DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung (KHPflEG)
Mit Schreiben vom 11.08.22 hat das BMG die Verbände zur Abgabe einer Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung (Krankenhauspflegeentlastungsgesetz – KHPflEG).
Laut des vorliegenden Entwurfs wird u. a. das Ziel formuliert, die Nutzerfreundlichkeit von digitalen Anwendungen zu erhöhen. Regelungen zur Digitalisierung sollen entsprechend angepasst werden.
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, Spitzenverband der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland, fordert nachdrücklich, dass im Zuge des KHPflEG und unter der genannten Zielvorgabe gesetzliche Lücken hinsichtlich der Barrierefreiheit geschlossen und unzureichende Regelungen nachgeschärft werden. Es ist dringend notwendig, den Zugang zu Gesundheitsleistungen für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Zugang zum Gesundheitswesen für alle Patientinnen und Patienten zu den Patientenrechten gehört.
Nachbesserungsbedarf sieht der DBSV hinsichtlich
- der Zugänglichkeit des Medikationsplans,
- der Formulierung von Anforderungen für die von der gematik zulassungsfähigen Dienste und Komponenten sowie
- der Barrierefreiheit von digitalen Gesundheitsanwendungen.
Artikel 1:
Anspruch auf einen Medikationsplan in wahrnehmbarer Form in § 31a SGB V verankern
§ 31a SGB V formuliert den Anspruch der Versicherten auf Erstellung und Aushändigung eines Medikationsplans. Damit soll Versicherten ein verständlicher und einfach zu handhabender Einnahmeplan zur Verfügung gestellt werden mit dem Ziel, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern.
Bislang sind die Belange von blinden und sehbehinderten Menschen nicht zielführend gesetzlich verankert, wenn es in § 31a Abs. 2 S. 2 heißt: „Den besonderen Belangen der blinden und sehbehinderten Patienten ist bei der Erläuterung der Inhalte des Medikationsplans Rechnung zu tragen.“.
Blinde und sehbehinderte Menschen brauchen nicht lediglich eine spezielle „Erläuterung“ des Medikationsplans, sondern vielmehr die Aushändigung des Medikationsplans in einer für sie wahrnehmbaren Form (z. B. in Großdruck, in einem barrierefreien digitalen Format, in Brailleschrift etc.). Ansonsten bleiben blinde und sehbehinderte Menschen aufgrund ihrer Seheinschränkung von diesem Patientenrecht faktisch ausgeschlossen.
Zur Gewährleistung der Arzneimitteltherapiesicherheit und zur Vermeidung einer behinderungsbedingten Benachteiligung ist es dringend erforderlich, § 31a SGB V um eine Regelung zu ergänzen, die blinden, sehbehinderten und sonst lesebehinderten Versicherten einen Anspruch auf Zurverfügungstellung des Medikationsplans in einer für sie wahrnehmbaren Form vermittelt.
Die Sicherstellung von Barrierefreiheit könnte insoweit durch die Neufassung des § 31a erfolgen, deren Wortlaut etwa wie folgt auszugestalten wäre:
„Eine blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Person kann verlangen, dass ihr der Medikationsplan ohne zusätzliche Kosten in einer für sie wahrnehmbaren Form zur Verfügung gestellt wird“.
Dabei ist zu gewährleisten, dass der Versicherte das Wahlrecht hat, welche Form der Zugänglichmachung er in Anspruch nehmen möchte – ob ein barrierefreies digitales Format, Großdruck, Brailleschrift etc..
Um für viele sehbehinderte Patientinnen und Patienten die Lesbarkeit des Medikationsplans bereits ohne Zusatzaufwand sicherzustellen, sollten Anforderungen an Kontrast, Schriftform und -größe Beachtung finden (DIN 32975 Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung und DIN 1450 Schriften Leserlichkeit).
Artikel 1:
Barrierefreiheit bei der Zulassung durch die gematik in § 325 SGB V gewährleisten
Die §§ 12 ff. des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) einschließlich der BITV 2.0 verpflichten nur die gematik als öffentliche Stelle, ihre Websites und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Diese Vorschriften gelten aber nicht unmittelbar für Drittanbieter, die eine Zulassung ihrer Dienste und Komponenten nach § 325 SGB V begehren.
Soweit das Vergaberecht zur Anwendung kommt, gilt zwar § 121 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Allerdings wird die Zulassung von Diensten und Komponenten nach § 325 SGB V nicht über das Vergaberecht gesteuert. Vielmehr heißt es in § 325 Abs. 2 SGB V: „Die Gesellschaft für Telematik lässt die Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur auf Antrag der Anbieter zu, wenn die Komponenten und Dienste funktionsfähig, interoperabel und sicher sind.“
In § 325 Abs 2 SGB V fehlt die ausdrückliche Anforderung, dass die Komponenten und Dienste auch barrierefrei nutzbar sein müssen. Zumindest wäre klarzustellen, dass die Funktionsfähigkeit auch die barrierefreie Nutzbarkeit für Menschen mit Behinderungen umfasst.
In § 325 Abs. 3 SGB V wird festgeschrieben, dass die Funktionsfähigkeit auf der Grundlage der von der gematik veröffentlichten Kriterien geprüft wird. Damit bedarf es auch veröffentlichter Festlegungen, welche technischen Standards im Kontext Barrierefreiheit anzuwenden sind. Grundlage dafür muss aus Sicht des DBSV die EN 301 549 sein.
Artikel 3: Barrierefreiheit im Anforderungskatalog digitaler Gesundheitsanwendungen gewährleisten
Gesetzliche Kranken- und Pflegekassen sind verpflichtet, Sozialleistungen – und dazu gehört auch die Versorgung mit digitalen Gesundheits- und Pflegeanwendungen im Rahmen des Anspruchs nach § 33 a SGB V und § 40a SGB XI – in zeitgemäßer Weise (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) und diskriminierungsfrei (§ 33c SGB I) zur Verfügung zu stellen, wobei gemäß § 2a SGB V den besonderen Belangen behinderter Menschen Rechnung zu tragen ist. Daraus resultiert ein Handlungsauftrag zur Sicherstellung einer barrierefreien Gesundheitsversorgung, der sich auch auf digitale Anwendungen erstreckt.
Bislang fehlen in der Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung einschlägige Anforderungen an die Barrierefreiheit, wenn es um die Nutzbarkeit digitaler Gesundheitsanwendungen geht. Entsprechend sind bislang am Markt erhältliche digitale Gesundheitsanwendungen für blinde und sehbehinderte Menschen in der Regel nicht barrierefrei nutzbar.
Die in Anlage 2 zu § 5 Abs. 6 vorgesehene Abfrage, ob es spezielle Bedienungshilfen für behinderte Menschen gibt, ist unzureichend. Vielmehr müssen im Verordnungstext unter Berücksichtigung der einschlägigen technischen Standards konkrete Anforderungen an die Barrierefreiheit aufgenommen werden. Hierzu könnte § 5 Abs. 6 der Verordnung wie folgt neu gefasst werden:
„§ 5 (6) Digitale Gesundheitsanwendungen setzen Anforderungen an die Barrierefreiheit und Nutzbarkeit um:
- Digitale Gesundheitsanwendungen sind von dem Hersteller so zu gestalten, dass die Versicherten diese leicht und intuitiv bedienen können.
- Digitale Gesundheitsanwendungen sind nach Maßgabe von § 12a Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) und der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) barrierefrei zu gestalten. Für zentrale Navigations- und Einstiegsangebote sowie Angebote, die eine Nutzerinteraktion ermöglichen, beispielsweise Formulare und die Durchführung von Authentifizierungs-, Identifizierungs- und Zahlungsprozessen, soll ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit angestrebt werden.
- Das Nähere zu den Anforderungen an die Nutzerfreundlichkeit und die Barrierefreiheit bestimmt sich nach Maßgabe der Anlage 2, deren Umsetzung der Hersteller im Rahmen seines Antrags mittels der entsprechenden Erklärung bestätigt.
Anlage 2 wäre etwa wie folgt zu ergänzen:
Ist die digitale Gesundheitsanwendung barrierefrei?
- § 5 Abs. 6 Ja, die digitale Gesundheitsanwendung ist wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet; die Anforderungen für mobile Anwendungen nach Maßgabe der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) und der EN 301 549 in der Fassung 3.2.1 (2021-03), Annex A, Tabelle A.2 werden erfüllt.
- § 5 Abs. 6 Ja, zentrale Navigations- und Einstiegsangebote sowie Angebote, die eine Nutzerinteraktion ermöglichen, wie Formulare und die Durchführung von Authentifizierungs-, Identifizierungs- und Zahlungsprozessen erfüllen ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit im Sinne der Konformitätsstufe AAA der WCAG 2.1.
- § 5 Abs. 6 Die Barrierefreiheit und Usability der digitalen Gesundheitsanwendung wurde im Rahmen von Tests mit einer die Zielgruppe repräsentierenden Fokusgruppen von Menschen mit Behinderungen bestätigt.
- § 5 Abs. 6 Ja, die digitale Gesundheitsanwendung kann von einer Plattform barrierefrei heruntergeladen werden.
Ähnlicher Regelungen bedarf es für die Zulassung digitaler Pflegeanwendungen.