Klettern kann fast Jeder

Ich habe in diesem Jahr eine neue Sportart für mich entdeckt. Ich hätte nie gedacht, dass es mich so faszinieren könnte, regelmäßig irgendwelche Wände an Griffen und Tritten hinaufzusteigen, um mich danach wieder abseilen zu lassen. Doch ich glaube, wer einmal mit dem Klettern anfängt und Spaß daran findet, wird vom "Kletterfieber" gepackt und kann so schnell nicht mehr damit aufhören.

Wie ich zum Klettern kam

Zu Schulzeiten bin ich mal an einer Kletterwand in der Turnhalle gewesen und wir haben auch Bouldern (Klettern auf Absprunghöhe) ausprobiert. Beim Bouldern wird man nicht durch Seil und Klettergurt gesichert, sondern klettert bis auf eine Höhe, von der man noch herunterspringen kann und klettert nicht in die Höhe sondern seitwärts an der Wand entlang. Ich persönlich finde beim Bouldern schwierig, dass ich nicht weiß, wie weit der Boden weg ist. Ich klettere lieber gesichert am Seil und dann nach oben. Meine ersten Klettererfahrungen in der Schule haben mir zwar Spaß gemacht, doch ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich mich mit diesem Sport näher beschäftigen könnte. Vor etwa 2 Jahren gab es dann von der Arbeit aus für die Angestellten die Möglichkeit, zusammen mit Kollegen in der Marburger Kletterhalle, mit und ohne Augenbinde, das Klettern und Sichern zusammen auszuprobieren. Ich war neugierig und habe mich dazu angemeldet. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so einen Spaß machen würde. Ich nahm mir vor, mich eventuell mal zu einem Schnupperkurs anzumelden oder so. Als dann mein neuer Arbeitskollege davon berichtete, dass er regelmäßig in die Kletterhalle geht, wurde ich neugierig und bin einfach mal mitgegangen. Es hat mir gefallen und als ich darüber nachdachte, vielleicht nochmal mitzugehen, stieg mein sportbegeisterter Sohn mit ein und seither ist Klettern ein Hobby, dass ich mit meinem Sohn teile. Er hat auch schon seinen 10. und 12. Geburtstag in der Kletterhalle gefeiert und war begeistert davon, mit mir regelmäßig in die Kletterhalle zu gehen. Im Mai habe ich dann mit meinem Sohn einen Eltern-Kind-Kletterkurs absolviert und einen Kletterschein erhalten, mit dem ich Kinder und auch Erwachsene sichern darf. Vor dem Kurs war ich immer darauf angewiesen, Jemanden dabeizuhaben, der uns sichern konnte, ohne meine Kletterbegleiter ebenfalls sichern zu können. Jetzt kann ich meinen Sohn und auch meine Kletterpartner sichern und wir können dafür sorgen, dass Alle mehrfach an die Wand können und auf ihre Kosten kommen.

Was mich am Klettern fasziniert

Ich glaube, dass mich das Fieber endgültig gepackt hat, als ich das erste Mal mit meinem Sohn eine Route parallel geklettert bin. Mir wurde klar, dass ich einen Sport gefunden hatte, den ich mit ihm zusammen ausüben kann. Bei seinen Leichtathletikwettkämpfen sitze ich am Rand, kann ihn anfeuern, doch ich kann ihn nicht direkt begleiten. Beim Klettern kann ich ihn  sichern und, wenn sich die Gelegenheit bietet, sogar mit ihm zusammen die Kletterwand erklimmen.  Ich finde es toll, dass beim Klettern sämtliche Muskelgruppen beansprucht werden und ich so schon Muskeln kennengelernt habe, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe. Es ist auch eine Herausforderung, eine Route zu schaffen und, wenn es geht, bis ganz nach oben zu klettern. In der Marburger Kletterhalle geht es bis auf 14 Meter in die Höhe. Manchmal hänge ich verzweifelt an einer Stelle fest, brauche eine Pause oder breche eine Route ab, um sie später oder an einem anderen Tag vielleicht noch einmal zu probieren. Wenn ich eine schwierige Stelle überwunden habe, macht mich das glücklich und stolz. Wie hoch ich klettere, und in welchem Schwierigkeitsgrad, ist meine Entscheidung. Ich muss mit mir selbst an der Wand verhandeln, was ich mir zutraue, wie weit ich gehen möchte und wofür meine Kraft reicht. Auf dem Boden steht dann mein Kletterpartner, der dafür sorgen wird, dass ich auch unbeschadet wieder herunterkomme.

Wie ist der Ablauf in der Kletterhalle?

Wenn wir in die Kletterhalle gehen, dann melden wir uns an der Kasse an und bezahlen den Eintritt. Dort leihe ich mir auch die Kletterausrüstung aus, weil ich noch keine eigene habe. Wer Mitglied im DAV ist, bezahlt weniger Eintritt und hat sonst auch einige Vorteile, weswegen ich in Kürze in den DAV eintreten werde. Der DAV ist der deutsche Alpenverein. Wer das erste Mal in der Halle ist, muss die Hallenregeln durchlesen und unterschreiben. Mit den Formularen haben mir die Leute vom Personal geholfen. Nach der Anmeldung geht’s in die Umkleide und dann mit bequemer Sportbekleidung und Kletterausrüstung in die Halle, um die erste Route auszusuchen. Zur Kletterausrüstung gehören Klettergurt und Kletterschuhe und die Sichernden benötigen ein Sicherungsgerät. Bei den verschiedenen Routen in der Halle hängen Seile von der Decke herunter. Ein Kletterseil ist ein sehr langes Seil, das ganz oben, am Ende der Route durch mehrere Karabiner oder eine Seilwinde läuft. Wenn beide Enden des Seils am Boden sind, kann sich der Kletternde das Seil an den Klettergurt binden und der Sichernde führt das andere Seilende so durch sein Sicherungsgerät, das er an seinem Klettergürtel trägt, dass er dadurch, dass er das Seil immer wieder nachzieht, den Kletternden sichern kann. Besonders wichtig ist der Partner-Check. Nur wenn alle Knoten richtig sitzen und das Sicherungsgerät funktioniert, kann es losgehen. Der Kletternde sucht sich geeignete Griffe und Tritte, um die Wand hinaufzusteigen. Sobald er ein Stück hinaufgeklettert ist, wird das Seil beim Sichernden schlaff und er muss es nachziehen, damit es stets straff gespannt ist. Wenn der Kletternde eine Pause möchte oder oben angekommen ist, ruft er "zu" und wartet auf die Antwort "ist zu". Die Sehenden Kletterer nehmen dabei Blickkontakt auf und wir rufen uns mit Namen, um zu wissen, dass wir gemeint sind. Die Routen bestehen aus Griffen und Tritten in verschiedenen Farben und Formen. Eine Route ist dadurch zu erkennen, dass die dazugehörigen Griffe und Tritte in derselben Farbe sind. Der Schwierigkeitsgrad wird durch Zahlen ausgedrückt. Am Start der Route befindet sich ein Zettel, der zeigt, welche Farbe die Route hat und welcher Schwierigkeitsgrad dieser Route zugeordnet wurde. Routen mit der Schwierigkeit 3 haben meistens viele große Griffe und Tritte, während eine Route mit der Schwierigkeit von 7 eher wenige und kleinere, schlechter zu greifende Griffe mit größeren Abständen aufweist. Ich klettere meistens bunt durcheinander. Ich suche mir Griffe und Tritte zusammen und nehme, was mir passend erscheint. Wenn es zu einfach wird, kann man auch versuchen, nur einen Arm einzusetzen oder Griffe auszulassen etc. Kompliziert wird es, wenn einer oder mehrere Überhänge vorkommen. Bei einem Überhang ist die Kletterwand schräg in Richtung Halle geneigt. An einer schrägen Wand zu klettern, kann je nach Neigungsgrad ganz schön anstrengend sein, und wenn eine Route mehrere Überhänge aufweist, weiß man oben, was man gemacht hat. Die Überhänge kommen vor allem bei schwierigeren Routen vor und stellen mich oft noch vor große Herausforderungen. Doch ich merke schon, dass die Kraft in Armen und Beinen zugenommen hat und ich mich besser koordinieren und orientieren kann, und Bewegungsmuster neu lerne und einübe. Ich habe selbst schon Fortschritte festgestellt und bin zuversichtlich, dass ich meine Kletterfähigkeiten noch ausbauen kann und da noch viel Luft nach oben ist. Langweilig wird dieser Sport sicher nicht!

Spezielle Kletterangebote vom DAV

Ich denke, dass sämtliche deutsche Kletterhallen dem DAV untergeordnet sind. Der DAV ist der deutsche Alpenverein. Der DAV ist sehr darum bemüht, dass "Alle" mitmachen und mitklettern können. Es gibt in sämtlichen Städten Kletterangebote für Menschen mit Behinderung. Bei diesen Veranstaltungen wird versucht, auch mehrfachbehinderten und stark eingeschränkten Menschen das Klettern zu ermöglichen. Teilweise werden einem behinderten Kletterer mehrere Betreuungspersonen zugewiesen, damit es ihm möglich wird, eine Klettererfahrung zu machen. Diese Angebote heißen z.B. "Klettern mit Handicap" oder wie in Marburg z.B. "no Limits". Es ist aber auch kein Problem, sich zu einem Schnupper- oder Einsteigerkurs anzumelden, und so die ersten Schritte an der Wand zu wagen. Weder mein Trainer, bei dem ich meinen Kletterschein bekommen habe, noch die anderen Leute in der Halle haben jemals komisch auf meine Behinderung reagiert. Mein Trainer sagte: "Es ist kein Problem, dass du nichts siehst. Wenn ich nachts am Felsen klettere und die Taschenlampe aussteigt, sehe ich auch nichts und die Zeichen, die das Seil einem gibt, muss man fühlen und nicht sehen." Abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, nachts an irgendwelchen Felsen zu klettern, fand ich diese Aussage sehr ermutigend. Mir gefällt die lockere und ungezwungene Atmosphäre in der Kletterhalle. Die Leute sind hilfsbereit und die Blindheit ist kaum bis gar kein Thema. Das finde ich sehr angenehm.

Wenn ich euch etwas neugierig machen konnte, dann forscht doch mal, welche Kletterhallen es in eurer Nähe gibt und ob es dort spezielle Angebote für blinde Interessierte gibt oder vielleicht habt ihr das Glück, mit Jemandem aus eurem Bekanntenkreis mal mit in die Halle gehen zu können. Probiert es aus und bildet euch selbst ein Urteil. Doch Vorsicht! Wenn ihr nicht aufpasst, fesselt es euch auch und ihr giert auf euren nächsten Besuch in der Kletterhalle. Ich verspüre jetzt, nach dem Schreiben dieses Textes, große Lust, sofort in die Halle zu stürmen, doch mir fehlt es leider an Zeit und der richtigen Begleitung. Auch meine beiden kleineren Kinder waren vor zwei Wochen mit in der Halle und würden gern mit einsteigen. Auch sie hat das "Fieber" schon gepackt. Ich bin gespannt, wie es mit dem Klettern weitergehen wird!

(von Wencke Gemril)