GFTB-Beschlüsse zu Bildung und Assistenz

Beschlossen vom Gemeinsamen Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind (GFTB) per Mail am 26. Mai 2021 und 2. Juni 2021.

Veröffentlicht am 27. Juli 2021.

Bildung

Der GFTB fordert verbesserte Rahmenbedingungen der Bildung und Förderung für die rund 1.300 jungen taubblinden und hörsehbehinderten Menschen:

Grundlegende Bedingungen

  • Bedarfsorientierte Teilhabe an taubblindenspezifischen Bildungsmöglichkeiten muss durch bundesweite Schaffung von personellen und sächlichen Rahmenbedingungen, unabhängig vom gewählten Bildungsort oder unabhängig von einer Schulform, sichergestellt werden.
  • Teilhabe an Bildung muss ebenfalls durch ein Netz an Kompetenzzentren für Bildung taubblinder Menschen gewährleistet sein.
  • Ein eigener sonderpädagogischer Schwerpunkt „Taubblind“ muss im Bildungssystem geschaffen werden. Ein taubblindenspezifisches Curriculum muss geschaffen werden und als Bildungsgrundlage dienen.

Dienste und Ressourcen

  • Bundesweit müssen sonderpädagogische Beratungsstellen zu taubblindenspezifischen Bedarfen in den Bereichen Frühförderung und Bildung für Kinder beraten können.
  • Mobile sonderpädagogische Dienste für den Bereich Taubblindheit müssen Unterstützung für die Betreffenden an allen Schulformen anbieten.
  • Bereitstellung aller notwendigen sächlichen Ressourcen für junge Menschen mit Taubblindheit durch optimale individuelle Hilfsmittelausstattung und bedarfsgerechte Gestaltung der Lernumgebung
  • Ausreichende zeitliche und personale Ressourcen, die Bildungsangebote ermöglichen, welche großenteils in einer 1:1-Situation gestaltet sind: kleine Lerngruppen mit gutem Personalschlüssel

Ausbildung

  • Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von pädagogischem Personal und Lehrkräften zu taubblindenspezifischen Fachkräften muss einrichtungsunabhängig und unter grundlegenden Standards erfolgen.
  • Die wissenschaftliche Begleitung der Taubblindenpädagogik muss sichergestellt sein.

Assistenz

Bedarfe taubblinder und hörsehbehinderter Menschen an persönlicher Assistenz im Rahmen der Eingliederungshilfe

Der gemeinsame Fachausschuss hörsehbehindert / taubblind erklärt:

(Alle Zitate in Anführungszeichen aus § 78 SGB IX,
www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__78.html)

Bei Taubblindheit sind das Seh- und das Hörvermögen zugleich sehr weit eingeschränkt. Ein gegenseitiger Ausgleich von Hören und Sehen ist nicht mehr möglich. Eine ertaubte Person kann sich oft mit Gesten und Lippenlesen verständigen; ein blinder Mensch kann vieles erfahren durch Hören und Nachfragen; für taubblinde Menschen ist beides nicht möglich.

Die Betreffenden haben einen hohen Bedarf an Assistenz in den Bereichen

  • Kommunikation: Gesprochenes und Geschriebenes müssen übersetzt werden in das Handalphabet „Lormen“, tastbare Gebärdensprache oder Brailleschrift.
  • Mobilität: Bei fast allen Aktivitäten außer Haus ist Begleitung nötig.
  • Informationsaufnahme und -beschaffung: Übersetzen von Zeitungsartikeln, Briefen, Produktinformationen, Aushängen, Internetseiten; Erklären der Umgebung: Sind andere Personen anwesend? Ist die Wohnung oder die eigene Kleidung sauber? Wie sieht ein Gebäude aus? …

Das Merkzeichen TBl (taubblind) im Schwerbehindertenausweis ist ein Hinweis auf taubblindentypische Assistenzbedarfe. Aber auch Personen ohne Merkzeichen TBl können hohen Assistenzbedarf haben.

§ 78 SGB IX garantiert hörsehbehinderten und taubblinden Menschen Assistenz. Bei der Beantragung und Gewährung von Assistenz sind die Bedarfe in unterschiedlichen Bereichen zu prüfen.

Zu diesen Assistenzbereichen im Rahmen der „selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags“ gehören u. a.:

  1. „allgemeine Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung“
    Einkaufen und Online-Bestellungen, Briefe lesen und beantworten, Reinigung und Instandhaltung der Wohnung, Bedienung von Geräten und des Computers, Gespräche mit Behörden, Bank, Dienstleistern
  2. „Gestaltung sozialer Beziehungen“
    Treffen mit Verwandten und Freunden, Familienfeiern, Aktivitäten von Selbsthilfegruppen
  3. „persönliche Lebensplanung“
    Planungen von Umzug, Reisen, Wohnungseinrichtung, neuen Hobbys, Partnersuche
  4. Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben“
    Ausstellungen, Stadt- und Naturführungen, Jahrmärkte, Festivals, Theater, Lesungen, Seminare, Volkshochschule, mehrtägige Bildungsangebote für taubblinde Menschen, Gottesdienstteilnahme, Tätigkeit für die Selbsthilfe und in der Politik
  5. „Freizeitgestaltung“
    Hobbys, Urlaubs- und Bildungsreisen
  6. „sportliche Aktivitäten“ und Erhaltung der Gesundheit
    Geeignete Sportarten finden und ausüben ist sehr wichtig. Damit wird Bewegungsmangel und körperlichen Folgeschäden vorgebeugt.
  7. „Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen“
    Auswahl von Lebensmitteln bei Unverträglichkeiten u.ä., Medikamente sortieren, krankengymnastische Übungen
  8. „Versorgung und Betreuung“ der eigenen Kinder
    Unterstützung bei Hausaufgaben, Elternabende, Ausflüge, Spielplatz, Schwimmbad, Vorlesen, Filme anschauen …
  9. Unterstützung bei der „Ausübung eines Ehrenamtes“ (dabei sieht das Gesetz vorrangig vor: „Unterstützung im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen“)
    Hinweis: Ehrenamtliche Tätigkeit für die Selbsthilfe und in der Politik ist sehr wichtig, um die Lebensbedingungen der Betroffenen zu verbessern. Professionelle Assistenz ist dabei oft nötig für: Begleitung zu Terminen, Sicherstellung der Kommunikation, Bearbeiten von Dokumenten, Veranstaltungsleitung.
  10. Notwendige „Fahrkosten oder weitere Aufwendungen des Assistenzgebers“ werden „als ergänzende Leistungen“ erbracht.

Mindestanspruch auf Taubblindenassistenz

Der GFTB erklärt:
Für taubblinde Menschen ist es sehr schwer, Anträge auf Taubblindenassistenz als Eingliederungshilfe zu stellen.
Das Antragsverfahren ist für sie zu kompliziert und der Umgang mit Antragstellern zu ablehnend.

Der GFTB fordert daher:
Taubblinden Menschen mit dem Merkzeichen TBl im Schwerbehindertenausweis muss mindestens ein Assistenzbedarf von 20 Stunden wöchentlich anerkannt werden, ohne dass sie diesen Bedarf begründen müssen.
Diese Zahl ist eine absolute Untergrenze. Höhere Bedarfe sind die Regel.

„Qualifizierte Assistenz“ in der Bildung, Förderung und Betreuung taubblinder Menschen

Manche taubblinde Menschen brauchen Unterstützung und Anleitung, wie sie ihr Leben gestalten können. „Die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung“ durch „Anleitungen und Übungen“ im Sinn von § 78 Ab. 2 Nr. 2 SGB IX ist keine einfache kompensatorische Assistenz oder Taubblindenassistenz. Wenn solche pädagogisch orientierte Assistenz nötig ist, muss sie von pädagogisch ausgebildetem Personal erbracht werden. Das geschieht in besonderen Wohnformen und in ambulanten Unterstützungsangeboten.

Bei dieser anleitenden Assistenz ist wichtig: Pädagogische Fachkräfte müssen ausgebildet sein in

  • Besonderheiten der persönlichen Entwicklung taubblinder Menschen
  • Kommunikationsformen taubblinder Menschen
  • Methoden in der Taubblindenpädagogik
  • Rehabilitation und Hilfsmittel bei Taubblindheit
  • sozialrechtliche Grundlagen in der Taubblindenarbeit

Anleitung taubblinder Menschen geht oft nur im 1:1 Verhältnis. Daher muss viel Personal und Zeit zur Verfügung stehen.
Ergänzend zu einer anleitenden Assistenz haben die Betreffenden oft auch Bedarf an einfacher Taubblindenassistenz, vor allem für alltägliche individuelle Aktivitäten wie in § 78 Abs. 1 SGB IX beschrieben.

Qualifizierung von Assistenz für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen

Assistenzleistungen für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 78 SGB IX „beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen“, die in § 78 Abs. 1 SGB IX genannt sind. Diese Assistenz muss also Kommunikation zwischen Betroffenen und anderen Menschen sichern. Außerdem müssen Assistenzen mit den Betroffenen kommunizieren können. Die Sicherstellung der Kommunikation durch Taubblindenassistenz ist mit der bisherigen Qualifikation entsprechend dem derzeitigen Qualifikationsprofil des GFTB nicht ausreichend möglich. (www.dbsv.org/tba.html)

Der GFTB schlägt Schwerpunktsetzungen der Ausbildung vor für verschiedene Kommunikationsbedarfe. Die Schwerpunkte sind eingeteilt je nach Assistenzaufgaben und Besonderheit der Hörsehbehinderung.
Teile der Ausbildungsmodule können auch bei der Schulung von Pflegepersonal zum Umgang mit hörsehbehinderten und taubblinden Menschen in Pflegeeinrichtungen genutzt werden.

  1. Einfache persönliche Assistenz bei Hörsehbehinderung mit Lautsprache (HSA); mögliche Aufgaben sind u.a. Begleitung und Hilfe zum guten Verstehen mit Hörhilfen, durch mündliches Zusammenfassen oder Mitschreiben (ggf. auch Lormen). Solche HSA ist nötig bei komplizierter Kommunikation / Information / Mobilität.)
    Eine Schulung ist durch die hörsehbehinderten Menschen selbst bzw. durch Schulungen in Regie bzw. in enger Abstimmung mit der Selbsthilfe möglich.
  2. Taubblindenassistenz Grundlagen: Kenntnisse über Hörsehbehinderung und Taubblindheit, Grundlagen der Kommunikation, Begleittechniken, Berufsbild und Selbstverständnis.
  3. Taubblindenassistenz mit Schwerpunkt Laut- und Schriftsprachliche Kommunikation für Aktivitäten mit komplizierter Kommunikation; Vermittlung von Gesprächen, Beratungen, Vorträgen und komplexen Informationen; Kommunikationstechniken sind Lormen, Braille und Schwarzschrift, mündliches Wiederholen und Zusammenfassen, Assistenz bei Hörtechnik
  4. Taubblindenassistenz mit Schwerpunkt deutsche Gebärdensprache für Aktivitäten mit komplizierter Kommunikation; Vermittlung von Gesprächen, Beratungen, Vorträgen und komplexen Informationen; Kommunikationstechniken sind deutsche Gebärdensprache, taktiles Gebärden, Lormen. (Gehörlose Assistenzen in dieser Stufe erlernen Sicherstellung von Kommunikation mit Hörenden.)
  5. Pädagogisch anleitende Assistenz:
    Fachkräfte, die pädagogisch mit taubblinden und hörsehbehinderten Menschen arbeiten, brauchen dafür eine gezielte Weiterqualifizierung für Erzieher, Heilerziehungspflegerinnen, Sozialpädagogen, Heilpädagoginnen etc. zu Taubblindenpädagoginnen und -pädagogen.
  6. Dolmetschen für taubblinde Menschen bei wichtigen Themen: Verträge, Gericht, ernste Erkrankungen, Weiterbildungen, Vorträge auf Fachkonferenzen
    Aufbauausbildung für Gebärdensprachdolmetschende und Taubblindenassistenzen

Für die Schwerpunkte sollen Ausbildungsmodule entwickelt werden. Die Module sollen aufeinander aufbauen. Die genauen Inhalte der Ausbildungsmodule sind noch zu formulieren.
Für die verschiedenen Schwerpunkte sind passende Honorare festzulegen.

Beschlossen per Mail am 26. Mai 2021 und 2. Juni 2021
Veröffentlicht am 27. Juli 2021

Kontakt

Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert / taubblind (GFTB)
c/o Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV)
Reiner Delgado, GFTB-Vorsitzender
Rungestraße 19 – 10179 Berlin
Tel: 030-285387-240 – E-Mail: r.delgado@dbsv.org
Web: www.taubblind.dbsv.org