DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf der XX. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften

Generelle Stellungnahme zum Verordnungsentwurf

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) begrüßt generell das Vorhaben der Bundesregierung, mit dem vorliegenden Referentenentwurf den Straßenverkehr klimafreundlicher und sicherer zu gestalten.

Insgesamt möchte der DBSV darauf hinweisen, dass manche Änderungsvorschläge des Referentenentwurfs ablesen lassen, dass die Belange von zu Fuß Gehenden und insbesondere von Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Interessen nachrangig berücksichtigt wurden. Diese Benachteiligung ist nach den gesetzlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur Gleichberechtigung und zu Teilhaberechten von Menschen mit Behinderung keinesfalls zu akzeptieren.

Dringend möchte der DBSV aber darauf hinweisen, dass der Ausbau der für Radfahrende notwendigen Verkehrsflächen nicht zu Lasten der bestehenden Gehwegbreiten vorgenommen werden darf. Die neu zu schaffenden Flächen für Fahrräder sollten primär auf bestehenden Fahrbahnen oder Flächen des ruhenden Verkehrs angeordnet werden.

Begrüßt wird die in Punkt 2 zu § 5 Absatz 4 Satz 2 eingeführte maßliche Festlegung von mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m Seitenabstand beim Überholen von Radfahrenden, Elektrokleinstfahrzeug Führenden und zu Fuß Gehenden. Dieses Maß gewährt den schwächeren Verkehrsteilnehmern eine sehr viel höhere Sicherheit und schreibt endlich ein allgemein anerkanntes Abstandsmaß fest.

Generell fehlen in dem Gesetzestext oder in zur StVO gehörenden Verwaltungsvorschriften (VwV zu § 3 StVO) konkretisierende Angaben zur Definition der Schrittgeschwindigkeit. Diese ist wie von der Rechtsprechung definiert mit 4-7 km/h anzugeben.

Kommentare zum Verordnungsentwurf

Zu 4. § 12 Abs. 3 Punkt 1. und 1.aa

Erweiterung der Parkverbotszonen an Kreuzungen und Einmündungen

Die Ausweitung von Parkverbotszonen an Kreuzungen und Einmündungen ist zu begrüßen. Diese Maßnahme erhöht für alle Verkehrsteilnehmer die Sicherheit, da eine sicherere Erkennbarkeit sowohl der zu Fuß Gehendenden, der Radfahrenden wie auch der PKWs gewährleistet wird. Diese Maßnahme ist auch für die bessere Sicht auf Kinder und Rollstuhl nutzende Personen, die oft von parkenden Fahrzeugen bedeckt bleiben, wichtig. Die vom ruhenden Verkehr freizuhaltende Fläche sollte generell auf 10 m von der Eckausrundung verlängert werden; dieses unabhängig davon, ob ein Radweg angeordnet ist oder nicht und der bestehende Verordnungstext des Referentenentwurfs sollte in diesem Sinne vereinfacht werden.

Zusätzlich sollten, um das Einhalten dieser Erweiterung von Parkverbotszonen sicherzustellen, neben den Markierungen der Fahrbahn und der aufzustellenden Schilder zusätzlich entsprechende bauliche Maßnahmen das Parken von Fahrzeugen verhindern. Hierzu sollten von der Bundesregierung regelnde Verordnungen initiiert werden.

Zu 4. Änderungen zu § 12 Absatz 4 nach Satz 2

Zulassen des Abstellens von Fahrrädern mit Überbreiten und Überlängen auf Seitenstreifen und Fahrbahnen / Behinderungsverbot von zu Fuß Gehenden durch abgestellte Fahrräder

Entgegen der Formulierung des Referentenentwurfs muss das Abstellen von Fahrrädern mit Überbreiten und Überlängen unbedingt auf Seitenstreifen und Fahrbahnen gestattet werden. Schon heute werden zu Fuß Gehende durch die vielen abgestellten Leihfahrräder und -Elektrotretroller und abgestellte Fahrräder, die in die Gehbahn hineinragen, massiv behindert. Gerade für blinde und sehbehinderte Personen stellen diese in den Gehweg platzierten Fahrzeuge eine große Gefahr dar. Die gewünschte Zunahme von Lastenrädern wird den heute schon engen Seitenraum zusätzlich verengen, wenn keine Ausweichflächen für das Abstellen ermöglicht werden.

Der in § 12 Absatz 4 nach Satz 2 eingefügte Satz sollte bezogen auf den Referentenentwurf wie folgt verändert werden:
„Fahrräder mit Überbreiten und Überlängen dürfen auf Seitenstreifen und Fahrbahnen abgestellt werden.“

Zusätzlich sollte ergänzend im Anschluss an den zuvor formulierten Satz Folgendes angefügt werden:
„Werden Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge auf dem Gehwegen abgestellt, dürfen sie nicht den Fußverkehr behindern.“

Um diese beiden Anmerkungen im Paragraph 12 zu rechtfertigen, sollte der Titel des Paragraphen wie folgt verändert werden:
„Halten, Parken und Abstellen“

Zu 6. § 16 neuer Absatz 4 Ergänzung um Absatz 5

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband begrüßt die in diesem Absatz vorgenommene rechtliche Klarstellung, dass das geforderte Warngeräusch von Elektro- und Hybridfahrzeugen Acoustic Vehicel Alerting System (AVAS) nicht zu den Schallzeichen im Sinne der Absätze 1 und 3 des § 16 gehören.

Zulassung von Einrichtungen zur akustischen Fahrgastinformation bei Fahrzeugen des ÖPV

Es sollte im § 16 zusätzlich durch das Anfügen eines neuen Absatz 5 klargestellt werden, dass akustische Fahrgastinformationen von Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs, die nach außen abstrahlen, zu den erlaubten Schallzeichen gehören. Die rechtliche Klärung dieser Schallabstrahlung ist notwendig, weil Kommunen bei der Umsetzung der vollständigen Barrierefreiheit nach PBefG § 8 Absatz 3 für die Installation von akustischen Fahrgastinformationen an Fahrzeugen des ÖPV bisher Ausnahmegenehmigungen benötigten.

Neuer Absatz 5:
„Keine Schallzeichen im Sinne des § 16 Absatz 1 und 3 der StVO sind weiter Einrichtungen zur akustischen Fahrgastinformation bei Fahrzeugen des Öffentlichen Personenverkehrs, die nach außen abstrahlen.“

Ergänzende Änderung in § 20

Behinderungsverbot von Ein- und Aussteigenden für Fahrzeuge und Fahrräder

Der bestehende § 20 Abs. 2 StVO regelt, dass Fahrzeuge ein- und aussteigende Personen nicht gefährden dürfen, indem sie nur mit Schrittgeschwindigkeit und in ausreichendem Abstand vorbeifahren, Fahrgäste nicht behindern und wenn notwendig, warten. Es ist davon auszugehen, dass auch Radfahrende in der Situation des Ein- und Ausstiegs für Fahrgäste eine Gefährdung darstellen können. Aus diesem Grund fordert der DBSV, Fahrräder ausdrücklich in § 20 Abs. 2 StVO Absatz mitaufzunehmen.

Abänderung des bestehenden Absatz 2:

(2) Wenn Fahrgäste ein- oder aussteigen, darf rechts nur mit Schrittgeschwindigkeit und nur in einem solchen Abstand vorbeigefahren werden, dass eine Gefährdung von Fahrgästen ausgeschlossen ist. Sie dürfen auch nicht behindert werden. Wenn nötig, muss, wer ein Fahrzeug [Ergänzung:] #oder Fahrrad # führt, warten.“

Zu 11. Änderung § 37 Absatz 2 Nummer 1

Ablehnung des Rechtsabbiege-Pfeils

Die Einführung eines Rechtsabbiege-Pfeils für Fahrräder lehnt der DBSV ab, da hierdurch alle Fußgänger und Fußgängerinnen gefährdet werden, die bei Grün die Straße überqueren wollen, aus der Rad Fahrende nach rechts abbiegen wollen. Insbesondere blinde und sehbehinderte Personen sind gefährdet, da sie den Radverkehr akustisch nicht wahrnehmen können. Ein wesentlicher Bestandteil für die selbstständige Mobilität im Verkehrsraum für blinde und sehbehinderte Menschen ist, die Gewissheit zu haben, dass, wenn das Freigabesignal der Lichtsignalanlage erfolgt oder ,wenn ersteres nicht gegeben

ist, der Parallelverkehr fährt, ein sicheres Queren ohne Gefahr möglich ist. Nicht hörbare Fahrräder, die trotz Grün für zu Fuß Gehende rechts in die Nebenstraße abbiegen dürfen, können diese Sicherheit empfindlich stören und stellen ein hohes Gefährdungspotential dar.

Zudem sollte ein bisher illegales Fahrverhalten von Radfahrenden durch die Einführung eines Rechtsabbiege-Pfeils nicht legalisiert werden. Dies besonders vor dem Hintergrund, dass das Abbiegen bei Rot danach erst recht auch bei Anlagen ohne Grün-Pfeil erfolgen wird.

Die Ergänzung nach Satz 8 des Referentenentwurfes muss ersatzlos gestrichen werden.

Zu 19. Änderungen zu Anlage 2 zu § 41 Absatz 1

Zusätzlich zu den geplanten Änderungen des Referentenentwurfes sollten folgende Änderungen in Anlage 2 zu § 41 Absatz 1 eingeführt werden.

Änderung zu lfd. Nr. 19 Spalte 3
Konkretisierung der Rücksichtnahme bei Verkehrszeichen 240 Anlage 2 zu §41 StVO

Für die meisten zu Fuß Gehenden und insbesondere für blinde und sehbehinderte Fußgänger und Fußgängerinnen stellt das Radfahren auf Gehwegen eine massive Beeinträchtigung der selbstständigen und sicheren Mobilität im Verkehrsraum dar. Die Einrichtung gemeinsamer Geh- und Radwege sollte, wie auch von der Verkehrsministerkonferenz am 11.10.2019 beschlossen, weitestgehend vermieden werden. Zudem muss in Anlage 2 zu §41 StVO Satz 1 zur laufenden Nummer 19 in Spalte 3 ein neuer 3. Punkt eingeführt werden.

Ergänzung zu lfd. Nr. 19 in Spalte 3 unter Punkt 2.:

„3. Der Radverkehr muss auf den Fußgänger Rücksicht nehmen. Erforderlichenfalls muss der Radverkehr die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen.“

Ergänzung zu lfd. Nr. 31.1
Einführung eines Verbotsschildes für die Nutzung von Verkehrsflächen für Elektrokleinstfahrzeuge

Kommunen sollten die Möglichkeit erhalten, bei Flächen, die nach eKFV für Radfahrende und Elektrokleinstfahrzeuge zugelassen sind, wie z. B. gemeinsamen Geh- und Radwegen (Zeichen 240), ein Verbotsschild für Elektrokleinstfahrzeuge aufzustellen. Dieses Zeichen fehlt im Referentenentwurf zur StVO. Die eKFV vom 6.6.2019 ist dementsprechend zu erweitern.

Einzuführende Änderung unter lfd. Nr. 31.:

Laufende Nummer 31.1 als Verbotsschild mit dem Sinnbild nach § 39 Absatz 7 für Elektrokleinstfahrzeuge. Text in der dritten Spalte:

Ge- oder Verbot
Verbot für Elektrokleinstfahrzeuge“

Anmerkungen zum neu eingeführten Zeichen 451 unter lfd. Nr. 21.1 in Anlage 2 zu § 41 Satz 1

Radschnellwege

Ein sicherer Verkehrsfluss aller Verkehrsbeteiligten muss bei Radschnellwegen gewährleistet sein. Wenn ein punktuelles Queren von zu Fuß Gehenden notwendig ist, muss dieses sicher ermöglicht werden, z. B. durch SVA mit Einrichtungen für blinde und sehbehinderte Menschen oder durch das Anordnen eines Zebrastreifens. – In diesen Bereichen sind Bodenindikatoren entsprechend DIN 18040-3 und DIN 32984 anzubringen.

Sehr kritisch werden Radschnellwege innerhalb von Erholungsflächen bewertet. Die Anordnung von Radschnellwegen sollte nur an den Rändern dieser Flächen geplant werden dürfen, sodass ein Queren der Radschnellwegen nur an punktuellen Zugangsflächen notwendig wird.

Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV)

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband begrüßt die Erhöhung der Geldbußen für das Halten in zweiter Reihe (lfd. Nr. 51a bis 51a.3 BKat), unzulässiges Parken auf Geh- und Radwegen (lfd. Nr. 52a bis 52a.4 BKat) sowie Halten auf einem Schutzstreifen für den Radverkehr (lfd. Nr. 54a bis 54a.3 BKat) und deren Erweiterung um neue qualifizierende Regeltatbestände der Gefährdung und Sachbeschädigung. Jedoch ist das vorgesehene Bußgeld von 55 € im internationalen Vergleich niedrig und hat eine zu geringe Abschreckungswirkung. Diese Bußgeldhöhe ist die Verwarnungsgeldhöchstgrenze. Tatsächlich handelt es sich bei Verstößen, die mit einem Verwarnungsgeld bis zu 55 Euro geahndet werden, um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit nach § 56 Abs. 1 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Erst höhere Bußgeldbeträge, die nicht als geringfügige Ordnungswidrigkeit eingestuft werden, bewirken den Eintrag eines Punktes im Flensburger Zentralregister. Das Parken auf Geh- und Radwegen ist in aller Regel keine geringfügige Ordnungswidrigkeit. Das Verstellen von Gehwege bewirkt angesichts ihrer geringen Breiten, dass alle zu Fuß Gehenden, aber insbesondere blinde und sehbehinderte wie auch mobilitätsbehinderte Menschen, sich beim Ausweichen in Gefahr bringen. Zudem bringen ausweichende Radfahrende sich und andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr. Deshalb fordert der DBSV für die o. g. Verstöße eine Bußgeldhöhe von 100 €.

Nach Anlage 1 Abschnitt 1 lfd. Nummer 55 BKatV soll das verbotswidrige Parken auf den sogenannten Behindertenparkplätzen mit einer Erhöhung der Geldbuße für von bislang 35 € auf 55 € geahndet werden. Wie in der Begründung zum Referentenentwurf dargelegt, ist die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, die in ihrer Mobilität sehr stark eingeschränkt sind, in hohem Maße davon abhängig, dass diese besonderen Parkplätze jederzeit zur Verfügung stehen. Das Parken auf sogenannten Behindertenparkplätzen nur mit der Verwarnungsgeldobergrenze zu ahnden, wird vom DBSV als nicht verhältnismäßig bewertet. Geht es hier doch um eine Grundvoraussetzung der Barrierefreiheit für außergewöhnlich gehbehinderte und blinde Menschen sowie weitere schwerbehinderte Personen. Diese Parkflächen stellen das Erreichen von Zielen auf möglichst kurzen und barrierefreien Wegen sicher. Es ist zu vermuten, dass eine Erhöhung des Bußgeldes um 20 € keine Veränderung bewirken wird. Der DBSV fordert auch hier genauso wie bei den oben aufgezählten Verstößen einen Bußgeldhöhe von 100 €.

Weitere Hinweise zu notwendigen Änderungen der StVO:

Bodenindikatoren

Blinde und hochgradig sehbehinderte Personen müssen immer wieder feststellen, dass ihr gefahrenloses Bewegen im Verkehrsraum durch an Bodenindikatoren parkende Fahrzeuge und Fahrräder wesentlich beeinträchtigt ist. Zur Umgehung des Hindernisses muss der Leitstreifen bzw. das jeweilige Bodenindikationsfeld verlassen werden, wodurch sich ein vermeidbares Gefährdungspotential ergibt.

Als Lösung wird vorgeschlagen, StVO § 12 Abs. 3 um die folgende Nr. 6 zu ergänzen:
„6. und in einem kleineren Abstand als 60 cm von Bodenindikatoren“

Querungen auf Bundesstraßen

Es bedarf einer rechtlichen Klarstellung, welche sicherstellt, dass auch an Bundesstraßen im Bereich von Bushaltestellen gesicherte Querungen eingerichtet werden können. Die Einrichtung solcher Querungsstellen wird bislang regelmäßig mit dem Argument verweigert, dass diese für Fußgänger zu unsicher seien und eine falsche Sicherheit suggerierten. Es wird zudem immer noch die - inzwischen überholte - Annahme vertreten, dass an Zebrastreifen das Unfallvorkommen höher sei als an ungesicherten Querungen. Auch Lichtsignalanlagen werden mit Hinweis auf ein zu geringes Fußgängeraufkommen verweigert. Die Folge ist, dass blinden und sehbehinderten Menschen damit jegliche Möglichkeit genommen wird, eigenständig eine Straßenquerung vorzunehmen. Wir bitten Sie darauf hinzuwirken, dass diese Missstände gelöst werden.

FGÜs bei Gleisanlagen

Wir bitten Sie letztlich darauf hinzuwirken, dass bei Straßenbahnen, die eine Haltestelle in Mittellage haben, das Einrichten von FGÜs oder Lichtsignalanlagen mit Einrichtungen für blinde und sehbehinderte Personen erleichtert und ermöglicht wird.

Nur so kann eine selbständige und sichere Mobilität ermöglicht werden.

gez. Hilke Groenewold