Brei füttern im Regenmantel

Ein Bericht aus dem Familienalltag – vom Wickeln und Breifüttern bis zum Vokabelabfragen.

Ein Bericht von Karl Matthias Schäfer.

Wenn der Vater blind ist und die Mutter sehend, könnte man versucht sein, in traditionelle Rollenmuster zu verfallen. Nicht so Karl Matthias Schäfer, der von Anfang an ein gleichberechtigter Vater sein wollte. Deswegen lässt er im Familienalltag nichts aus – vom Wickeln und Breifüttern bis zum Vokabelabfragen und dem gemeinsamen Wing-Tsun-Training.

Die Zeit, als meine Frau und ich darüber redeten, Kinder haben zu wollen, war für mich eine Zeit des Nachdenkens. Eine Zeit, in der ich mich in vieler Hinsicht neu mit meiner Behinderung auseinander setzte. Ich dachte darüber nach, wie meine Rolle als blinder Vater aussehen könnte und spürte eine große Verantwortung auf mich zukommen. Es war und ist bis heute mein Anspruch, in der Erziehung und bei der Alltagsbewältigung auch ohne meine sehende Frau zurechtzukommen. Durch einige Gespräche, insbesondere mit blinden Müttern, wurden meine Bedenken recht schnell zerstreut.

Die erste Schwangerschaft meiner Frau war für uns eine sehr schöne, fast euphorische Zeit. Getrübt eigentlich nur von den Spekulationen einiger Menschen aus dem entfernten Umfeld, die sich die Mäuler darüber zerrissen, ob unser Kind wohl auch blind sein würde. Hier machte ich zum ersten Mal mit dem Phänomen Bekanntschaft, dass ich eher meine Frau unterstützen musste, mit dem Geschwätz anderer Leute bezüglich meiner Blindheit klarzukommen, als dass ich selbst Probleme damit hatte.

Gemeinsam mit meiner Frau absolvierte ich den Geburtsvorbereitungskurs und Babypflegekurs und kam schnell zu der Auffassung, dass das für mich alles zu bewältigen sei. Und so war es auch. An manches Windelabenteuer denke ich allerdings nicht ganz so gerne zurück. Manchmal musste ich auch zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. So trug ich bei meinen ersten Breifütter-Versuchen einen Regenmantel, um die Waschmaschine nicht überzustrapazieren.

Womit ich mich schwer tat, war, mit dem Kinderwagen unterwegs zu sein. Das gab ich schnell auf und nutzte stattdessen ein Tragetuch und später eine Rückentrage. Wenn ich mit den Kindern damit durch unseren damaligen Wohnort ging, war ich eine Attraktion. Die Reaktionen der Leute waren positiv bis bewundernd. Ich erarbeitete mir Wege im nahegelegenen Wald, um mit den Kindern entspannt spazieren zu gehen und die Natur zu genießen. So verlief die erste Zeit schön und relativ unspektakulär. Dem zweiten Kind, das sich nach knapp zwei Jahren ankündigte, stand also nichts mehr im Wege. Nachdem mein zweiter Sohn ein Jahr alt war, kam noch ein Blindenführhund in unsere Familie und brachte mir noch mehr Unabhängigkeit.

Interessant war, dass die Kinder sehr früh spürten, dass es nicht toll ist, zu weit von Papa wegzurennen. Das kam ganz von selbst und musste ihnen nicht vermittelt werden. Wenn Freunde der Kinder zu Besuch kamen und meine Frau nicht zu Hause war, musste ich differenzieren: Manche Kinder konnte ich problemlos mit beaufsichtigen, andere nicht.

Beim Spielen war mein Part klar das Bauen und Konstruieren, während meine Frau eher fürs Vorlesen und Basteln zuständig war. In unserer Familie sind Bücher sehr wichtig und genau an diesem Punkt hatte ich ein Problem, das mir anfangs auch etwas wehtat: Ich konnte den Kindern nicht ihre Lieblingsbücher vorlesen, sondern war auf ein sehr eingeschränktes und nicht gerade modernes Repertoire an Kinderliteratur in Punktschrift angewiesen.

In der Grundschulzeit wurde mir sehr klar, dass man sich als blinder Vater seiner Einschränkung bewusst sein muss, um Strategien entwickeln zu können, die eigene Blindheit nicht zum Nachteil für die Entwicklung der Kinder werden zu lassen. Sehr viele Dinge werden im Unterricht ausschließlich visuell vermittelt und ich musste schon bald bei der Hausaufgabenbetreuung kapitulieren. Ohne sehende Frau hätte ich hier Hilfe von außen in Anspruch nehmen müssen.

Heute ist mein älterer Sohn auf dem Gymnasium und da fällt mir die Unterstützung schon erheblich leichter. Nur bei den Mathehausaufgaben ist es schwierig, wenn zum Beispiel in Geometrie der Lernstoff visualisiert wird. Dann habe ich oft Probleme, die Aufgaben überhaupt zu begreifen. Deutsch und Fremdsprachen sowie naturwissenschaftliche und gesellschaftskundliche Fächer sind dagegen kein Problem, weil man sich vieles über den Computer erarbeiten kann.

In der Freizeit spielt für meine Jungs der Sport eine große Rolle. Unglücklicherweise hatten beide ursprünglich eine Sportart ausgewählt, mit der ich wenig anfangen kann: Fußball. Spätestens als die Kinder mit fünf Jahren in den Fußballverein eintraten, war ich nicht mehr konkurrenzfähig. Aber auch hier fügte sich alles. Der Ältere begann sich neben Fußball auch für Schach zu interessieren und damit haben wir ein gemeinsames Hobby gefunden. Und der Jüngere ist zu der chinesischen Kampfkunst Wing-Tsun übergelaufen, nachdem er mich einmal zu einer Prüfung begleitet hatte. Nun unterstützt meine Frau den älteren Sohn beim Fußball und ich den jüngeren beim Wing-Tsun.

Anlässlich dieses Beitrages habe ich meine Kinder gefragt, was es für sie bedeutet, einen blinden Vater zu haben. Offen gestanden, war es mir dabei etwas mulmig, weil ich nicht wusste, ob hier vielleicht unangenehme Dinge zu Tage treten würden. Aber meine Befürchtungen waren unbegründet. Hier eine Zusammenfassung ihrer Antworten: „Wir haben keine Vergleichsmöglichkeiten zu einem sehenden Vater. Wir würden ja all das, was andere Familien tun, auch machen.“ – „Wenn du sehen könntest, könntest du Mama, wenn wir in Urlaub fahren, beim Autofahren ablösen.“ – „Mit dir kann man nicht so toll Fußball spielen, dafür haben wir mit dir schon früh tolle Sachen am Computer gemacht.“ – „Meine Kumpels sind total beeindruckt, wie du dein Leben auf die Reihe kriegst.“ –„"Wenn du nicht blind wärst, hätten wir nicht so einen tollen Hund.“

Womit allerdings beide Kinder Probleme haben, ist die Art, wie sie und ich von anderen Leuten angestarrt werden, wenn wir zusammen unterwegs sind. Hier ist es also wieder meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass andere mit den Reaktionen der Umwelt auf meine Blindheit klarkommen.

Ich bin stolz darauf, Vater zu sein, und habe es keine Minute bereut. Zu meinen eindrucksvollsten Erlebnissen gehört, dass ich bei der Geburt beider Kinder die Nabelschnur durchschneiden durfte.