfsmittel die notwendigen Führleistungen erbringen zu können. Damit der Blindenführhund als Hilfsmittel zuverlässig arbeiten kann, müssen aber zusätzlich sein Sozial- und Umweltverhalten sowie Gehorsam nachhaltig gefestigt sein. Diesbezüglich berichten in der Beratung Führhundhalterinnen und Führhundhalter immer wieder über Defizite bei ausgebildeten Führhunden, auch wenn deren Führleistungen im engeren Sinne zufriedenstellend sind. Häufig genannt werden unerwünschte Reaktionen bei Begegnung mit Hunden, jagdliches Interesse an anderen Tieren, Probleme bei Leinenführigkeit, Kontrollierbarkeit im Freilauf, etc. Solche Herausforderungen im Sozial- und Umweltverhalten und/oder beim Gehorsam zeigen sich mitunter, aber nicht immer, bereits bei der Gespannprüfung. Unter diesen Umständen erscheint es geboten, die weitere Schulung von Sozial- und Umweltverhalten sowie Gehorsam als obligatorische Inhalte der Führhundausbildung aufzunehmen.

Der Vorschlag orientiert sich an entsprechenden Regelungen im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und in der AHundV: Nach § 12f Satz 2 BGG ist Gegenstand der Ausbildung unter anderem die Schulung des Sozial- und Umweltverhaltens sowie des Gehorsams des Hundes; zu den Komponenten des Sozial- und Umweltverhaltens vgl. § 9 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 AHundV; Einzelheiten zur Schulung von Sozial- und Umweltverhalten sowie Gehorsam enthält Anlage 4 zur AHundV.

3.7 Anforderungen an die blinden oder hochgradig sehbehinderten Versicherten – Lehrgang in Orientierung und Mobilität (S. 101)

Aus der Beratungspraxis wird immer wieder gespiegelt, dass einige Krankenkassen die an sich sehr berechtigte Anforderung der Absolvierung eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings überstrapazieren. Es wird darauf bestanden, dass 45 Stunden Basisschulung absolviert werden, auch wenn der/die Versicherte schon nach einer kürzeren Schulungsdauer die notwendigen Schulungsinhalte erlernt hat. Das führt zu unnötigen Kosten für die jeweilige Kasse und zu längeren Wartezeiten für andere Versicherte, die dringend auf solche Schulungen angewiesen sind. Daher wird vorgeschlagen, den Passus wie folgt neu zu fassen:

„Die künftige Führhundhalterin oder der künftige Führhundhalter muss einen O&M-Lehrgang erfolgreich bei einer anerkannten O&M-Lehrerin/-Trainerin oder einem anerkannten O&M- Lehrer/-Trainer absolviert haben. Der Erfolg des Langstockunterrichts bezieht sich im Fall der Führhundversorgung auf den Erwerb der Fähigkeit, sich bei Ausfall des Führhundes (hier zählen auch die täglichen Pausen/Ruhezeiten) fortbewegen zu können, ohne dabei von einer sehenden Person geführt werden zu müssen. Die Dauer der O&M-Schulung der blinden bzw. hochgradig sehbehinderten Versicherten ist abhängig vom notwendigen zeitlichen Schulungsumfang, vom individuellen Entwicklungsstand, dem Alter bei Eintritt der Behinderung, der Anamnese und dem Vorliegen weiterer Behinderungen. Die für die Basisschulung vorgesehenen 45 Unterrichtseinheiten sind nicht als Mindestschulungsdauer zu verstehen, um eine Blindenführhundversorgung zu rechtfertigen.“

3.8 Anforderungen an den Einarbeitungslehrgang (S. 102)

3.8.1 Mindestalter des Hundes zu Beginn des Einarbeitungslehrgangs

Der DBSV schlägt vor, das Mindestalter des ausgebildeten Führhundes bei Beginn des Einarbeitungslehrgangs ausdrücklich mit 21 Monaten zu benennen und wie folgt zu formulieren:

Zu Beginn des Einarbeitungslehrgangs muss der ausgebildete Führhund ein Mindestalter von 21 Monaten haben; eine geringfügige Unterschreitung der Altersgrenze ist in begründeten Einzelfällen möglich.“

Begründung: Es handelt sich um eine Klarstellung. In der aktuellen Fassung ist das regelmäßige Mindestalter des Hundes bei Beginn des Einarbeitungslehrgangs nicht explizit angegeben. Es muss umständlich aus der Zusammenschau von an anderen Stellen benannten Regel-Zeitpunkten bzw. -Zeiträumen ermittelt werden:

  • Alter bei Ausbildungsbeginn: mind. 15 Monate, max. zwei Jahre - geringfügiges Unter- oder Überschreiten ist u. U. möglich (S. 99)
  • Ausbildungsdauer: durchschnittlich sechs bis acht Monate – Unter- oder Überschreiten ist in begründeten Einzelfällen möglich (S. 101)
    Durch die Vorgabe eines Mindestalters ist gewährleistet, dass der ausgebildete Führhund voraussichtlich die notwendige soziale Reife besitzt, wenn er mit der oder dem Versicherten zusammengeschult wird.

3.8.2 Sachkunde im Umgang mit Hunden

Der DBSV ersucht dringend darum, die beispielhafte Aufzählung theoretischer Kenntnisse und praktischer Fähigkeiten, die im Rahmen des Einarbeitungslehrgangs an Führhundhaltende vermittelt werden, um die Punkte

• Erkennen von Gefahrensituationen,
• Stress- und Überforderungsanzeichen beim Hund

zu ergänzen.

Es könnte wie folgt formuliert werden:
„Im Rahmen des Einarbeitungslehrgangs müssen auch praktische und theoretische Sachkunde im Umgang mit Hunden vermittelt werden. Dazu gehören Informationen über die artgerechte Tierhaltung, Ernährung und Kommunikation (einschließlich Erkennen von und angemessener Reaktion auf Gefahrensituationen, Stress- und Überforderungsanzeichen beim Hund) und Lernverhalten sowie Informationen zu den Rechten und Pflichten, die allgemein mit der Hundehaltung und speziell mit der Nutzung des Hilfsmittels Blindenführhund verbunden sind.“

Begründung: Das Tierschutzrecht verbietet es unter anderem, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (§ 1 Satz 2 TierSchG) und ein Tier, außer in Notfällen zu überfordern (vgl. § 3 Nr. 1 TierSchG). Beides gilt auch für die Führarbeit eines Blindenführhundes. Nicht zuletzt um die kurz-, mittel- und langfristige Funktionsfähigkeit des Hilfsmittels Führhund zu erhalten, ist es daher wichtig, dass künftige Führhundhalter Gefahren für das sowie Anzeichen von Stress oder Überforderung beim Tier frühzeitig erkennen und situationsangemessen darauf reagieren können. Allgemein zugängliche Medien, z.B. Internet, Bücher, etc. oder Schulungsangebote (vgl. S. 101) sind als Informationsquelle für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen auch in diesem Punkt ungeeignet. Denn hier wird auf die visuell erkennbaren Anzeichen beim Hund fokussiert. Wie blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen Gefahrenpotentiale, Stress und Überforderung beim Hund wahrnehmen können, sollte daher von Personen vermittelt werden, die neben kynologischer Expertise auch die notwendigen Kenntnisse zu den behinderungsspezifischen Beeinträchtigungen und den damit verbundenen Barrieren besitzen. Der Einarbeitungslehrgang mit in diesem Sinne sachkundigen Führhundetrainern erscheint als der zweckmäßige Rahmen. Der Vorschlag orientiert sich an entsprechenden Regelungen in der AhundV. Im Übrigen verweisen wir hinsichtlich weiterer Vorschläge zur Sachkunde auf die DBSV-Stellungnahmen vom 20.08.2020 und vom 06.05.2021 (Punkt 11).

3.9 Zu 11.1 Produktart 07.99.09.0 Blindenführhunde

3.9.1 Orientierung außerhalb der Wohnung (S. 105)

In dem Satz „Der Führhund dient im erweiterten Sinn als „Lotse“ des blinden oder hochgradig sehbehinderten Versicherten bei der Orientierung und Mobilität insbesondere außerhalb der Wohnung und unterstützt sie oder ihn z.B. im Straßenverkehr.“ Sollte das Wort „insbesondere“ gestrichen werden.

Begründung: In der Praxis unterstützen Führhunde ihre Halterinnen und Halter ausschließlich außerhalb der eigenen Wohnung.

3.9.2 Ort des Einarbeitungslehrgangs (S. 105)

Folgende Formulierung wird vorgeschlagen:
„Anschließend erfolgt der Einarbeitungslehrgang der zukünftigen Führhundhalterin oder des zukünftigen Führhundhalters. Der Einarbeitungslehrgang soll mindestens zur Hälfte der Zeit am Wohnort der späteren Hundehalterin bzw. des späteren Hundehalters stattfinden.“
Begründung: Die aktuelle Formulierung im HMV legt nahe, dass ein Teil der Einarbeitung immer am Ort der Führhundeschule stattfinden muss. Das widerspricht der Anforderung auf S. 102 des HMV, wonach der Einarbeitungslehrgang „mindestens zur Hälfte der Zeit am Wohnort der späteren Hundeführerin bzw. des späteren Hundeführers stattfinden [soll].“ Die vorgeschlagene Formulierung entspricht dieser Vorgabe. Sie ermöglicht Einarbeitungen vollständig am Ort zukünftiger Halter durchzuführen, was zurzeit überwiegend übliche Praxis ist.

3.10 Weiterer Fortschreibungsbedarf

3.10.1 Assistierte Selbstausbildung von Blindenführhunden

Es wird empfohlen, Konzepte für assistierte Selbstausbildungen von Führhunden im Rahmen der Versorgung nach den Vorgaben des SGB V zu prüfen. Assistierte Selbstausbildung meint, dass der Hund durch seinen Halter zum Führhund ausgebildet und dabei von einer qualifizierten Ausbildungsstätte für Führhunde begleitet wird. Immer wieder erhält der DBSV-Anfragen, ob und unter welchen Umständen eine Selbstausbildung und eine Finanzierung deren Begleitung durch eine Führhundschule möglich sein kann.

3.10.2 Überprüfung von gesundheitlicher Eignung und Führleistung im höheren Lebensalter des Hundes

Es wird vorgeschlagen, das Hilfsmittelverzeichnis, um eine Regelung zu ergänzen, mit der der Fortbestand der gesundheitlichen Eignung sowie die Führleistung des Hundes im höheren Lebensalter regelmäßig überprüft werden:

• die gesundheitliche Eignung des Hundes durch eine jährliche tierärztliche Untersuchung ab Vollendung seines zehnten Lebensjahres,
• die Führleistung durch jährliche Überprüfung durch Gespannprüfer*innen ab Vollendung des zwölften Lebensjahres

Eignungsuntersuchung und Überprüfung sollten insbesondere Alter, Lebensumstände, Rasseprädispositionen und Geschlecht sowie eventuell vorhandene Vorerkrankungen berücksichtigen.

Die Überprüfung der Führleistung sollte im vertrauten Lebensumfeld von Hund und Halter und unter deren Alltagsbedingungen stattfinden.

Begründung: Der Vorschlag möchte zwei Gesichtspunkten Rechnung tragen: Zum einen ist klar, dass Gesundheit und/oder Führleistung eines Hundes im höheren Lebensalter regelmäßig nachlassen. Zum anderen gibt es trotzdem Hunde, die auch im höheren Lebensalter gesundheitlich fit und motiviert genug sind, um weiterhin führen zu können. Ein Höchstalter festzulegen, bis zu dem ein Hund als Hilfsmittel genutzt werden kann, ist insofern nicht zweckmäßig. Das vorgeschlagene Verfahren soll in dieser Lage eine altersangemessene, gestufte Lösung bieten.

Berlin, 27.06.2024