Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) und des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) zur Vertrauensdiensteverordnung (VDV)

§ 20 Abs. 1 des Vertrauensdienstegesetzes (VDG) legt den Rahmen für die in einer Rechtsverordnung zu treffenden Regelungen wie folgt fest: „Die Bundesregierung legt durch Rechtsverordnung nähere Anforderungen an die Zugänglich- und Nutzbarmachung von Vertrauensdiensten nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 (e-IDAS-VO) und nach § 7 fest. Sie hat dabei technische und wirtschaftliche Belange zu berücksichtigen. Die Rechtsverordnung kann auch Nachweis-, Mitwirkungs- und Informationspflichten der Vertrauensdiensteanbieter enthalten.“

Der vorgelegte Referentenentwurf konkretisiert die Anforderungen an die Barrierefreiheit aus unserer Sicht nicht hinreichend. Zudem werden die möglichen Regelungsinhalte nicht ausgeschöpft.

Gegenstände der in der Rechtsverordnung festzulegenden Anforderungen in § 1 VDV sollten sein:

  • die technischen Anforderungen hinsichtlich der Zugänglichkeit der Vertrauensdienste und der zur Erbringung dieser Dienste verwendeten Endnutzerprodukte, wobei hierunter nach der Begriffsbestimmung in Art. 3 Nr. 16 und Nr. 21 eIDAS-VO Hardware, Software oder spezifische Komponenten von Hard- oder Software, die zur Erbringung von Vertrauensdiensten bestimmt sind, zählen sowie
  • nähere Bestimmungen zu Nachweis-, Mitwirkungs- und Informationspflichten der Vertrauensdiensteanbieter.

Technische Standards

Die technischen Anforderungen an die Zugänglichkeit von Vertrauensdiensten verbindlich, präzise, technikneutral und zukunftsfest zu formulieren, bedarf aus Sicht des DBSV und des DVBS weitergehenderer Regelungen als die im Entwurf vorgesehenen. Ein Interesse an präzisen Vorgaben muss dabei für drei Adressatenkreise statuiert werden:

Behinderte Menschen müssen darauf vertrauen können, dass Vertrauensdienste für sie zuverlässig barrierefrei zugänglich und nutzbar sind, weil ansonsten das in Art. 15 der eIDAS-VO vorgesehene Ziel der Nutzbarkeit für diesen Personenkreis nicht erreicht werden kann.

Weiter müssen Vertrauensdiensteanbieter eindeutig und ohne größeren Aufwand nachvollziehen können, was in Bezug auf die zu beachtenden Anforderungen an die Barrierefreiheit von ihnen verlangt wird, wenn eine Akzeptanz für die Regelungen in § 7 VDG erreicht werden soll.

Schließlich müssen die Prüfstellen bei Beschwerden im Sinne von § 7 Abs. 3 VDG rechtssicher ermitteln können, ob diese Beschwerden berechtigt sind oder nicht.

Es muss daher zunächst definiert werden, was die Begriffe „wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust“ für den Bereich der Vertrauensdienste einschließlich der zum Einsatz kommenden Hardware-Komponenten bedeuten und was in diesem Bereich unter dem aktuellen technischen Standard zu verstehen ist.

Aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung sollte in der VDV – wo immer möglich – auf die Vorgaben in der Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV des Bundes) in der jeweils geltenden Fassung verwiesen werden (vgl. BITV 2.0 vom 12.9.2011, BGBl. I, 1843, zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.11.2016, BGBl. I, 2659). Möglich ist dies mindestens hinsichtlich der Erfüllung der Informations- und Hinweispflichten nach § 7 Abs. 2 VDG sowie in Bezug auf webbasierte Komponenten von Vertrauensdiensten. Aufgrund der wegen der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben (Richtlinie (EU) 2016/2102) verabschiedeten Änderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG, geändert durch Gesetz vom 10.7.2018, BGBl. I 2018, 1117) wird aktuell die BITV überarbeitet und dürfte sodann den aktuell geltenden technischen Standard in diesem Bereich abbilden.

Wir plädieren daher dafür, die dem aktuellen technischen Stand entsprechenden Vorgaben konkret erst nach Überarbeitung der BITV des Bundes in der VDV bzw. in einer Anlage zur VDV zu regeln und dabei die Anforderungen der BITV verbindlich einzubeziehen.

Die in den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) näher bezeichneten Kriterien „wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust“ sind zweifelsohne ein guter Ausgangspunkt, um die über die in der BITV hinaus notwendigen Anforderungen an die einzuhaltenden Standards zu definieren. Eine Konkretisierung erfahren diese Begriffe bislang nur im Zusammenhang mit webbasierten Anwendungen. Da Vertrauensdienste einschließlich der von Drittanbietern für deren Nutzung zur Verfügung gestellten Geräte mehr sind als rein webbasierte Anwendungen, müssen die Kriterien „wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust“ für die Zwecke der Nutzbarkeit von Vertrauensdiensten in der VDV beschrieben werden. Die Beachtung des „Zwei-Sinne-Prinzips“, die Kompatibilität mit assistiven Technologien oder das Anbieten alternativer Bedienmöglichkeiten seien hier nur beispielhaft genannte Faktoren. Die insoweit in Bezug zu nehmenden technischen Standards sind international anerkannten Regelwerken zu entnehmen. Für grafische Programmoberflächen und Software sind dies etwa die in den DIN EN ISO 9241-171 enthaltenen Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software. Anforderungen an die Barrierefreiheit von Hardware (u.a. für Kartenlesegeräte) finden sich in Teil 5 und 8 des von den Europäischen Normungsinstituten veröffentlichten Standards EN 301 549, um nur einige Beispiele zu nennen. Es genügt aus unserer Sicht jedoch nicht, lediglich auf diese Regelwerke zu verweisen, denn diese sind weder vollständig kostenfrei noch gänzlich in deutscher Sprache zugänglich. Analog des Prozesses zur Erarbeitung der novellierten BITV wird vorgeschlagen, einen Expertenkreis zur Erstellung dieser Anforderungen einzurichten, bei dem auch Menschen mit Behinderungen sowie ihre Verbände mitwirken.

Weiterhin ist in § 1 VDV die Verbindlichkeit zu erhöhen. Das bedeutet zum einen, dass sich Vertrauensdiensteanbieter nicht nur, wie jetzt vorgesehen, am „Stand der Technik orientieren“, sondern diesen zu beachten haben. Zum anderen ist die im Entwurf bislang vorgesehene „Soll-Regelung“ durch eine „Muss-Regelung“ zu ersetzen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Vertrauensdiensteanbieter von den festgelegten Standards abweichen, wodurch die Zugänglichkeit zu Vertrauensdiensten insgesamt gefährdet wird.

Informations-, Mitwirkungs- und Nachweispflichten

Es sollte in der VDV geregelt werden, dass und wie die Vertrauensdiensteanbieter gegenüber den Aufsichtsbehörden nachweisen müssen, dass sie den Anforderungen nach § 7 Abs. 1 und 2 VDG nachgekommen sind bzw. warum im Einzelfall kein barrierefrei zugänglicher Vertrauensdienst angeboten wird. Sinnvoll im Zusammenhang mit der Erfüllung der Informationspflichten nach § 7 Abs. 2 VDG erscheint überdies die Erstellung eines Musters für die auf der Homepage der Vertrauensdiensteanbieter zu machenden Angaben.

Schließlich regen wir an, dass bei der Beurteilung, ob Vertrauensdienste für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich und nutzbar sind, die Bundesfachstelle Barrierefreiheit gem. § 13 BGG in Analogie zu dessen Abs. 3 Nr. 5 unterstützend für die Stellen gem. § 2 Abs. 1 VDG (Bundesnetzagentur bzw. BSI) tätig werden kann, da dort das Fachwissen zu diesem Themenkreis gebündelt vorhanden ist.

Berlin, 27.07.2018