DBSV-Stellungnahme zur Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV)

Deutschland hat sich dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Die selbstbestimmte und barrierefreie Mobilität im Straßenraum ist Grundvoraussetzung für Teilhabe. Egal ob man Einkäufe erledigen, einen Arzt aufsuchen, Freunde treffen, zur Arbeitsstelle gelangen oder eine Kulturveranstaltung besuchen möchte, muss man sich fortbewegen. Durch zunehmend barrierefrei gestaltete bauliche Anlagen, öffentliche Wege, Plätze und Straßen sowie öffentliche Verkehrsanlagen und Verkehrsmittel unterstützt Deutschland die Mobilität von Menschen mit Behinderungen, was wir positiv würdigen.

Neu im Straßenraum zugelassen werden sollen Elektrokleinstfahrzeuge (eKF), die das Potential bieten können, den Pkw-Verkehr zugunsten des ÖPNV zu reduzieren. Allerdings ist es erforderlich, den Interessenkonflikten unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer bei der sicheren und gleichberechtigten Nutzung des Straßenraums zu begegnen. Das schließt die Belange von Menschen mit Behinderungen zwingend ein.

Nach WHO-Zahlen gibt es ca. 1,2 Mio. blinde und sehbehinderte Menschen in Deutschland. Diese Zahl wird aufgrund des demographischen Wandels steigen, weil besonders ältere Menschen von chronischen Augenerkrankungen betroffen sind. Hinzu kommen bei Betroffenen häufig Höreinschränkungen und körperliche Mobilitätseinschränkungen.

Blinde und sehbehinderte Menschen können elektrisch angetriebene Fahrzeuge und so auch eKF nicht wahrnehmen – weder optisch, noch akustisch. Das kann zu einer Einschränkung ihrer Teilhabemöglichkeiten und zu sicherheitsrelevanten Gefährdungen führen.

Daher fordert der DBSV folgende Änderungen an den bislang vorgesehenen Regelungen der eKFV:

  • Keine Freigabe von Gehwegen für eKF (weder mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit (bbH) bis 12 km/h noch nach kommunaler Zulassung)
  • Verkehrsrechtliche Zulassung nur eines eKF-Typs mit einer bbH von 20 km/h mit einer Zuweisung des Nutzungsrechts und der Nutzungspflicht ausschließlich auf Radwegen oder Radfahrspuren.
  • Verbot des Abstellens von Leihfahrzeugen auf Gehwegen
  • Einzelfallzulassungen von eKF auf Gehwegen für mobilitätsbehinderte Menschen mit Nachweis und nur bis max. 6 km/h (Schrittgeschwindigkeit).
  • Verpflichtung zur Anbringung von ausreichend groß beschrifteten Kennzeichen, um Ordnungswidrigkeiten erfassen und ahnden zu können.
  • Erhöhung der Bußgelder bei verkehrswidrigem Verhalten
  • begleitende Forschung: Erfassen des Alters und von Beeinträchtigungen bei den an Unfällen beteiligten Personen sowie Begleitung der Forschungsvorhaben durch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit

Begründung

Schon heute ist es für Menschen mit Behinderungen und hier insbesondere für sinnesbehinderte Menschen außerordentlich schwierig, sich sicher und ungehindert fortzubewegen. Auf Gehwegen sind nicht nur Fußgänger unterwegs, sondern es sind auch andere Verkehrsteilnehmer zugelassen wie z. B. fahrradfahrende Kinder und deren begleitende Eltern, gemeinsame Geh- und Radwege (Verkehrszeichen 240) oder „Radfahrer frei". Gehwege sind zudem häufig schmal und mit Werbetafeln oder abgestellten Fahrrädern verstellt. Es dürfen keine weiteren Hürden hinzukommen.

Eine Zulassung von Kraftfahrzeugen wie eKF auf Gehwegen führt zu einer Aufhebung der Schutzraumfunktion von Gehwegen und damit unweigerlich zu einer Verdrängung von schwächeren Verkehrsteilnehmern, zumal unter Berücksichtigung der Erfahrungen im europäischen Ausland stark anzunehmen ist, dass eKF sich sehr schnell, insbesondere in touristisch beliebten Städten, verbreiten werden. Die Verdrängung schwächerer Verkehrsteilnehmer führt in der Folge zu einer Teilhabeeinschränkung von Fußgängern mit Mobilitätseinschränkungen, wenn der Einkauf nicht mehr selbst erledigt oder Kulturveranstaltungen aus Angst vor Unfällen nicht mehr wahrgenommen werden. Ein Schutzbedürfnis nimmt bei allen Menschen bei Verletzungen, Krankheit, Behinderung, im Alter oder bei Ablenkung zu. Blinde und sehbehinderte Menschen können keinen Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern aufbauen. Sie können die mit 12 km/h deutlich schnelleren eKF nicht hören und haben so keine Möglichkeit, das Verkehrsgeschehen richtig einzuschätzen.

Das Gebot der ständigen Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 STVO ist heute schon nicht gelebte Praxis. Diese Schieflage wird dadurch befördert, dass Ordnungswidrigkeiten durch die personellen Engpässe der Kommunen nicht oder nur selten erfasst und geahndet werden. EKF mit Höchsttempo 12 km/h sind von denen mit Höchsttempo 20 km/h äußerlich zudem nicht unterscheidbar. Das heißt: Auch mit dem Tempo-20-Roller wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf Gehwegen gefahren werden, selbst dort, wo dieser nicht zugelassen ist. Eine Kontrolle und Durchsetzung der Verkehrsregeln dürfte kaum erfolgen.

Im europäischen Ausland sind diese Probleme offenbar erkannt worden und eine zunächst akzeptierte Nutzung auf Gehwegen wurde bereits in einigen Ländern wieder zurückgenommen.

Eine generelle Freigabe der Gehwege für eKF mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit bis 12 km/h darf daher nicht erfolgen. Ebenso wenig dürfen die Kommunen Ausnahmeregelungen selbst treffen dürfen.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. hat gemeinsam mit FUSS e.V., dem Sozialverband VdK Deutschland und der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung Berlin einen Brief an die Ausschüsse für Verkehr, Umwelt und Innere Angelegenheiten des Bundesrates geschickt. Dem Brief beigefügt ist eine Synopse mit Änderungsanträgen zu der Verordnung mit der jeweiligen Begründung.