DBSV-Stellungnahme zum Referentenentwurf für eine Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen in der Sozialen Pflegeversicherung (VDiPA)

Das BMG hat die Verbände mit Frist zum 15.06.2022 zur Abgabe einer Stellungnahme zum Referentenentwurf für eine Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen in der Sozialen Pflegeversicherung (Verordnung zur Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen – VDiPA) gebeten.

Mit der VDiPA soll das Nähere zum Verfahren und zu den Anforderungen der Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen geregelt werden darunter Anforderungen an die Qualität und damit Barrierefreiheit von digitalen Pflegeanwendungen. Den Herstellern digitaler Pflegeanwendungen soll es möglich werden, die Anforderungen bereits bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen und umzusetzen.

Anforderungen an Barrierefreiheit müssen konkretisiert werden

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, Spitzenverband der rund 1,2 Mio. blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland, fordert nachdrücklich, dass die neu entstehenden digitalen Angebote im Gesundheitsbereich für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich und nutzbar sind, um jetzt und in der Zukunft niemanden von Gesundheitsleistungen und Patientenrechten auszuschließen. Vor diesem Hintergrund sehen wir dringenden Nachbesserungsbedarf am vorgelegten Entwurf.

Zwar ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass der Verordnungsentwurf in § 6 Abs. 6 vorschreibt, dass digitale Pflegeanwendungen Anforderungen an die Barrierefreiheit umsetzen. Die in Anlage 2 zu § 6 vorgesehenen Abfragen sind jedoch für die Umsetzung der Barrierefreiheit unzureichend. Vielmehr müssen im Verordnungstext unter Berücksichtigung der einschlägigen technischen Standards bereits Anforderungen an die Barrierefreiheit konkretisiert werden. Zudem sollte die Überprüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit ergänzenden Nutzertestungen erfolgen und nicht allein auf einer Eigenerklärung der Hersteller zum Nachweis der Barrierefreiheit fußen.

Der § 6 (6) der Verordnung könnte wie folgt neu gefasst werden:

„(6) Digitale Pflegeanwendungen setzen die Anforderungen an Nutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit um:

  1. Digitale Pflegeanwendungen sind von dem Hersteller so zu gestalten, dass die Versicherten diese leicht und intuitiv bedienen können.
  2. Digitale Pflegeanwendungen sind nach Maßgabe von § 12a Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) und der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) barrierefrei zu gestalten. Für zentrale Navigations- und Einstiegsangebote sowie Angebote, die eine Nutzerinteraktion ermöglichen, beispielsweise Formulare und die Durchführung von Authentifizierungs-, Identifizierungs- und Zahlungsprozessen, soll ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit angestrebt werden.
  3. Das Nähere zu den Anforderungen an die Nutzerfreundlichkeit und die Barrierefreiheit bestimmt sich nach Maßgabe der Anlage 2, deren Umsetzung der Hersteller im Rahmen seines Antrags mittels der entsprechenden Erklärung bestätigt.“

Anlage 2 wird wie folgt ergänzt:

Ist die digitale Pflegeanwendung barrierefrei?

  1. § 6 Ja, die digitale Pflegeanwendungen ist wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet; die Anforderungen für mobile Anwendungen nach Maßgabe der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) und der EN 301 549 in ihrer aktuellen Fassung werden erfüllt.
  2. § 6 Ja, zentrale Navigations- und Einstiegsangebote sowie Angebote, die eine Nutzerinteraktion ermöglichen, wie Formulare und die Durchführung von Authentifizierungs-, Identifizierungs- und Zahlungsprozessen erfüllen ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit im Sinne der Konformitätsstufe AAA der WCAG 2.1.
  3. § 6 Die Barrierefreiheit der digitalen Pflegeanwendungen wurde im Rahmen von Tests mit der Zielgruppe repräsentierenden Fokusgruppen von Menschen mit Behinderungen bestätigt.
  4. § 6 Ja, die digitale Pflegeanwendungen kann von einer Plattform barrierefrei heruntergeladen werden.

Darüber hinaus müssen die Informationen zu der digitalen Pflegeanwendung barrierefrei zugänglich sein. 

Begründung

Verbindliche Regelungen zur Barrierefreiheit sind erforderlich, weil zu verzeichnen ist, dass die bislang am Markt erhältlichen digitalen Gesundheitsanwendungen für blinde und sehbehinderte Menschen nicht oder nicht in vollen Umfang barrierefrei nutzbar sind. Es ist auch noch kein ausreichendes Bewusstsein und Verständnis auf Seiten der Hersteller dafür vorhanden, Menschen mit Behinderungen einen ebenso sicheren und dauerhaft zuverlässigen Zugang zu ihren Angeboten zu ermöglichen, wie sie für Menschen ohne Behinderungen verfügbar sind.

Welche Normen sind zur Anwendung zu bringen?

Aus unserer Sicht erscheint es sinnvoll, die technischen Anforderungen insbesondere aus der BITV 2.0 und der EN 301 549 für mobile Anwendungen zur Anwendung zu bringen (EN 301 549 in der Fassung 2.1.2 (2018-08), Annex A Tabelle A.2. Dieser europäische Standard ist bereits im Rahmen der Umsetzung der EU-Webseitenrichtlinie RL (EU) 2016/2102 als harmonisierte Norm anerkannt, international gebräuchlich und für Entwickler nachvollziehbar.

Dies erfordert, dass digitale Pflegeanwendungen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sind. Für zentrale Navigations- und Einstiegsangebote sowie Angebote, die eine Nutzerinteraktion ermöglichen, beispielsweise Formulare und die Durchführung von Authentifizierungs-, Identifizierungs- und Zahlungsprozessen, soll ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit angestrebt werden. Das entspricht den Konformitätsstufen AAA der WCAG 2.1.

Im Übrigen ist der Stand der Technik anzuwenden, soweit Nutzeranforderungen oder Teile von Angeboten, Diensten oder Anwendungen nicht erfasst sind.