Mein Leben als Nachhilfelehrerin

Eine Nachhilfelehrerin spricht in Der Brücke über ihre Zeit mit einem Nebenjob

Spannende Berufswege haben wir hier schon einige in der Brücke nachvollzogen, aber bislang ging es dabei um ordentliche, das heißt lebensunterhaltsichernde Hauptberufe. Davon abgesehen, dass es heutzutage gar nicht mehr die Regel ist, lebenslang einem Beruf nachzugehen und häufig eine Arbeitstelle auch gar nicht genug Lohn für den Lebensunterhalt abwirft, stellt sich aber gerade vielen jungen Leuten in Ausbildung und Studium zusätzlich die Frage nach dem Job, der das Taschengeld aufpoliert. Regale einräumen oder Pizzen austragen – für Blinde kaum eine Option. Was also tun, wenn gerade kein Dunkelrestaurant zum Kellnern in Reichweite ist?

Meine Schmalspur-Karriere als Nachhilfelehrerin begann eher zufällig. Geld verdienen wollte ich schon gerne, aber eine konkrete Idee hatte ich nicht. Meinen ersten Job verschaffte mir ganz unverhofft Fabio aus dem Erdgeschoss oder vielmehr seine Mutter, die von meiner Mutter wusste, dass ich genau in den Fächern nie Probleme gehabt hatte, in denen er dank seiner rundum verträumten Art jetzt schwächelte... Ich war sechzehn, er zwölf. Von da an nahm meine Nebenjobkarriere als Nachhilfelehrerin ihren Lauf, denn die Sache sprach sich rum: Ehe ich Abi gemacht hatte, waren da noch zwei Kinder aus dem Haus.

Auf deren Grundschulalter und –probleme hatte ich genau so viel Vorsprung, dass ich fachlich erst mal die ganze Bandbreite abdecken konnte. Nach dem Motto „Erklären, was ich selbst gerade gelernt habe“ übte ich europäische Hauptstädte ein, erklärte Gleichungssysteme oder half beim Bestimmen von Satzgliedern. Dann kam eine Oberschülerin mit Lateinbedarf und eine weitere, die fragte, ob ich vielleicht auch Spanisch könne – und ich musste mir langsam ein Profil überlegen.

Mittlerweile war ich Studentin und nahm die Sache schon ernster: Ich fixierte mich auf Deutsch, Englisch, nach meinem Auslandssemester auch Französisch und Mathe bis zur zehnten Klasse  In meinem Wohnheim gab es logischerweise nur Studenten, keine Schüler, also musste ich Kundenwerbung im Bekanntenkreis betreiben und betreiben lassen. Zu Fünfzehnjährigen mit Matheverdruss gesellten sich so auch Abiturienten vom zweiten Bildungsweg mit Englischnachholbedarf oder eine ehemalige russische Balletttänzerin, die ihr Deutsch verbessern wollte.

Langweilig wurde es so nie, aber fachlich und didaktisch war das Ganze schon gewagt. Zwar hatte ich Deutsch als Fremdsprache im Studium und konnte so einige didaktische Grundgedanken übernehmen, musste mir sonst aber alles selbst beibringen – und vor allem eine beträchtliche Zeit in die Vorbereitung meines Unterrichts stecken. Einfache und verständliche Erklärungen zu liefern will ebenso geübt sein wie schmissige Übungen zu entwickeln! Und gerade bei fortgeschrittener Mathematik musste ich selbst manchmal schnell noch die einschlägigen Helferlein im Internet bemühen (Kennt ihr auch „Sofatutor“ und Co.? Auch super, wenn man selbst seit dem Abi einiges vergessen hat…) Wenn mein kleiner Lehrbetrieb mehr als meine üblichen zwei Schüler pro Woche bzw. Wochenende umfasst hätte, wäre mir die Vorbereitungszeit bestimmt studiengefährdend über den Kopf gewachsen, aber so erfreute ich mich sogar an der Tatsache, dass ich langsam Übungsblätter mehrfach verwenden konnte.

Arbeitspraktisch brachte die Blindheit schon ein paar Schwierigkeiten mit sich. Zum Beispiel war es äußerst ärgerlich, nicht direkt in die mitgebrachten Schulbücher und Arbeitsmaterialien gucken zu können. Scannen dauert doch immer, da klappt vorlesen lassen meist sogar besser. (Vor allem enthalten hübsch graphisch aufbereitete Schulbücher immer noch sooo viele Elemente wie Schaubilder oder Sprechblasen, an denen der Scanner verzweifelt!). Bei schriftlichen Aufgaben, die ich auch nicht spontan hätte Korrektur lesen können, kam meistens der Laptop zum Einsatz. Nur bei Matheaufgaben war das den darin unerfahrenen Nachhilfeschülern leider kaum zuzumuten… Geometrische Figuren und Kurvenverläufe auf Schwellfolie zu zeichnen, fanden die meisten hingegen sogar witzig, weil sie das – von den beiden selbst blinden Klientchen abgesehen – einfach noch nie gemacht hatten.

Da ich Computer und Scanner gern an meiner Seite wusste und wenig Lust auf lange, unbekannte Wege hatte, lud ich meine Nachhilfeschüler meist zu mir nach Hause ein, aber auch verschiedene Berliner Schulen und Kinderzimmer wurden zu meiner kurzfristigen Wirkungsstätte.

In finanzieller Hinsicht ging mein Engagement nie über den Nebenjob hinaus. Auch wenn mit jedem Bildungsabschluss der eigene Wert als Nachhilfelehrerin automatisch steigt, muss man sich erst mal trauen, dementsprechende Lohnforderungen zu stellen… Kam hinzu, dass manche Eltern (weniger die Schüler selbst) doch erst mal verhalten auf die Tatsache reagierten, dass sie es mit einer blinden Nachhilfelehrerin zu tun hatten. Meist musste ich mir meine Gehaltserhöhungen erst mal erarbeiten!

Meistens waren meine Engagements auch nur vorübergehender Natur, um etwa die Mathenote im laufenden Schuljahr verbessert zu kriegen. Das Dumme ist ja, dass man sich, wenn es mit dem Nachhilfeschüler gut läuft, früher oder später selbst überflüssig macht…  Nur ein einziges Mal konnte ich eine ganze Oberschullaufbahn begleiten. Als mir ein eher desinteressierter, gerade erblindeter Fünftklässler zum Üben von Punktschrift und Computer-Tastaturbefehlen überlassen wurde, konnte ich freilich nicht ansatzweise erahnen, dass ich sieben intensive Jahre (zahllose Punktschrift-, Englisch- und Matheübungen) später auf seiner Abschlussfeier tanzen würde! Nebenjobs können auch ganz schön emotional werden und ungeahnte Freundschaften hervorbringen! (Ist das eigentlich unprofessionell?).

Fazit: Dieses Job-Zufallsprodukt hat sich in meinem Fall als langjährig zuverlässige Nebenverdienstquelle erwiesen. Darüber hinaus habe ich ganz viele tolle junge Leute kennen gelernt und auch selbst unglaublich viel gelernt: kurz und präzise zu erklären, bei Bedarf sofort umzuformulieren, mir Anwendungsaufgaben zur Not spontan aus dem Ärmel zu schütteln. Einzelunterricht macht mir schon Spaß, aber tatsächlich nur auf diesem Schmalspur-Niveau. Gruppen zu betreuen oder gar einen draufzusetzen und Lehrerin zu werden kann ich mir bis heute nicht vorstellen. Muss ich aber bislang auch nicht! Ich kann getrost weiter ein bisschen Uni, ein bisschen Brücke und ein bisschen anderes machen – und wenn dann noch der eine oder andere Nachhilfeschüler vorbeikommt, kann es gerne so weitergehen mit meinem Langzeit-Nebenjob.

Wie sah und sieht es jobtechnisch bei euch aus? Was macht ihr so nebenbei? Schickt uns eure Erfahrungsberichte – ob nun vom Babysitten, „Audiodeskribieren“ oder Kellnern im Dunkelrestaurant – gerne wie immer an bruecke@dbsv.org.