DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf einer Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften

Gemäß den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag soll die Straßenverkehrsordnung (StVO) so geändert werden, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden. Ländern und Kommunen sollen flexiblere Entscheidungsspielräume eröffnet werden, um diese Ziele zu erreichen.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) vertritt als Spitzenorganisation die Interessen der Menschen, die von einer Seheinschränkung betroffen oder bedroht sind. Dementsprechend konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Belange dieser Menschen.


Gemäß den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag soll die Straßenverkehrsordnung (StVO) so geändert werden, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden. Ländern und Kommunen sollen flexiblere Entscheidungsspielräume eröffnet werden, um diese Ziele zu erreichen.


Der DBSV weist darauf hin, dass die im Benachteiligungsverbot (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) verankerten und in den Behindertengleichstellungsgesetzen von Bund und Ländern ausgestalteten Verpflichtungen zur Barrierefreiheit des öffentlichen Raums als Grundlage für eine gleichberechtigte Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am Straßenverkehr durch die neuen Zielstellungen nicht in Frage gestellt werden dürfen. Leider zeigen die Erfahrungen, dass die sich aus dem Behindertengleichstellungsgesetzen ergebenden Verpflichtungen zur Barrierefreiheit bei den öffentlichen Stellen von Bund und Ländern nicht bzw. ungenügend bekannt sind. Darauf weist zuletzt der Evaluationsbericht zum Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG) hin (BT-Drucksache 20/4440). Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des DBSV daher zwingend erforderlich, dass in der StVO ausdrücklich klargestellt wird, dass bei den durch die Straßenverkehrsbehörden zu treffenden Entscheidungen über die Anordnungen im Straßenverkehrsrecht den Belangen von Menschen mit Behinderungen unbedingt Rechnung zu tragen ist. Das gilt auch bei Vorhaben, die neue Verkehrskonzepte erproben sollen. Keinesfalls dürfen (bewusst oder auch unabsichtlich) die Belange des Klima- und Umweltschutzes, des Gesundheitsschutzes oder städtebaulicher Entwicklungen höher bewertet werden als die Belange von Menschen mit Behinderungen bei der eigenständigen, barrierefreien Mobilität. Leider ist zu verzeichnen, dass in einigen Kommunen derartige Konflikte bereits Realität sind. Beispiele sind bewusst abgeschaltete akustische Ampelsignale aus vermeintlichen Lärmschutzgründen, Fahrradwegeführungen ohne für mobilitätseingeschränkte Personen ausreichend sichere Querungsmöglichkeiten zu schaffen oder kreuz und quer herumliegende E-Roller auf Gehwegen der gewerblichen Anbieter im Free-floating-Modell.


Die Leerstellen in der StVO und in den dazugehörenden Regelungen, die es Menschen mit Behinderungen bislang erschweren oder unmöglich machen, sicher und barrierefrei am Straßenverkehr teilzunehmen, sind endlich zu beseitigen. In der nachfolgenden Stellungnahme des DBSV wird daher auch auf notwendige, im Referentenentwurf nicht angesprochene Änderungsbedarfe eingegangen. Im Einzelnen:


Zu Artikel 1 – Änderung der StVO


Zu § 12:


Der DBSV fordert, an Kreuzungen größere Sichtfelder zu schaffen, in denen sich Fahrende und Gehende früher und besser wahrnehmen. Dazu muss das direkt an Kreuzungen geltende Parkverbot je nach zugelassener Höchstgeschwindigkeit ausgeweitet werden. Diese Maßnahme ist auch für die bessere Sicht auf Kinder und Rollstuhl nutzende Personen wichtig, die oft von parkenden Fahrzeugen verdeckt bleiben. Die vom ruhenden Verkehr freizuhaltende Fläche sollte generell auf 10 m von der Eckausrundung verlängert werden; dieses unabhängig davon, ob ein Radweg angeordnet ist oder nicht. Der DBSV sieht sich insoweit im Einklang mit der Verkehrsministerkonferenz der Länder (VMK).


Ferner weist der DBSV auf ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Parken hin: Blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen müssen immer wieder feststellen, dass ihr gefahrenloses Bewegen im Verkehrsraum durch parkende Fahrzeuge und Fahrräder an sowie auf Bodenindikatoren wesentlich beeinträchtigt ist. Zur Umgehung des Hindernisses muss der Leitstreifen bzw. das Bodenindikatorenfeld verlassen werden, wodurch sich ein vermeidbares Gefährdungspotential ergibt.


Als Lösung wird vorgeschlagen, § 12 Abs. 3 StVO um die folgende Nr. 6 zu ergänzen:
„6. auf und in einem Mindestabstand von 60 cm von Bodenindikatoren“


Zu § 16:


Der DBSV erachtet es für erforderlich, dass § 16 einen neuen Absatz 5 erhält, in dem klargestellt wird, dass akustische Fahrgastinformationen von Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs, die nach außen abstrahlen, zu den erlaubten Schallzeichen gehören. Die rechtliche Klärung dieser Schallabstrahlung ist notwendig, weil Kommunen bei der Umsetzung der vollständigen Barrierefreiheit nach § 8 Abs. 3 PBefG für die Installation von akustischen Fahrgastinformationen an Fahrzeugen des ÖPV bisher Ausnahmegenehmigungen benötigen. Kommt nun über die neue Kategorie des Gesundheitsschutzes dem Lärmschutz eine andere Bedeutung bei der Abwägung von Interessen hinzu, wird es noch schwieriger als bisher, Außenansagen der Verkehrsmittel zu installieren. Damit wird die eigenständige Nutzung des ÖPV für Menschen mit Seheinschränkungen deutlich erschwert. Um dieses Problem zu vermeiden, wird folgende Änderung in § 16 Abs. 5 vorgeschlagen: „Keine Schallzeichen im Sinne des § 16 Absatz 1 und 3 sind weiter Einrichtungen zur akustischen Fahrgastinformation bei Fahrzeugen des Öffentlichen Personenverkehrs, die nach außen abstrahlen."


Zu § 20


§ 20 Abs. 2 StVO regelt, dass Fahrzeuge ein- und aussteigende Personen nicht gefährden dürfen, indem sie nur mit Schrittgeschwindigkeit und in ausreichendem Abstand vorbeifahren, Fahrgäste nicht behindern und wenn notwendig, warten. Gerade Radfahrende und Nutzende von Elektrokleinstfahrzeugen haben sich in der Situation des Ein- und Ausstiegs für Fahrgäste als eine Gefährdung herausgestellt. Sie nutzen den Radweg, der oft zwischen Wartebereich und Bus hindurchführt, häufig ohne eine Herabsetzung ihrer Geschwindigkeit. Das stellt ein besonderes Risiko für Menschen mit Seheinschränkungen dar, die Radfahrende und Elektrokleinstfahrzeuge weder sehen, noch hören können. Aus diesem Grund fordert der DBSV, Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge ausdrücklich in § 20 Abs. 2 StVO mitaufzunehmen.


Zu Nr. 2 Ref_E - § 25:


Die Änderung, wonach Fußgänger die Fahrbahn künftig auf „kurzen Weg“ überqueren sollen, wird seitens des DBSV begrüßt. Allerdings erachtet der DBSV die vorgesehene Änderung als nicht weitgehend genug:
Eine gesetzlich vorgegebene Benutzungspflicht von Fußgängerquerungshilfen, Fußgängerüberwegen oder an Lichtzeichenanlagen innerhalb von visuellen Markierungen lässt sich aufgrund der derzeitig anzutreffenden Gestaltung durch blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmende nicht grundsätzlich einhalten. Die nach Bodenmarkierungsverordnung zu verwendenden visuellen Markierungen sind für blinde Verkehrsteilnehmende nicht wahrnehmbar. Für sehbehinderte Menschen sind Fußgängerquerungshilfen kaum erkennbar, weil eine ausreichend visuell kontrastierende Gestaltung fehlt. Seitlich am Gehweg liegende Fußgängerquerungshilfen, Fußgängerüberwege oder Lichtzeichenanlagen können von blinden und sehbehinderten Menschen nur dann genutzt werden, wenn sie auffindbar sind. Das setzt voraus, dass die dafür notwendigen Markierungen nach dem Mehr-Sinne-Prinzip gestaltet sind – also zusätzlich zur visuellen Wahrnehmung auch taktil wahrgenommen werden können. Zu diesem Zweck eignet sich der Einsatz von Bodenindikatoren gemäß der DIN 32984 „Bodenindikatoren im öffentlichen Raum“. Um die Bedeutung von Bodenindikatoren für diesen Zweck zu unterstreichen und eine konsequente Anwendung im Bereich von Fahrbahnquerungsstellen sicher zu stellen, ist es notwendig, die Bodenindikatoren in die StVO aufzunehmen. Die langjährigen Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass die bisher bestehenden Regelungen zum Einsatz der Bodenindikatoren nicht ausreichend sind. Nur wenn die taktile Wahrnehmbarkeit von Fahrbahnquerungen gewährleistet wird, können blinde und sehbehinderte Menschen einer Benutzungspflicht tatsächlich auch nachkommen.


Zu Nr. 5 Ref_E - § 45:


Die Kommunen sollen mit Blick auf den Umwelt-, Gesundheitsschutz und eine geordnete städtebauliche Entwicklung die Möglichkeit erhalten, angemessene Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr bereitzustellen. Ebenfalls sollen die Kommunen bei knappem Parkraum Beschränkungen zugunsten der Bewohnenden ermöglichen können.


Der DBSV begrüßt diese Flexibilisierung, hält es aber für zwingend notwendig, dass bei der Abwägung zwingend die Belange von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen sind. Das betrifft sowohl die Absicherung ausreichender Behindertenparkplätze, als auch die Absicherung der Belange von Fußgängerinnen und Fußgängern gegenüber anderen Verkehrsteilnehmenden. Keinesfalls darf es hier zu Mischverkehren kommen. Auch bei knappem Parkraum muss eine ausreichende Zahl an Parkplätzen für Menschen mit Behinderungen bereitstehen.


Ausdrücklich befürwortet der DBSV die vereinfachte Einführung von Tempo-30-Zonen, da mit jeder Geschwindigkeitsdrosselung im innerstädtischen Bereich für alle Gehweg Nutzenden von einer höheren Sicherheit auszugehen ist.


Bei der in § 45 Abs. 9 Nr. 6 vorgesehenen Regelung sollte die Aufzählung auf solche Einrichtungen erweitert werden, in denen Menschen mit Behinderungen Rehabilitations- und Teilhabeleistungen erhalten, denn das Gefahrenpotential ist dort vergleichbar mit den in Nr. 6 genannten Institutionen. Außerdem ist die Ergänzung auch mit Blick auf § 3 Abs. 2a StVO zu rechtfertigen, der hilfsbedürftige Menschen – wozu auch Menschen mit Behinderung zählen – verkehrsrechtlich als besonders schutzbedürftig ansieht.


Für blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmende bleibt darüber hinaus, da sie keinen Blickkontakt zu den anderen Verkehrsteilnehmenden aufnehmen können, eine unabdingbar wichtige Voraussetzung für eine selbstständige und sichere Mobilität im Verkehrsraum, dass gesicherte Querungsstellen auch in den Tempo-30-Zonen angeboten werden. Deshalb müssen im Zuge der Erleichterung der Einrichtung von Tempo-30-Zonen auch die Vorgaben der R-FGÜ (Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen R-FGÜ) von 2001 so neu gefasst werden, dass die Einrichtung von FGÜ für diese Verkehrsbereiche leichter möglich wird. Dazu genügt die Streichung des bisherigen Abschnitts 2.1 Nr. 3 „FGÜ in Tempo 30-Zonen sind in der Regel entbehrlich.“


Diese neu eingerichteten FGÜ sind für blinde und sehbehinderte Personen nach den anerkannten Regeln der Technik mit Bodenindikatoren auszustatten.


Es bedarf zudem einer rechtlichen Klarstellung, welche sicherstellt, dass auch an Bundesstraßen in Bereich von Bushaltestellen gesicherte Querungen eingerichtet werden können. Die Einrichtung solcher Querungsstellen wird bislang regelmäßig mit dem Argument verweigert, dass diese für Fußgänger zu unsicher seien und eine falsche Sicherheit suggerierten. Es wird zudem immer noch die – inzwischen überholte – Annahme vertreten, dass an Zebrastreifen das Unfallvorkommen höher sei als an ungesicherten Querungen. Auch Lichtsignalanlagen werden mit Hinweis auf ein zu geringes Fußgängeraufkommen verweigert. Die Folge ist, dass blinden und sehbehinderten Menschen damit jegliche Möglichkeit genommen wird, eigenständig und sicher eine Straßenquerung vorzunehmen. Diese Missstände sind zu lösen.


Letztlich ist es erforderlich, dass bei Straßenbahnen, die eine Haltestelle in Mittellage haben, das Einrichten von FGÜs oder Lichtsignalanlagen mit Zusatzeinrichtungen für blinde und sehbehinderte Personen erleichtert und ermöglicht wird.


Nur so kann eine selbständige und sichere Mobilität erreicht werden.


Zu Artikel 3


Bereits in den obigen Ausführungen zu § 12 StVO ist auf die bisher ungenügenden Regelungen zum Parkverbot an Kreuzungen und an sowie auf Bodenindikatoren hingewiesen worden. In der Folge sind auch die Bußgelder für die Missachtung dieser Vorgaben aus Sicht des DBSV zu erhöhen. Unterstützt wird diese Forderung auch durch die Forderung der VMK, die heute niedrigen Bußgelder für das gefährdende und behindernde Parken an Straßenkreuzungen zu erhöhen.


Zur EKFV


Der vorgelegte Referentenentwurf enthält eine für den DBSV nicht hinnehmbare Leerstelle: Es ist aus Sicht des DBSV dringend angezeigt, dass die mit der StVO verknüpfte Elektrokleinstfahrzeugeverordnung (EKFV) so rechtssicher weiterentwickelt wird, dass gewerblich genutzte E-Roller nicht mehr wild auf dem Gehweg abgestellt und dort zur Vermietung angeboten werden dürfen. Vielmehr sind hier gesonderte feste Abstellflächen außerhalb des Gehweges einzurichten und entsprechende Straßenverkehrsrechtliche Halte-, Abstell- und Parkregelungen zu schaffen.