Gemeinsame Stellungnahme des DBSV und DVBS zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der eIDAS 2.0
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) nehmen zu o.g. Referententwurf wie folgt Stelllung:
I. Einleitung
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG in der durch die Verordnung (EU) 2024/1183 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. April 2024 geänderten Fassung (nachfolgend: eIDAS-VO 2.0) vorgelegt. Durch das Gesetz soll u.a. das Vertrauensdienstegesetz geändert und an die neuen Regelungen der eIDAS-VO 2.0 angepasst werden. Ziel des Gesetzes ist es die erforderlichen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der eIDAS-Verordnung in ihrer geänderten Fassung zu schaffen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention, die sowohl von der Europäischen Union (ABl. L 23 vom 27.01.2010, S. 35) als auch von Deutschland (BGBl II 2008, S. 1419; Bekanntmachung des Inkrafttretens: BGBl II 2009, S. 818) als geltendes Recht zu beachten ist, verpflichtet dazu, alle geeigneten Gesetzgebungsmaßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu und eine selbstbestimmte Teilhabe an allen modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die elektronisch bereit gestellt werden oder zur Nutzung offenstehen, zu ermöglichen sowie vorhandene Zugangshindernisse und -barrieren zu beseitigen (Art. 4 Buchstabe a) i.V.m. Art. 9 Abs. 1 UN-BRK).
Außerdem verpflichtet sie dazu, durch geeignete Gesetzgebungsmaßnahmen sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen (Art. 4 Buchstabe a) i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) UN-BRK). Der von dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr vorgelegte Referentenentwurf genügt hinsichtlich der gebotenen Barrierefreiheit bisher weder den Vorgaben der eIDAS-VO 2.0 noch der UN-Behindertenrechtskonvention. Die in dem Referentenentwurf vorgesehene ersatzlose Streichung von § 7 VDG führt gemessen am bisher geltenden Recht zu einer wesentlichen Verschlechterung.
Wir nehmen deshalb zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der eIDAS 2.0 wie folgt Stellung:
II. Erforderliche Regelungen zur Barrierefreiheit im Vertrauensdienstegesetz
1. Nutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit
Aus Art. 5a Abs. 21 der eIDAS-VO 2.0 ergibt sich die Verpflichtung, Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität gemäß der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates für Menschen mit Behinderungen zur gleichberechtigten Nutzung zugänglich zu machen. Daneben sieht die Regelung in Art. 15 der eIDAS-VO 2.0 zur Barrierefreien Zugänglichkeit für Personen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen vor, dass Elektronische Identifizierungsmittel, Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte in einfacher und verständlicher Sprache gemäß dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und den Barrierefreiheitsanforderungen der Richtlinie (EU) 2019/882 zugänglich gemacht werden, wodurch sie auch Personen mit funktionellen Einschränkungen, wie z. B. ältere Personen, und Personen mit eingeschränktem Zugang zu digitalen Technologien zugutekommen. Außerdem ist die Nutzerfreundlichkeit sicherzustellen (Art. 5a Abs. 4, Art. 45 Abs. 1a und Art. 45a Abs. 1 der eIDAS-VO 2.0). Hierzu gehört auch die einfache und intuitive Bedienbarkeit (vgl. die Erwägungsgründe 7, 13, 15, 29, 38, 42, 59 und 65 der VO (EU) 2024/1183).
Die genannten Vorschriften verweisen zur barrierefreien Gestaltung auf die Richtlinie (EU) 2019/882, die hinsichtlich der Barrierefreiheit ihrerseits konkretisierungs- und ergänzungsbedürftig ist. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das die Richtlinie (EU) 2019/882 im innerstaatlichen Recht umsetzt, enthält deshalb zahlreiche Konkretisierungen und Ergänzungen zur Barrierefreiheit, die auch zur Durchführung der eIDAS-VO 2.0 zu beachten sind. Schon aus Gründen der Normenklarheit ist es daher geboten, eine Reglung zur Barrierefreiheit in § 7 VDG aufzunehmen. Eine Regelung in § 7 Abs. 1 VDG, die diesen Vorgaben genügt, könnte beispielsweise wie folgt lauten:
„Elektronische Identifizierungsmittel, Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte, einschließlich der Europäischen Brieftasche für die Digitale Identität, sind unter Beachtung der Vorgaben aus Art. 5a Abs. 21 und Art. 15 der Verordnung (EU) 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt (ABl. L 257 vom 28.08.2014, S. 73 - 114), geändert durch Verordnung (EU) 2024/1183 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. April 2024 (ABl. L vom 30.04.2024, S. 1 - 56) barrierefrei und nutzerfreundlich zu gestalten. Hierzu gehört auch die einfache und intuitive Bedienbarkeit. Zur barrierefreien Gestaltung sind die §§ 3 bis 5 des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BGBl. I 2021, S. 2970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.5.2024 (BGBl. I 2024, Nr. 149) und die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 15.06.2022 (BGBl. I 2022, S. 928) in ihrer jeweils aktuellen Fassung entsprechend anzuwenden. Weitergehende Regelungen zur Barrierefreiheit aus anderen Rechtsvorschriften bleiben hiervon unberührt.“
Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGG und §§ 3 f. BITV 2.0 sind öffentliche Stellen des Bundes verpflichtet, ihre Websites und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Hierdurch wurden die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/2102 im innerstattlichen Recht umgesetzt. Die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 4 VDG ist zur Klarstellung geboten, dass Regelungen zur Barrierefreiheit außerhalb des Vertrauensdienstegesetzes unberührt bleiben.
2. Informationen zur Barrierefreiheit
In § 7 Abs. 2 VDG heißt es bisher: „Die Vertrauensdiensteanbieter haben auf ihrer Internetseite über die von ihnen vorgenommenen Maßnahmen zur Barrierefreiheit der Vertrauensdienste und der zur Erbringung solcher Dienste verwendeten Endnutzerprodukte zu informieren. Außerdem haben sie dort Hinweise zu geben, die die Nutzung der von ihnen angebotenen Vertrauensdienste und der hierbei verwendeten Endnutzerprodukte durch Menschen mit Behinderungen erleichtern. Diese Informationen und Hinweise sowie die Informationen, die sich an alle Verbraucher richten, müssen nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 20 VDG barrierefrei zugänglich und nutzbar sein.“
Diese Regelung ist zur effektiven und wirksamen Durchführung der eIDAS-VO 2.0 auch weiterhin erforderlich. Lediglich § 7 Abs. 2 Satz 3 sollte zukünftig wie folgt lauten:
„Diese Informationen und Hinweise sowie die Informationen, die sich an alle Verbraucher richten, sind barrierefrei zu gestalten; zur barrierefreien Gestaltung sind die §§ 3 bis 5 des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BGBl. I 2021, S. 2970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.05.2024 (BGBl. I 2024, Nr. 149) und die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 15.06.2022 (BGBl. I 2022, S. 928) in ihrer jeweils aktuellen Fassung entsprechend anzuwenden.“
3. Mitteilung von Barrieren (Aufgaben der Aufsichtsbehörde)
In § 7 Abs. 3 VDG heißt es bisher: „Barrieren können von jedermann der Aufsichtsstelle gemeldet werden.“ Diese Regelung ist zur effektiven und wirksamen Durchführung der eIDAS-VO 2.0 auch weiterhin erforderlich. Aus dem Vertrauensdienstegesetz muss sich klar und eindeutig ergeben, welche Behörde bei Verstößen gegen die Vorgaben zur Barrierefreiheit angerufen werden kann und durch welche Behörde die Einhaltung der Vorgaben zur Barrierefreiheit überwacht wird. Auch diese Aufgabe ist der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde im Vertrauensdienstegesetz zuzuweisen.
4. Schlichtungsverfahren und Verbandsklage
Zur effektiven und wirksamen Durchführung der eIDAS-VO 2.0 ist es erforderlich, das Vertrauensdienstegesetz um eine Regelung zu ergänzen, die es Menschen mit einer Behinderung und anderen Betroffenen ermöglicht, bei Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit die Schlichtungsstelle nach § 16 des Behindertengleichstellungsgesetzes anzurufen. Eine solche Regelung befindet sich bezogen auf die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 zur Barrierefreiheit für Produkte und Dienstleistungen beispielsweise in § 34 des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes. Eine vergleichbare Regelung, die wie folgt lauten könnte, ist auch im Vertrauensdienstegesetz erforderlich.
„Eine natürliche Person, die geltend macht, durch die Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit nach diesem Gesetz in eigenen Rechten verletzt zu sein, ist berechtigt bei der Schlichtungsstelle nach § 16 Abs. 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes einen Antrag auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zu stellen. Für das Schlichtungsverfahren finden § 16 Abs. 3 bis 7 des Behindertengleichstellungsgesetzes und die Behindertengleichstellungsschlichtungsverordnung vom 25. November 2016 (BGBl. I 2016, S. 2659) in ihrer jeweils aktuellen Fassung entsprechende Anwendung.“
Außerdem ist es erforderlich, das Vertrauensdienstegesetz nach dem Vorbild in §§ 32 und 33 BFSG um eine Regelung zu ergänzen, die es nach § 15 Abs. 3 BGG anerkannten Verbänden ermöglicht, bei Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit nach diesem Gesetz eine Verbandsklage zu erheben.
5. Bußgeldvorschriften
Zur effektiven und wirksamen Durchführung der eIDAS-VO 2.0 enthält das Vertrauensdienstegesetz in § 14 VDG (bisher: § 19 VDG) eine Reihe von Bußgeldvorschriften. Nach dem Vorbild von § 37 BFSG ist auch die Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit nach diesem Gesetz (vgl. dazu oben, unter II. 1 und II. 2) als Ordnungswidrigkeit auszugestalten. Die Erfahrung zeigt leider, dass Vorschriften zur Barrierefreiheit vielfach wertlos sind, wenn sie nicht durchgesetzt werden können und Sanktionsmöglichkeiten fehlen.
III. Zusammenfassung
Obwohl die Verpflichtungen aus Art. 5a Abs. 21 und aus Art. 15 der eIDAS-VO 2.0 als unmittelbar geltendes Recht zu beachten sind, bedürfen die Regelungen zu ihrer Umsetzung der Präzisierung und Ergänzung durch den nationalen Gesetzgeber. Die Mitgliedstaaten sind insoweit verpflichtet, die hierfür erforderlichen gesetzlichen Regelungen vorzusehen (siehe dazu auch A. Roßnagel, Das Recht der Vertrauensdienste – Die eIDAS-Verordnung in der deutschen Rechtsordnung, Nomos 2016, Seite 74 und 136 ff; sowie ders., Der Anwendungsvorrang der eIDAS-Verordnung, MMR 2015, 359 (364)).
Für eine effektive und wirksame Durchführung der eIDAS-VO 2.0 ist auch weiterhin eine Regelung zur Barrierefreiheit im Vertrauensdienstegesetz erforderlich. Insoweit enthält die eIDAS-VO 2.0 bisher keine abschließende Regelung. Schon aus Gründen der Normenklarheit ist es daher geboten, das Vertrauensdienstegesetz um die erforderlichen Konkretisierungen und Präzisierungen zu ergänzen:
- Ebenso wie im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, durch das die RL (EU) 2019/882 zur Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im innerstaatlichen Recht umgesetzt wurde (vgl. §§ 3 – 5 BFSG und §§ 1 ff. BFSGV), ist zur Durchführung der eIDAS-VO 2.0, die zur barrierefreien Gestaltung ebenfalls auf die RL (EU) 2019/882 verweist, auch im Vertrauensdienstegesetz eine klare und eindeutige Regelung zu den einzuhaltenden Standards und Anforderungen zur Barrierefreiheit erforderlich.
- Ebenso wie schon bisher in § 7 Abs. 2 VDG ist im Vertrauensdienstegesetz auch weiterhin eine Regelung erforderlich, die dazu verpflichtet, die Informationen zur Nutzung der Vertrauensdienste im Internet in barrierefreier Form zu veröffentlichen.
- Ebenso wie schon bisher in § 7 Abs. 3 VDG ist im Vertrauensdienstegesetz auch weiterhin eine Regelung erforderlich, aus der sich ergibt, welche Behörde bei Verstößen gegen die Vorgaben zur Barrierefreiheit angerufen werden kann.
- Ebenso wie im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Produkte und Dienstleistungen nach der RL (EU) 2019/882 (§§ 32 – 34 BFSG), sind auch im Vertrauensdienstegesetz Regelungen für ein Schlichtungsverfahren und zur Verbandsklage erforderlich.
- Ebenso wie im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Produkte und Dienstleistungen nach der RL (EU) 2019/882 (§ 37 BFSG), ist auch die Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit nach dem Vertrauensdienstegesetz (bzw. nach der eIDAS-VO 2.0) in die Bußgeldvorschriften aufzunehmen.
Nur so wird es gelingen, für die Europäische Brieftasche für die Digitale Identität sowie für elektronische Identifizierungsmittel, Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte einen gleichberechtigten Zugang für alle Nutzerinnen und Nutzer (Erwägungsgrund 15 der VO (EU) 2024/883) zu ermöglichen.