DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des sozialen Entschädigungsrechts vom 30.11.2018 (SER)

Mit dem vorgelegten Referentenentwurf soll das soziale Entschädigungsrecht in einem SGB XIV völlig neu strukturiert und geregelt werden. Der DBSV kann nachvollziehen, dass eine rechtliche Weiterentwicklung des sozialen Entschädigungsrechts aufgrund aktueller Entwicklungen angezeigt ist. Allerdings dürfen notwendige Reformen nicht dazu führen, langjährig bewährte Leistungen und Unterstützungssysteme gänzlich in Frage zu stellen. Vielmehr muss der Charakter des sozialen Entschädigungsrechts, der immer den Ausgleich eines erlittenen Sonderopfers einbezieht, durchgängig erhalten bleiben. Diesem Anspruch wird der bisher vorliegende Entwurf nicht gerecht. Der DBSV sieht im Gegenteil inakzeptable Verschlechterungen auf jene Berechtigte und deren Hinterbliebene zukommen, die nicht von den Übergangsregelungen profitieren können. Zudem gibt er zu bedenken, dass das Bundesversorgungsgesetz eine wichtige Leitfunktion hat, die über das reine Entschädigungsrecht weit hinausreicht. Durch die vorgesehenen tiefgreifenden Veränderungen wird diesem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen; daraus resultieren möglicherweise unbeabsichtigte Leistungseinschränkungen in anderen Rechtskreisen.

Insoweit ist der vorgelegte Entwurf daher also noch einmal kritisch zu überprüfen und zu modifizieren. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich dabei weitgehend auf Regelungsbereiche, deren Auswirkungen blinde, sehbehinderte und taubblinde Menschen spezifisch betreffen. Im Übrigen unterstützt der DBSV die Ausführungen des Bundes der Kriegsblinden Deutschlands e. V. (BKD) in dessen Stellungnahme vom 20.12.2018.

 

1.   Leistungen bei Blindheit, hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit mit zusätzlichem Gehörverlust

1.1 Zu § 83 SGB XIV_E

Bislang erhalten Geschädigte, die blind, hochgradig sehbehindert oder blind und gleichzeitig vollständig gehörlos sind, automatisch, d. h., ohne Prüfung eines individuellen Bedarfs, eine Pflegezulage nach § 35 BVG. Folgende Beträge werden monatlich aktuell geleistet:

  • Hochgradig sehbehinderte Menschen: mindestens Pflegezulage der Stufe I = 321 €
  • Blinde Menschen: mindestens Pflegezulage der Stufe III = 779 €
  • blinde Menschen mit gleichzeitigem vollständigen Hörverlust: Pflegezulage der Stufe VI = 1598 €.

Wir verstehen die künftigen Regelungen so, dass die bisherige Pflegezulage in der Entschädigungsleistung nach Kapitel 9 des Ref_E aufgeht. Die Höhe der Entschädigungsleistung wiederum soll nur noch anhand des festgestellten GdS ermittelt werden. Alle drei vorbezeichneten Gruppen bekämen dann ein und denselben Entschädigungsbetrag, da jeweils ein GdS von 100 zuzuerkennen ist. Eine Abstufung fände also trotz der unterschiedlichen Auswirkungen der Schädigungen nicht mehr statt.

Nun sollen bei Blindheit Leistungen gemäß § 83 SGB XIV_E gewährt werden. Dass eine spezifische Leistung bei Blindheit vorgesehen wird, begrüßt der DBSV dem Grunde nach ausdrücklich. Zum Hintergrund sei insoweit darauf hingewiesen, dass die bisher automatisch erfolgende Zuerkennung der Pflegezulage mindestens der Stufe 3 faktisch eine Blindengeldleistung darstellt, so dass zur Vermeidung einer rechtlichen Schlechterstellung im Vergleich zum bisherigen Recht ein Äquivalent vorzusehen ist. Dass die Pflegezulage der bisherigen Stufe 3 bei vorliegender Blindheit eine Blindengeldleistung ist, wird daran deutlich, dass in den Landesblindengeldgesetzen Regelungen enthalten sind, wonach Empfänger von Leistungen bei Blindheit nach dem Bundesversorgungsgesetz keinen Anspruch auf Landesblindengeld haben (vgl. etwa Art. 3 Nr. 1 Bayerisches Blindengeldgesetz – BayBlindG - vom 07.04.1995 (GVBl. S. 150, BayRS 2170-6-A), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2016 (GVBl. S. 367) oder § 1 Abs. 2 des Hessischen Gesetzes über das Landesblindengeld – LBliGG - vom 25.10.1977 (GVBl. I S. 414), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.09.2017 (GVBl. S. 312).

Allerdings besteht bei den geplanten Neuregelungen in Kapitel 8_E noch erheblicher Nachbesserungsbedarf in folgenden Bereichen:

1.1.1 Höhe der Leistungen – keine Differenzierung nach dem Lebensalter

In § 83 SGB XIV_E wird bezüglich der Höhe der Leistung pauschal auf § 72 Abs. 2 SGB XII Bezug genommen. Das hat zur Konsequenz, dass minderjährige Geschädigte nur die Hälfte des für Erwachsene vorgesehenen Betrages erhalten. Eine Differenzierung zwischen voll- und minderjährigen blinden Menschen erscheint uns indes nicht sachgemäß. Altersbezogen gibt es sicherlich unterschiedliche blindheitsbedingte Mehraufwendungen zu decken. Diese sind der Höhe nach aber vergleichbar. Es ist nicht so, dass minderjährige blinde Geschädigte nur halb so viele Aufwendungen hätten, wie dies bei Volljährigen der Fall ist. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass es bislang im sozialen Entschädigungsrecht bei der Festsetzung der Pflegezulage bei Blindheit keine Differenzierung nach dem Lebensalter gibt. Vielmehr erhalten voll- und minderjährige Geschädigte den gleichen Leistungsbetrag. Folglich muss zur Vermeidung von Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen Anspruchsumfang auch in der Zukunft eine altersunabhängige Leistung vorgesehen werden.

1.1.2 Anrechnung der Leistungen bei Pflege

In der Gesetzesbegründung zu § 83 SGB XIV_E heißt es: „Die übrigen Regelungen des § 72 SGB XII, insbesondere zur Anrechnung auf Leistungen zur Pflege, werden nicht übernommen.“ Leider findet sich diese Intention nicht im eigentlichen Gesetzestext wieder. Aus unserer Sicht ist § 83 Abs. 2 SGB XIV_E daher zu streichen.

1.1.3 Leistungen für taubblinde und hochgradig sehbehinderte Menschen

Für hochgradig sehbehinderte Menschen (bisher Pflegezulage mindestens der Stufe 1) und blinde Menschen mit gleichzeitigem vollständigen Hörverlust (bisher Pflegezulage der Stufe 6) sind – anders als für blinde Menschen – künftig keine der Pflegezulage äquivalenten Leistungen in Form einer speziellen Geldleistung mehr vorgesehen. Das ist nicht nachzuvollziehen und stellt eine Verschlechterung für Geschädigte dar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Taubblindheit 2017 im Schwerbehindertenrecht als Behinderung eigener Art anerkannt wurde (Merkzeichen TBl). Diese Personen haben einen sehr hohen Aufwand. Bisher ist durch Zuerkennung der Pflegezulage der Stufe 6 anerkannt, dass der Aufwand höher ist, als bei Blindheit. Diese Anerkennung muss sich auch im künftigen Recht wiederfinden. Es ist aus unserer Sicht damit erforderlich, im Kapitel 8 auch abgestufte Leistungen für hochgradig sehbehinderte und taubblinde Menschen vorzusehen.

1.1.4 Formulierungsvorschlag

Nach allem schlagen wir vor, § 83 SGB XIV_E wie folgt zu fassen:

㤠83 РLeistungen bei Blindheit, hochgradiger Sehbehinderung und Taubblindheit

(1) Ist als Schädigungsfolge Blindheit eingetreten, haben Geschädigte einen Anspruch auf Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen. Der Anspruch besteht unabhängig vom Lebensalter in Höhe des Betrages nach § 72 Absatz 2 des zwölften Buches, der für blinde Menschen nach Vollendung des 18. Lebensjahres geleistet wird. § 72 Absatz 5 des Zwölften Buches gilt entsprechend. Davon unberührt bleiben die Regelungen in der Versorgungsmedizin-Verordnung.

(2) Ist als Schädigungsfolge Taubblindheit im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 8 Schwerbehindertenausweisverordnung eingetreten, haben Geschädigte einen Anspruch auf Ausgleich der durch die Taubblindheit bedingten Mehraufwendungen. Der Anspruch besteht unabhängig vom Lebensalter in Höhe des zweifachen Betrages nach § 72 Absatz 2 des zwölften Buches, der für blinde Menschen nach Vollendung des 18. Lebensjahres geleistet wird.

(3) Ist als Schädigungsfolge hochgradige Sehbehinderung eingetreten, haben Geschädigte einen Anspruch auf Ausgleich der durch die hochgradige Sehbehinderung bedingten Mehraufwendungen. Der Anspruch besteht unabhängig vom Lebensalter in Höhe des hälftigen Betrages nach § 72 Absatz 2 des zwölften Buches, der für blinde Menschen nach Vollendung des 18. Lebensjahres geleistet wird.

(4) Die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 sind insoweit vorrangig gegenüber landesrechtlichen Leistungen für Mehraufwendungen bei Blindheit, Taubblindheit oder hochgradiger Sehbehinderung.“

1.2 Notwendige Folgeänderungen im Zusammenhang mit Leistungen nach § 83 SGB XIV_E

1.2.1 Zu § 10 SGB XIV_E - Unpfändbarkeit

In § 10 SGB XIV_E, der Regelungen zur Unpfändbarkeit von Entschädigungsleistungen regelt, ist ein Verweis auch auf die Leistungen nach Kapitel 8 einzubeziehen. Im gesamten Rechtssystem (Landesblindengeld und Blindenhilfe nach § 72 SGB XII) ist anerkannt, dass diese Leistungen unpfändbar sind. Gleiches muss für die Leistungen bei Blindheit im sozialen Entschädigungsrecht gelten. § 10 SGB XIV_E sollte daher wie folgt gefasst werden:

„Leistungen bei Blindheit nach Kapitel 8, Entschädigungszahlungen nach Kapitel 9 und die Geldleistung nach § 133 können weder übertragen noch verpfändet oder gepfändet werden.“

1.2.2 Zu § 30 SGB XIV_E – keine Anrechnung als Einkommen

In § 30 Abs. 2 SGB XIV_E ist ein Verweis auch auf Kapitel 8 SGB XIV_E erforderlich. Für die bisherige Pflegezulage und die Blindenhilfe im Sinne von § 72 SGB XII ist anerkannt, dass sie bei bestimmten Sozialleistungen nicht als

Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen ist (vgl. zum Blindengeld u. a. BSG, Urteil v. 11.12.2007 - B 8/9b SO 20/06 R und HessVGH v. 20.10.2009 - 10 A 1701/08). Um für das Entschädigungsrecht künftig möglicherweise drohenden Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen, sollte eine entsprechende Klarstellung erfolgen.

§30 Abs. 2 ist daher wie folgt zu fassen:

„(2) Leistungen bei Blindheit nach Kapitel 8, Entschädigungszahlungen nach Kapitel 9 und § 102 Absatz 4 und 5 werden nicht als Einkommen oder Vermögen auf andere Sozialleistungen oder auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angerechnet.“

2.   Führzulage

Gemäß § 14 BVG wird bislang ein Monatsbetrag für fremde Führung geleistet, der jährlich angepasst wird (zurzeit 172 €). In der Praxis erlangt die Vorschrift vor allem dadurch an Bedeutung, dass alle gesetzlichen Krankenkassen und die Träger der Eingliederungshilfe blinden Menschen eben diesen Betrag zum Unterhalt eines Blindenführhundes zur Verfügung stellen. Wird die Norm jetzt – wie im Entwurf zum Sozialen Entschädigungsrecht offenbar vorgesehen – ersatzlos gestrichen, fehlt eine maßgebliche Referenznorm.

Zur Vermeidung von Verschlechterungen zum bisherigen Zustand wird folgendes vorgeschlagen: In Bezug auf die Hilfsmittelversorgung wird im SGB XIV_E auf § 31 SGB VII und in der Folge auch auf die Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter (VO73 bzw. OrthVersorgUVV) vom 18.07.1973 verwiesen. § 2 Abs. 2 OrthVersorgUVV verweist bislang in Bezug auf die Höhe der Pauschale auf § 14 BVG. Anders als in Artikel 53 Ref_E vorgesehen, darf der Verweis in Bezug auf die Höhe der Führzulage in § 14 BVG nicht ersatzlosgestrichen werden. Vielmehr ist die Höhe der Führzulage explizit in die Verordnung aufzunehmen und dynamisch weiterzuentwickeln. § 2 Abs. 2 OrthVersorgUVV sollte damit wie folgt neu gefasst werden:

„(2) Versicherte, die infolge eines Versicherungsfalls erblindet sind, erhalten zum Unterhalt eines Blindenführhunds oder zu den Aufwendungen für fremde Führung einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 172 € monatlich. Der Betrag wird jährlich angepasst.“

3.   Zu § 66 SGB XIV_E – Leistungen zur Teilhabe an Bildung

Der Entwurf sieht vor, dass Geschädigte im Sinne von § 99 SGB IX Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß Teil 2 Kapitel 5 SGB IX erhalten. Der Gesetzgeber stellt Geschädigte hier den Eingliederungshilfeberechtigten gleich. Das ist in zweierlei Hinsicht inakzeptabel. Erstens sollen nur Geschädigte Leistungen erhalten, die erheblich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt sind und zweitens ist der dann zur Verfügung stehende Leistungsrahmen sehr begrenzt. Sowohl aus menschenrechtlicher Perspektive als auch vor dem Hintergrund des Entschädigungsrechts, das Kompensation für ein erlittenes Sonderopfer gewährt, ist es aus unserer Sicht erforderlich, dass Leistungen zur Teilhabe an Bildung allen Geschädigten im Sinne von § 2 SGB IX offen stehen und zwar in Umfang des § 75 SGB IX mit seinem offenen Leistungskatalog. Nur so wird gewährleistet, dass Geschädigten auch ein lebenslanges Lernen möglich bleibt, die auf Teilhabeleistungen hierzu angewiesen sind.

§ 66 SGB XIV_E ist vor diesem Hintergrund wie folgt zu fassen:

„Geschädigte, die auf Grund der Schädigungsfolgen zum Personenkreis im Sinne von § 2 des Neunten Buches gehören, erhalten Leistungen zur Teilhabe an Bildung entsprechend Teil 1 Kapitel 12 des Neunten Buches.“