Smartphones und Tablet-PCs – Forderungen für Apps und Betriebssysteme

(Fassung vom 13. Mai 2014)

Vielen Dank an das Projekt INCOBS Standardtechnologien, Detlev Fischer, Dr. Thomas Kahlisch, Heinz Mehrlich, Oliver Nadig und Hans-Karl Peter!

Forderungen für Apps

Grundsätzliche Anforderungen an Apps

Apps sollten mit den von der jeweiligen Betriebssystemumgebung (iOS, Android, Windows Phone etc.) angebotenen Bedienungshilfen harmonieren und deren verfügbare Assistenzfunktionen vollständig ausschöpfen. Dies bedeutet:

  1. Wo immer möglich, sollten Standard-Bedienelemente der jeweiligen Plattform zum Einsatz kommen.
  2. Alle Bestandteile einer App (Informations-Container und Steuerelemente) sind nach den Regeln der jeweiligen Zugänglichkeits-Programmierschnittstellen vollständig so mit Information auszustatten, dass eine Hilfstechnologie wie eine Bildschirmvorlese- oder Vergrößerungsfunktion den Nutzer zuverlässig und vollständig über Bedeutung, Status, Inhalt und Bedienmöglichkeit des jeweiligen Elementes unterrichten kann.
  3. Jeder Bestandteil einer App berücksichtigt die in den Bedienungshilfen der jeweiligen Plattform getroffenen Einstellungen für die visuelle Darstellung und Navigationsmethoden. Dazu gehört eine durchgängige vergrößerte bzw. gefettete Textdarstellung.
  4. Innerhalb von Apps sind Darstellung und Bedienvarianten der App-Bestandteile konsistent.

Um die Nutzung von Inhalten auf Touchscreens zu erleichtern, sollten Bedienelemente (Schaltflächen, Eingabefelder, Links)

  • mindestens 9x9 mm groß sein (ggf. auch über den touch-aktiven Bereich um Links herum)
  • ausreichend Abstand zu angrenzenden Elementen haben (mindestens 2 mm).

Anforderungen an Web-Apps und Browser

Standards und Empfehlungen für die Barrierefreiheit berücksichtigen

  • Bei der Entwicklung von Programmen wie Browsern oder Media-Playern, die Webinhalte darstellen, sollten Entwickler dem W3C Standard User Agent Accessibility Guidelines 2.0 (UAAG) folgen.
  • Bei der Entwicklung von Webinhalten und Webanwendungen sollten Entwickler den W3C Standard Web Content Accessibility Guidelines 2.0 (WCAG) folgen. Wo immer möglich sollten Standard-HTML-Elemente eingesetzt werden.
  • Für native Apps sind viele WCAG-Forderungen für Webinhalte (etwa gute Kontraste, verknüpfte und sinnvolle Beschriftungen und Alternativtexte) direkt übertragbar: siehe das Dokument Guidance on Applying WCAG 2.0 to Non-Web Information and Communications Technologies (WCAG2ICT).
  • Nützliche Anforderungen für die barrierefreie Umsetzung von Web-Apps und nativen Apps finden sich außerdem in den Mobile Accessibility Guidelines v1.0 der BBC.

Web Design für die mobile Ausgabe optimieren

  • Bei Websites sollte die Zoommöglichkeit über die Spreizgeste nicht programmatisch unterdrückt und auf 200% begrenzt werden.
  • Bei der Darstellung von Text auf Webseiten sollten wenn möglich responsive Designmethoden zum Einsatz kommen, bei denen der Text automatisch auf die jeweilige Bildschirmbreite angepasst umbricht.
  • Webentwickler sollten beim Design von Websites auf Designpraktiken verzichten, die bei der mobilen Nutzung häufig Probleme hervorrufen, zum Beispiel die Nutzung von MouseOver-Effekten über Bedienelementen und das Einblenden von Fenstern/Dialogen, die sich ggf. außerhalb des sichtbaren Bereichs öffnen.
  • Wo auf Webseiten spezielle selbstgestaltete Bedienelemente eingesetzt werden, sollten diese mit Hilfe von geeigneten WAI-ARIA-Rollen und Eigenschaften zugänglich gemacht werden. (Warnung: Viele ARIA-Rollen und Eigenschaften werden noch nicht hinreichend von Browsern unterstützt).
  • Für die Lesbarkeit von Web-Inhalten ist eine Reader-Funktion in Browsern von größter Bedeutung. Reader erlauben eine für Sehbehinderte verbesserte Darstellung großer Textmengen durch die Anpassbarkeit der Typographie, etwa durch die Einstellung von Schriftart, Schriftgröße, Schriftschnitt, Laufweite oder Negativdarstellung. Dabei sollte auch die Übergabe an Apps für ein späteres Lesen ermöglicht werden (wie z.B. in der Read-It-Later-App Pocket).
  • Bei E-Mail-Newslettern sollte ein Link zur Anzeige im Browser vorgesehen werden, da hier eine bessere Darstellung ohne Überschneidung von Zeilen möglich ist.
  • Videos mit informationstragenden Inhalten im Ton sollten mit Untertitelung in einer Form angeboten werden, die von mobilen Betriebssystemen zuverlässig dargestellt wird (Flash wird häufig nicht unterstützt).

Forderungen für Betriebssysteme

Ausgereifte Bedienungshilfen auf allen Plattformen

Jedes Betriebssystem für Smartphones oder Tablet-PCs muss ausgereifte Bedienungshilfen für Menschen mit sensorischen, motorischen und kognitiven Einschränkungen bereitstellen. Jede Plattform sollte über Schrift- und Zoomvergrößerungsfunktionen, einstellbare Kontrastmodi, einen Screenreader sowie geeignete Assistenzfunktionen für hörsehbehinderte und taubblinde Personen verfügen.

Keine Rückschritte bei System-Updates

Bei der Weiterentwicklung der Betriebssysteme müssen Hersteller darauf achten, dass durch Neuerungen nicht der bereits erreichte Standard an Zugänglichkeit verschlechtert wird.

Vielfältig anpassbare Bedienoberflächen

Für Sehbehinderte sollten die Betriebssysteme eine vielfältig anpassbare Bedienoberfläche angebieten, da es sehr viele unterschiedliche Sehbehinderungen und damit individuell sehr unterschiedliche Anforderungen gibt. Dabei ist auch die visuelle Orientierung sehbehinderter Nutzer zu berücksichtigen, die zusätzlich zur vergrößerten Darstellung Screenreader und Vorlesefunktionen benutzen.

Von anpassbaren Bedienoberflächen profitieren auch andere weniger gut sehende Menschen, die nicht als sehbehindert im engeren Sinne gelten, und solche, die andere Lese- oder Wahrnehmungs-Einschränkungen haben, wie zum Beispiel Dyslexie.

Bei der Gestaltung von Bedienoberflächen für Sehbehinderte sollten theoretische Grundlagen der Gestalt-Theorie und der visuellen Semiotik stärker berücksichtigt werden.

Bessere Konfigurierbarkeit von Bedienungshilfen für sehbehinderte Nutzer

Die Bedienhilfen für sehbehinderte Nutzer haben noch großes Verbesserungspotenzial. Dazu gehören:

  • Die stärkere Konfigurierbarkeit der Zoomvergrößerung beim Wechsel von Screens (neue Screens gleich vergrößert oder zuerst unvergrößert anzeigen).
  • Insbesondere sehbehinderte User schalten häufig je nach Nutzungskontext den Screenreader, die Negativdarstellung oder die Zoomvergrößerung an und ab. Der Wechsel und die Kombinierbarkeit verschiedener Bedienungshilfen sollte so einfach wie möglich sein, etwa durch eine Hardware-Taste, Sprachbefehle, oder eine permanent eingeblendete Schaltfläche.
  • Eine bessere Unterstützung einer gleichzeitigen Nutzung von Zoomvergrößerung und Sprachausgabe (zur Zeit nur bei iOS gut umgesetzt)
  • Gute visuelle Fokushervorhebung  und Fokusversetzung bei der Nutzung von Apps bei eingeschalteter Zoom-Vergrößerung und gleichzeitig eingeschaltetem Screenreader, die Sehbehinderten eine visuelle Bedienung ermöglicht
  • Verbesserung der Zoomfunktion (Bildschirmlupe) bei Windows 8 Tablets. Bei der Windows 8-Bildschirmlupe kollidiert die Touch-Bedienung mit System-Gesten zum Aufruf von Marginalmenüs und ist damit schlecht nutzbar.
  • Bereitstellung konfigurierbarer Kontrastmodi wie bei Windows 8 auch für Googles Android und iOS. iOS und Samsungs Android-Version haben nur eine einfache Kontrastumkehr.
  • Bei Kontrastumkehr-Einstellungen sollten Bilder und Bedienelemente optional ausgenommen werden können.
  • Die Textanzeige sollte besser konfigurierbar sein, z.B. durch die Auswahl geeigneter Schriften und Gewichtungen (halbfett, fett), Wahl der Zeilenlänge, Zeilenabstände, Wortzwischenräume und Buchstabenabstände.
  • Die Darstellung von beschrifteten Bedienelementen (etwa bei den Einstellungen für Bedienungshilfen im System) sollte so umgesetzt sein, dass Beschriftung und beschriftetes Element auch bei Nutzung der Zoomvergrößerung klar einander zuzuordnen sind.
  • Bedienelemente sollten sich gut visuell hervorheben lassen, z.B. über Schattierung, Invertierung, Farben, oder Umrisse. Auch eine Vergrößerung der Elemente beim Überstreichen wie beim MAC-OS Dock ist denkbar, ebenso die Einführung einer zweiten Bedienungsebene mit kontextabhängigen erklärenden Bedienungshilfen.