Resolution zur Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) begrüßt die Absicht der Bundesregierung, ein Bundesteilhabegesetz zu schaffen, und beschließt dazu die folgende Resolution

Bei der Wahrnehmung seiner Umwelt spielt das Sehen für den Menschen die wichtigste Rolle. Falls der Sehsinn ausfällt oder nur noch sehr eingeschränkt nutzbar ist, bedeutet dies eine massive, alltägliche und in nahezu allen Lebensbereichen spürbare Beeinträchtigung. Deutlich eingeschränkt ist zum einen die Orientierungsfähigkeit und damit die Mobilität. So ist die Teilnahme am Individualverkehr nicht mehr möglich, öffentlicher Verkehr und öffentliche Räume sind nur noch sehr eingeschränkt nutzbar, selbst im Wohnbereich zeigen sich einschränkende Barrieren. Gleichzeitig ist der Zugang zu Information und Kommunikation erheblich erschwert und teilweise gänzlich verbaut. Nur ein Bruchteil aller Bücher und sonstiger Publikationen ist für Menschen mit Seheinschränkung überhaupt zugänglich, der Zugang zu digitalen Medien sowie zu Film und Fernsehen ist eingeschränkt. Erschwert sind zudem die Wahrnehmung von öffentlich zugänglichen Bekanntmachungen, das Erfassen visuell dargebotener Bedienelemente an Automaten und Haushaltsgeräten sowie die Kommunikation mit unseren visuell orientierten Mitmenschen. Kommt dann noch eine zusätzliche Beeinträchtigung hinzu (zum Beispiel eine Hörminderung oder Gehörlosigkeit, eine körperliche oder kognitive Beeinträchtigung), dann potenzieren sich die beschriebenen Beeinträchtigungen.

Die blinden und sehbehinderten Menschen stellen sich den Herausforderungen einer visuell orientierten Welt, weil sie das Recht und den Anspruch haben, gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft zu sein und sie mit zu gestalten. Mobilität sowie der Zugang zu Informationen, Kommunikationsmitteln und Geräten des Alltags sind heute aber Grundvoraussetzungen dafür, einen Haushalt zu führen, schulische, hochschulische und sonstige Bildungsangebote nutzen zu können, einen Beruf zu ergreifen und am kulturellen wie auch politischen Leben teilzuhaben. Dafür brauchen blinde, sehbehinderte und taubblinde Menschen neben mehr Barrierefreiheit und dem dringend notwendigen Ausbau von Rehabilitationsleistungen vor allem persönliche Assistenz, Hilfsmittel und eine finanzielle Unterstützung zum Bestreiten ihres aus der Behinderung resultierenden spezifischen Mehrbedarfs. Nur dadurch können Sie so eigenständig, eigenverantwortlich, selbstbestimmt und gleichberechtigt wie möglich am Leben der Gemeinschaft teilhaben.

Die blinden und sehbehinderten Menschen erwarten deshalb, dass ein neues Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen geschaffen wird,

  • das die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich der sozialen Teilhabe in das deutsche Leistungsrecht überführt und daher eine klar menschenrechtlich basierte und sozialpolitische Ausrichtung mit dem Ziel der Inklusion hat,
  • das aus dem System des Fürsorgerechts herausgelöst und im Sinne eines echten Nachteilsausgleichs in ein Teilhaberecht überführt wird, dessen Leistungen ausnahmslos einkommens- und vermögensunabhängig erbracht werden,
  • das bedarfsdeckende und personenzentrierte Leistungen vorsieht sowie einen offenen, an heutige gesellschaftliche Anforderungen angepassten Katalog für die Leistungen zur sozialen Teilhabe,
  • das unabhängig vom Ausmaß der jeweiligen Behinderung ein Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf die Ausgestaltung der Leistungen einräumt,
  • das das Recht auf eine von den Interessen des Leistungsträgers und des Leistungserbringers unabhängige, möglichst von selbst betroffenen und entsprechend qualifizierten Menschen erbrachte Beratung einschließlich deren öffentlicher Finanzierung umfasst und
  • das die spezifischen Bedarfe blinder, sehbehinderter sowie taubblinder Menschen angemessen berücksichtigt.Dies bedeutet vor allem die Schaffung eines spezifischen Nachteilsausgleichs in Form einer Geldleistung für blinde, hochgradig sehbehinderte und taubblinde Menschen, der diesem Personenkreis einen angemessenen Ausgleich für die aus der Beeinträchtigung resultierenden Mehraufwendungen und Nachteile ermöglicht. Die der Höhe nach höchst unterschiedlichen und dem ständigen Spardruck der Länder und Kommunen ausgesetzten Regelungen der Landesblindengeldgesetze müssen ohne Verschlechterung zu einer bundeseinheitlichen und vom Bund finanzierten Blindengeldlösung weiterentwickelt werden, um blinden, hochgradig sehbehinderten und taubblinden Menschen künftig deutschlandweit gleichwertige Teilhabechancen zu ermöglichen. Ein solcher Nachteilsausgleich kann unter anderem in Form eines Teilhabegeldes geschaffen werden, das einkommens- und vermögensunabhängig, pauschaliert sowie entsprechend der vorhandenen Beeinträchtigung der Höhe nach gestaffelt gewährt wird. Mit Blick auf unsere jahrzehntelangen Erfahrungen mit den Landesblindengeldern ist aus Sicht der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe ein pauschaliertes Teilhabegeld besonders geeignet, um das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu fördern und den bei Blindheit und Sehbehinderung höchst individuellen Unterstützungsbedarfen gerecht werden zu können. Zudem haben die Erfahrungen gezeigt, dass gerade bei älteren blinden Menschen, die die große Mehrheit der von dieser Behinderung betroffenen Personengruppe ausmachen, mittels des pauschalierten Blindengeldes lange eine häusliche Versorgung sichergestellt und teure Pflegeheimaufenthalte vermieden werden können. Gleichzeitig bedeutet eine pauschalierte Geldleistung gegenüber den ansonsten geltenden Darlegungs- und Nachweispflichten eine starke Entlastung sowohl der Verwaltung als auch der Betroffenen und zugleich eine für die Verwirklichung von gleichberechtigter Teilhabe unerlässliche Flexibilität.

Einstimmig verabschiedet vom Verbandstag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V. (DBSV) am 22. Mai 2014 in Berlin.