DBSV-Stellungnahme zur Verordnung über Standards für den Onlinezugang zu Verwaltungsleistungen (RefE)
Der Deutsche Blinden- und Sehebhindertenverband nahm am 26. Februar 2025 zum Referentenentwurf einer Verordnung über Standards für den Onlinezugang zu Verwaltungsleistungen (OZG-SV) wie folgt Stellung:
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ist der Spitzenverband der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland. Aus Sicht des DBSV sind einheitliche Standards zur Sicherstellung von Barrierefreiheit, Qualität und Interoperabilität unabdingbar, um das Onlinezugangsgesetz (OZG) erfolgreich umzusetzen. Dies hatte der DBSV – ebenso wie viele andere Akteure – während der Anhörungen zum OZG-ÄndG gefordert. Insofern begrüßen wir, dass mit einer Verordnung über Standards diesem Anliegen Rechnung getragen werden soll. Allerdings sieht der DBSV dringenden Nachbesserungsbedarf.
Zur Verordnung OZG-SV
In der vorgelegten Verordnung werden die Förderalen IT-Architekturvorgaben des IT-Planungsrats sowie die DIN SPEC 66336 verankert. Die OZG-SV regelt bislang nur die archivarische Sicherung. Weil in der Verordnung eine rechtliche Bezugnahme erfolgt, müssen diese Standards öffentlich, barrierefrei und kostenfrei zugänglich sein. Aus Sicht des DBSV sollte dies in § 1 und § 2 ergänzt werden.
Zur Barrierefreiheit in der DIN SPEC 66336
In der DIN Spec 66336 werden die Themen Barrierefreiheit, Inklusion und Nutzungsfreundlichkeit auf kaum einer Seite abgehandelt.
Der DBSV hatte bereits in seiner Stellungnahme zum OZG-ÄndG darauf hingewiesen, dass in den Landesregelungen (Behindertengleichstellungsgesetze) teilweise unterschiedliche Anforderungen an barrierefreie Informationstechnik bestehen. Daher forderte der DBSV, für OZG-Leistungen bundesweit die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) vom 12. September 2011 (BGBl. I S. 1843) in der jeweils aktuellen Fassung verbindlich zu machen. Diese Rechtsklarheit ist insbesondere mit Blick auf die sogenannten EfA-Leistungen essenziell.
Im Abschnitt 5.5.6 der DIN SPEC wird nun § 4 BITV 2.0 zur Leichten Sprache und Deutschen Gebärdensprache verankert. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Vereinheitlichung über Landesgrenzen hinweg. Allerdings bestehen weiterhin Unterschiede, zum Beispiel hinsichtlich
- zentraler Navigations- und Einstiegsangebote sowie Angebote, die eine Nutzerinteraktion ermöglichen und für die nach BITV 2.0 ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit anzustreben ist, oder
- der Vorgaben zur Veröffentlichung der Erklärung zur Barrierefreiheit: Nach BITV 2.0 muss diese von der Startseite und jeder Unterseite einer Website aus erreichbar sein sowie bei mobilen Anwendungen an der Stelle, an der das Herunterladen der App ermöglicht wird.
Um eine einheitliche Regelung sicherzustellen, sollte die BITV 2.0 als Ganzes für OZG-Leistungen verbindlich gemacht werden, anstatt nur einzelne Paragrafen daraus heranzuziehen.
Gemäß der EU-Webseitenrichtlinie 2016/2102 sind öffentliche Stellen verpflichtet, eine Erklärung zur Barrierefreiheit zu veröffentlichen und einen Feedback-Mechanismus einzurichten. Da diese Regelung auf EU-Ebene einheitlich für Bund, Länder und Kommunen gilt, bedarf es keiner zusätzlichen Verankerung in einer DIN SPEC. Allerdings müssen Zuständigkeiten und Prozesse klar und einheitlich geregelt sein, um sicherzustellen, dass Nutzende ihre Rechte wirksam durchsetzen können. Eine DIN SPEC sollte daher insbesondere folgende Maßnahmen vorsehen:
- Die Erklärung zur Barrierefreiheit muss für blinde und sehbehinderte Menschen leicht auffindbar sein. Sie sollte exakt so benannt und im Footer einer Website platziert werden. Bei mobilen Anwendungen muss sie sowohl von der Download-Seite als auch jederzeit über die App abrufbar sein.
- Der Feedback-Mechanismus sollte verbindliche Eingangsbestätigungen enthalten, in denen die zuständige Ansprechperson mit Kontaktdaten sowie die Bearbeitungsfrist benannt werden. Wenn diese Maßnahmen nicht direkt in der DIN Spec erfolgen können, muss die Verordnung OZG-SV entsprechend erweitert werden.
Zur Nutzungsfreundlichkeit in der DIN SPEC 66336
§ 7 OZG schreibt die Nutzerfreundlichkeit des übergreifenden Zugangs zu elektronischen Verwaltungsleistungen vor. In der Anhörung zum OZG-ÄndG wurde von verschiedenen Akteuren – darunter dem DBSV – gefordert, hierfür einen geeigneten Bewertungsmaßstab festzulegen. Die OZG-SV verweist hierzu auf die DIN EN ISO 9241-110 sowie auf einen zweiseitigen Artikel von Jakob Nielsen aus dem Jahr 1992.
Der ISO-Standard 9241 zur Ergonomie der Mensch-System-Interaktion umfasst zahlreiche Einzelnormen. Teil 110 zu den Interaktionsprinzipien ist dabei wichtig, weitere relevante Anforderungen und Empfehlungen finden sich jedoch zum Beispiel auch in:
- DIN EN ISO 9241-11 Gebrauchstauglichkeit: Begriffe und Konzepte,
- DIN EN ISO 9241-112 Grundsätze der Informationsdarstellung,
- DIN EN ISO 9241-125 Empfehlungen zur visuellen Informationsdarstellung,
- DIN EN ISO 9241-210 Menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme.
Statt lediglich auf eine einzelne Norm zu verweisen, wäre es aus Sicht des DBSV sinnvoll, anhand der einschlägigen DIN- und ISO-Normen eine umfassende Liste von Anforderungen an die Nutzungsfreundlichkeit zur Unterfütterung von § 7 OZG zusammenzustellen, die ähnlich zur DIN EN 301549 überprüfbar ist. Zudem müssen alle rechtlich verankerten Standards barrierefrei und kostenfrei zugänglich sein – auch wenn innerhalb einer Norm auf sie verwiesen wird. Der angeführte Artikel von Jakob Nielsen beschreibt und belegt, dass bei der Methode der heuristischen Evaluation die Bewertung eines einzelnen Experten hinsichtlich der Usability keine zuverlässigen Ergebnisse liefert und daher die Bewertungen von mehreren Experten kombiniert betrachten soll. Eine Erläuterung einer 5-stufigen Skala, wie in der DIN Spec angeführt, erschließt sich aus dem Text nicht.
Darüber hinaus ist eine rein durch Expertinnen durchgeführte Bewertung unzureichend. Bereits § 7 OZG verlangt die Einbeziehung von Nutzenden. Daher sollte verpflichtend verankert werden, dass Usability-Tests unter Beteiligung von Menschen mit Behinderungen durchgeführt werden. Zudem sind Vorgaben erforderlich, um die Barrierefreiheit dieser Tests sicherzustellen. Eine Leerstelle in der DIN SPEC betrifft die Prozesse zur Bewertung von Barrierefreiheit und Nutzungsfreundlichkeit. So muss zum Beispiel eine Prüfung entwicklungsbegleitend vorgesehen werden und darf nicht nur abschließend erfolgen. Hier wäre eine Konkretisierung der Prozesse erforderlich. Eine tabellarische Kurzdarstellung, wonach Barrierefreiheit und Nutzungsfreundlichkeit in allen Phasen (Analyse, Umsetzung, Betrieb und Weiterentwicklung) relevant sind, ist zwar ein wichtiges Signal, reicht aber nicht aus, um konkrete Maßnahmen abzuleiten.
Wenn diese Maßnahmen nicht direkt in der DIN Spec erfolgen können, muss die Verordnung OZG-SV entsprechend erweitert werden.
Zum Entstehungsprozess der DIN SPEC
Abschließend möchten wir den Entstehungsprozess der DIN SPEC kritisch betrachten. In der Liste der Verfasser fehlt jegliche Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen. Der DBSV engagiert sich aktiv in der Normung, unter anderem im Gemeinschaftsarbeitsausschuss NAErg/NIA/DKE „Grundlagen zur barrierefreien Gestaltung/Accessibility“. Auch dieser Ausschuss, der sich explizit mit digitaler Barrierefreiheit befasst, wurde nicht einbezogen. Ebenso wenig berücksichtigt wurde die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik, die für die Überwachung öffentlicher Stellen und damit auch bezüglich der OZG-Leistungen zuständig ist und bei der das technische Knowhow insbesondere auch durch den angegliederten Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik nach § 5 BITV liegt.
Auch wenn das DIN keine spezifischen Vorgaben zu den einzubeziehenden Akteuren bei einer DIN SPEC macht, hätte dies aufgrund der nun folgenden rechtlichen Verankerung durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat vorgegeben werden müssen.