DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes

Vor dem Hintergrund einer äußerst geringen Erwerbsquote blinder und sehbehinderter Menschen begrüßt es der DBSV sehr, dass die Bundesregierung ein gesetzliches Maßnahmenpaket auf den Weg bringen will, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt zu stärken.

Vor dem Hintergrund einer äußerst geringen Erwerbsquote blinder und sehbehinderter Menschen begrüßt es der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) sehr, dass die Bundesregierung ein gesetzliches Maßnahmenpaket auf den Weg bringen will, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt zu stärken. Der vorliegende Referentenentwurf setzt insoweit wichtige Impulse. Allerdings bedürfen einige der vorgesehenen Regelungen noch der Schärfung, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Zudem sind zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten blinder und sehbehinderter Menschen unbedingt weitere Maßnahmen erforderlich, auf die am Ende dieser Stellungnahme eingegangen wird.

Zu Artikel 1

Zu Nr. 2 – Änderung des § 61 SGB IX

Das Budget für Arbeit wird bisher noch nicht im gewünschten Umfang von Menschen mit Behinderungen genutzt. Der DBSV begrüßt daher ausdrücklich, dass die Deckelung des Budgets für Arbeit auf 40 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV gestrichen wird. Das ist ein wichtiger Schritt, um das Budget für Arbeit attraktiver zu machen.

Das allein genügt aber noch nicht, um deutlich mehr Menschen eine Alternative zur Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zu eröffnen. Bislang wird das Budget für Arbeit von Menschen mit Behinderungen in Anspruch genommen, die durch viel Eigeninitiative eine Beschäftigungsmöglichkeit am Arbeitsmarkt finden. Es ist aus Sicht des DBSV notwendig, dass der Bundesagentur für Arbeit künftig die Aufgabe übertragen wird, Menschen mit Behinderungen bei der Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes zu unterstützen, so wie dies im Rahmen des Budgets für Ausbildung gem. § 61a Abs. 5 SGB IX bereits vorgesehen ist.

Zu Nr. 6 – Einführung eines § 153a SGB IX

Mit Blick auf die umfangreichen Diskussionen zur Versorgungsmedizinverordnung in den vergangenen Legislaturperioden begrüßt der DBSV, dass eine Reform der Zusammensetzung und Aufgabenwahrnehmung des Sachverständigenbeirates versorgungsmedizinische Begutachtung erfolgen soll. Begrüßt wird auch, dass insoweit durch die Zusammensetzung des Beirats den Auswirkungen von bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Teilhabe ein breiterer Raum eingeräumt werden soll. Dass der medizinischen Perspektive im Beirat noch immer ein höheres Gewicht beigemessen wird, lässt sich allenfalls dann begründen, wenn sichergestellt wird, dass unterschiedliche medizinische Fachrichtungen eingebunden werden.

Der DBSV erachtet es mit Blick auf das Partizipationsgebot für zielführend und richtig, dass auch der Deutsche Behindertenrat sieben Mitglieder für die Mitwirkung im Beirat benennen kann. Im Deutschen Behindertenrat werden die Belange von Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen durch die in ihm zusammengeschlossenen Organisationen abgebildet. Über eine Abstimmung und Koordination in diesem Gremium kann somit sichergestellt werden, dass auch im Beirat der erforderlichen Vielfalt Rechnung getragen wird. Es wird angeregt, für alle drei benennungsberechtigten „Bänke“ zu regeln, dass bei der Zusammensetzung des Beirats, entsprechend des Behinderungsverständnisses in § 2 SGB IX, zu allen Formen der Beeinträchtigungen (körperliche, geistige, seelische und Sinnesbeeinträchtigung) entsprechende Expertise abgebildet wird. Weiterhin ist sicherzustellen, dass sich die Sachverständigen mit z. B. Verbänden im DBR angemessen „rückkoppeln“ können, wie es in anderen Gremien, etwa dem gemeinsamen Bundesausschuss, gelebte Praxis ist.

Zu Nr. 7 und 11 – Ausgleichsabgabe

Der DBSV begrüßt ausdrücklich die Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe für Betriebe, die keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen. Damit wird einer langjährigen Forderung auch des DBSV Rechnung getragen. Leider bleibt die vorgesehene Höhe der Ausgleichsabgabe hinter den Erwartungen zurück. Es ist angesichts der noch immer deutlich höheren Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen bei gleichzeitig durchschnittlich besserer Qualifizierung dieser Gruppe absolut unverständlich und nicht hinnehmbar, dass trotz eines erheblichen Fachkräftemangels noch immer ¼ der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber keinen einzigen Menschen mit Behinderung beschäftigt. Seit Jahren gibt es Initiativen, um diese Arbeitgeber gezielt anzusprechen und zu unterstützen. Verwiesen wird an dieser Stelle auf die Initiative „Einstellung zählt“ und die Schaffung der einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber. Diese “Nullbeschäftiger“ jetzt mit einer eigenen Stufe der Ausgleichsabgabe zu adressieren, ist damit gerechtfertigt.

Zusätzlich fordert der DBSV eine Änderung im Steuerrecht, die es Unternehmen, welche die Ausgleichsabgabe entrichten müssen, unmöglich macht, diese Ausgaben steuerlich als Betriebsausgabe absetzen zu können.

Nicht nachzuvollziehen ist indes die vorgesehene Streichung der Bußgeldvorschrift in § 238 SGB IX für den Fall, dass der Beschäftigungspflicht nicht nachgekommen wird. Der DBSV fordert, dass der Bußgeldtatbestand erhalten bleibt. Es ist nicht einzusehen, dass sich Arbeitgeber mit der insgesamt relativ niedrigen Ausgleichsabgabe einfach von der Beschäftigungspflicht „freikaufen“ können sollen. Die Bußgeldvorschrift hat insoweit einen eigenen Wert zur Rechtsdurchsetzung der Beschäftigungspflicht. Das Argument der Bundesregierung, dass ein Bußgeld angesichts einer erhöhten Ausgleichsabgabe nicht mehr angemessen sei, läuft ins Leere. Die Ausgleichsabgabe soll gerade nicht erhöht werden. Vielmehr soll lediglich ein gesonderter Staffelbetrag für diejenigen Arbeitgeber eingeführt werden, die trotz gesetzlicher Verpflichtung keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Angeregt wird allerdings, die Zuständigkeit für die Belegung mit Bußgeldern einer anderen Behörde als der Bundesagentur für Arbeit zuzuordnen, denn diese kommt seit Jahren in einen Konflikt zwischen Bußgeldsanktion und Förderung der Arbeitgeber. Vorgeschlagen wird, stattdessen die Zollbehörden einzubinden, die u. a. mit der Kontrolle des Mindestlohns etc. betraut sind.

Zu Nr. 8 – Änderung des § 161 SGB IX

Der DBSV sieht es äußerst kritisch, dass bei Vorhaben, die aus dem Ausgleichsfonds gefördert werden, auch die Administrationskosten aus dem Ausgleichsfonds finanziert werden sollen. Zur Administration der aus dem Ausgleichsfonds geförderten Vorhaben gehören insbesondere die Beratung der Antragstellenden, die Antragsprüfung, die Bewilligung, die Zwischen- und Schlussprüfungen und ggf. Rückforderungen. Das sind aus Sicht des DBSV originäre Aufgaben des BMAS und dürfen das Budget des Ausgleichsfonds auf keinen Fall schmälern.

Zu Nr. 9 – Genehmigungsfiktion nach § 185 abs. 9 SGB IX

Der DBSV beklagt seit Jahren, dass die Verfahrensdauer bei Anträgen auf Teilhabeleistungen bei Rehabilitationsträgern und Inklusionsämtern zu lang ist. Dadurch werden regelmäßig Arbeitsverhältnisse gefährdet. Es sind uns mehrere Fälle bekannt, bei denen eine überlange Antragsbearbeitung für technische Arbeitshilfen und Assistenz sogar zur vorzeitigen Beendigung von Arbeitsverhältnissen blinder Menschen in der Probezeit führte.

Der DBSV ist daher grundsätzlich sehr auf Regelungen aus, mit der Verfahrensabläufe beschleunigt werden. Ein Instrument kann dabei eine Genehmigungsfiktion sein.

Allerdings ist die hier vorgesehene Vorschrift in § 185 Abs. 9 SGB IX aus Sicht des DBSV nicht mehr als “heiße Luft“ und vollkommen ungeeignet.

Problem 1: Um die Genehmigungsfiktion abzuwenden genügt es, wenn sich das Inklusionsamt innerhalb von sechs Wochen „äußert“. Das ist deutlich zu wenig. Äußern kann und wird sich das Inklusionsamt immer. Schon eine Eingangs- und Bearbeitungsanzeige ist eine Äußerung. Wann dann aber tatsächlich entschieden wird, weiß der behinderte Mensch noch immer nicht.

Problem 2: Die beantragte Leistung muss „nach Art und Umfang genau bezeichnet“ sein. Damit kommt die Regelung faktisch überhaupt nur bei Folgeanträgen von Arbeitsassistenz bei gleichbleibender Behinderungsauswirkung und gleichbleibendem Arbeitsanfall in Betracht. Für Menschen, die einen neuen Arbeitsplatz mühsam gefunden haben, kann die Regelung nicht greifen, denn sie können ihren Bedarf in der Regel nicht derart beziffern.

Fazit: Die Regelung muss dringend geschärft werden.

Zu Artikel 3

Dass digitale Pflegeanwendungen in den Leistungskatalog aufgenommen werden, ist zu begrüßen. Erneut weist der DBSV aber darauf hin, dass endlich gesetzlich und untergesetzlich abzusichern ist, dass digitale Pflegeanwendungen ebenso wie digitale Gesundheitsanwendungen barrierefrei nutzbar sein müssen, wenn sie durch Sozialleistungsträger finanziert werden. Das ist bislang nicht der Fall. Es kann nicht sein, dass die Fehler zur physischen Barrierefreiheit im digitalen Raum fortgesetzt werden. Auf die diesseitigen Stellungnahmen wird verwiesen u. a. die Stellungnahme zur Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen unter: https://www.dbsv.org/stellungnahme/vdipa-2022.html.

Leerstellen

Der im Referentenentwurf einleitenden Feststellung „Für eine inklusive Gesellschaft ist es entscheidend, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können.“ ist absolut zuzustimmen. Das Gesetz fokussiert aber bislang nur auf die Unterstützung des Einzelnen. Für die Umweltgestaltung (hier die barrierefreie Arbeitsumgebung) wird nichts vorgesehen, obgleich sich Behinderungen aus der Wechselwirkung zwischen individuellen Beeinträchtigungen und Barrieren ergeben. Ein barrierefreies und damit inklusives Arbeitsumfeld ist genauso entscheidend für die Möglichkeit zur Teilhabe, wie individuelle Unterstützungsleistungen. Dringend erforderlich ist, dass die digitale Arbeitswelt barrierefrei wird. Ansonsten haben blinde und sehbehinderte Menschen keine Perspektiven am ersten Arbeitsmarkt. Dazu erforderlich sind verbindliche rechtliche Vorgaben zur Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, die im Arbeitsalltag verwendet werden, wie Bürosoftware, elektronische Akten, Warenwirtschaftssysteme, Buchhaltungsprogramme etc. Hier fehlen geeignete Angebote und auch Appelle an die Wirtschaft haben bislang nicht gefruchtet.