DBSV-Stellungnahme zum Vorschlag der Länderarbeitsgruppe für eine Novellierung des Medienstaatsvertrages im Hinblick auf Barrierefreiheit

Der DBSV erachtet den Anfang 2020 verabschiedeten Medienstaatsvertrag (MStV) in Bezug auf gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zu audiovisuellen Medienangeboten für unzureichend. Vor diesem Hintergrund begrüßt der DBSV ausdrücklich das von den Ländern ausgehende Engagement zur Weiterentwicklung des MStV, um bessere Regelungen zur Barrierefreiheit zu schaffen.

Der DBSV setzt sich seit vielen Jahren auf verschiedenen Ebenen dafür ein, den Zugang zu Film und Fernsehen für blinde und sehbehinderte Menschen zu verbessern. So bietet der DBSV beispielsweise Informationen rund um barrierefreie Filmangebote auf der Internetseite www.hörfilm.info an und hat erst kürzlich, am 17.06.2020, den 18. Deutschen Hörfilmpreis verliehen.

Für den DBSV ist es daher eine Selbstverständlichkeit, sich in die Arbeit der zu diesem Zweck eingerichteten Arbeitsgruppe der Länder konstruktiv einzubringen.

Zu den Vorschlägen der Länder nimmt der DBSV im Einzelnen wie folgt Stellung:

Begriffsbestimmung - Definition von Barrierefreiheit (§ 3 Abs. 2 Nr. 30-neu)

Der DBSV begrüßt ausdrücklich, dass im MStV eine Definition barrierefreier Angebote aufgenommen werden soll.

Der Vorschlag sieht vor, dass ein Angebot dann barrierefrei ist, wenn es für Menschen mit Behinderungen in der für diese allgemein üblichen Weise, nach dem jeweiligen Stand der Technik und unter Nutzung notwendiger Hilfsmittel ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich, auffindbar und nutzbar ist.

Richtig ist, dass eine Anbindung an die Definition von Barrierefreiheit nach dem Behindertengleichstellungsgesetz beabsichtigt ist. Auch der DBSV fordert, dass die bekannten und bewährten Begrifflichkeiten bei der Definition aufgegriffen werden.

Die konkret vorgeschlagene Formulierung sieht der DBSV mit Blick auf die nachfolgend dargestellten Punkte allerdings kritisch:

  • „für Menschen mit Behinderungen in der für diese allgemein üblichen Weise ...“: Menschen mit Behinderungen sollen im Sinne der Inklusion alle Angebote gleichberechtigt nutzen können und zwar so, wie dies für jeden Menschen möglich und üblich ist. Der Maßstab darf also nicht reduziert werden auf die für Menschen mit Behinderungen heute üblichen und leider stark eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten.
  • An der Formulierung „zugänglich, auffindbar und nutzbar“ ist aus Sicht des DBSV unbedingt festzuhalten. Sie ist erforderlich, wie die Gesetzesmaterialien zu § 4 BGG zeigen. Bzgl. der Auffindbarkeit möchten wir das ganz praktisch machen: Wenn sehbehinderte Nutzer die Filmfassung mit Audiodeskription in Mediatheken etc. gar nicht erst finden, weil sie versteckt oder gar auf einer Sonderseite angezeigt wird, dann ist diese Fassung nicht nutzbar und damit auch kein zugängliches Angebot.
  • Weiterhin darf die Nutzbarkeit nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz benötigter Hilfsmittel. In der Begründung sollte daher klargestellt werden, dass durch technische Maßnahmen sicherzustellen ist, dass behinderungsbedingt notwendige Hilfsmittel (assistive Technologien) genutzt werden können, um sich ein Angebot zu erschließen. Dafür bedarf es offener Schnittstellen. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass es heute schon technische Möglichkeiten gibt, Fassungen mit z.B. Audiodeskription direkt in das Angebot einzubetten, ohne dass der Einzelne dafür besondere Hilfsmittel benötigt.
  • Nicht nachvollziehbar ist für den DBSV, dass die Nennung bestimmter Formen der barrierefreien Angebote als abschließende Liste verstanden werden kann, wie dies die Begründung zu der Norm zum Ausdruck bringt. Aus unserer Sicht scheint es vielmehr angezeigt, die Möglichkeiten und die Vielfalt der Maßnahmen darzulegen, um ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Belange von Menschen mit Behinderungen zu erzeugen. Mindestens in die Begründung sollte daher ein Satz aufgenommen werden, der die unterschiedlichen Zugänge wie u. a. Audiodeskription, Untertitel, Gebärdensprache etc. darstellt.

Der DBSV schlägt folgende Formulierung vor:

„30. ein barrierefreies Angebot: ein Angebot, das für Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbehinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich, auffindbar und nutzbar ist.“

Allgemeine Grundsätze – diskriminierungsfreie Inhalte von Angeboten (§3 neu)

Das Ziel, mittels der Angebote Diskriminierungen entgegenzuwirken, teilt der DBSV ausdrücklich und begrüßt die vorgesehenen Regelungen daher.

Barrierefreiheit - Berücksichtigung unterschiedlicher Beeinträchtigungen (§ 7 Abs. 1-neu)

In § 7 Abs. 1 ist folgende Formulierung beabsichtigt: „Die Veranstalter nach § 3 Satz 1 sollen über ihr bereits bestehendes Engagement hinaus im Rahmen der technischen und ihrer finanziellen Möglichkeiten barrierefreie Angebote aufnehmen und den Umfang solcher Angebote stetig und schrittweise ausweiten, wobei den Belangen von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen Rechnung zu tragen ist.“

Sehr begrüßt wird die Ergänzung des Satzteils „wobei den Belangen von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen Rechnung zu tragen ist“. Damit wird einer Forderung des DBSV entsprochen.

In der Begründung zu § 7 Abs. 1 wird davon ausgegangen, dass die Formulierung „im Rahmen der technischen ... Möglichkeiten“ zweifelsfrei ausdrücke, dass die barrierefreie Gestaltung nach den anerkannten Regeln der Technik zu erfolgen hat. Wenn Letzteres gemeint ist, dann muss sich das auch im Wortlaut des MStV wiederfinden. Die technischen Möglichkeiten zur Einbettung von z.B. Audiodeskription bestehen heute schon uneingeschränkt.

Kritisch sieht der DBSV schließlich, dass die Norm nach wie vor die Einschränkung enthält, dass barrierefreie Angebote lediglich im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten geschaffen werden sollen. Diese Einschränkung würde auch für die unterschiedlichen Gruppen der Menschen mit Behinderungen „durchwirken“. Der DBSV setzt sich weiterhin für die Streichung der Einschränkung ein. Es darf nicht ausschließlich in der Hand der Veranstalter liegen, in welchem Umfang sie barrierefreie Angebote schaffen wollen und dafür die entsprechenden finanziellen Mittel bereitstellen möchten. Um unbillige Härten und unverhältnismäßige Belastungen zu verhindern, wird eine Formulierung empfohlen, die sich an § 7 Abs. 2 BGG anlehnt. Der DBSV betont ausdrücklich, dass er natürlich nicht erwartet, dass alle Angebote sofort barrierefrei sein müssen. Er hält aber eine größere Verbindlichkeit auf dem Weg zur Barrierefreiheit angezeigt. Vor diesem Hintergrund sieht er gerechte Quotenregelungen für notwendig an. Großbritannien ist ein gutes Beispiel dafür, dass Quotenregelungen ein geeignetes Instrument zur spürbaren Steigerung barrierefreier Angebote sind und weder den öffentlich-rechtlichen, noch den privaten Rundfunk oder sonstige Telemedienanbieter überfordern.

Die Quoten sollten sich

  • bei den öffentlich-rechtlichen Anbietern an der Größe und Reichweite des Veranstalters auf Basis der Zuwachsraten der vergangenen Jahre und
  • bei den privaten Rundfunk- und fernsehähnlichen Telemedienanbietern an den generierten Umsätzen des jeweiligen Unternehmens (nicht der Unternehmensgruppe)

ausrichten.

Die Einzelheiten zu den Quoten und den qualitativen Anforderungen könnten in einer durch die Landesmedienanstalten zu verabschiedender Satzung geregelt werden.

Paragraf 7 Abs. 1 könnte damit wie folgt formuliert werden:

„Die Veranstalter nach § 3 Satz 1 sind verpflichtet, über ihr bereits bestehendes Engagement hinaus barrierefreie Angebote zu schaffen, sofern sie dadurch nicht unbillig oder unverhältnismäßig belastet werden. Hierzu erstellen sie unter Beteiligung der maßgeblichen Organisationen von Menschen mit Behinderungen überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum Abbau bestehender Barrieren ihrer Angebote (Aktionspläne) und entwickeln diese regelmäßig, mindestens alle drei Jahre, weiter. Mindestens haben sie die festgesetzten Anteile ihres Angebots barrierefrei zu gestalten. Das Nähere zu Art, Umfang und Ausgestaltung barrierefreier Angebote regeln die Landesmedienanstalten durch eine gemeinsame Satzung.“

Ergänzung der Berichtspflichten zur Barrierefreiheit (§ 7 Abs. 2-neu)

Neu geplant ist, dass Veranstalter privater Fernsehprogramme nicht nur über getroffene, sondern auch über zukünftige Maßnahmen zur Barrierefreiheit und zudem über die dabei erzielten Fortschritte berichten sollen.

Das ist durchaus ein Fortschritt im Vergleich zur bisherigen Formulierung und dürfte den Handlungsdruck erhöhen. Eine Garantie für strategisches und planvolles Umsetzen von Barrierefreiheit, wie dies Aktionspläne sichern, bieten Berichtspflichten jedoch nicht. Daher wird an der Forderung festgehalten, Aktionspläne einzuführen.

Paragraf 7 Abs. 2 Satz 1 wird am Ende wie folgt ergänzt:

"... und die dabei erzielten Fortschritte; sie legen insoweit auch den nach Abs. 1 Satz 2 zu erstellenden Aktionsplan vor."

Barrierefreie Gestaltung von Notfallinformationen (§7 Abs. 3-neu)

Dass Verlautbarungen, die entsprechend den landesrechtlichen Bestimmungen über das Verlautbarungsrecht verbreitet werden, barrierefrei gestaltet werden sollen, ist absolut notwendig. Die in Krisen- und Katastrophenfällen elementar wichtigen Informationen müssen möglichst viele Menschen im Land erreichen. die barrierefreie Gestaltung muss daher gewährleistet werden. Dass es hier dringenden Nachholbedarf gibt, hat die Corona-Pandemie mehr als deutlich gemacht. Mit dieser Regelung wird auch Artikel 7 Abs. 4 der AVMD-Richtlinie endlich Rechnung getragen. Auch wenn „sollen“ einem „müssen“ schon sehr nahekommt, hält es der DBSV für erforderlich, die Norm als zwingend zu beachten (müssen) auszugestalten.

Ordnungswidrigkeitenrecht - Verstoß gegen Berichtspflichten (§ 115 Abs. 1 Nr. 1-neu)

Der neu vorgesehene Ordnungswidrigkeitstatbestand für das „Nichteinreichen" von Berichten zur Barrierefreiheit im Sinne von § 7 Abs. 2 entspricht einer Forderung des DBSV und wird begrüßt. Noch nicht umfasst sind aber materielle Verbesserungen der Barrierefreiheit. Offensichtlich hofft der Normgeber, über die Berichtspflicht zu mehr Barrierefreiheit zu kommen.

Der DBSV befürwortet daher, die Ordnungswidrigkeitsnorm auch auf die materiell-rechtliche Pflicht zur Barrierefreiheit nach § 7 Abs. 1-neu (siehe oben) zu erstrecken.

Außerdem hält es der DBSV für erforderlich, Verstöße gegen die Pflicht zur Barrierefreiheit von Notfallinformationen zu sanktionieren.

Großereignisse

Der DBSV hat sich schon bisher dafür stark gemacht, dass Ereignisse von großer gesellschaftlicher Relevanz immer barrierefrei zugänglich sein müssen. Diese Forderung wird aufrechterhalten.

In § 13 Abs. 1 Satz 3 MStV sollte der Punkt am Ende gestrichen und folgender Satzteil angefügt werden:

„... und Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich ist.“

Barrierefreie Zugänge absichern

Die eigenständige und selbstbestimmte Nutzung von Rundfunk und Telemedienangeboten setzt voraus, dass nicht nur der einzelne Beitrag bzw. Inhalt barrierefrei angeboten wird. Vielmehr ist es erforderlich, dass bei der Konzeption beachtet wird, dass die dargebotenen Inhalte und Angebote eigenständig aufgefunden und angesteuert werden können. Um es ganz plastisch zu machen: Einem blinden Nutzer einer Mediathek nutzt der dort eingestellte Beitrag mit Audiodeskription nichts, wenn die Internetseite/Plattform, auf der der Beitrag bereitgestellt ist, nicht barrierefrei gestaltet und damit nicht bedienbar ist oder wenn die barrierefreien Angebote nicht leicht auffindbar sind.

Paragraf 21 sollte daher wie folgt neu gefasst werden:

„Anbieter von Telemedien haben im Rahmen der bestehenden technischen Standards den barrierefreien Zugang zu Fernsehprogrammen und fernsehähnlichen Telemedien zu ermöglichen.“

Paragraf 30 Abs. 4 Satz 1 1. Hs. wird wie folgt gefasst:

„(4) Die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio bieten ihre Angebote in barrierefrei zugänglichen elektronischen Portalen an und...“