Offener Brief an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer zur Neufassung des Medienstaatsvertrags

Am 05.12.2019 soll der neue Medienstaatsvertrag verabschiedet werden. Nach bisherigen Planungen bleiben die Belange behinderter Menschen allerdings weitgehend unberücksichtigt. Damit droht, dass Deutschland seine Verpflichtungen zur Umsetzung der AVMD-Richtlinie in Bezug auf die Anforderungen an die Barrierefreiheit schlicht ignoriert. Der DBSV hat sich daher mit einem Anschreiben an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder gewandt und Nachbesserungen eingefordert.

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 05.12.2019 wollen Sie im Rahmen einer Ministerpräsidentenkonferenz eine Neufassung des Medienstaatsvertrages (MStV) verabschieden.

Nach unseren Informationen wird der MStV das Teilhaberecht behinderter Menschen übergehen und nicht einmal die europarechtlich geforderten Mindestvorgaben aus der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie umsetzen. Die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen durch barrierefrei zugängliche Angebote ist keine Frage der Wohlfahrt und Fürsorge. Es geht um den Schutz menschenrechtlicher Garantien.

Wir fordern alle Landesregierungen deshalb auf, dem Vertrag in der vorliegenden Fassung nicht zuzustimmen. Ein „Nachbessern“ in der nächsten Novelle ist keine Option, denn die AVMD-Richtlinie ist bis zum 19.09.2020 umzusetzen, ansonsten droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Kommission.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) fordert eine Neufassung des MStV unter Beachtung folgender Maßgaben:

  • § 3 Abs. 2 MStV muss auch für nichtlineare Mediendiensteanbieter, wie Streamingdienste, gelten. Geschieht dies nicht, ist dies ein klarer Verstoß gegen die AVMD-Richtlinie, die für lineare und nichtlineare Angebote gilt.
  • Die Anforderungen an Mediendiensteanbieter in § 3 Abs. 2 müssen verbindlich und überprüfbar sein und bei Nichtbeachtung Sanktionen nach sich ziehen. Dafür halten wir die Schaffung von gerechten Quotenregelungen für erforderlich.
  • In Umsetzung von Artikel 7 Abs. 3 der AVMD-Richtlinie müssen Mediendiensteanbieter verpflichtend im MStV angehalten werden, Aktionspläne für Barrierefreiheit zu erarbeiten.
  • Unabhängig von der Verpflichtung zur schrittweisen Herstellung von Barrierefreiheit haben alle Mediendiensteanbieter sicherzustellen, dass die Übertragung von Veranstaltungen mit großer gesellschaftlicher Bedeutung in jedem Fall blinden und sehbehinderten Menschen sowie Menschen mit Höreinschränkungen barrierefrei via Audiodeskription und Untertitelung zugänglich sind.
  • Die Begrenzung der Verpflichtungen auf die „technischen Möglichkeiten“ in § 3 Abs. 2 ist zu streichen. Technische Barrieren für die Ausstrahlung von Audiodeskription gibt es nicht mehr und zwar auch nicht für private Anbieter. Das beweisen die Angebote der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ebenso, wie im Bereich der Privaten Netflix und Apple TV+ mit bereitgestellten Audiodeskriptionsfassungen oder Untertitelungen je nach Wahl.
  • In Umsetzung von Artikel 7 Abs. 4 der AVMD-Richtlinie ist eine leicht zugängliche zentrale Anlaufstelle für Informationen und Beschwerden in Bezug auf die Zugänglichkeit zu audiovisuellen Medien zu schaffen.
  • Da der Staatsvertrag für die Veranstaltung und das Angebot, die Verbreitung und die Zugänglichmachung von Rundfunk und Telemedien in Deutschland gelten soll, sind auch Regelungen zur Barrierefreiheit von Medienplattformen, Medienintermediären und Benutzeroberflächen zu treffen.

Unsere Forderungen nebst Begründung können Sie der beigefügten Stellungnahme entnehmen, die den Landesmedienanstalten auch bekannt sind.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Andreas Bethke
(Geschäftsführer)

Kopie:
zuständige Ressorts in den Ländern, Behindertenbeauftragte der Länder, BKM, DBSV-Landesvereine, Deutscher Behindertenrat, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen