UN-Behindertenrechtskonvention: Deutschland auf dem Prüfstand
Am 29. und 30. August 2023 prüft der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Genf zum zweiten Mal, wie Deutschland die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzt. Neben dem Staatenbericht der Bundesregierung liegen dem Ausschuss auch zwei Parallelberichte vor:
Unter dem Titel „Menschenrechte jetzt!“ hat ein Bündnis aus 37 deutschen Nichtregierungsorganisationen unter der Koordination des Deutschen Behindertenrates dargelegt, wie weit Deutschland noch von einer umfassenden Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) entfernt ist. Das Bündnis vertritt einen Großteil der in Deutschland lebenden Menschen mit Behinderungen. Es kommt zu dem Fazit, dass nach wie vor Exklusion statt Inklusion für behinderte Menschen an der Tagesordnung ist. Am Parallelbericht aktiv mitgearbeitet hat der DBSV.
„Immer noch werden Gesetze verabschiedet, die der UN-BRK widersprechen“, bemängelt Prof. Dr. Sigrid Arnade, Vorsitzende des Sprecherinnenrats des Deutschen Behindertenrats (DBR). Private Anbieter von Waren und Dienstleistungen würden immer noch nicht durchgehend zur Barrierefreiheit und zu angemessenen Vorkehrungen verpflichtet; an einer umfassenden Gewaltschutzstrategie zum Schutz von behinderten Mädchen und Frauen fehle es ebenso, und selbst die schon lange geforderten Partizipationsstandards seien nicht in Sicht. „Insgesamt fehlt es der deutschen Behindertenpolitik an einer durchgängigen Menschenrechtsperspektive“, analysiert Arnade. Das könne man daran sehen, dass Menschenrechte behinderter Menschen unter einen Kostenvorbehalt gestellt würden. „Auch wenn die Regierung stolz auf die eine oder andere Aktivität seit der letzten Staatenprüfung 2015 verweist, wurden die meisten der damaligen Forderungen des Fachausschusses ignoriert“, so die ernüchternde Bilanz der DBR-Frau.
Auch die Monitoring-Stelle zur Umsetzung der UN-BRK beim Deutschen Institut für Menschenrechte zeigt deutliche Defizite bei der Umsetzung der UN-BRK auf: „Ein echter Paradigmenwechsel in Politik und Gesellschaft hin zu Inklusion und Selbstbestimmung ist auch 14 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention nicht festzustellen“, erklärt Leander Palleit, Leiter der Monitoring-Stelle anlässlich der bevorstehenden Staatenprüfung.
Die Monitoring-Stelle kritisiert vor allem das stark ausgebaute System von Sonderstrukturen in Deutschland – sowohl in der schulischen Bildung und bei der Beschäftigung in Werkstätten als auch in Form von großen stationären Wohneinrichtungen. „Es wird zwar viel über Inklusion diskutiert, konsequent in die Tat umgesetzt wird sie allerdings nicht“, so Palleit.
Der Parallelbericht weist darauf hin, dass in vielen Bereichen Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe nach wie vor kaum oder gar nicht mitgedacht werden. So fehle ein durchgängiges Bewusstsein für Barrierefreiheit als Grundvoraussetzung einer gleichberechtigten Teilhabe. Das gelte beispielsweise für Wohnungsbau, Katastrophenschutz sowie Zugang zu Arztpraxen. Probleme, wie etwa fehlende diskriminierungsrechtliche Verpflichtungen zu Barrierefreiheit im privaten Sektor, seien zwar seit langem bekannt, aber politisch nicht bearbeitet.
Weitere Informationen:
Parallelbericht der Zivilgesellschaft: www.deutscher-behindertenrat.de/ID292569
Parallelbericht der Monitoring-Stelle: www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/parallelbericht-an-den-un-ausschuss-fuer-die-rechte-von-menschen-mit-behinderungen-zum-23-staatenpruefverfahren-deutschlands