Lehrerin

Conny Grunow, eine blinde Lehrerin aus Berlin berichtet aus ihrem Arbeitsalltag.

Mit dem Lehrberuf hatten wir letztlich alle schon zu tun – allerdings in aller Regel aus Schülerperspektive! Wie es sich als blinde Lehrerin so arbeitet und welche Höhen und Tiefen dieser Berufsalltag wirklich mit sich bringt, erzählt uns diesen Monat Conny Grunow, die in Berlin an der Blindenschule arbeitet.

 

DB: Erzähl uns doch erst einmal, wie und warum du Lehrerin geworden bist!

 

Conny: Zuerst wollte ich eigentlich Dolmetscherin werden und habe dafür Englisch und Französisch studiert. Aber da war ich sehr unglücklich. Ich musste mich um Vorlesekräfte kümmern, Hilfsmittel hatte ich zunächst noch keine. Und als ich dann einen PC mit Braillezeile finanziert bekam, war die Technik noch nicht so weit, dass mir das viel genützt hätte. Unter diesen Umständen waren Fremdsprachen einfach noch schwieriger zu bewältigen als deutsche Texte!

Also habe ich auf Lehramt für Blinde und Körperbehinderte mit dem Unterrichtsfach Geschichte umgeschwenkt und bin da auch zügig durchgekommen!

 

DB: Warum hast du dich genau für diese Richtung entschieden?

 

C: Zu meiner Entscheidung geführt hat zunächst mal, dass der Fachbereich für Rehabilitationspädagogik an der Humboldt-Universität mir einen Arbeitsplatz mit Braillezeile zur Verfügung gestellt hat und ich dort Freundinnen hatte. So habe ich mich immer mehr für diesen Bereich interessiert. Es erschien mir einfach logisch, dorthin zu gehen, wenn ich selber blind bin. Nicht nur, weil ich da was weitergeben konnte, sondern auch, weil ich nach dieser ersten Studienzeit, in der ich mich an meiner großen Uni doch recht verloren gefühlt hatte, das Bedürfnis hatte, an einen Fachbereich zu wechseln, in dem ich einfacher zurechtkommen und weniger erklären musste und in dem die Leute weniger Berührungsängste haben würden. Letzteres war gerade von Seiten der Dozenten und Professoren nicht immer gegeben und auch in meinem Unterrichtsfach Geschichte gab es viele Diskussionen, z. B darüber, wie ich eigentlich die schriftlichen Prüfungen ablegen sollte. Manchmal wurden mir ersatzweise einfach mündliche Prüfungen angeboten. Materialien musste ich mir immer selbst beschaffen bzw. mir Ausdrucke und Handouts in Schwarzschrift erst mal zugänglich machen. Tafelbilder oder Folien wurden mir in den seltensten Fällen vorgelesen. Dabei halfen mir dann immer befreundete Mitstudierende, die mir all das erklärt haben. Insgesamt hat mir dieses ganze Drumherum mehr Kraft abgefordert, als das eigentliche Studium!

 

DB: Aber du hast es geschafft! Wie ging es dann weiter?

 

C: Ich habe das Erste Staatsexamen abgelegt und bin danach ins Referendariat gegangen, das als Vorbereitungsdienst zum Lehramtsstudium gehört. Damals dauerte es zwei Jahre. 12 Stunden in der Woche ist man an einer Schule tätig und besucht nebenher noch Seminare. Das war ein bisschen kurios! Ich habe ja Blinden- und Körperbehindertenpädagogik studiert und meinen Referendariatsplatz dann in einer Körperbehindertenschule bekommen, an der man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wie ich das Unterrichten oder auch den Umgang mit Anfallskindern bewältigen sollte. Schon die Tatsache, dass ich da mit meinem Führhund ankam, machte große Schwierigkeiten, denn es kamen sofort Sorgen auf wegen Kindern mit Allergien oder Mukoviszidose – das ist eine schwere Lungenkrankheit. Ich sollte den Hund stets irgendwo ablegen, wo er mir dann nicht mehr viel nutzte…

Es dauerte nur wenige Wochen, dann wurde ich an die Blindenschule umgesetzt. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und arbeite immer noch dort!

 

DB: Was ist das für eine Schule?

 

C: Die Johann-August-Zeune-Schule ist die einzige Blindenschule in Berlin. Es gibt sie seit über 100 Jahren. Sie nimmt über den Förderschwerpunkt Sehen hinaus auch schwerstmehrfachbehinderte Schüler auf. Wir haben einen Vorschul-, einen Regelschulbereich bis zur 10. Klasse und einen Berufschulbereich.

Im Rahmen des Förderschwerpunkts Sehen ist die Schule auch zuständig für alle Schüler, die in Berlin inklusiv beschult werden, d. h. wir entsenden die notwendigen Ambulanzlehrer, betreiben Frühförderung und  führen Fortbildungen für Regelschullehrer durch.

 

DB: In welchem Bereich unterrichtest du?

 

C: Ich  bin Klassenlehrerin der kombinierten Klasse 7/8 und unterrichte außerdem noch in Klasse 10. Meine Fächer sind  Gesellschaftswissenschaften, Englisch und SLT. „Schreib-Lesetechniken“ steht ab der 5. Klasse auf dem Stundenplan und umfasst alles vom Kurzschriftlernen bis hin zur PC-Arbeit.

Die Regelzahl in unseren Klassen beträgt 6 Schüler. In meiner 7/8 habe ich im Moment insofern mit einer besonderen Situation zu tun, als sie aus fünf Schülern besteht, die allesamt blind sind. Bei den neun Jugendlichen der 10. Klasse steht die Blindheit natürlich auch im Vordergrund, aber es kommen andere Behinderungen dazu, z.B. Lern- oder Körperbehinderungen und es sind auch sehbehinderte Schüler dabei.

 

DB: Wie sieht denn eine typische Arbeitswoche bei dir aus? Welche Tätigkeiten fallen an?

C: Dass da noch Tätigkeiten neben dem Unterricht anfallen, ist etwas, was sich Leute schwer vorstellen können, wenn sie über den Lehrerberuf nachdenken! Natürlich ist da der Unterricht selbst, der mir persönlich auch am meisten Spaß macht, aber dazu kommen noch Vor- und Nachbereitung.

Guten Unterricht zu machen erfordert wirklich eine aufwendige Vorbereitung, gerade in meinen Fächern Geschichte und Geographie. Ich will mich ja nicht nur nach einem Lehrbuch richten, sondern auch den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden! Das bedeutet einen großen Rechercheaufwand, z. B. nach passendem Audiomaterial oder im Fall der sehbehinderten Schüler auch Bildmaterial.

In der Nachbereitung wollen Tests oder Hausaufgaben korrigiert werden oder auch Arbeiten aus der vergangenen Unterrichtsstunde, die ich auf dem Stick mit nach Hause nehme und noch mal anschaue.

Dazu kommt die Teilnahme an Konferenzen – Gesamtkonferenz, Schulkonferenz und Fachkonferenzen für meine Fächer – sowie Elternarbeit, d. h. Elternabende und Elternsprechtage und Korrespondenz über alles Wichtige und vielleicht auch Problematische, was in der Klasse so los ist.

Außerdem bin ich mit Fortbildungen für Lehrkräfte aus Regelschulen beauftragt, die inklusiv unterrichten, aber es gibt auch schulinterne Fortbildungen für neue Kollegen, z. B. in der Arbeit am PC. Das ist mein zweites Standbein neben dem Unterricht!

 

DB: Brauchst du Assistenz bei deiner Arbeit?

 

C: Unbedingt! Ich habe von Anfang an eine Arbeitsplatzassistenz im Umfang von 20 Wochenstunden vom Integrationsamt finanziert bekommen. Das Aufgabenspektrum ist breit: Recherchearbeiten im Internet, Begleitung auf Unterrichtsgänge und Ausflüge, Korrektur von Tests, die sehbehinderte Schüler handschriftlich produziert haben. Es gibt immer noch ganz viel schulinternen Schriftverkehr in Schwarzschrift sowohl in meinem Fach als auch als Aushang und auch Schülerakten sind immer noch in Papierform. Gerade an einer Blindenschule würde ich zwar als erstes erwarten, dass mir viele dieser Inhalte einfach auf anderem Wege, z. B. per Mail oder WhatsApp zugänglich gemacht werden, aber obwohl es schon besser geworden ist, ist es bis dahin wohl noch ein langer Weg, der ohne Assistenz nur schwer zu gehen wäre. Das sind alles in allem wirklich unzählige Aufgaben, die ich gar nicht so benennen kann. Mit im Unterricht ist meine Assistenz allerdings nur ganz, ganz selten. Vielleicht mal zur schnelleren Anleitung von Sehbehinderten, wenn ich in Geographie ganz viel Kartenarbeit mache.

Auch unbedingt wichtig für meine Arbeit ist mein vollständig blindengerecht ausgestatteter Arbeitsplatz zu Hause mit Braillezeile, Sprachausgabe, Scanner, Punktschriftdrucker und Schwarzschriftdrucker.

DB: Siehst du blindheitsbedingte Einschränkungen bei deiner Arbeit?

C: Direktes Feedback zu schriftlichen Leistungen der Schüler im Unterricht zu geben ist problematisch. Die Schüler arbeiten in den höheren Klassen überwiegend am PC, so dass ich mir die Arbeiten nachträglich leicht zugänglich machen kann, aber ich kann den Kindern ja nicht während ihrer Arbeit ständig auf der Braillezeile herumtasten. Oder wenn Sehbehinderte nicht mit Sprachausgabe, sondern nur mit Vergrößerung arbeiten. Ein Feedback über Rechtschreibung kann ich in jedem Fall erst nachträglich geben.

Insgesamt ist alles ein bisschen aufwendiger. Ich kann z. B. nicht spontan im Vertretungsunterricht das Lehrbuch zur Hand nehmen und gucken, was die Schüler gerade machen. Ohne Infos von den Kollegen kann ich nur noch die Schüler fragen, was dran sein müsste oder eben ein eigenes Thema machen. Auch mit Sehbehinderten an Bildmaterial arbeiten bedarf einer ganz intensiven Vorbereitung, damit ich den Schülern wirklich die notwendigen Inhalte vermitteln kann. Es gibt schon gewisse Einschränkungen, über die ich nachdenken und mit denen ich planen muss, um den Kindern wirklich  gerecht zu werden

 

DB: Welche Voraussetzungen muss man für den Lehrberuf mitbringen?

 

C: Man muss auf jeden Fall Kinder mögen - und heutzutage noch viel mehr als vor 20 Jahren offen sein für die Heterogenität der Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Man muss nicht nur unterrichten und sein Wissen weitergeben, sondern sich auch für die Belange und Sorgen der Kinder einsetzen wollen. Wir sind letztlich doch auch eine Art Sozialarbeiter! Man braucht also starke Nerven und viel Geduld, muss sich aber auch ein Stück weit distanzieren können. Gerade in diesen kleinen Klassen mit ganz individuellen Problemen und Bedürfnissen der Kinder neigen wir im Lehrerberuf dazu, alles viel zu nah an uns heranzulassen, vor allem in der Problematik der Flüchtlingskinder mit ihren dramatischen Fluchterfahrungen, Verlusten und Verletzungen.

Man muss sich darüber hinaus mit Eltern auseinandersetzen - mit deren Bedürfnissen und Ansprüchen - und man muss teamfähig sein, denn wir beraten uns immer im Kollegenteam.

Es bedarf auch viel Kreativität, sowohl um den Unterricht spannend zu gestalten als auch um spontan auf Situationen reagieren zu können  Ausflüge oder Klassenfahrten wollen gut organisiert werden. Das ist vor allem angesichts der körperbehinderten Kinder immer eine besondere Herausforderung. Man muss viel bedenken, nicht nur Begeisterung für den Unterricht an sich haben, sondern für all das!

 

DB: Das klingt umfangreich! Was gefällt dir am Lehrberuf am besten?

 

C: Was mir am besten gefällt, ist, dass ich bei meinem Beruf sofort die Erfolge sehe und dass ich Kinder vor mir habe, die in den meisten Fällen gerne bei uns lernen. Eine besondere Dankbarkeit dafür kommt vor allem von den Flüchtlingskindern. Und natürlich sehe ich täglich die Fortschritte, wenn die Kinder sich in Englisch z. B. plötzlich untereinander unterhalten oder Texte besser schreiben können oder in SLT Kurzschrift lesen oder den PC bedienen können. Man macht nicht irgendetwas in seinem stillen Kämmerlein, ohne zu wissen, ob das gut ist, sondern man bekommt sofort ein klares Feedback!

Was mir auch gut gefällt ist die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen, dass ich mich sehr wohl fühle in der Schule und gerne hinfahre, auch wenn es manchmal ein bisschen anstrengend ist!

(Interview mit Cornelia Grunow am 23.10.2018)