DBSV-Stellungnahme zum Entwurf der Musterbauordnung (MBO), vorgelegt als Synopse vom 17.08.2020

Die Fachkommission Bauaufsicht hat den Entwurf einer Änderung der Musterbauordnung (MBO) zur Anpassung an aktuelle Begebenheiten und Fortschreibung zur Kommentierung vorgelegt. Die MBO hat keine unmittelbare Rechtswirksamkeit, da das Baurecht Ländersache ist.

Die Fachkommission Bauaufsicht setzt sich aus Vertretern der für das Bauen zuständigen Ministerien der Bundesländer zusammen. Die MBO hat immer eine starke Vorbildfunktion, die dazu führt, dass viele Bundesländer die Änderungen in die Landesbauordnungen übernehmen.

Allgemeine Anmerkungen

Beim Lesen des Gesetzentwurfs und dessen Begründung wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit den vorgesehenen Änderungen in der MBO vordergründig beabsichtigt, das Bauen im Bestand zu erleichtern und einer Kosteneinsparung Rechnung tragen möchte. Die Vorgaben zur Herstellung der Barrierefreiheit sollen entsprechend auf dieses Anliegen hin zugeschnitten und angepasst werden.

Der vorliegende Entwurf zur Änderung der MBO enthält im Wesentlichen zu viele Ausnahmemöglichkeiten, die ein müheloses Umgehen der Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit gestatten, auf die in § 3 Satz 1 i. V. m. EU-Verordnung 205/2011 Anhang 1 ausdrücklich hingewiesen wird. Hier sei beispielsweise auf die Regelungen in § 39 „Aufzüge“ und § 50 „Barrierefreies Bauen“ verwiesen.

Damit liegen die eingeräumten Möglichkeiten zur Umgehung der Herstellung von Barrierefreiheit weder im Interesse älterer und behinderter Menschen, noch im gesellschaftlichen Interesse zur ausreichenden Berücksichtigung des demographischen Wandels. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention wird nicht angemessen umgesetzt. Vor allem das darin benannte Ziel der Herstellung einer umfassenden Barrierefreiheit bei der Zugänglichkeit und Nutzung von Wohngebäuden und öffentlich zugänglichen Einrichtungen wird nicht ausreichend berücksichtigt. Weiter ist die Barrierefreiheit an vielen Stellen nicht ausreichend berücksichtigt, beispielsweise in § 3 Allgemeine Anforderungen oder in § 11 Baustellen. Hier sind dringend Ergänzungen und Klarstellungen notwendig, für die wir im Anschluss Textvorschläge aufführen.

Zu § 2 „Begriffe“, Abschnitt 9

In der Novelle des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) von 2016 wurde in § 4 „Barrierefreiheit“ eine umfassendere Definition vorgenommen.

Der Abschnitt 9 sollte dahingehend angepasst werden.

§ 2 / Abs. 9 / Ergänzung Satz 1:

Barrierefrei sind bauliche Anlagen, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Zu § 3 „Allgemeine Anforderungen“ Abs. 1 Satz 1

Der Verweis auf die EU-Richtlinie ist aus unserer Sicht nicht ausreichend, um die Grundanforderung nach Barrierefreiheit zu verankern. Dieser Anspruch nach der UN-Behindertenrechtskonvention muss direkt in der Muster-Bauordnung verankert werden.

In diesem Zusammenhang ist der § 3 Abs. 1 Satz 1 entsprechend zu ergänzen und wie folgt (in Anlehnung an die Berliner Bauordnung) zu formulieren:

§ 3 / Abs. 1 / Ergänzung Satz 1:

„Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden und die Nutzbarkeit für alle Menschen gewährleistet ist; (…)“

Zu § 11 „Baustellen“

Baustellen stellen für blinde und sehbehinderte Menschen große Herausforderungen an die Orientierung und bieten bei mangelhafter Ausführung erhebliche Verletzungsgefahr. Wir halten daher folgende Ergänzungen in Abgleich mit DIN 18040-3 für erforderlich:

§ 2 Definitionen / Abs. 1 / Ergänzung Satz 2:

„Bauliche Anlagen sind auch (…)
7. Gerüste und Baustellensicherungen

§ 11 Baustellen / Abs. 1 / Neuer Satz 2:

„Wegeführungen, die durch Baustellen verursacht sind, müssen barrierefrei auffindbar und sicher sein.“

Zu § 34 „Treppen“, Abs. 6

Treppen stellen nicht nur für Sehbehinderte eine Hauptunfallquelle dar, weshalb ihre Stufen aus Sicherheitsgründen (und nicht vorrangig aus Barrierefreiheitsgründen) zwingend markiert werden müssen. Diese Markierung ist erfreulicherweise mit der DIN 18040 Teil 1 verbindlich für öffentlich zugängliche Gebäude eingeführt, dies gilt jedoch weder automatisch für Sonderbauten noch für Treppenhäuser von Wohngebäuden. Die Unfallgefahr besteht aber unabhängig davon, ob eine Treppe öffentlich zugänglich oder gar baurechtlich "nicht notwendig" ist. Es ist daher dringend erforderlich, diese Sicherheitsmarkierung in § 34 (analog zu § 37 Abs.2 Glastüren) festzuschreiben.

Daher ist in der folgende neue Satz 1 aufzunehmen:

§ 34 / Abs. 6 / neuer Satz 1:

"Stufen müssen visuell kontrastreiche Markierungen haben."

Für die genaue Ausführung der Markierung ist in der Begründung zum Gesetz auf die DIN 18040 Teil 1 Kap. 4.3.6.4 zu verweisen.

Die Barrierefreiheit erfordert nach DIN 18040-1 weiterhin ausdrücklich beidseitige Handläufe, der zweite Halbsatz in Absatz (6) Satz 2 ist daher eindeutig nur auf die Zwischenhandläufe zu beziehen.

§ 34 / Abs. 6 / Verschiebung Halbsatz:

"Für Treppen sind Handläufe auf beiden Seiten und, soweit die Verkehrssicherheit dies erfordert, Zwischenhandläufe vorzusehen; (streichen: soweit die Verkehrssicherheit dies erfordert,)."

Diese beiden Punkte sind unserer Ansicht nach auch keine Anforderung an das barrierefreie Bauen, die in § 50 aufgeführt werden müssten, sondern sind durch § 3 Satz 1 bedingt und gelten daher für alle baulichen Anlagen.

Zu § 38 „Umwehrungen“

Nach Absatz (1) Punkt 1. werden für Flächen, die unmittelbar an mehr als 1,0 m tiefer liegende Flächen angrenzen, Umwehrungen oder Brüstungen gefordert. Der für niedrigere Höhenversprünge zulässige Verzicht auf diese Sicherungen ist für alle Menschen, aber insbesondere für sehbehinderte Personen, hochgefährlich, da sie den Höhenunterschied und damit die die Gefahr nicht einschätzen können. Auch für blinde Menschen ist eine solche Kante mit dem Langstock nicht immer rechtzeitig und eindeutig erkennbar. Weiter ist der Verzicht auf Maßnahmen bei höheren Absturzhöhen, wenn Umwehrungen dem Zweck der Fläche widersprechen, problematisch.

Für letztere Fälle sieht die DIN 18040-3 eine visuelle und taktile Kennzeichnung vor.

§ 38, Absatz 1, Streichungen und Hinzufügungen 1. Aufzählungspunkt

Flächen, die im Allgemeinen zum Begehen bestimmt sind und unmittelbar an mehr . . .

neu: „als eine Stufenhöhe“

Streichung: „als 1 m“

. . . tiefer liegende Flächen angrenzen;

Streichung: „dies gilt nicht, wenn die Umwehrung dem Zweck der Flächen widerspricht.“

neu: „Wenn die Umwehrung dem Zweck der Flächen widerspricht, muss diese visuell und taktil gekennzeichnet sein.“

Zu § 39 Abs. 4

Sind ein nachträglicher Ausbau des obersten Geschosses sowie die Geschossaufstockung von bis zu zwei Geschossen von Bestandsbauten, im Sinne von Satz 1 Halbsatz 2, pauschal vom Einbau von Aufzügen befreit, führt dies zu einer Benachteiligung von älteren und behinderten Menschen. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn es sich um Umbauten oder Nutzungsänderungen von baulichen Anlagen im Bestand, im Sinne des § 50 MBO, handelt.

In Wohngebäuden sowie öffentlich zugänglichen Gebäuden, in welchen Keller- und Erdgeschosse und/oder obere Geschosse vorhanden sind, müssen auch diese für Menschen mit Behinderung für eine allgemein übliche Zugänglichkeit und Nutzung mit dem Aufzug erreichbar sein. Dies wird im § 2 Abschnitt 9 der Musterbauordnung sichergestellt. Auch § 3 Satz 1 fordert eine umfängliche Barrierefreiheit durch den Hinweis auf Anhang 1 der EU-Richtlinie 305/2011 (vgl. oben).

Dass die Errichtung von Aufzugshaltestellen in den obersten Geschossen oder Keller- und Erdgeschossen nicht erforderlich sein soll, „wenn sie nur unter besonderen Schwierigkeiten hergestellt werden können“, schränkt die Errichtung von barrierefrei zugänglichen nutzbaren Gebäuden und Räumen erneut ein. Eine derartige grundsätzliche Ausnahmeregelung würde auch solche Fälle betreffen, in denen ein Aufzugseinbau ohne besondere Schwierigkeiten möglich wäre. Es ist zu vermuten, dass die geplante Ausnahmeregelung mögliche Aufzugsbauten verhindern wird.

Weiter heißt es beispielsweise im § 48 „Wohnungen“ Abs. 2: „In Wohngebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 sind leicht erreichbare und gut zugängliche Abstellräume für Kinderwagen, Mobilitätshilfsmittel und Fahrräder sowie für jede Wohnung ein ausreichend großer Abstellraum herzustellen.“ Gerade diese Abstellräume, aber auch andere für die gemeinsame Nutzung der Bewohner von Wohngebäuden vorgesehene Räume, wie z. B. Trockenräume, werden sowohl in Neubauten sowie Bestandsbauten im Kellergeschoss angeordnet. Das Fehlen eines Aufzuges verhindert die Zugänglichkeit und damit die Nutzung dieser Abstellräume für viele ältere und behinderte Menschen. In der Folge steht die Einschränkung für Menschen, die auf eine Mobilitätshilfe angewiesen sind.

§ 39 / Abs. 4 / Streichen Satz 4:

Streichung: „Haltestellen im obersten Geschoss, im Erdgeschoss und in den Kellergeschossen sind nicht erforderlich, wenn sie nur unter besonderen Schwierigkeiten hergestellt werden können.“

Die Barrierefreiheit des nach § 39 Abs. 4 herzustellenden Aufzuges muss in der MBO sichergestellt werden. Zwingend notwendig ist es zudem, in die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) die DIN EN 81-70 aufzunehmen. Bei Aufzugsanlagen muss zudem der barrierefreie Aufzug als solcher gekennzeichnet werden.

§ 39 / Absatz 4 / Ergänzung im Satz 3:

"Dieser Aufzug muss barrierefrei nutzbar, von der öffentlichen Verkehrsfläche und von allen im Gebäude befindlichen Nutzungseinheiten sowie von Abstellräumen für Rollstühle . . .

Streichung: „in dem Gebäude“

aus stufenlos erreichbar . . .

Ergänzung:

„und auffindbar sein und als barrierefrei gekennzeichnet werden."

Weiter legt § 50 (2) für öffentlich zugängliche Gebäude fest, dass die dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teile barrierefrei sein müssen. Dies widerspricht § 39, wonach erst Gebäude mit einer gewissen Höhe mit Aufzügen ausgestattet werden müssen. § 39 Abs. 4 sollte mit einem neuen Satz 5 wie folgt konkretisiert werden:

§ 39 / Abs. 4 / Neuer Satz 5:

„Soweit in öffentlich zugänglichen Gebäuden Obergeschosse von Menschen mit Behinderung nach § 50 (2) barrierefrei sein müssen, gelten die Sätze 1 bis 4 auch für Gebäude mit weniger als 13 m Höhe.“

Zu § 49 „Stellplätze, Garagen und Abstellplätze für Fahrräder“ Absätze 1 und 2

Der § 49 legt fest, dass eine notwendige Anzahl von Abstellplätzen für Fahrräder sowie von Pkw-Stellplätzen auf dem Baugrundstück bzw. in einer zumutbaren Entfernung vorzuhalten sind.

Bei den Regelungen zur Anlage von Stellplätzen im § 49 ist ein Ergänzungsbedarf erkennbar.

Ältere und behinderte Menschen nutzen in zunehmendem Maß auch Mobilitätshilfen in Form von Elektrokleinstfahrzeugen. Für diese sind, analog den Fahrrädern, ebenfalls Abstellanlagen vorzusehen.

Der Hinweis auf eine „zumutbare Entfernung“ lässt einen zu großen Ermessensspielraum zu. So kann dieser für mobilitätseingeschränkte und behinderte Bürger zu einer unverhältnismäßigen Zugangsbarriere führen. In diesem Zusammenhang sollten folgende Sätze eingefügt werden:

§49 Ergänzung neuer Abs. 2 (bestehender Abs. 2 wird Abs. 3):

„Bei der Errichtung öffentlich zugänglicher Gebäude sind Stellplätze für Fahrräder, Elektrokleinstfahrzeuge und Pkw in ausreichender Zahl für behinderte Menschen anzubieten. Diese müssen, vom barrierefreien Gebäudeeingang aus, auf kurzem Wege zu erreichen und verkehrssicher sein. Ihre Anordnung muss so erfolgen, dass keine Fußgänger beeinträchtigt und gefährdet werden.“

Die Anzahl der Abstellplätze für Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge im öffentlichen Raum soll auf der Grundlage des konkret benötigten Bedarfs ermittelt und bereitgestellt werden. Dabei soll auch die Möglichkeit bestehen, anstelle eines Pkw-Stellplatzes mehrere Abstellplätze für Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge zu errichten.

Zu jeder Wohnung soll mindestens ein geeigneter und wettergeschützter Abstellplatz für Fahrräder oder Elektrokleinstfahrzeuge zugeordnet werden.

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 1 Satz 1

Nach Absatz 1 müssen in Gebäuden mit mindestens drei Wohnungen die Wohnungen mindestens eines Geschosses barrierefrei zu erreichen sein.

An dieser Stelle empfiehlt sich jedoch vorzugsweise, eine Quantifizierung der Anzahl barrierefrei zu errichtender Wohnungen festzulegen. Lässt doch die Angabe „eines Geschosses“ für den Bauherrn zu viel Deutungsspielraum zu.

Die Möglichkeit, die herzustellenden barrierefreien Wohnungen in mehreren Geschossen zu errichten, setzt das Vorhandensein von mindestens einem barrierefrei zugänglichen und nutzbaren Aufzug voraus. An dieser Stelle bietet sich eine Verknüpfung der Herstellung von barrierefreien Wohnungen mit der Aufzugspflicht an, zumal diese mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention geboten ist (vgl. Artikel 9, 19, 28). Damit kann eine deutliche Steigerung barrierefreier Wohnungen (vornehmlich im Neubau) erreicht werden.

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 1 Satz 2

In barrierefreien Wohnungen sollte es selbstverständlich sein, dass die Zugänglichkeit zu Küchen, Aufenthalts- und Sanitärräumen sowie der Flure auch für Rollstuhlnutzer besteht.

Die Räume müssen barrierefrei – entsprechend § 2 Absatz 9 Musterbauordnung - zugänglich und nutzbar sein. Diese Anforderung wird durch den Begriff „barrierefrei nutzbare Wohnung“ in der DIN 18040 Teil 2 konkretisiert. Diese festgeschriebene Nutzbarkeit erstreckt sich jedoch nicht auf die zu stellenden Anforderungen für „barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen“ gemäß DIN 18040-2, da diese entsprechend der aktuellen Fassung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen von der Einführung ausgenommen wurde. Damit wird die Barrierefreiheit im Sinne des BGG in den Mustervorschriften nicht als Gesamtheit verstanden. Die im § 4 BGG definierte Barrierefreiheit gilt jedoch im gleichen Maße für alle Menschen mit Behinderung. Eine differenzierte Barrierefreiheit für einzelne Behinderungsgruppen sieht der Gesetzgeber nicht vor.

An dieser Stelle wird deutlich, dass die schon mehrfach geforderte vollumfängliche und ohne Einschränkungen vorzunehmende Aufnahme der DIN 18040 Teil 2 in die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen unverzichtbar ist.

Die im Satz 2 vorgenommene Ergänzung von Freisitzen ist zu begrüßen. Allerdings müssen barrierefreie Freisitze über entsprechende Bewegungsflächen verfügen, um auch Menschen mit Mobilitätshilfen eine Nutzung von Freisitzen in der allgemein üblichen Weise zu ermöglichen.

In diesem Zusammenhang steht die Aussage (in der Begründung zu Satz 2) „Bewegungsflächen sind auf dem Freisitz nicht erforderlich; es genügt, wenn der Rollstuhlbenutzer vorwärts auf den Freisitz hinauf und rückwärts wieder herunterrollen kann“ im Widerspruch zu § 2 Nr. 9 der MBO und § 4 BGG.

Die Einschränkung der Barrierefreiheit auf bestimmte Wohnungsbereiche, wie die Aufenthaltsräume, eine Toilette, ein Bad, die Küche oder Kochnische, einen Freisitz sowie die zu diesen Räumen führenden Flure, ist zu eng gefasst und daher nicht zielführend. Auch gehören beispielsweise Abstellräume zu Wohnungen, die für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung zugänglich und nutzbar sein müssen.

§ 50 / Abs. 1 / Ergänzungen:

„In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen und alle zugehörigen Räume eines Geschosses barrierefrei nutzbar und erreichbar sein; diese Verpflichtung kann auch durch barrierefrei erreichbare Wohnungen in mehreren Geschossen erfüllt werden.“

§ 50 / Abs. 1 / Streichung von Satz 2:

Streichung: „In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad sowie die Küche oder die Kochnische barrierefrei sein.“

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 1 Satz 4

Dieser Satz ist ersatzlos zu streichen. Die Begründung ergibt sich aus den bereits vorgenommenen Erörterungen zu § 39 Abs. 4 Satz 1 neuer Halbsatz 2.

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 2 Satz 1

Absatz 2 Satz 1 enthält die Verpflichtung zur Schaffung der Barrierefreiheit in öffentlich zugänglichen Gebäuden bzw. öffentlich zugänglichen baulichen Anlagen. Er stellt die Erreichbarkeit und Nutzbarkeit für alle Menschen sicher. Allerdings wird diese Anforderung vom Gesetzgeber auf die dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Gebäudebereiche, einschließlich der Garagen und Stellplätze, beschränkt.

Zur Verdeutlichung, dass die Besucherbereiche öffentlicher Gebäude nicht nur barrierefrei zugänglich, sondern ebenfalls nutzbar sein müssen, wurde die Begrifflichkeit „Besucherverkehr“ auf „Besucher- und Benutzerverkehr“ ergänzt. Dieser Schritt ist auf den ersten Blick zu begrüßen, obwohl der positive Ansatz gleichzeitig wieder durch Satz 3 eine Einschränkung erfährt.

Jedoch ist auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention die Beschränkung auf den „Besucher- und Benutzerverkehr“ in Frage zu stellen, da eine praktikable Differenzierung kaum möglich ist. Darüber hinaus führt dies zu einer Diskriminierung von Arbeitnehmern mit Behinderung (vgl. Artikel 27 BRK).

Eine Erhöhung der Zugänglichkeit verbessert die Attraktivität auch für Senioren und Personen mit Kinderwagen. Auch ist zu bedenken, dass die Personenrettung – insbesondere von Rollstuhlnutzern – in öffentlich zugänglichen Gebäuden gegeben sein muss, da es sich hier um den Schutz des Rechts auf Leben handelt.

Die Barrierefreiheit für Gebäude, Einrichtungen und bauliche Anlagen, die dem öffentlichen Zweck dienen, darf nicht nur auf die dem allgemeinen Besucherverkehr bestimmten Teile beschränkt werden. Sie muss sich hier auf alle Gebäudeteile erstrecken und auch die Arbeitsplätze umfassen.

Die Gründe dafür liegen u. a. in einer „relativ raschen“ Nutzungsänderung, insbesondere von Sonderbauten. Flucht- und Rettungswege werden nicht immer nur über die Gebäudeteile, welche für den allgemeinen Besucherverkehr vorgesehen sind, geführt. Ein weiterer wesentlicher Grund ist in den Bemühungen zur beruflichen Integration und Inklusion behinderter Menschen zu sehen. Zu bedenken ist, dass für Arbeitgeber die Schaffung von behindertengerechten Arbeitsplätzen oftmals nicht möglich ist, da die vorhandene Bausubstanz dies nicht zulässt. Können bauliche Barrieren nicht behoben werden, sind viele Rehabilitationsmaßnahmen zum Scheitern verurteilt. Dagegen kann eine grundsätzlich vorgesehene Barrierefreiheit für alle öffentlich zugänglichen Gebäude (künftiger Neubauten), einschließlich für Arbeitsstätten, sich ggf. positiv auf die berufliche Situation behinderter Menschen auswirken und spätere kostenintensive Umbauten vermeiden.

Der vorliegende Entwurf der Musterbauordnung enthält an dieser Stelle keine Berücksichtigung dieser Umstände. Es ist nicht ausreichend, wenn die Anforderungen zur Gestaltung der Arbeitsstätten nur ausschließlich im Arbeitsstättenrecht des Bundes festgelegt sind.

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 2 Satz 3

Der Satz 3 gestattet eine mögliche Beschränkung der Barrierefreiheit auf den tatsächlich erforderlichen Umfang für eine zweckentsprechende Nutzung. Nach Ansicht des Gesetzgebers ist dies beispielsweise dann der Fall, wenn mehrere gleichartige Räume oder Besucherplätze in Versammlungsstätten vorhanden sind.

Der in Absatz 2 Satz 1 positive Ansatz zur Erweiterung der Barrierefreiheit auf den „Benutzerverkehr“ wird hier allerdings durch die Formulierung für die zweckentsprechende Nutzung im erforderlichen Umfang wieder spürbar eingeschränkt.

Offen ist auch, welcher Maßstab dem erforderlichen Umfang für eine zweckentsprechende Nutzung zu Grunde zu legen ist. Der notwendig erforderliche Umfang für eine zweckentsprechende Nutzung wird stets von den individuellen körperlichen, sensorischen und geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen mit Behinderung bestimmt. Eine im Ermessen der Bauherren bzw. Betreiber liegende Beschränkung auf einen erforderlichen Umfang, kann für Menschen mit Behinderung zur Einschränkung der Entfaltung eines selbstbestimmten Lebens führen. Zudem kann das Baurecht nicht gewährleisten, dass im späteren Betrieb des Gebäudes dieser Umfang auch ausschließlich wie gedacht genutzt wird und nicht doch Veranstaltungen in Räumen stattfinden, die nicht barrierefrei zugänglich sind.

§ 50 / Abs. 2 / Streichen von Satz 3:

Streichung: „Für die der zweckentsprechenden Nutzung dienenden Räume und Anlagen genügt es, wenn sie in dem erforderlichen Umfang barrierefrei sind.“

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 2 Satz 4

Allein mit der hier enthaltenen Forderung, dass Toilettenräume und notwendige Stellplätze in einer erforderlichen Anzahl barrierefrei sein müssen, kann nicht gewährleistet werden, dass deren zweckbestimmte barrierefreie Nutzung sichergestellt ist. Es bedarf hier unabdingbar ebenfalls der Voraussetzung der barrierefreien Erreichbarkeit und Auffindbarkeit. In diesem Zusammenhang ist der Satz 4 wie folgt zu ergänzen:

§ 50 / Abs. 2 / Ergänzung in Satz 4:

„Toilettenräume und notwendige Stellplätze für Besucher und Benutzer müssen in der erforderlichen Anzahl barrierefrei gestaltet und barrierefrei erreichbar und auffindbar sein.“

Zu § 50 „Barrierefreies Bauen“ Abs. 4

Der § 50 Absatz 4 Musterbauordnung gestattet Abweichungen von der Einhaltung der Barrierefreiheit und enthält den Begriff des „unverhältnismäßigen Mehraufwandes“. Diese festgehaltenen Regelungen bieten genügend individuelle Spielräume für Bauherren, um das Prinzip des barrierefreien Bauens mühelos zu umgehen. Somit steht diese Möglichkeit im Widerspruch zu den weitreichenden gesamtgesellschaftlichen Forderungen nach Herstellung von Barrierefreiheit. Zu der Begrifflichkeit des „unverhältnismäßigen Mehraufwandes“ ist kritisch anzumerken, dass er eine „gewisse“ Wertigkeit zwischen den Kosten des barrierefreien Bauens und der Bereitschaft zur Inklusion von Menschen mit Behinderung andererseits, zum Ausdruck bringt.

Zu § 62 „Genehmigungsfreistellung“

Die umfangreiche Genehmigungsfreistellung vieler Bauten halten wir gerade für die Barrierefreiheit für problematisch, da viele Planer in diesem Thema noch nicht ausreichend geschult sind. Barrieren erzeugende Mängel in der Planung können so nicht im Zuge des Genehmigungsverfahrens erkannt und beseitigt werden.

Zu § 70 „Beteiligung der Nachbarn und der Öffentlichkeit“ Abs. 3 Satz 1

Eine nach § 70 Abs. 3 Satz 1 mögliche öffentliche Bekanntmachung des Bauvorhabens in Internet setzt jedoch die Gewährleistung einer barrierefreien Internetseite nach BITV 2.0 voraus. Ist dies nicht gegeben, besteht beispielsweise für blinde und sehbehinderte Menschen kein Zugang und keine Nutzung der Internetseite. In der Folge ist die angestrebte Individualbeteiligung durch die öffentliche Bekanntmachung nicht sichergestellt.

Zu § 76 Genehmigung Fliegender Bauten

Hier vermissen wir Regelungen, die die Nutzbarkeit für alle Menschen nach § 3 Absatz 1 sicherstellen.

Zu § 84 „Ordnungswidrigkeiten“

Gegenwärtig erscheint zur Durchsetzung der Barrierefreiheit bei ihrer Nichtbeachtung eine Sanktionierung als sinnvoll. In diesem Zusammenhang ist der § 84 „Ordnungswidrigkeiten“ entsprechend zu ergänzen.

§ 84 / Abs. 1 / Ergänzung:

„(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
[…]
Ergänzung:

  1. den Vorschriften dieses Gesetzes über die barrierefreie bauliche Gestaltung, insbesondere § 50, sowie den gemäß § 85a (Technische Baubestimmungen) eingeführten Technischen Baubestimmungen zuwiderhandelt.

[…]“

 

erstellt am 29.09.2020

gez. Hilke Groenewold

Referentin für Barrierefreiheit
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.