DBSV-Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz - TSVG)

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, Spitzenverband der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland, nimmt zu den Bereichen des Referentenentwurfs, die Fragen der Barrierefreiheit betreffen, wie folgt Stellung:

 

Elektronische Patientenakte

Erklärtes Ziel des Referentenentwurfs ist es, „die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen für die Patientinnen und Patienten im Versorgungsalltag stärker praktisch nutzbar zu machen“. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist es dringend erforderlich, dass ein barrierefreier Zugriff zur Patientenakte und den weiteren Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte für Versicherte mit Behinderungen möglich ist. Das umfasst sowohl die zum Einsatz kommende Software als auch die eingesetzte Hardware, z.B. in Form spezieller Kartenlesegeräte zur Authentifizierung.

Die bislang in den §§ 290 ff. SGB V getroffenen Bestimmungen zur Barrierefreiheit sind aus unserer Sicht unzureichend. Die Regelung in § 291a Abs. 7 S. 3 Nr. 3 SGB V betrifft ausweislich des Gesetzeswortlauts nicht die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte. Vielmehr heißt es: „über Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte hinaus…“. Auch die in § 291b Abs. 1 S. 3 SGB V getroffene Regelung „die Gesellschaft für Telematik hat die Interessen von Patienten zu wahren und die Einhaltung der Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten sowie zur Barrierefreiheit sicherzustellen“, genügt nicht, weil diese Vorschrift lediglich aussagt, dass die Vorschriften zur Barrierefreiheit einzuhalten sind. Dies setzt aber voraus, dass ausreichende Vorschriften zur Barrierefreiheit existieren und das hinreichend klar definiert ist, welche Vorschriften anzuwenden sind, deren Einhaltung sichergestellt werden kann. Teilweise kann insoweit zwar auf die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes – BGG i. d. F. 10.07.2018 I 1117 mWv 14.07.2018 (Nr. 25) - und hier insbesondere der §§ 12 ff. Bezug genommen werden. Ergänzend dürften aber auch Vorgaben einschlägig sein, die den Regelungen der Landesbehindertengleichstellungsgesetze und dem Bereich der Vertrauensdienste zuzuordnen sind. Insoweit erscheint auch fraglich, ob die in § 7 des Vertrauensdienstegesetzes normierten Anforderungen zur Barrierefreiheit vollständig den Bereich der elektronischen Gesundheitskarte und deren Anwendungen abdecken.

Unsere Erfahrungen im Rahmen des Einsatzes für eine barrierefrei zugängliche Nutzung des Medikationsplans über eine App zeigen jedenfalls, dass ein Bewusstsein und Verständnis dafür, Versicherten mit Behinderungen einen ebenso sicheren und dauerhaft zuverlässigen Zugang zu Patienteninformationen zu ermöglichen wie Versicherten ohne Behinderung, bei den handelnden Akteuren noch nicht ausreichend und durchgängig verankert ist. Das macht klare Vorgaben zur Barrierefreiheit umso wichtiger.

Es ist uns nach alledem ein Anliegen, dass erstens im SGB V selbst, d.h. in den §§ 290 ff., klargestellt wird, dass die elektronische Gesundheitskarte einschließlich der für die Versicherten vorgesehenen Anwendungen barrierefrei zugänglich und nutzbar sein muss und dass zweitens Festlegungen dazu getroffen werden, welche konkreten Anforderungen an die Barrierefreiheit einzuhalten sind.

Elektronische Akten und Akteneinsicht

Zum zunehmend digitalen Gesundheitswesen gehört es auch, Patientenakten barrierefrei zu führen. Nach § 67 SGB V soll die elektronische Aktenführung und Aktenverwaltung forciert werden. Auf die Barrierefreiheit der Aktenverwaltungs­programme und der elektronischen Akteninhalte angewiesen sind sowohl Blinde und Sehbehinderte, die in Heilberufen tätig sind, wie auch blinde und sehbehinderte Menschen, die als Bürger ihr Recht auf Akteneinsicht wahrnehmen wollen.

Erforderlich ist daher eine gesetzliche Regelung, die dazu verpflichtet, elektronische Akten und die Verfahren zur Akteneinsicht barrierefrei zu gestalten. Dabei ist vollkommen selbstverständlich, dass sich Barrierefreiheit insoweit nur auf textbasierte Informationen und nicht auf bildgebende Verfahren wie etwa Röntgenbilder, EKG-Aufzeichnungen etc. beziehen kann. Vorbildfunktion für eine barrierefreie elektronische Aktenführung hat insofern § 12a Abs. 1 S. 2 BGG. Hiernach gestalten öffentliche Stellen des Bundes (und dazu gehören auch einige gesetzlichen Krankenkassen sowie die KBV) schrittweise, spätestens bis zum 23. Juni 2021, ihre elektronisch unterstützten Verwaltungsabläufe, einschließlich ihrer Verfahren zur elektronischen Vorgangsbearbeitung und elektronischen Aktenführung, barrierefrei. Diese Pflicht kann gleichfalls den an der vertragsärztlichen Versorgung Teilnehmenden auferlegt werden.

Gleichzeitig ist es zur Stärkung der Patientenrechte dringend angezeigt, in der Konsequenz auch § 630g Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) um eine Regelung zur Barrierefreiheit zu ergänzen. Gemäß § 630g Abs. 2 BGB kann der Patient bereits heute elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Zur Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs und damit zur Umsetzung des Leitgedankens der Inklusion ist es erforderlich, diese elektronischen Abschriften barrierefrei zur Verfügung zu stellen.

Verwendung der Mittel des Strukturfonds

Noch immer ist der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung für Menschen mit Behinderungen stark erschwert, weil es an barrierefreien Arztpraxen und medizinischen Versorgungszentren fehlt. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Dabei darf der Umstand, dass die Versorgung im ländlichen Raum auf alle Patientengruppen bezogen aktuell schwierig ist, nicht als Argument missbraucht werden, keine oder nur geringe Anforderungen an Barrierefreiheit zu stellen, um Ärzte „nicht zusätzlich abzuschrecken“. Ganz im Gegenteil: Der barrierefreie Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung muss gerade auch in unterversorgten Bereichen besonders gefördert werden, weil hier die Versicherten mit Behinderung wegen fehlender Alternativen besonders darauf angewiesen sind. Abgesehen davon ist unter Berücksichtigung von § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I festzuhalten, dass Sozialleistungen generell in barrierefreien baulichen Anlagen auszuführen sind. Darunter fällt auch die vertragsärztliche Versorgung.

Um künftig eine bessere barrierefreie Versorgung zu gewährleisten, sollte die Vergabe von Mitteln aus dem Strukturfonds im Sinne von § 105 SGB V an das Erfordernis einer barrierefreien Leistungserbringung geknüpft werden. Aufwendungen für die Herstellung von Barrierefreiheit sollten überdies besonders gefördert werden. Dies gilt umso mehr, als sich der Strukturfonds aus Beiträgen der Versicherten speist.

 

Berlin, 16.08.2018