DBSV-Stellungnahme zu Artikel 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (BT-Drucksache 19/28653)

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) vertritt als Spitzenorganisation die Interessen der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland.

Die Digitalisierung erfährt durch die physischen Kontaktbeschränkungen aufgrund der Coronapandemie eine enorme Beschleunigung. Dabei wird in allen Lebensbereichen offensichtlich, dass die bislang fehlende Barrierefreiheit digitaler Angebote Menschen mit Behinderungen besonders hart trifft und ausschließt, egal ob im privaten Umfeld, im Job oder im Gesundheitsbereich. Vor diesem Hintergrund begrüßt der DBSV ausdrücklich, dass der European Accessibility Act (EAA) – RL (EU) 2019/882 - mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Das Gesetz hat großen Einfluss darauf, ob und wie Menschen mit Behinderungen selbstständig ihre Bankgeschäfte erledigen, online einkaufen oder Mobiltelefone nutzen können, um nur einige Beispiele zu nennen.

Seit der Verabschiedung des EAA hat die Digitalisierung sich nochmals beschleunigt und ist mittlerweile Voraussetzung für die Aufrechterhaltung unseres Lebens geworden. Schon deshalb darf es nicht zu einer Minimalumsetzung der Richtlinie kommen. Vielmehr müssen jetzt auf nationaler Ebene ambitionierte Regelungen für umfassende Barrierefreiheit geschaffen werden. Der gleichberechtigte und chancengleiche Zugang zu Produkten und Dienstleistungen, die für die Allgemeinheit angeboten werden, ist ein Menschenrecht. Der Staat muss gewährleisten, dass diese Rechte nicht abstrakt bleiben, sondern im Leben der Menschen wirken. Dazu verpflichtet auch die UN-Behindertenrechtskonvention.

Die große Anzahl der behinderten Menschen und der Menschen mit funktionellen Einschränkungen dürfen auch für die Wirtschaft nicht länger Kunden zweiter Klasse sein. Ein ambitioniertes Vorgehen in Sachen Barrierefreiheit stärkt auch den innovativen Wirtschaftsstandort Deutschland.

Leider bleibt der Entwurf hinter den Erwartungen des DBSV zurück und missachtet die Teilhaberechte. Er muss daher dringend nachgebessert werden.

Die Forderungen des DBSV kurz und knapp

  • Der Nutzen barrierefreier Produkte und Dienstleistungen ist zu betonen. Die Einengung der Zielgruppe allein auf Verbraucher ist aufzuheben. Ein Absehen von der Bereitstellung barrierefreier Produkte und Dienstleistungen darf nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sein.
  • Es muss eine zentral organisierte Marktüberwachung geben. Sie muss rechtlich, fachlich, personell und finanziell in der Lage sein, die Umsetzung von Barrierefreiheit systematisch und effizient zu kontrollieren und durchzusetzen.
  • Es bedarf starker Instrumente, um Barrierefreiheit rechtlich durchsetzen zu können. Notfalls müssen Verbände auch gegen Wirtschaftsakteure klagen können.
  • Die vorgesehenen Übergangsfristen von bis zu 15 Jahren, beginnend ab 2025, müssen abgekürzt werden.
  • Für die Bereiche, für die das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bislang keine ausdrücklichen Regelungen vorsieht, müssen ebenfalls gesetzliche Vorgaben initiiert werden. Das schließt auch die bebaute Umwelt ein. Und es müssen flankierende Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit vorgesehen werden. Das heißt:
    • Die notwendigen finanziellen Mittel sind bereitzustellen, damit eine systematische und effektive Marktbeobachtung durch Verbraucherschutzorganisationen mit der Expertise für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen aufgebaut und dauerhaft gewährleistet werden kann.
    • Barrierefreiheit und deren Umsetzung ist in die Ausbildungs- und Studienpläne, Prüfungsordnungen, Weiterbildungsprogramme und Schulungsmodule aller Berufssparten als Lehrinhalt verpflichtend aufzunehmen.
    • Alle Förderprogramme müssen verpflichtende Vorgaben zur Barrierefreiheit enthalten. Ein spezielles Förderprogramm sollte gezielt barrierefreie Innovationen adressieren.
    • Die Bewusstseinsbildung in den Unternehmen für das Thema Barrierefreiheit ist durch gezielte Kampagnen zu schärfen.

Im Einzelnen

1. Den Nutzen barrierefreier Produkte und Dienstleistungen betonen – Die Einschränkung auf Verbraucher aufheben - Ausnahmen engführen!

1.1 Den Nutzen von Barrierefreiheit betonen

Von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen profitieren nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern alle Menschen. So sind z. B. barrierefrei programmierte Webseiten und Apps für alle besser nutzbar. In Deutschland leben rund 13 Mio. Menschen mit Behinderungen. Aufgrund der demographischen Entwicklung und einer alternden Gesellschaft wird die Anzahl der Menschen wachsen, die barrierefrei nutzbare Produkte und Dienstleistungen benötigen. Mindestens sollten daher Menschen mit funktionellen Einschränkungen, wie z. B. ältere Menschen, Schwangere, erkrankte und verletzte Menschen ausdrücklich im BFSG adressiert werden. Darauf weist auch Erwägungsgrund 4 der RL 2019/882 hin. Die Formulierung der Zweckbestimmung kann wesentlich dazu beitragen, die Wirtschaftsakteure für den großen Kundenkreis mit einem Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen zu sensibilisieren.

Vorschlag:

In § 1 Abs. 1 Satz 2 werden hinter den Worten „Menschen mit Behinderungen“ die Worte „und anderen funktionellen Einschränkungen“ eingefügt.

1.2 Beschränkung allein auf Verbraucher aufheben

Die Beschränkung auf Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher ist aufzuheben. Durch diese Beschränkung eröffnet sich ansonsten die Möglichkeit, dass Unternehmen die Barrierefreiheitsanforderungen umgehen, indem sie als Zielgruppe ihrer Angebote Unternehmer benennen. Ein Aufkleber mit „Business-Version“ würde dafür genügen.

Zudem werden dadurch Menschen mit Behinderungen faktisch in vielen Bereichen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, egal ob sie als Arbeitnehmer oder selbstständige Unternehmer aktiv sind. Wenn man hingegen an alle digitalen Produkte und Dienstleistungen die gleichen Barrierefreiheitsanforderungen stellt, sorgt dies für Rechtsklarheit. Außerdem sind Arbeitsplätze dann häufiger von vornherein mit weniger Barrieren behaftet. Die Folge: Arbeitsplätze können leichter mit Menschen mit Behinderungen besetzt werden.

Die maßvolle Erweiterung auf „vergleichbare“ Dienstleistungen klammert im Interesse der Wirtschaft reine B2B-Produkte aus, die nicht in ähnlicher Weise für Verbraucher angeboten werden.

Vorschlag:

In § 1 Abs. 2 Nrn. 1, 3 und 4 ist jeweils die Einschränkung, dass es sich um Produkte für Verbraucher handeln muss, zu streichen.

In der Einleitung von § 1 Abs. 3 sind die Wörter „für Verbraucher“ zu streichen.

  • 1 Abs. 3 Nr. 3 wird wie folgt gefasst: „Bankdienstleistungen für Verbraucher sowie diesen vergleichbare Bankdienstleistungen für Unternehmen“.

1.3 Ausnahmen engführen

Ausnahmen von der Pflicht zur Barrierefreiheit dürfen nur in engsten Grenzen und aus zwingenden Gründen möglich sein.

  • 17 muss gewährleisten, dass ein echter, an den Menschenrechten ausgerichteter Interessenausgleich zwischen den Wirtschaftsakteuren einerseits und den Menschen mit Behinderungen und funktionellen Einschränkungen andererseits erfolgt. Das ist bislang nicht der Fall. Die Kriterien zur Beurteilung der unverhältnismäßigen Belastungen (Anlage 4) beinhalten ausschließlich kostenseitige Kriterien in Bezug auf Produktion, Erbringung, Organisation etc. Es fehlen indes Vorgaben, welche Gründe ein Wirtschaftsakteur nicht berücksichtigen darf. Das sind laut RL 2019/882 etwa mangelnde Priorität, Zeit oder Kenntnisse im Unternehmen oder dass nicht jegliche Mehrkosten im Unternehmen die Unverhältnismäßigkeit begründen dürfen. Diese aus Erwägungsgrund 66 des EAA abgeleiteten Ausführungen finden sich bisher nur in der Gesetzesbegründung. Sie sind in das Gesetz selbst aufzunehmen. Zudem ist die Bewertung des positiven Nutzens für Menschen mit Behinderungen und funktionellen Einschränkungen durch ein Mehrangebot von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen stärker zu betonen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der gleichberechtigte und chancengleiche Zugang zu Produkten und Dienstleistungen ein Menschenrecht ist und Voraussetzung dafür, weitere Menschenrechte wahrnehmen zu können. Beispiel: Wenn man einen Verkehrsdienst nicht buchen kann, weil die App nicht barrierefrei ist, dann kann man sein Recht auf Freizügigkeit und Mobilität nicht nutzen. Wenn man ein E-Book nicht kaufen kann, weil der Onlineshop nicht barrierefrei ist, kann man sein Recht auf Bildung und Meinungsfreiheit nicht verwirklichen.

Grundsätzlich vorauszusetzen, dass Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten, mit der Erfüllung der Anforderungen überlastet sind, hält der DBSV ebenfalls nicht für zielführend. Die Ausnahmeregelungen für Kleinstunternehmen, sich im Rahmen der Konformitätsbewertung selbst für unzumutbar belastet zu erklären, werden bereits großzügig genug geregelt.

Vorschlag:

Paragraf 3 Abs. 3 Satz 1 wird aufgehoben.

Paragraf 17 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„(1)  Von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit darf nur abgewichen werden, wenn und soweit die barrierefreie Gestaltung im Einzelfall ausnahmsweise zu einer unverhältnismäßigen Belastung des betreffenden Wirtschaftsakteurs führen würde.“

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 werden folgende Sätze eingefügt:
„Näheres regelt Anhang IV und die nach Absatz 6 zu erlassender Rechtsverordnung. Mangelnde Priorität, Zeit oder Kenntnis gelten nicht als berechtigte Gründe.“

 

2.   Eine zentral organisierte und effiziente Marktüberwachung gewährleisten!

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sieht nicht vor, dass der Staat vor dem Inverkehrbringen prüft, ob Produkte oder Dienstleistungen tatsächlich barrierefrei sind. Er überprüft auch nicht regelhaft, ob sich ein Wirtschaftsakteur/Anbieter im Einzelfall zu Recht darauf beruft, ausnahmsweise keine Barrierefreiheit herzustellen. Vielmehr schätzen sich die Wirtschaftsakteure im Rahmen einer Konformitätsbewertung selbst ein. Verbraucher sind in dieser Situation strukturell unterlegen.

Wie barrierefrei E-Books, Bankdienstleistungen, Selbstbedienungsterminals, der Onlinehandel etc. künftig tatsächlich sind, wird vor diesem Hintergrund maßgeblich davon abhängen, wie effektiv der Verbraucherschutz funktioniert.

Der DBSV fordert daher eine zentral organisierte Marktüberwachung. Sie muss rechtlich, fachlich, personell und finanziell in der Lage sein, die Umsetzung von Barrierefreiheit systematisch und effizient zu kontrollieren und durchzusetzen.

2.1 Marktüberwachung zentral und effizient organisieren

Der Gesetzentwurf geht von einer alleinigen Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer für die Marktüberwachung aus. Damit besteht die große Gefahr, dass bei einer eigenverantwortlichen und damit ungesteuerten Länderzuständigkeit eine effektive Marktüberwachung nicht gewährleistet ist, weil:

  • eine einheitliche Rechtsanwendung nicht zu erwarten steht,
  • für Dienstleistungen – anders als für Produkte - bislang keine Erfahrungen und Konzepte mit Marktüberwachung auf Länderebene bestehen,
  • das Knowhow zum Themenkomplex Barrierefreiheit nicht sofort zuverlässig auf regionaler Ebene aufgebaut werden kann und
  • gerade mit Blick auf den globalisierten digitalen Dienstleistungssektor eine Überforderung rein regional organisierter Marktüberwachung zu erwarten ist.

Der DBSV fordert, dass die Marktüberwachung soweit wie möglich auf Bundesebene organisiert wird. Marktüberwachung ist nicht immer Ländersache, sondern es gibt bereits Marktüberwachung auf Bundesebene.

Die Marktüberwachung sollten die Behörden wahrnehmen, die ohnehin mit den jeweiligen Lebenssachverhalten befasst sind. Das sorgt für eine einheitliche Rechtsanwendung und trägt zur Marktransparenz bei. Der bürokratische Aufwand für Marktüberwachungsbehörden und Wirtschaftsakteure sinkt, wodurch Kosten gespart werden.

Produkte und Dienstleistungen im Bereich der Erbringung von Zahlungs- und Bankdienstleistungen können damit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen zugeordnet werden, die ohnehin die Bankenaufsicht übernimmt, bereits Bankdienstleistungen prüft und nach § 4 Abs. 1a Satz 1 FinDAG auch dem Schutz kollektiver Verbraucherinteressen verpflichtet ist.

Das Eisenbahn-Bundesamt ist bereits mit der Marktüberwachung der Fahrgastrechte im Eisenbahn-, Fernbus- und Schiffsverkehr befasst und kann auch die Barrierefreiheit der zum Einsatz kommenden Produkte und Dienstleistungen überwachen, zumal die Barrierefreiheit nach den Maßstäben der Richtlinie 2019/882 durch die ab 2023 geltende Neufassung der Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr ohnehin für eine Reihe von Aspekten gefordert wird.

Das Luftfahrt-Bundesamt kann zentral die Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Flugverkehr überwachen. Eine Regionalisierung wäre unter Berücksichtigung internationaler Bezüge völlig widersinnig.

Die Bundesnetzagentur kann im Bereich der Telekommunikation Aufgaben der Marktüberwachung übernehmen.

Sollte die Marktüberwachung dennoch ganz oder teilweise in die Zuständigkeit der Bundesländer übertragen werden, ist zu gewährleisten, dass ein verbindlicher Kooperationsrahmen und Informationsaustausch sowie die Bereitstellung des notwendigen Expertenwissens stattfindet. Auf Art. 10 der Verordnung (EU) 2019/1020 wird verwiesen. Denkbar wären etwa gesetzliche Regelungen, die zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen für eine länderübergreifende, zentrale Marktüberwachung motivieren. So könnte beispielsweise das Land Hessen die Aufsicht über E-Books und E-Book-Lesegeräte übernehmen, während z. B. Bayern für alle Länder den Onlinehandel überwacht. Zudem ist eine Verzahnung und Weiterentwicklung der Vorgaben des aktuell verhandelten Marktüberwachungsgesetzes und des dort geplanten Marktüberwachungsforums für Zwecke des BFSG abzusichern.

In jedem Fall braucht die staatliche Marktüberwachung effiziente Handlungs­möglichkeiten und sie muss personell, sachlich und finanziell in der Lage sein, systematisch und umfassend zu überwachen, um Fehlsteuerungen entgegenzuwirken. Die dafür notwendige Expertise muss aufgebaut und abgesichert werden.

2.2 Maßnahmen der Marktüberwachung bei Dienstleistungen, die die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllen (§ 29 und 30)

Stellen die Marktüberwachungsbehörden fest, dass eine Dienstleistung nicht den Barrierefreiheitsanforderungen entspricht, muss dies für den Wirtschaftsakteur Konsequenzen haben. Ansonsten werden reihenweise unzugängliche Dienstleistungen angeboten, wenn Wirtschaftsakteure keine Sanktionen zu befürchten haben. Menschen mit Behinderung sind aber unbedingt auf zugängliche Dienstleistungen angewiesen, um sie nutzen zu können.

Es kann nicht sein, dass die Marktüberwachungsbehörden einen Ermessenspielraum dahingehend haben, ob sie überhaupt handeln oder nicht. Die in § 29 Abs. 3 Satz 1 und § 30 Abs. 4 Satz 1 enthaltenen „Kann-Regeln“ sind durch verpflichtende Bestimmungen zu ersetzen.

Vorschlag:

Paragraf 29 Abs. 3 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„Ergreift der Dienstleistungserbringer innerhalb der nach Absatz 2 gesetzten Frist keine geeigneten Korrekturmaßnahmen, so trifft die Marktüberwachungsbehörde die erforderlichen Maßnahmen, um die Nichterfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen der nach § 3 Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung abzustellen.“

Paragraf 30 Abs. 4 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„Ergreift der Dienstleistungserbringer innerhalb der nach Absatz 3 gesetzten Frist keine geeigneten Korrekturmaßnahmen, so trifft die Marktüberwachungsbehörde die erforderlichen Maßnahmen, um die Nichterfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen der nach § 3 Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung abzustellen.“

2.3 Partizipation und Transparenz

Die in § 20 Abs. 2 geregelten Marktüberwachungsstrategien sollten unter Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen erstellt werden.

Verbraucher müssen leicht erkennen können, ob und inwieweit Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestaltet sind. Im Gesetzentwurf ist jedoch nicht geregelt, dass die Marktüberwachungsbehörden für Produkte ihre getroffenen Maßnahmen wie Produktrückrufe etc. in barrierefreier Form bekannt machen müssen.

Dafür muss auch eine barrierefrei zugängliche Datenbank entstehen, die barrierebehaftete Produkte und Dienstleistungen ausweist.

Hilfreich wäre es zudem, wenn zur Kontaktaufnahme mit Marktüberwachungs­behörden die im Rahmen der Umsetzung der RL 2016/2102 eingeführten barrierefreien Kontakt- und Feedback-Mechanismen analog etabliert werden. So können Probleme mit Produkten und Dienstleistungen den Anbietern unkompliziert gemeldet werden.

Starke Instrumente zur Rechtsdurchsetzung

Positiv bewertet der DBSV § 32, der es Menschen mit Behinderungen erlaubt, von der Marktüberwachungsbehörde ein Einschreiten zu verlangen. Ebenfalls sehr zu begrüßen ist ferner die Möglichkeit der Schlichtung vor der Schlichtungsstelle nach § 16 BGG in § 34, die im Bereich öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten mittlerweile große Relevanz hat.

Das Verwaltungsverfahren für die Verbraucher und Verbände sollte aber kostenfrei gestaltet werden. Zudem sollte Gerichtskostenfreiheit ermöglicht werden.

Außerdem erachtet es der DBSV für erforderlich, die Marktüberwachungsbehörden zu verpflichten, über eingereichte Anträge binnen einer gesetzlich normierten Frist zu entscheiden.

Verbänden ist es nach dem bislang vorliegenden Entwurf nicht möglich, Klagen etwa auf die Beseitigung rechtswidriger Barrieren bei Produkten und Dienstleistungen unmittelbar gegen den jeweiligen Wirtschaftsakteur zu richten. Aus Sicht des DBSV sollten die Vorschriften des BFSG in § 2 Abs. 2 UKlaG als verbraucherschützende Normen explizit aufgenommen werden, damit derartige Klagen durch anerkannte Verbraucherverbände möglich sind. Für die Aufnahme spricht, dass sich das BFSG explizit auf Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher bezieht.

Übergangsfristen abkürzen!

Die vorgesehenen Übergangsfristen sind zu lang und müssen aufgehoben werden. Die Wirtschaftsakteure haben jetzt vier Jahre lang Zeit, sich auf das Inkrafttreten des BFSG vorzubereiten und Barrierefreiheit umzusetzen. Angesichts des demografischen Wandels und der beschleunigten Digitalisierung ist schon diese Frist zu lang. Eine noch längere Übergangsfrist ist nicht nachzuvollziehen, zumal für digitale Anwendungen technische Standards zur Herstellung von Barrierefreiheit bereits bestehen.

Das Personenbeförderungsgesetz hat überdies mehr als deutlich gezeigt, dass lange Übergangsfristen nicht die erhoffte Wirkung bringen, denn die handelnden Akteure kümmern sich erst um Barrierefreiheit, wenn die Pflicht dazu unmittelbar ansteht.

Vorschlag:

Paragraf 38 wird aufgehoben.

Es muss im Übrigen darum gehen, die rechtlichen Grundlagen zügig zu regeln, damit sich Wirtschaftsakteure darauf einstellen können, was sie umzusetzen haben, sodass bald barrierefreie Produkte und Dienstleistungen auf den Markt kommen. Politisch motiviertes Gerangel darf es nicht geben, weil es zu Lasten behinderter Menschen und auch der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland geht. § 3 Abs. 2 enthält eine Verordnungsermächtigung, um die Barrierefreiheitsanforderungen zu konkretisieren. Dieses Vorgehen ist zu begrüßen, um das BFSG nicht zu überfrachten. Nachdem sich aber im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens keines der genannten Ressorts für die Umsetzung des EAA zuständig sah und auch keinerlei verantwortliche Rolle bei der Marktüberwachung übernehmen will, ist es erstaunlich, dass diese Ressorts bei den Detailregelungen mitbestimmen wollen. Der DBSV befürchtet, dass sich der Prozess durch eine Abstimmung von insgesamt fünf Fachministerien stark verzögert und dadurch eine ordentliche und zeitlich angemessene Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen nicht mehr gewährleistet werden kann. Das Gesundheitsministerium hat im Übrigen nichts mit der Regelungsmaterie zu tun und ist aus der Liste zu streichen.

Weitere Maßnahmen

Der jetzt vorliegende Entwurf setzt die Teilhaberechte unzureichend um. Es gibt gesetzgeberischen und weiteren Handlungsbedarf.

5.1 Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

Für die Produkte und Dienstleistungen, für die der EAA keine ausdrücklichen Regelungen vorsieht, müssen zeitnahe gesetzliche Vorgaben initiiert werden. Auch Haushaltsgeräte, Gesundheitsleistungen, online erbrachte Dienstleistungen etc. müssen barrierefrei werden.

Die bauliche Umwelt ist überdies einzubeziehen. Der EAA gibt den Mitgliedstaaten insoweit einen Spielraum, die UN-BRK ist dagegen eindeutig: Die Barrierefreiheit muss durchgängig sein (Art. 9 UN-BRK). Die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der baulichen Umgebung kann aus der ungeschriebenen Kompetenz kraft Sachzusammenhangs abgeleitet werden. Eine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs ist dort anzunehmen, wo eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie „verständlicherweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird“. Hilfsweise müssen die Bundesländer dazu seitens des Bundes gedrängt werden, die bebaute Umwelt einzubeziehen. Es gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz der Bundestreue zu Zusammenarbeit, Abstimmung und Rücksichtnahme von Bund und Ländern.

5.2 Flankierende Maßnahmen

Es sind flankierende Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit vorzusehen. Das bedeutet konkret:

  • Es sind die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen, damit eine systematische und effektive Marktbeobachtung durch Verbraucherschutzorganisationen mit der Expertise für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen aufgebaut und dauerhaft gewährleistet werden kann. Ein entsprechendes Programm zur Marktbeobachtung ist aufzulegen.
  • Menschen mit Behinderungen müssen effektive Möglichkeiten erhalten, auf die Erarbeitung und Festlegung der noch zu entwickelnden und anzuwendenden technischen Spezifikationen Einfluss zu nehmen.
  • Barrierefreiheit und deren Umsetzung ist in die Ausbildungs- und Studienpläne, Prüfungsordnungen, Weiterbildungsprogramme und Schulungsmodule aller Berufssparten als Lehrinhalt verpflichtend aufzunehmen.
  • Alle Förderprogramme müssen verpflichtende Vorgaben zur Barrierefreiheit enthalten. Ein spezielles Förderprogramm sollte gezielt barrierefreie Innovationen adressieren.
  • Die Bewusstseinsbildung in den Unternehmen für das Thema Barrierefreiheit ist durch gezielte Kampagnen zu schärfen.

Sollten die gesetzgeberischen und flankierenden Maßnahmen jetzt nicht unmittelbar erreichbar sein, schlagen wir dafür einen ergänzenden Entschließungsantrag vor.