DBSV-Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts (PBefG)
Der DBSV fordert mit Nachdruck, das Personenbeförderungsgesetz um Regelungen zur digitalen Barrierefreiheit zu ergänzen. Die Angebote aller Verkehrsmittel müssen barrierefrei sein – von der Bestellung über die Buchung und Bezahlung bis zu Fahrgastinformationen.
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV), Spitzenorganisation der blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland, fordert gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen dringend Verbesserungen am vorgelegten Regierungsentwurf.
Der Gesetzentwurf zielt im Wesentlichen darauf ab, die neuen Mobilitätsangebote mit ihren flexiblen Bedienformen in das Personenbeförderungsrecht zu integrieren. Typisch für diese neuen Verkehre ist, dass sie nicht liniengebunden sind und dass der Ein- und Ausstieg an virtuellen Haltestellen stattfindet. Die Bestellung und Bezahlung erfolgen in der Regel digital. Sowohl der neue Linienbedarfsverkehr als auch der gebündelte Bedarfsverkehr sollen den öffentlichen Personenverkehr ergänzen.
Der DBSV sieht durchaus, dass mit dem vorgelegten Entwurf mit Blick auf § 64c PBefG erste Schritte zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen erfolgen. Für Menschen mit Seheinschränkungen sind die Regelungen in Bezug auf die Anforderungen an die Barrierefreiheit allerdings vollkommen unzureichend. Wenn die digitalen Fahrgastinformationen, die digitalen Bestell-, Buchungs- und Bezahlsysteme nicht barrierefrei sind, können sie die neuen Verkehre nicht benutzen. Es droht damit, dass sich gerade im ländlichen Raum die Exklusion von Menschen mit Behinderung verschärft.
Das Personenbeförderungsgesetz ist daher so zu ergänzen, dass digitale Angebote bei der Nutzung aller Verkehrsmittel barrierefrei sein müssen – von der Bestellung über die Buchung und Bezahlung bis zu Fahrgastinformationen.
Zu Artikel 1 – Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
Zu Nr. 3 - § 2
Durch die vorgesehene Einfügung des Absatzes 1a Satz 2 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe b oder c der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 würden Unternehmen, die Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 40 km/h betreiben, keine Genehmigung mehr benötigen. Dies betrifft auch die vermehrt im Test befindlichen autonomen Busse oder andere autonome Fahrzeuge im ÖPNV, da diese nur mit geringen Geschwindigkeiten fahren. Auch für solche Angebote muss grundsätzlich die Barrierefreiheit im Zuge einer Genehmigung berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, als es autonomen Fahrzeugen immanent ist, dass während der Nutzung Personal für etwaige Hilfestellungen nicht mehr zur Verfügung steht. Deutschland hat insoweit die Möglichkeit, von europäischem Recht abzuweichen.
Der DBSV fordert, den Verweis auf Artikel 1 Absatz 4 Buchst. c der o g. Verordnung zu streichen.
Zu Nr. 4 - § 3a
Die in § 3a geregelte Pflicht zur Bereitstellung von statischen und dynamischen Mobilitätsdaten, z. B. zu Bezahl- und Buchungsmöglichkeiten, eingesetzten Fahrzeugen und Zugangsknoten wie Haltestellen und Bahnhöfen, dient nicht zuletzt dazu, die Umsetzung von Anforderungen der Barrierefreiheit zu überprüfen.
Auffällig ist, dass nach § 3a die Barrierefreiheit im Zusammenhang mit den Fahrzeugen im Linienverkehr (Absatz 1 Nr. 1a) und im Gelegenheitsverkehr (Absatz. 1 Nr. 2a) sowie zu Zugangsknoten wie Bahnhöfe und Haltestellen im Linienverkehr (Absatz 1 Nr. 1c) erhoben werden muss, nicht aber zu den Bezahl- und Buchungsmöglichkeiten sowie den Fahrgastinformationen im Linien- und Gelegenheitsverkehr.
Der DBSV fordert, dass sämtliche Fahrgastinformationen sowie Buchungs- und Bezahlmöglichkeiten barrierefrei angeboten werden. Daher müssen sowohl in § 3a Absatz 1 Nr. 1a wie auch in § 3a Absatz 1 Nr. 2a unbedingt entsprechende Ergänzungen vorgenommen werden.
Zu Nr. 5 - § 8
Die Barrierefreiheit wird bisher lediglich im Nahverkehrsplan festgelegt, zu dessen Aufstellung die Aufgabenträger aber nicht verpflichtet sind. Da die Barrierefreiheit ein Grundbedürfnis aller Fahrgäste ist, sollte sie bereits der Definitionspflicht des Aufgabenträgers auferlegt werden. Diese muss im Übrigen auch unabhängig von einem Nahverkehrsplan greifen.
Die neuen Verkehre weisen mit ihrem Verzicht auf herkömmliche Haltestellen und mit der Notwendigkeit der Bestellung der Leistung besondere Hürden für mobilitäts- und sinneseingeschränkte Fahrgäste auf. Vor diesem Hintergrund sind ergänzende und verbindliche Regelungen erforderlich.
Absatz 3 könnte wie folgt neu gefasst werden:
„(...) In der Regel werden diese Anforderungen in einem Nahverkehrsplan festgeschrieben. Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Diese umfasst neben der Barrierefreiheit der Fahrzeuge und der baulichen Barrierefreiheit der Haltestellen auch die Barrierefreiheit der Vermittlung und Abwicklung von Beförderungsaufträgen sowie der Fahrgastinformationen. (...)“
Zu Nr. 9 - § 12
Es ist zu begrüßen, dass in Absatz 1 Nr. 1c nicht mehr lediglich von der möglichst weitreichenden, sondern analog zu § 8 Absatz 3 von der vollständigen Barrierefreiheit die Rede ist. Damit werden auch die barrierefreie Auffindbarkeit und die barrierefreie Zugänglichkeit des beantragten Verkehrs einbezogen. Allerdings irritiert, dass nunmehr „das Ziel der vollständigen Barrierefreiheit“ und nicht mehr „die barrierefreie Nutzung“ des Verkehrs erreicht werden soll. Diese qualitative Schwächung der Vorgabe ist nicht hinzunehmen.
Zu Nr. 10 - § 13
Für Gebiete, in denen kein Linienverkehr angeboten wird, sollte ergänzt werden, dass eine Genehmigung von Bedarfsverkehren mit Taxen, Mietwagen oder gebündeltem Bedarfsverkehr nur möglich ist, wenn diese Verkehre barrierefrei sind.
Zu Nr. 18 - § 40
Die Zeitdauer für nicht genehmigungspflichtige Fahrplanänderungen bei Baustellen von bis zu 6 Monaten ist für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste nicht geringfügig und führt zu erheblichen und inakzeptablen Einschränkungen in der Teilhabe. Die bisherige Grenze von einem Monat ist ausreichend und darf nicht ausgeweitet werden. Absatz 2 Satz 3_E ist zu streichen.
Zu Nr. 21 - § 44
Der DBSV begrüßt ausdrücklich, dass der Linienbedarfsverkehr eindeutig dem Linienverkehr zugeordnet wird und damit die Regelungen zur Barrierefreiheit nach § 8 Absatz 3 gelten. Die besonderen Umstände des Linienbedarfsverkehrs wie Bestellvorgang und „virtuelle Haltestellen“ bestätigen die Forderung nach verbindlicher Festschreibung der barrierefrei zu gestaltenden Bereiche (siehe oben zu § 8).
Zu Nr. 26 - § 49
Der Verkehr mit Mietwagen unterliegt keinerlei Regelungen bezüglich der Barrierefreiheit und auch nicht der Beförderungspflicht. Er darf nicht als Ersatz für den ÖPNV, den gebündelten Bedarfsverkehr oder den Verkehr mit Taxen dienen. Eine Zulassung für ein Gebiet muss daher an ein ausreichendes Angebot an alternativen barrierefreien Verkehren gebunden sein.
Zu Nr. 27 - § 50
Der gebündelte Bedarfsverkehr unterliegt keiner Beförderungspflicht. Mit Blick auf den Umstand, dass der gebündelte Bedarfsverkehr gerade im ländlichen Raum eine zunehmende Bedeutung gewinnen wird, ist das nicht nachvollziehbar und inakzeptabel. Zudem gilt die Beförderungspflicht i. S. v. § 13 BOKraft nicht grenzenlos. Erschwerend kommt aufgrund der Zuordnung als Gelegenheitsverkehr hinzu, dass die Mitnahme einer Begleitperson für Menschen mit Behinderungen, denen das Merkzeichen „B“ im Schwerbehindertenausweis zuerkannt wurde, nicht kostenfrei möglich ist. Vor diesem Hintergrund darf der gebündelte Bedarfsverkehr keinesfalls als Ersatz für den Linienverkehr verstanden werden. Zudem ist aus Sicht des DBSV die Ausnahme von der Beförderungspflicht aufzuheben.
Ein Hinweis auf die Vorgaben zur Barrierefreiheit nach § 64c_E sollte bereits in § 50 erfolgen.
Zu Nr. 28 - § 51
Menschen mit Behinderungen dürfen durch die Entgeltgestaltung nicht diskriminiert werden, Aufschläge beispielsweise für besondere Unterstützung, für die Mitnahme von Mobilitätshilfen oder Blindenführ- und anderen Assistenzhunden dürfen nicht erhoben werden.
Zu Nr. 34 - § 64c
Gemäß Absatz 1 Satz 1 sollen die Belange „der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen“ berücksichtigt werden. Leider fehlen dann im Gesetz Ausführungen dazu, welche Maßnahmen gerade für sensorisch eingeschränkte Menschen erforderlich sind. Hier sind entsprechende Vorgaben zu ergänzen. Insoweit ist abzusichern, dass der Bestell-, Buchungs- und Bezahlvorgang sowie die Fahrgastinformationen barrierefrei sind. Hierzu gehört neben barrierefreien Webseiten und Apps auch die Möglichkeit - u. a. für Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben - Leistungen telefonisch zu bestellen. Kartenlesegeräte für die Bezahlung müssen barrierefrei bedienbar sein. Die virtuelle Halteposition und das Fahrzeug selbst müssen auffindbar sein.
Es ist überdies nicht nachzuvollziehen, weshalb nach Absatz 2 Einzelheiten der Anforderungen an die Barrierefreiheit und Ausnahmetatbestände in das Belieben der Genehmigungsbehörde gelegt werden. Nach § 8 Absatz 3 ist es Aufgabe der Aufgabenträger, diese Anforderungen unter Beteiligung der Betroffenen festzulegen. Gleiches muss auch hier gelten.
Aus Sicht des DBSV ist Absatz 2 ersatzlos zu streichen.
Es ist vielmehr gesetzlich klarzustellen, welche Anforderungen der Barrierefreiheit von Fahrzeugen und digitalen Buchungs- und Abwicklungssystemen konkret zu erfüllen sind. Es müssen die anerkannten technischen Regeln greifen. Das bedeutet z. B., dass die Ausstattung der Fahrzeuge ausdrücklich an die Bestimmungen des § 35a Absatz 4a StVZO geknüpft wird. Für digitale Anwendungen gibt es in der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) bereits technische Standards, die zumindest von denjenigen Beförderungsdienstleistern anzuwenden sind, die zu den öffentlichen Stellen im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/2102 gehören. Diese Bestimmungen sollten auch für alle anderen nach diesem Gesetz Verpflichteten gelten, um einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Weiterhin erachten wir es für erforderlich, dass die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im Sinne der Richtlinie (EU) 2019/882 für den gesamten Anwendungsbereich des Personenbeförderungsgesetzes zur Anwendung kommen. Diese Vorgaben müssen auch für die neuen Verkehrsformen explizit zur Anwendung gebracht werden, da diese nicht unmittelbar vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst werden.
Die Vorschrift ist schließlich im Abschnitt IX mit den Übergangs- und Schlussbestimmungen aus Sicht des DBSV falsch eingeordnet. Er regelt den Verkehr mit Taxen und den gebündelten Bedarfsverkehr und muss daher zwischen § 50 und § 51 angeordnet werden.
Zu Artikel 5 - Änderung der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft)
Zu Nr. 3 - § 28
Der Fahrpreisanzeiger muss auch für sehbehinderte Fahrgäste ablesbar sein, was mit einem App-basierten System auf einem Smartphone problematisch sein kann. Absatz 2 Satz 2 sollte wie folgt neu gefasst werden: „Die Anzeige muss leicht ablesbar, d. h. kontrastreich, mit größtmöglicher Schrift ausgestattet und bei Dunkelheit beleuchtet sein.“
Zu Nr. 5 - § 30
Auch hier ist die Ablesbarkeit für Sehbehinderte sicherzustellen. Auf die Ausführungen zu Artikel 5, Nr. 3 wird verwiesen.