DBSV-Stellungnahme zum Entwurf einer Verordnung zur Weiterführung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (Teilhabebe-ratungsverordnung – EUTBV)
Der DBSV begrüßt die Verstetigung der Finanzierung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung. Bei der konkreten Ausgestaltung der Förderung sieht er in einigen Punkten allerdings dringenden Nachsteuerungsbedarf. Das betrifft insbesondere:
- die Absicherung bedarfsgerechter Angebote und damit einhergehend den Erhalt erprobter spezialisierter überregional agierender Schwerpunktberatung insbesondere für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen
- die Absicherung der Beratungskontinuität durch eine Transformation der bislang gesammelten Erfahrungen und Strukturen
- die Gewährleistung einer ausreichenden und kalkulierbaren Finanzierung der Angebote
Im Einzelnen führt der DBSV wie folgt aus:
Zu § 2
Zu Abs. 1
Der Entwurf spricht sich für eine umfassende Beratung des Menschen mit Behinderung aus, allerdings wird der Netzwerkgedanke und die Weiterleitung an spezifisch fachorientierte Beratungsangebote nicht angemessen berücksichtigt (Lotsenfunktion). Das ist zu korrigieren.
Zu Abs. 2
Der DBSV bekennt sich grundsätzlich zu dem Konzept „Eine Beratungsstelle für alle“. Er sieht allerdings die dringende Notwendigkeit, auch Schwerpunkt-Beratungsstellen vorzusehen. Diese bedarf es sowohl für die Ratsuchenden, als auch für die Beratenden, die im Netzwerk auf Spezialkompetenzen zurückgreifen können müssen. Bei der Ausgestaltung der Förderung einer qualitätsgesicherten und vor allem bedarfsgerechten Beratung der Betroffenen ist damit zu regeln, dass es auch überregionale Angebote in ausreichender Anzahl gibt, die zu Teilhabebedarfen aufgrund bestimmter Beeinträchtigungen beraten. Blinde und sehbehinderte sowie insbesondere taubblinde Menschen sind eine vergleichsweise kleine Gruppe. Das notwendige Wissen um die Behinderung, die Beratung durch gleich Betroffene sowie die notwendige Vernetzung mit zielgruppenspezifischen Angeboten für Rehabilitations- und Teilhabeleistungen kann nicht jede Beratungsstelle vorhalten. Das zeigen auch die bislang mit den EUTB gesammelten Erfahrungen. Die aktuell bestehenden Beratungsstellen werden häufig von anderen Beratungsstellen kontaktiert, wenn dort Menschen mit Seheinschränkungen eine Beratung nachsuchen. Es gibt also einen offensichtlichen Bedarf.
Der DBSV fordert, dass spezifische, überregional agierende Schwerpunktberatungsstellen vorzusehen sind. In jedem Bundesland sollte mindestens eine Schwerpunktberatungsstelle für Menschen mit Seheinschränkungen eingerichtet sein.
Nach dem Satz 2 ist vor diesem Hintergrund ein neuer Satz 3 einzufügen: „Ein Beratungsangebot zu spezifischen Teilhabebeeinträchtigungen, insbesondere wegen einer Sinnesbeeinträchtigung, ist in jedem Bundesland verfügbar; Hierzu sind überregional tätige Schwerpunktberatungsstellen vorzusehen.“
Zu Abs. 3
Es wird sehr begrüßt, dass die Beratung von Menschen mit Behinderungen besonders gewürdigt wird. Zentral dabei ist letztlich, dass Menschen mit Behinderungen zusätzlich zu ihrer fachlichen Eignung und auf Grundlage qualitätsgesicherter Konzepte ihren Erfahrungshintergrund einbringen, um Ratsuchende zu stärken und sie bei einer selbstbestimmten Entscheidungsfindung für ihre konkrete Lebenssituation zu unterstützen. Der DBSV geht dabei davon aus, dass ein solches Rollenvorbild zumindest im Falle blinder und sehbehinderter Menschen in der Regel nur bei ähnlicher individueller Beeinträchtigung (hier: des Sehvermögens) von Berater und Ratsuchendem entsteht. Wie aus einer Studie des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) hervorgeht, wünschen sich behinderte Menschen einen Berater, "der eine ähnliche Behinderung oder Erkrankung hat" (Wansing u. a., Evaluation von Peer Counseling im Rheinland). Dies ist besonders verständlich bei speziellen Teilhabeeinschränkungen sehbehinderter und blinder Menschen, zumal es für die Betreffenden oft schwierig ist, auf "Gleichgesinnte" zu treffen. Der DBSV fordert daher, dass das Verständnis von Peer-Counseling keine Engführung dahingehend erfährt, dass jeder Mensch mit Behinderung oder chronischer Erkrankung für jeden anderen Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung automatisch ein Peer ist.
Zu § 3
Zu Abs. 1
Beratungsangebote, die die Voraussetzungen nach dieser Verordnung erfüllen, erhalten, sofern die Anzahl der Vollzeitäquivalente eines Landes nicht ausgeschöpft ist und kein regionales Überangebot entsteht, einen Zuschuss. Auch an dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es spezialisierter überregionaler Schwerpunkt-Beratungsangebote bedarf.
Zu Abs. 4
Auch wenn der DBSV grundsätzlich Verständnis für das Anliegen des BMAS hat, bei der Zuteilung nur eines VZÄ die Stelle zu teilen, um durch Personalvertretung eine kontinuierliche Abdeckung des Angebots zu erreichen, ist doch festzuhalten, dass damit für die Träger erhöhte Sachkosten einhergehen. Das betrifft zum Beispiel die Erstausstattung oder den Verwaltungsaufwand. Diese werden nicht spezifisch berücksichtigt. Zudem kann es schwierig sein, geeignetes Personal zu finden, wenn ausschließlich eine Teilzeitbeschäftigung angeboten werden kann. Die Formulierung in Abs. 4 sollte dem angemessen Rechnung tragen.
Zu § 4
Der jährliche Zuschuss in Höhe von 95.000 € pro VZÄ wirkt zunächst angemessen. Allerdings umfasst die Zusammensetzung der Finanzierung Bestandteile, die nicht abschließend kalkulierbar sind (siehe insbesondere zu § 6). Der Verordnungsentwurf betont, dass allgemeine Kostensteigerungen und tarifbezogene Anpassungen nach dem Jahr 2023 unter dem Vorbehalt ausreichend verfügbarer Haushaltsmittel stehen. Lohnkosten- und Mietsteigerungen sowie der Anstieg der Kosten für Sachmittel über einen Förderzeitraum von sieben Jahren dürften aber ohne eine regelmäßige Anpassung der Zuschusshöhe finanziell nicht mehr ohne Eigenanteil tragbar sein. Das hat Einfluss auf die Anbieterstruktur
Vor diesem Hintergrund sieht es der DBSV unbedingt als erforderlich an, eine Dynamisierung vorzusehen.
Zu § 5
Bei der maximal möglichen Vergütung für ein VZÄ dürfte der Zuschuss unter Berücksichtigung der ebenfalls anfallenden Sachkosten nicht ausreichend sein, um eigenanteilsfrei ein Angebot zu realisieren. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass neben tariflichen Steigerungen auch tariflich festgelegte Höhergruppierungen arbeitsrechtlich bedient werden müssen. Dem kann nur durch eine Dynamisierung Rechnung getragen werden.
Zu § 6
Kritisch sieht der DBSV, dass nach Nr. 3 Kosten für besondere Bedarfslagen der zu beratenden Menschen mit Behinderungen aus dem Zuschuss zu finanzieren sind. Hierzu gehören z.B. Kosten für Gebärdensprachdolmetscher oder andere Kommunikationshilfen, Kosten für aufsuchende Beratung sowie die nach Nr. 4 vorgesehene Möglichkeit Dolmetscherkosten für Fremdsprachen zu übernehmen.
Wir befürchten, dass Ratsuchende mit hohem kommunikativen Unterstützungsbedarf oder Personen, die auf aufsuchende Beratung angewiesen sind, dadurch zu „unbeliebten“ Ratsuchenden werden, wenn die Träger bei nicht ausreichenden Mitteln eine Finanzierung aus Eigenmitteln nicht leisten können oder wollen.
Der DBSV schlägt vor, dass ein bestimmter Anteil für solche Aufwendungen über den Zuschuss unbürokratisch zur Verfügung steht, dass aber bei entsprechendem Nachweis aus Bundesmitteln zusätzliche Mittel für behinderungsbedingte Mehraufwendungen der einzelnen Beratungsstellen zur Verfügung gestellt werden.
Die nach Nr. 5 vorgesehene Einbeziehung ehrenamtlicher Peer-Beratender muss strukturierter und rechtssicherer geregelt werden als bisher. Ehrenamtliche übernehmen wichtige Funktionen im Netzwerk. Es ist auch zu gewährleisten, dass für ehrenamtlich tätige Beratende mit Behinderung im Bedarfsfall über die EUTB-Förderung auch Kosten einer notwendigen Assistenz oder von Hilfsmitteln getragen werden. Schließlich halten wir es für erforderlich, dass auch Aufwandsentschädigungen gezahlt werden können.
Zu § 7
Abgestellt wird auf die Zuverlässigkeit und die fachliche Eignung. Die Sicherstellung der Beratungskontinuität spielt keine ausdrückliche Rolle.
Nach Absatz 3 hat der Bewerber glaubhaft zu machen, ein behinderungsübergreifendes Beratungsangebot anzubieten. In diesem Kontext ist allerdings zu berücksichtigen, dass die bislang schon erprobten, überregional tätigen Schwerpunktberatungsstellen erhalten bleiben müssen. Auf die obigen Ausführungen zu § 2 Abs. 2 wird verwiesen.
Weiterhin ist glaubhaft zu machen, die Niedrigschwelligkeit des Beratungsangebots in seiner inhaltlichen, räumlichen, sozialen und zeitlichen Dimension zu gewährleisten. Nicht berücksichtigt wird hier der informative und kommunikative Aspekt. Ratsuchende dürfen bei der Inanspruchnahme von Beratung weder auf physische, noch auf informationstechnische oder kommunikative Zugangshemmnisse stoßen. Dabei gilt es zu beachten, dass die Beratung auch zugänglich für Menschen sein muss, die (noch) keine Teilhabeleistungen, wie z. B. Hilfsmittel oder adaptive Schulungsmaßnahmen erhalten haben. Auch insoweit muss die Beratung niedrigschwellig sein. Das ist gerade für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen erforderlich.
Zu § 8
Bei den Kriterien des Zuteilungsverfahrens wird nur auf die Erforderlichkeit des Beratungsangebots zur Umsetzung eines flächendeckenden, wohnortnahen Beratungsangebots abgestellt. Die vom DBSV geforderten überregional arbeitenden Schwerpunktberatungsstellen finden laut Verordnungsentwurf keine Berücksichtigung. Das wird nicht akzeptiert. Insoweit ist nachzubessern. Hinsichtlich des Bedarfs solcher Beratungsstellen wird auf die Ausführungen zu § 2 verwiesen.
Zu § 10
Die Förderauswahl soll unter Berücksichtigung der Stellungnahme des jeweiligen Bundeslandes erfolgen. Aus Sicht des DBSV müssen die Bundesländer vor Abgabe ihres Votums behinderte Menschen zwingend einbeziehen, denn sie sind letztlich auch diejenigen, die von der Beratung profitieren sollen. Ähnlich wie im Falle der unabhängigen Patientenberatung nach § 65b SGB V oder des Partizipationsfonds nach § 19 BGG könnte die Einbeziehung behinderter Menschen über einen hierzu einzurichtenden Beirat auf Landesebene umgesetzt werden. In der Verordnung ist die Erforderlichkeit der Einbeziehung behinderter Menschen durch die Länder ausdrücklich vorzugeben.
Zu § 11
Mit Blick auf die gesammelten negativen Erfahrungen ist abzusichern, dass die zur Abwicklung beauftragte zuständige Stelle eine barrierefreie Kommunikation mit den Beratungsstellen gewährleistet. Das betrifft die Antragsverfahren, die eingesetzten Datenbanken oder die Abrechnungsmodalitäten ebenso, wie zum Einsatz kommende Instrumente zur Dokumentation von Beratungen. Die Maßgaben nach § 12a und § 12b BGG sowie die einschlägige BITV 2.0 müssen dabei zur Anwendung kommen.
Zu § 13 Pflichten
Für die Vorlage der Nachweise werden für den durchführenden Träger Fristen vorgegeben. Eine adäquate Terminfestlegung für die Prüfung der Verwendungsnachweise bei der verwaltenden Stelle ist indes nicht vorgegeben. Aktuell kommt es hier zum Teil zu erheblichen Verzögerungen und dadurch zu Unsicherheit für die Träger.