DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (Teilhabestärkungsgesetz)

In seiner Stellungnahme begrüßt der DBSV die gesetzliche Neuregelung zur Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe, macht auf Änderungsbedarfe im Zusammenhang mit der Einkommensanrechnung in der Eingliederungshilfe (§ 142 Absatz 3 SGB IX) aufmerksam und fordert die Barrierefreiheit von digitalen Gesundheitsanwendungen ein. Einen Schwerpunkt bilden die Ausführungen zu den neuen Regelungen für die Ausbildung und den Einsatz von Assistenzhunden.

Der DBSV bedankt sich höflich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o. g. Entwurf und führt zu Vorschriften aus Artikel 3 und 5 wie folgt aus:

Zu Artikel 3

Zu Nrn. 4 und 5 - § 42_E SGB IX und § 47a_E SGB IX

Zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation sollen künftig digitale Gesundheitsanwendungen gehören. Das Potential der Digitalisierung soll so auch im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nutzbar gemacht werden. Digitale Gesundheitsanwendungen sollen insoweit die in das Verzeichnis nach § 139e Absatz 1 des Fünften Buches aufgenommenen digitalen Gesundheitsanwendungen umfassen, sofern diese unter Berücksichtigung des Einzelfalls erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen.

Bislang ist leider nicht sichergestellt, dass die im Verzeichnis des BfArM geführten digitalen Gesundheitsanwendungen barrierefrei nutzbar sind. Das schließt Menschen mit Behinderungen von der Nutzung aus. Die unzureichende Barrierefreiheit resultiert daraus, dass die für die Aufnahme in das Verzeichnis nach § 139e SGB V insoweit vorgesehenen Kriterien in der DiGAV bislang vollkommen unzureichend ausgestaltet sind. Das hat der DBSV gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit mehrfach deutlich gemacht – siehe unsere Stellungnahmen zum Referentenentwurf der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) und zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur digitalen Modernisierung Versorgung und Pflege (Digitale Versorgung und Pflege - Modernisierungs-Gesetz – DVPMG) auf www.dbsv.org/stellungnahmen.html.

Die Rehabilitationsträger, die Leistungen der medizinischen Rehabilitation erbringen, sind verpflichtet, Sozialleistungen – und dazu gehört auch die Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen - in zeitgemäßer Weise (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) und diskriminierungsfrei (§ 33c SGB I) zur Verfügung zu stellen. Das Ziel des Gesetzgebers, digitale Anwendungen auch dafür zu nutzen, Behinderungen auszugleichen, wird aber verfehlt, wenn bezüglich der Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht nachgesteuert wird. Eine Überarbeitung der Anforderungen an die Barrierefreiheit digitaler Gesundheitsanwendungen ist vor diesem Hintergrund dringend erforderlich und muss im aktuellen Gesetzgebungsverfahren des Teilhabestärkungsgesetzes angegangen werden. Aus Sicht des DBSV erscheint es insoweit sinnvoll, die technischen Anforderungen an die Barrierefreiheit insbesondere aus der BITV 2.0 und der EN 301 549 für mobile Anwendungen abzuleiten (EN 301 549 in der Fassung 2.1.2 (2018-08), Annex A Tabelle A.2. Dieser europäische Standard ist bereits im Rahmen der Umsetzung der EU-Webseitenrichtlinie RL (EU) 2016/2102 als harmonisierte Norm anerkannt, international gebräuchlich und für Entwickler nachvollziehbar.

Zu Nr. 11 - § 99_E SGB IX

Der DBSV begrüßt ausdrücklich, dass mit dem Teilhabestärkungsgesetz eine gesetzliche Regelung zur Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe geschaffen werden soll, die die Ergebnisse der Fachdiskussion in der vom BMAS eingesetzten Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis“ umsetzt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der großen Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der Zugangsberechtigung im Rahmen des BTHG-Entstehungsprozesses und den damit ausgelösten Verunsicherungen von Menschen mit Behinderungen. Dass jetzt eine gesetzliche Norm geschaffen wird, die sich eng an bekannte Strukturen anlehnt und den leistungsberechtigten Personenkreis im Wesentlichen unverändert lässt, sorgt für den dringend erforderlichen Rechtsfrieden in diesem Bereich.

Kritisch sieht der DBSV allerdings, dass sich beim Leistungszugang nach den Besonderheiten des Einzelfalles die Prüfung derzeit darauf verengt, "dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 erfüllt werden kann". Der DBSV fordert, dass auch die umfassenden Teilhabeziele nach § 4 SGB IX bei der Prüfung zwingend einbezogen werden. Der vorgesehene Hinweis in der Gesetzesbegründung erscheint dafür nicht ausreichend. Es braucht eine gesetzliche Verankerung in § 99 um sicherzustellen, dass auch Menschen mit sehr hohen Unterstützungsbedarfen nicht vom Zugang zu Eingliederungshilfeleistungen ausgeschlossen werden.

Weiterer Korrekturbedarf im SGB IX

Zusätzlich zu den vorgesehenen Änderungen im SGB IX gibt es aus Sicht des DBSV einen weiteren Korrekturbedarf.

Mit dem Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigenentlastungsgesetz) wurde der durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) eingeführte § 142 Abs. 3 SGB IX geändert. Bis zu dieser Änderung lautete § 142 Abs. 3 SGB IX: „(3) Bei Leistungen, denen Vereinbarungen nach § 134 Absatz 4 zugrunde liegen, geht der Anspruch einer volljährigen Person auf Unterhalt gegenüber ihren Eltern wegen Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches nur in Höhe von bis zu 24,68 Euro monatlich über. § 94 Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 des Zwölften Buches gilt entsprechend.“

Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zum Angehörigenentlastungsgesetz ist in § 142 Abs. 3 SGB IX geregelt worden, dass die Absätze 1 und 2 für Volljährige entsprechend gelten.

Damit ergibt sich eine Verschlechterung der Situation für volljährige Leistungsberechtigte, die sicher nicht beabsichtigt war und damit zu korrigieren ist.

In der Eingliederungshilfe war es immer – auch schon vor dem Inkrafttreten des BTHG – so, dass bei volljährigen Leistungsberechtigten in Schülerinternaten von den Eltern keine häusliche Ersparnis gefordert wurde. Ein Unterhaltsrückgriff erfolgte allein im Rahmen des § 94 SGB XII, auf den der bis zum Inkrafttreten des Angehörigenentlastungsgesetzes geltende § 142 Abs. 3 SGB IX verwies.

Mit dem Angehörigenentlastungsgesetz sollten unterhaltsverpflichtete Eltern eigentlich entlastet werden. Die Neufassung des § 142 Abs. 3 SGB IX hat in der Praxis aber nun dazu geführt, dass Träger der Eingliederungshilfe plötzlich das Einkommen der Eltern auch bei Volljährigen heranziehen, um daraus eine häusliche Ersparnis zu ermitteln und geltend zu machen. Die ermittelten Beträge sind natürlich deutlich höher als der bis dahin geltend gemachte begrenzte Unterhaltsanspruch. Entsprechende Widerspruchsverfahren, insbesondere gegen Träger in Bayern und Baden-Württemberg, sind anhängig.

Der in § 142 Abs. 3 SGB IX erfolgende Verweis auf Absatz 2 muss erhalten bleiben, derjenige auf Absatz 1 ist zu streichen und es ist weiterhin ein ‚Verweis auf § 94 SGB XII erforderlich.

Paragraf 142 Abs. 3 SGB IX könnte etwa wie folgt formuliert werden:

„Bei Leistungen, denen Vereinbarungen nach § 134 Absatz 4 zugrunde liegen, gilt Absatz 2 sowie mit Bezug auf erbrachte Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches § 94 Absatz 1a, Absatz 2 und Absatz 3 des Zwölften Buches entsprechend.“

Zu Artikel 5

Allgemeines:

Der DBSV begrüßt außerordentlich, dass gesetzliche Regelungen für die Ausbildung und den Einsatz von Assistenzhunden geschaffen werden sollen. Für den DBSV ist dabei zentral, dass bestehende Regelungen für Blindenführhunde bzw. Mensch-Blindenführhund-Teams einbezogen werden. Es darf nicht zu einem Auseinanderlaufen der Regelungen für Blindenführ- und andere Assistenzhunde kommen. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass die Zutrittsrechte für alle Mensch-Assistenzhund-Teams gelten und auf die schon bestehenden Standards bei der Auswahl, Ausbildung, und Prüfung zurückgegriffen wird. Für alle Assistenzhunde und Mensch-Hund-Teams müssen dabei vergleichbare Anforderungen an die Ausbildung und Prüfung gelten. Laut Begründung zum Gesetzentwurf legt dieser „einheitliche Voraussetzungen und Standards“ nur für diejenigen „Assistenzhunde im Sinne des BGG“ fest, „die nicht von Sozialversicherungsträgern oder im Ausland anerkannt sind“ (S. 30 f.). Somit sei gewährleistet, „dass ein Rechtsanspruch auf Zutritt nur mit gut ausgebildeten Assistenzhunden besteht, die als Teil eines Mensch-Tier-Gespanns von fachkundigen unabhängigen Prüferinnen oder Prüfern geprüft worden sind.“ (S. 31). Diese Differenzierung, die im Gesetzeswortlaut selbst nicht erkennbar ist, erscheint nicht sachgerecht und wird vom DBSV kritisch gesehen.

Sprachlich regt der DBSV an, das von „Mensch-Hund-Team“ gesprochen wird, denn im gesamten Abschnitt geht es nur um Assistenzhunde und keine anderen tierischen Assistenten. Änderungsbedarf gibt es insoweit in § 12e Abs. 1 und 3, in der Überschrift zu § 12g sowie dessen Abs. 1 und 2.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

Zu § 12e_E BGG

Zu Abs. 1

Der DBSV begrüßt ausdrücklich, dass für Menschen mit Behinderungen in Begleitung ihrer Assistenzhunde das Recht auf Zutritt zu beweglichen oder unbeweglichen Anlagen und Einrichtungen gesetzlich ausdrücklich festgeschrieben wird und in den Anwendungsbereich der Norm sowohl Träger öffentlicher Gewalt, als auch private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen einbezogen sind. Damit wird einer langjährigen Forderung des DBSV Rechnung getragen. Bislang haben Nutzerinnen und Nutzer von Blindenführhunden häufig Schwierigkeiten, mit ihrem Hund in Arztpraxen, Einkaufsgeschäften, Kinos etc. eingelassen zu werden. Die Betreiber berufen sich insoweit auf ihr Hausrecht. Durch eine gesetzliche Klarstellung sind die Bedingungen eindeutiger geregelt, so dass den Menschen die alltägliche Lebensführung erleichtert werden dürfte.

Unbedingt zu streichen ist aus Sicht des DBSV der in Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Klammerzusatz “Mensch-Tier-Gespann“. Dieser Begriff findet sich hinsichtlich der Definition nach Absatz 3 ausschließlich für zertifizierte Gespanne nach Nr. 1 wieder. Das könnte dazu führen, dass von Krankenkassen und anderen Sozialversicherungs- oder sonstigen Leistungsträgern anerkannte Blindenführhundgespanne nicht von den Zutrittsrechten nach Abs. 1 profitieren. Das ist sicher nicht beabsichtigt. Durch eine Streichung des Klammerzusatzes können Missverständnisse insoweit ausgeräumt werden.

Aus Sicht des DBSV kann der Satzteil „typischerweise für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglichen“ gestrichen werden. Menschen mit Behinderungen, die auf einen Assistenzhund angewiesen sind, benötigen – sofern sie als Kundinnen oder Kunden, Patientinnen oder Patienten etc. Zutritt begehren, keinen weitergehenden Anspruch auf Zutritt als ein behinderter Mensch, der ohne Assistenzhund unterwegs ist. Mehr als zum typischerweise für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglichen Bereich wird in der Regel ohnehin kein Zutritt erlaubt sein. Überdies sieht der Gesetzeswortlaut die Möglichkeit der Versagung des Zutritts mit Assistenzhund aus gewichtigen Gründen vor, so dass ein ausreichender Interessenausgleich gewährleistet ist.

Soweit Assistenzhundhalterinnen und Assistenzhundhalter in ihrer Stellung als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sind, gelten die insoweit bestehenden gesetzlichen Vorschriften. Aus Sicht des DBSV wäre es zur Klarstellung hilfreich, in der Begründung zu Absatz 1 Satz 2 auch einen Bezug zu § 164 Absätze 2 bis 4 SGB IX herzustellen.

Zu Abs. 2

Gemäß § 12e Abs. 2 gilt eine unberechtigte Verweigerung des Zutritts durch Träger öffentlicher Gewalt als Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 BGG. Damit ist es auch möglich, Verstöße im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens nach § 16 BGG oder im Wege eines Klageverfahrens nach den Vorgaben des BGG zu ahnden.

Gerade weil durch die Rechtsprechung entschieden worden ist (Beschluss des BVerfG vom 30.01.2020, Az. 2 BvR 1005/18), dass es sich bei der Versagung des Zutritts mit Assistenzhund (in dem entschiedenen Fall mit einem Blindenführhund) um eine Benachteiligung im Sinne des AGG handeln kann, soweit ein privater Rechtsträger den Zutritt verwehrt, wäre es aus Sicht des DBSV endlich an der Zeit, entsprechende Klarstellungen im AGG vorzusehen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Verpflichtungen Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die UN-Behindertenrechtskonvention unterscheidet hinsichtlich des Diskriminierungsschutzes gerade nicht zwischen Trägern der öffentlichen Gewalt und privaten Anbietern von Gütern und Dienstleistungen (zur gebotenen Einbeziehung Privater siehe auch die „Concluding Observations“ des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.04.2015 über den ersten Staatenbericht Deutschlands, CRPD/C/DEU/CO/1, www.ohchr.org). Abgesehen davon wäre damit Menschen mit Behinderungen eine erleichterte Rechtsdurchsetzung über die Vorgaben des AGG möglich. Ohne eine entsprechende Regelung müssen sie im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen vor den Zivilgerichten das Verhältnis der Vorgaben im BGG zu denjenigen im Zivilrecht klären.

Sollte eine gebotene Klarstellung im AGG politisch nicht erreichbar sein, wird vorgeschlagen, mindestens die einer Schlichtung im Sinne von § 16 BGG zugänglichen Gegenstände auf den gesamten § 12e Absatz 1 zu beziehen, so dass eine Schlichtung im Falle der Versagung des Zutritts mit Assistenzhund auch gegen private Rechtsträger möglich wird. Der Zutritt mit Assistenzhund wird häufig aus Unwissenheit versagt. Ein Schlichtungsverfahren böte die Möglichkeit, die noch immer notwendige Bewusstseinsbildung in diesem Bereich voranzubringen und den Menschen mit Behinderungen niedrigschwellig weiterzuhelfen und so zu einer ganz praktischen Erleichterung im Alltag beizutragen. Den meisten Menschen wird es nicht darum gehen, Schadenersatzansprüche bei Verstößen geltend zu machen, sondern darum, Einrichtungen und Anlagen mit Assistenzhund nutzen zu können. Eine Schlichtung bietet sich als Streitbeilegungsmöglichkeit in einem solchen Fall besonders an. Die Schlichtungsstelle nach § 16 BGG hat eine große Expertise im Bereich der Barrierefreiheit, sodass sie als besonders geeignet gelten kann. Dass die Schlichtungsstelle bislang nur für Streitigkeiten mit Trägern öffentlicher Gewalt oder öffentlichen Stellen im Sinne des § 12 BGG zuständig ist, dürfte kein Hinderungsgrund für die Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs sein, denn mit § 12 e Abs. 1 BGG_E ist die Entscheidung gefallen, den Anwendungsbereich des BGG insgesamt zu erweitern. Das sollte konsequenter Weise auf die Rechtsdurchsetzung durchschlagen, um mit § 12e_E keinen zahnlosen Tiger zu schaffen.

Außerdem ist der DBSV der Auffassung, dass ordnungsrechtlich die Einhaltung der Verpflichtung aus Abs. 1 zu überprüfen wäre. Letztlich handelt es sich beim Zutritt mit Assistenzhund um eine Frage der Barrierefreiheit (vgl. § 4 BGG). Deren Einhaltung sollte nicht nur von Menschen mit Behinderungen durchsetzbar sein. Zusätzlich ist auch Sorge dafür zu tragen, dass die barrierefreie Umweltgestaltung auch staatlich überwacht wird. Diese Sichtweise korrespondiert mit dem Behinderungsbegriff in der UN-Behindertenrechtskonvention, der Behinderung gerade nicht nur am einzelnen Menschen festmacht, sondern die Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren betont.

Zu Abs. 3

Aus Sicht des DBSV handelt es sich in Abs. 3 nicht um eine Definition und Charakterisierung von Assistenzhunden. Stattdessen werden lediglich - und das auch nur unvollständig - Fallgruppen aufgezählt, wo bzw. von wem Assistenzhunde zertifiziert bzw. anerkannt werden können.

Notwendig erscheint vielmehr eine klare Begriffsdefinition von Assistenzhund und dem Assistenz-Hund-Team. Aus dieser muss erkennbar sein, dass ein Assistenzhund ein geeigneter, speziell ausgebildeter Hund ist, der spezifische, auf den Bedarf der jeweiligen Halterin bzw. des jeweiligen Halters abgestimmte Hilfe-/Assistenzleistungen erbringen kann und so einen Menschen mit Behinderungen dabei unterstützt, am selbstbestimmten Leben in der Gesellschaft teilzuhaben.

Diese Präzisierung darf mit Blick auf den Wesentlichkeitsgrundsatz auch nicht erst in der noch zu erlassenden Rechtsverordnung erfolgen.

Ergänzend ist auf Folgendes Hinzuweisen: Gerade die Tatsache, dass der Hund durch seine erlernten Assistenzleistungen den Menschen unterstützt, legitimiert den Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Zutritt aus § 12e Abs. 1 BGG. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht nachvollziehbar, dass in Abs. 3 das Mensch-Tier-Gespann nur in Nr. 1 erwähnt wird. Auch Hunde, die nach Nr. 2 oder 3 als Assistenzhunde anerkannt werden, sind dies ja nur im Gespann mit dem Menschen.

Folgende Fallgruppen sind aus Sicht des DBSV in Abs. 3 bislang gar nicht erfasst:

  • Assistenzhunde, die von einer privaten Krankenversicherung als Hilfsmittel im Rahmen des Behinderungsausgleichs anerkannt und finanziert sind
  • Assistenzhunde, die von einer Beihilfestelle des Bundes oder eines Landes als Hilfsmittel im Rahmen des Behinderungsausgleichs anerkannt und finanziert sind
  • Assistenzhunde, die vom Träger der Eingliederungshilfe oder dem zuständigen Träger für das soziale Entschädigungsrecht für Menschen mit Behinderungen als Hilfsmittel im Rahmen des Behinderungsausgleichs anerkannt und finanziert sind

Insbesondere die Nr. 2 muss vor diesem Hintergrund präziser formuliert werden.

In der Begründung zu Absatz 3 muss unbedingt und ausdrücklich dargelegt werden, dass Blindenführhunde bereits heute durch Sozialversicherungsträger, vor allem gesetzliche Krankenkassen, sowie durch andere Sozialleistungsträger anerkannt werden und insoweit im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V (PG 07) Regelungen für deren Anerkennung als Leistung der GKV getroffen sind. Andere Sozialversicherungs- und -leistungsträger wenden diese Regelungen entsprechend an.

Ergänzend ist erforderlich, dass in der Verordnung nach § 12j BGG die Anforderungen an Ausbildung, Prüfung und Anerkennung grundlegend für alle Assistenzhunde und Mensch-Hund-Gespanne festgeschrieben werden. Dort, wo für bestimmte Gruppen von Assistenzhunden bereits besondere Regelungen existieren, ist auf diese zu verweisen. Dies gilt insbesondere für Blindenführhunde.

Zu Abs. 4

Es ist im Rahmen der zu erlassenden Verordnung sicherzustellen, dass die Kennzeichnung auch von Blindenführhunden – hier mit dem weißen Führgeschirr - geregelt wird.

Ferner ist zu gewährleisten, dass auch Blindenführhunde und Mensch-Hund-Teams im Sinne von § 12e Abs. 3 Nr. 2 E_BGG ein einheitliches Zertifikat erhalten. Ansonsten wird ihnen das Zutrittsrecht nach Abs. 1 erschwert oder gar unmöglich gemacht.

Formulierungsvorschlag

Paragraf 12e Absätze 1 bis 3 könnten nach alledem wie folgt gefasst werden:

(1) Träger öffentlicher Gewalt sowie Eigentümer, Besitzer und Betreiber von beweglichen oder unbeweglichen Anlagen und Einrichtungen dürfen Menschen mit Behinderungen in Begleitung durch ihren Assistenzhund den Zutritt zu ihren zugänglichen Anlagen und Einrichtungen nicht wegen der Begleitung durch den Assistenzhund verweigern, soweit nicht der Zutritt mit Assistenzhund eine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen würde. Weitergehende Rechte von Menschen mit Behinderungen bleiben unberührt.

(2) Eine nach Absatz 1 unberechtigte Verweigerung durch Träger öffentlicher Gewalt gilt als Benachteiligung im Sinne von § 7 Absatz 1.

(3) Ein Assistenzhund ist ein speziell ausgewählter, unter Beachtung des Tierschutzes und des individuellen Bedarfs eines Menschen mit Behinderungen ausgebildeter Hund, der durch seine Fähigkeiten und erlernten Assistenzleistungen dazu bestimmt ist, diesem Menschen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen oder zu erleichtern. Assistenzhunde müssen

  1. zusammen mit einem Menschen mit Behinderungen als Mensch-Hund-Team im Sinne von § 12g zertifiziert sein oder
  2. von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung, einem Träger nach § 5 SGB IX, einem Träger aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften oder einem privaten Versicherungsunternehmen als Hilfsmittel im Rahmen des Behinderungsausgleichs anerkannt sein und mindestens den Anforderungen des § 12f Absatz 1 Satz 2 entsprechen oder
  3. im Ausland als Assistenzhund anerkannt sein und den Anforderungen des § 12f Absatz 2 entsprechen.

Zu § 12f_E

Zu Abs. 1

Nach Absatz 1 Satz 1 bedürfen Assistenzhund und Mensch-Tier-Gespann einer geeigneten Ausbildung durch eine Ausbildungsstätte für Assistenzhunde. Dadurch scheint das Modell einer ausschließlichen oder jedenfalls teilweisen „Fremdausbildung“ privilegiert. Halterinnen und Halter, die ihre Hunde ausschließlich selbst trainieren, hätten demnach keinen Zugang zur Assistenzhundeprüfung und folglich auch keinen Anspruch auf Zutritt gemäß § 12e Abs. 1.

Hierzu ist folgendes anzumerken: Einerseits spricht das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderungen dafür, auch vollständig eigenverantwortete Ausbildungen vorzunehmen und nach erfolgreicher Prüfung des Teams eine Anerkennung zu erhalten. Sollte sich der Gesetzgeber dafür entscheiden, auch selbst ausgebildete Assistenzhunde zur Prüfung zuzulassen ist sicherzustellen, dass sich keine Geschäftsmodelle von Ausbildungsstätten entwickeln, die das unternehmerische Risiko für den Erfolg der Ausbildung auf die Assistenzhundhalterin bzw. den Assistenzhundhalter verlagern.

In Absatz 1 Satz 2 wäre sprachlich statt „Vermittlung der notwendigen theoretischen Kenntnisse DES Halters“ präziser: „Vermittlung der notwendigen theoretischen Kenntnisse AN DEN Halter“ zu formulieren.

Um dem Tierschutz besser gerecht zu werden, sollte in Absatz 1 ein neuer Satz 3 wie folgt aufgenommen werden: „Die Ausbildung erfolgt durchgehend unter Beachtung des Tierschutzes, insbesondere, indem ausschließlich die dem aktuellen Stand der Wissenschaft und den Lerntheorien entsprechenden Mittel und Methoden angewendet werden.“

Im Rahmen der Rechtsverordnung ist im Übrigen abzusichern, dass die bestehenden Regelungen zur Eignung, Auswahl und Ausbildung von Hunden und die Zusammenführung des Teams anerkannt werden. Dies betrifft insbesondere die für Blindenführhunde bestehenden Vorgaben in PG 07 des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V.

Zu § 12g_E

Sollte sich diese Vorschrift nur auf § 12e Absatz 3 Nr. 1 beziehen, so wäre dies kenntlich zu machen. Die Konsequenz wäre allerdings, dass Blindenführhunde andere Zertifikate bekämen als sonstige Assistenzhunde. Das wäre in Bezug auf die Zutrittsrechte nach § 12e Absatz 1 nicht vermittelbar. Wichtig ist, dass sich Assistenzhundhalterinnen und Assistenzhundhalter mit einem einheitlichen Zertifikat gegenüber Verpflichteten im Sinne von § 12e Absatz 1 ausweisen und so ihre Zutrittsrechte legitimiert einfordern können. Ein einheitlich gestaltetes Legitimationsdokument wäre auch für den Vertrauensschutz der Verpflichteten nach § 12e Absatz 1 unbedingt erforderlich. Aus diesem Grund sollten sich die Vorgaben in § 12g auf alle Assistenzhunde im Sinne von § 12e Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 beziehen. Die Rechtsverordnung sollte dann vorsehen, dass trägerspezifische Vorgaben, wie es sie z. B. für die Prüfung von Blindenführhundgespannen schon gibt, zu beachten sind und als Grundlage für die Erteilung des Zertifikats gelten.

Zu Abs. 1

Der DBSV setzt sich dafür ein, getrennte Prüfungen von Assistenzhunden („Leistungsprüfung“) und Mensch-Hund-Gespann („Gespannprüfung“) zu etablieren.

In Absatz 1 wird nur von EINER Prüfung gesprochen, in der die Eignung sowohl des Assistenzhundes als auch des Mensch-Tier-Gespanns überprüft werden soll. Bezogen auf das Mensch-Hund-Gespann sollte hier präziser formuliert werden, dass die Zusammenarbeit von Mensch und Hund überprüft wird.

Insgesamt wäre damit aber nur der Status quo der heutigen Gespannprüfungen für Blindenführhunde festgeschrieben, in der Eignung des Hundes für die Aufgabe als Blindenführhund und die Zusammenarbeit von Mensch und Hund überprüft werden soll. Es sollte aber wenigstens perspektivisch möglich sein, dass die Eignung eines (fremdausgebildeten) Assistenzhundes in einer Prüfung nach Ende seiner Ausbildung, aber vor der Einarbeitung mit der Halterin bzw. dem Halter überprüft wird (Modell einer „Leistungsprüfung“, in Österreich: „Qualitätsprüfung“). Nach Ende der Einarbeitung würde dann in einer zweiten Prüfung NUR NOCH die Zusammenarbeit des Mensch-Assistenzhund-Gespanns begutachtet („Gespannprüfung“ im engeren Sinne; in Österreich „Teamprüfung“)

Die Vorteile eines solchen geteilten Prüfungssystems bestehen darin, dass

  • die zukünftigen Assistenzhundhalterinnen bzw. Assistenzhundhalter nachweislich einen Hund bekommen, der die maßgeblichen Vorgaben erfüllt, nämlich die „sichere Beherrschung des Grundgehorsams und das zuverlässige und sichere Sozialverhalten des Hundes“
  • die Assistenzhund-Ausbildungsstätte nachweist, dass der Hund bis zum Beginn des Einarbeitungslehrganges die Anforderungen an einen Assistenzhund erfüllt,
  • sich die Dauer und Belastung der Abschlussprüfung für die Assistenzhundhaltenden verkürzt, weil wesentliche Kriterien der Eignung und Ausbildung des Assistenzhundes bereits in der Leistungsprüfung nachgewiesen wurden und
  • die zukünftige Assistenzhundhaltenden nur noch eine Abschlussprüfung ablegen müssen, deren Fokus auf der Beurteilung der Zusammenarbeit von Mensch und Hund liegt und ob der Hund die speziellen Unterstützungsleistungen für den Menschen mit Behinderungen erbringt, ob sich das Mensch-Hund-Gespann sicher in der Öffentlichkeit bewegt, in alltäglichen Situationen einwandfrei und sicher zusammenarbeitet und der Hund seine erlernten Fähigkeiten unter Alltagsbedingungen auch außerhalb des häuslichen Umfelds zeigt.

Zu Abs. 2

In Abs. 2 ist lediglich von EINEM Prüfer die Rede.

Es gibt gute Gründe, weshalb Mensch-Blindenführhund-Gespanne durch ZWEI Prüfer (je eine/r aus dem Bereich Hund und eine/r aus dem Bereich Orientierung und Mobilität) begutachtet werden. Aus diesem Grund ist eine Prüfkommission für die Gespannprüfung im Rahmen der Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen im Hilfsmittelverzeichnis verankert. Diese Möglichkeit muss unbedingt fortbestehen.

Die Frage ist schließlich, wer die Prüfer fachlich qualifiziert und wie die Zertifizierungsstelle entscheidet, wer geeignet ist.

Außerdem bedarf es einer Bestandsschutz- und Übergangsregelung für Prüferinnen und Prüfer ohne Zertifizierung, denn die fachliche Stelle wird es voraussichtlich mit Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht geben. Beispielsweise sind die Gespannprüfenden, die beim DBSV (keine geeignete unabhängige Stelle) die Grundlagenqualifikation und Fortbildungen absolviert haben ebenso wie Assistenzhundeausbilderinnen und -ausbilder, die mit unterschiedlichen Qualifikationen und auch nach vereinsinternen Fortbildungen Mensch-Assistenzhund-Teams prüfen, bisher von keiner unabhängigen Stelle als geeignet zugelassen worden. Für die Gespannprüfenden könnte der GKV-Spitzenverband die vorläufige Bescheinigung ausstellen, weil eine lange Zusammenarbeit mit den Krankenkassen besteht.

Es wird vorgeschlagen, nach dem Erwerb des Zertifikats nach § 12g Abs. 1 Satz 3 einen einheitlichen Assistenzhundausweis auszustellen, der im Alltag mitgeführt und bei Auseinandersetzungen um Zutrittsrechte im Sinne von § 12e Abs. 1 vorgelegt werden kann.

Zu § 12h

In Nr. 2 sollte nach dem Wort „erfolgreiche“ das Wort „tierschutzgerechte“ eingefügt werden.

Sicherzustellen ist, dass die Zulassungskriterien nach dem BGG und bereits bestehende Zulassungskriterien aufgrund von Vorschriften der Sozialleistungsträger nicht wesentlich voneinander abweichen bzw. eine Anerkennung erfolgt. Blindenführhundschulen müssen sich nach § 126 SGB V einem Präqualifizierungsverfahren unterziehen. Sie sollten keine doppelte Zertifizierung vornehmen müssen. Eine Angleichung der Anforderungen ist unbedingt sicherzustellen. Ansonsten droht nach Einschätzung des DBSV, dass sich Blindenführhundschulen vom Markt zurückziehen und die Versorgung der Betroffenen erschwert wird.

Zu § 12i

Die Evaluationsstudie wirft einige Fragen auf. Wir gehen davon aus, dass Blindenführhunde, die im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, nicht einbezogen sind.

Weiterhin ist präziser zu fassen, dass nur ausgebildete Assistenzhunde einbezogen werden.

Es ist klarzustellen, ob die Haltungskosten nur während der Studiendauer oder während der gesamten Einsatzzeit des Hundes übernommen werden.

Jedenfalls ist eine Partizipation von Menschen mit Behinderungen schon vor Veröffentlichung der Ausschreibung sicherzustellen.

Zu § 12j

Nr. 4 kann aus Sicht des DBSV gestrichen werden, denn Anforderungen an die artgerechte Haltung ergeben sich aus den tierschutzrechtlichen Regelungen.

Weiterer Änderungsbedarf

Dringenden Handlungsbedarf gibt es in Bezug auf die Futtergeldpauschale für Blindenführhunde.

Gemäß § 14 BVG wird bislang ein Monatsbetrag für fremde Führung geleistet, der jährlich angepasst wird. In der Praxis erlangt die Vorschrift vor allem dadurch an Bedeutung, dass alle gesetzlichen Krankenkassen und die Träger der Eingliederungshilfe blinden Menschen eben diesen Betrag zum Unterhalt eines Blindenführhundes zur Verfügung stellen. In Produktgruppe 07 des nach § 139 SGB V erlassenen Hilfsmittelverzeichnisses heißt es insoweit: „Nebenkosten der Blindenführhundversorgung: Die Krankenkasse übernimmt im Rahmen des § 33 SGB V die dem Versicherten durch die Haltung des Blindenführhundes entstehenden Kosten. Regelmäßig entstehende Kosten (u.a. Futterkosten, Impfkosten, Entwurmung und sonstige Gesundheitsprophylaxe) werden von der Krankenkasse durch Zahlung eines monatlichen Pauschbetrages in Höhe des nach § 14 BVG jeweils gültigen Betrages abgegolten....“

Im Rahmen der Reform zum Sozialen Entschädigungsrecht ist diese Norm ersatzlos gestrichen worden. Damit fehlt ab 2024 eine maßgebliche Referenznorm.

Aus Sicht des DBSV wäre im SGB XIV ein Ersatz für § 14 BVG dringend erforderlich. Der insoweit für Hilfsmittel geltende Verweis ins SGB VII greift zu kurz, weil dort keine verbindlichen Leistungsbeträge vorgesehen sind. Wichtig ist jedenfalls, dass es wie bisher eine akzeptierte Referenznorm gibt, auf die die Krankenkassen im Hilfsmittelverzeichnis verweisen können. Hier bietet sich das SGB XIV an.