GFTB: Qualitätsanforderungen an Taubblindenberatung

Taubblinde Menschen stehen im Bezug auf ihr Recht auf eine weitreichende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft besonderen Anforderungen gegenüber, besonders in den Bereichen

  • selbstbestimmte Mobilität – direkte und Fernkommunikation – Informationsbeschaffung
  • Bewältigung von Alltagsaufgaben

Folgende Besonderheiten sind zu beachten, um eine Beratung zu gewährleisten, die taubblinden Menschen nachhaltig Teilhabe ermöglicht:

  • Viele Betroffene verfügen über weit weniger Informationen und Bildungsmöglichkeiten als nicht Behinderte. Es ist wesentlich aufwändiger, ihnen komplizierte Sachverhalte zu erklären, da ihnen der Hintergrund zur Einordnung neuer Informationen fehlt.
  • Die Kommunikationsmöglichkeiten der Betroffenen sind äußerst unterschiedlich. Um den individuell besten Kommunikationswegen entsprechen zu können, muss eine Vielzahl von Kommunikationstechniken bereitgehalten werden: visuelle und taktile Gebärdensprache Finger- und/oder Handalphabete wie das Lormen schriftliche Kommunikation, z. B per Blindenschrift oder computergestützte Kommunikationsmöglichkeiten (Einsatz von Schriftvergrößerungsprogrammen und Braille-Zeile) spezielle Hörhilfen
  • Die Lebenssituation vieler taubblinder Menschen ist höchst kompliziert: Sie leben beispielsweise mit ihren Eltern zusammen, die unzureichend über Beratungs-, Förder-, Reha- und Assistenzmöglichkeiten informiert sind und mit zunehmendem Alter immer weniger helfen können. Oft entsteht große Abhängigkeit, Konflikte und soziale Isolation.
  • Die Bildungs-, Förder- und Assistenzmöglichkeiten für taubblinde Menschen sind sehr begrenzt. Antragsverfahren dauern oft sehr lange und ziehen sich oft über viele Ablehnungen bis zu Gerichtsverhandlungen hin. Die Betroffenen brauchen viel Geduld, Durchhaltevermögen und großes Verständnis für bürokratische Abläufe.
  • Taubblinde Menschen können eine Beratung i. d. R. nicht selbst aufsuchen und müssen dafür zu Hause besucht werden.
  • Die Betroffenen wissen meist kaum über Beratungs-, Reha- und Fördermöglichkeiten Bescheid - wie Schulung in Mobilität und lebenspraktischen Fähigkeiten oder Blindenschrift - und müssen darüber umfassend aufgeklärt werden. Damit muss die Grundlage für die Beratung erst während der Beratung geschaffen werden.

Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich folgende Anforderungen an eine Taubblindenberatung, die wirklich in der Lage ist, den Betreffenden weiterzuhelfen:

  • Die Beratenden verfügen über umfassende Kenntnisse zu Taubblindheit in ihren sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Sie kennen die erheblichen Einschränkungen in Mobilität, Kommunikation, Information, Alltagsbewältigung und psychischer Gesundheit, denen viele taubblinde Menschen ausgesetzt sind, und können angemessen damit umgehen.
  • Sie verfügen über eine Vielzahl taubblindenspezifischer Kommunikationstechniken wie u. a. taktile Gebärdensprache und das Lormen und können auch komplizierte Sachverhalte individuell angepasst einfach erklären. Alternativ kann für die Beratung eine qualifizierte Dolmetschung zur Verfügung stehen.
  • Sie kennen die notwendigen Verhaltensmaßnahmen bei der Kommunikation (Lichtverhältnisse, Kommunikationsabstand)
  • Sie können sich auf das Sprachverständnis und -niveau der Ratsuchenden einstellen.
  • Die Beratenden kennen das Spektrum der Bildungs- Reha und Fördermöglichkeiten für taubblinde Menschen und die entsprechenden Anbieter und können diese Angebote den Betreffenden erläutern.
  • Sie sind in der Beantragung von Maßnahmen, Hilfsmitteln und persönlicher Assistenz bewandert und können sicher mit allen Schritten eines Antragsverfahrens umgehen. Zugleich nehmen sie die Betroffenen als autonome Subjekte ihrer Lebenssituation in allen Schritten mit.
  • Taubblindenberatung muss nicht nur die Vermittlung von Informationen sondern auch längerfristige Begleitung anbieten können, um den Betroffenen den oft sehr mühsamen Weg in ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
  • Taubblindenberatung hält Infomaterial und Hilfsmittel für taubblinde Menschen bereit, um diese den Betreffenden zeigen und vorführen zu können bzw. hat Kontakte zu fachlich qualifizierten Anbietern dieser Hilfsmittel.
  • Beratung für taubblinde Menschen wird auch mobil bei den Betroffenen zu Hause angeboten.
  • Taubblindenberatung ist zeitnah zugänglich und kann vor allem in Krisensituationen schnell reagieren.

Es ist anzustreben, dass auf der Grundlage dieser Kurzdarstellung ein ausführliches Qualifikationsprofil für Taubblindenberatung entwickelt und Fachkräfte für die Beratung ausgebildet werden. Eine flächendeckende Struktur qualifizierter Taubblindenberatung ist zu schaffen.

Hannover, 2. Mai 2012

gez. Wolfgang Angermann
GFTB-Vorsitzender