DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz)

Der DBSV begrüßt die Gesetzesinitiative ausdrücklich. Bei den im folgenden angesprochenen Regelungsbereichen sehen wir noch Änderungs- bzw. Ergänzungsbedarf.

Entfristung der EUTB

Der DBSV begrüßt ausdrücklich, dass die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) entfristet werden soll und dass die Entscheidung hierüber zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt. Viele Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen haben aufgrund der Systemumstellung in der Eingliederungshilfe zum Jahr 2020 zahlreiche Fragen und Ängste hinsichtlich der künftigen Ausgestaltung der notwendigen Teilhabeleistungen. Es herrscht insgesamt eine große Unsicherheit auch bei den Rehabilitationsträgern. Die Beratung durch die EUTB ist vor diesem Hintergrund eine absolut notwendige Unterstützung. Es ist daher wichtig, dass sich das Beraternetzwerk dauerhaft etablieren und den Menschen als verlässlicher Ansprechpartner dienen kann.

Die konkrete Ausgestaltung des Angebots und die Förderung durch das BMAS sind aus Sicht des DBSV allerdings wie folgt zu modifizieren:

  • Gute Beratung braucht ein gutes Netzwerk. Um ein solches auf- und ausbauen zu können, benötigen die Beratungsstellen eine längerfristige Planungs- und Finanzierungsgrundlage. Analog der Förderung der unabhängigen Patientenberatung im Sinne von § 65b SGB V sollte die Förderung der Beratungsstellen künftig über einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren erfolgen. Diese wesentliche Anforderung ist im Gesetz festzuschreiben und darf nicht erst auf Ebene der Rechtsverordnung geregelt werden. Das ist ein wichtiges Signal an die Beratungsstellen, gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, einer zeitaufwendigen Personalentwicklung, der Beschaffung von barrierefreien Räumlichkeiten für die Beratung und der Qualitätssicherung.
  • Es ist notwendig, die offenbar gewollte Dynamisierung der Ausgaben für die Förderung der EUTB auch über das Jahr 2023 hinaus im Gesetz – etwa in einem neuen Abs. 6 S. 2 – festzuschreiben. Vorbild könnte auch insoweit § 65b SGB V sein.
  • In § 32 Abs. 6 S. 2 SGB IX_E werden Ausführungen zur Verwendung der Bundesmittel gemacht. Die Formulierung ist missverständlich und könnte dazu führen, dass EUTB-Beratungsstellen nur noch Fördermittel für die (verwaltungsmäßige) Administration, die Qualitätssicherung, die Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung erhalten. Kernstück der Förderung des Beratungsangebots muss aber die Finanzierung des Beratungspersonals und der notwendigen Infrastruktur für die Erbringung der Beratungsleistungen bleiben. Das Wort „insbesondere“ sollte daher durch das Wort „auch“ ersetzt werden.
  • In § 32 Abs. 7 SGB IX_E ist nach dem Satz 2 („Es kann diese Aufgaben Dritten übertragen.“) ein Satzteil einzufügen, der absichert, dass die beauftragten Dienstleister eine barrierefreie Umsetzung gewährleisten müssen. Hintergrund dieser Forderung ist, dass die Abwicklung mit dem aktuell vom BMAS beauftragten Dienstleister für die EUTB bislang nicht barrierefrei möglich ist. Das ist umso unverständlicher, als die Beratung durch behinderte Menschen besonders gefördert werden soll. Gerade behinderte Menschen sind zwingend darauf angewiesen, dass sowohl die digitalen administrativen Systeme als auch die Verfahren barrierefrei ausgestaltet sind. Die bestehenden Mängel sind zu beheben.
  • 32 SGB IX_E ist zudem um eine Regelung zu ergänzen, dass die geförderten Beratungsangebote barrierefrei zugänglich sind. Ratsuchende dürfen bei der Inanspruchnahme von Beratung weder auf physische, noch auf informationstechnische oder kommunikative Zugangshemmnisse stoßen. Die mit der Sicherstellung barrierefreier Angebote entstehenden Aufwendungen (u. a. erhöhter Mietzins, erhöhte Kosten für barrierefreie Informationszugänge) sind anzuerkennen und zu finanzieren.
  • Bei der Ausgestaltung der Förderung einer qualitätsgesicherten und vor allem bedarfsgerechten Beratung der Betroffenen ist sicherzustellen, dass es für kleine, spezifische Behinderungsgruppen auch überregionale Angebote in ausreichender Anzahl gibt. Blinde und sehbehinderte sowie taubblinde Menschen sind eine vergleichsweise kleine Behinderungsgruppe. Das notwendige Wissen um die Behinderung, die Beratung durch gleich Betroffene sowie die notwendige Vernetzung mit zielgruppenspezifischen Angeboten für Rehabilitations- und Teilhabeleistungen kann nicht jede Beratungsstelle vorhalten. Das zeigen auch die bislang mit den EUTB gesammelten Erfahrungen. In diesem Sinne sind für jedes Bundesland blindenspezifische Schwerpunktberatungsstellen vorzusehen.  
  • In § 32 Abs. 7 S. 3 SGB IX_E ist vorgesehen, dass das BMAS die Entscheidung über die zu fördernden Angebote im Benehmen mit den obersten Landesbehörden trifft. Aus Sicht des DBSV sollte vor einer Entscheidung durch das BMAS auch die Expertise von Menschen mit Behinderungen zwingend einbezogen werden. Ähnlich wie im Falle der unabhängigen Patientenberatung nach § 65b SGB V oder des Partizipationsfonds nach § 19 BGG könnte die Einbeziehung behinderter Menschen sowie des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen über einen hierzu einzurichtenden Beirat erfolgen.

Wir gehen im Übrigen davon aus, dass eine Einbindung der Organisationen behinderter Menschen auch bei der Erarbeitung der Rechtsverordnung erfolgt.

Arbeitsassistenz

Der DBSV begrüßt die vorgesehene Klarstellung in § 185 Abs. 5 SGB IX_E, dass Arbeitsassistenz bei einem entsprechenden Bedarf des Antragstellers vollständig zu leisten ist und dem Integrationsamt insoweit kein Ermessen zukommt. Die Gesetzesbegründung sollte konkretisiert und geschärft werden.

In der Praxis erleben wir es häufig, dass Integrationsämter zwar den Bedarf an zu leistenden Assistenzstunden erheben, bei der Festsetzung der Leistungen die mit der Beschäftigung von Assistenz einhergehenden Kosten aber nicht oder nicht vollständig anerkennen. Konkret werden etwa Urlaubstage oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einfach herausgerechnet. Es werden also nur die tatsächlich geleisteten Stunden anerkannt und vergütet. Gleichzeitig weisen die Integrationsämter im Bewilligungsbescheid darauf hin, dass der Assistenznehmer alle Arbeitgeberpflichten erfüllen muss. Assistenzkräfte sind beim Arbeitgebermodell beim Assistenznehmer angestellt. Wenn für die Urlaubszeit der Assistenzkraft oder auch im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen keine Mittel des Integrationsamtes zur Verfügung gestellt werden, dann muss der Assistenznehmer entweder die Kosten aus eigener Tasche zahlen, um bei einer Umrechnung des zur Verfügung stehenden finanziellen Rahmens unter Einbeziehung des Urlaubsanspruchs nicht unter die Mindestlohn-Grenze abzusinken oder es kommt zu rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem Integrationsamt. Den zuletzt genannten Weg scheuen viele Assistenznehmer, weil die Bearbeitungszeiten bis zur Bewilligung schon überlang sind und sie nicht riskieren wollen, am Ende ihren Bedarf gar nicht gedeckt zu bekommen. In der Gesetzesbegründung zu § 185 ist also dringend klarzustellen, dass die vollständigen Assistenzkosten auch die gesamten Aufwendungen umfassen, die in Zusammenhang mit der Beschäftigung von Assistenz entstehen, einschließlich zu leistender Steuern, Sozialabgaben etc. sowie der Realisierung von Urlaubsansprüchen und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Weiterhin sollte in der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass auch mehrere gleichzeitig ausgeübte berufliche Tätigkeiten gefördert werden können. Zum Hintergrund: Die Praxis sieht vor, dass ein Beschäftigungsverhältnis mit einer wöchentlichen Arbeitszeit ab 15 Stunden gefördert werden kann. Es ist mittlerweile nicht unüblich, dass Menschen diese wöchentliche Arbeitszeit nicht über eine Arbeitsstelle erreichen, sondern nur, indem sie zwei verschiedene Tätigkeiten ausüben (z. B. 2x 10 Stunden). Ebenfalls gibt es Situationen, in denen eine im Stundenumfang geringe Tätigkeit (z. B. 10 Stunden) zu einer Halbtagstätigkeit hinzukommen. Hier gibt es in der Praxis für die geringeren Stundenanteile Schwierigkeiten bei der Bewilligung von Assistenz.

Finanzielle Entlastung

Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass Angehörige von Sozialhilfe- und Eingliederungshilfeleistungen finanziell entlastet werden sollen. Angehörige von Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf haben hohe Belastungen, da sie häufig die Sozialleistungen für ihre Angehörigen koordinieren und sich selbst in die Unterstützung – oft über viele Jahre – massiv einbringen. Daher ist die finanzielle Entlastung im Bereich der Kostenheranziehung absolut zu rechtfertigen.

Gleichzeitig sollte aber auch die Entlastung behinderter Menschen weiter voranschreiten. Ein Signal könnte etwa im Bildungsbereich gesetzt werden, indem Leistungen nach § 112 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX_BTHG unabhängig von Einkommen und Vermögen erbracht werden. Folgende Gründe sprechen dafür:

  • Leistungen nach § 112 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX_BTHG nehmen vergleichsweise wenige Menschen in Anspruch. Die Kostenfolgen sind gering.
  • Die Ausgestaltung der Einkommensgrenzen für Leistungen der Eingliederungshilfe dürfte ab 2020 dazu führen, dass Studierende oder Auszubildende an einer Berufsfachschule in aller Regel keinen Eigenbeitrag aus dem Einkommen mehr zu leisten haben. Eine Einkommensprüfung ist formal aber vorgesehen und verursacht einen hohen Verwaltungsaufwand und damit finanzielle Belastungen der Verwaltung.
  • Auf eine Heranziehung des Vermögens sollte in diesen Fällen ebenfalls verzichtet werden. Der Gesetzgeber hat schon seit Jahren die Hilfen für schulische Berufsausbildungen vom Einsatz vorhandenen Einkommens und Vermögens freigestellt, allerdings nur dann, wenn die Unterstützung in Spezialeinrichtungen für behinderte Menschen erbracht wird. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland dazu verpflichtet, sein Bildungssystem inklusiv auszugestalten. Spezialeinrichtungen sind weiterhin nötig und es ist richtig, gerade die Teilhabe an Bildung durch den weitgehenden Verzicht auf die vorrangige Berücksichtigung vorhandenen Einkommens und Vermögens bei der Erbringung von Fachleistungen der Eingliederungshilfe zu fördern. Diese Privilegierung jedoch nur auf spezielle Behinderteneinrichtungen zu beschränken, ist nicht mehr zeitgemäß. Unabhängig vom Bildungsort müssen behinderungsbedingt notwendige Leistungen für Ausbildungen im Sinne von § 112 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX_BTHG unabhängig von vorhandenem Einkommen und/oder Vermögen geleistet werden. § 138 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX_BTHG sollte daher wie folgt gefasst werden: „5. Leistungen zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf nach § 112 Abs. 1 Nr. 2“