10 Tipps zum Lesenlernen

Wie Sie Ihr Kind darauf vorbereiten können, Braille lesen zu lernen

Das Lesenlernen beginnt eigentlich mit der Geburt. Dieser Prozess schließt die sich entwickelnden grundlegenden gedanklichen Konzepte, Bewegungsfähigkeiten, Sprache, Kommunikation und vieles mehr mit ein. Um Braille lesen zu lernen, müssen Kinder darüber hinaus in erhöhtem Maß Feinmotorik und Tastfähigkeiten entwickeln.

Hier sind zehn Tipps, um loszulegen:

  1. Verschaffen Sie Ihrem Kind jede Menge Zugang zu Braille - überall

    Bedenken Sie, dass sehende Kinder bereits Millionen und Millionen von Wörtern gesehen haben, bevor sie anfangen zu lesen. Gedrucktes findet sich überall: auf allen Verpackungen von Nahrungsmitteln, Shampoo und Zahnpasta, die zuhause zu sehen sind, in Geschäften und im Fernsehen. Es findet sich in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Briefen, Postkarten, Computern, Listen u.v.a.m. Jetzt vergegenwärtigen Sie sich, wieviel Übung und Umgang mit Wörtern ein sehendes Kind bereits hatte, bevor der formelle Leseunterricht beginnt! Es ist entscheidend, dass Sie in Ihrer Umgebung so viel Umgang mit Braille ermöglichen, wie Sie nur können. Gegenstände im Haus sollten mit Brailleschrift versehen sein, und jedes Kind sollte zuhause  große Mengen von Material zum Lesenlernen in Braille finden.

    Mehr Tipps dazu auf Englisch
  2. Lassen Sie Ihr Kind viel Feinmotorik und manuelle Fähigkeiten einüben

    Ermutigen Sie Ihr Kind, alle möglichen Arten von Behältnissen zu öffnen und zu schließen und alle Arten von Verschlüssen an der Kleidung zu betätigen (Knöpfe, Druckknöpfe, Reißverschlüsse etc.)! Laden Sie es ein, bei der Hausarbeit zu helfen: rühren, schöpfen, schneiden, hacken, eingießen etc.! Obgleich diese vielleicht für das Lesenlernen nicht wichtig erscheinen mögen, sie sind es!

  3. Lassen Sie Ihr Kind Gegenstände sortieren, vergleichen und kategorisieren

    Fordern Sie Ihr Kind auf, verschiedene Arten von Materialien zu sortieren: Knöpfe, Bohnen, Nüsse, Münzen. Es kann alles sein, sofern Ihr Kind die Unterschiede zwischen den Gegenständen  ertasten kann. Lassen Sie es groß/klein, rau/weich, viereckig/dreieckig etc. sortieren! Stellen Sie sicher, die Sortieraufgabe mit verschiedenen Stellen für die Gegenstände und einem organisierten Arbeitsplatz auszustatten. Sie können z.B. vermischte Münzen auf einen großen Teller legen, von dem dann Ein- und Zwei-Euro-Stücke in eine Schale links und Centmünzen in eine Schale rechts gelegt werden sollen. Das Kind muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Wert der Münzen verstehen, sondern nur den Unterschied in Größe und tastbarer Beschaffenheit erkennen.
  4. Üben Sie mit Ihrem Kind das Erzählen von Geschichten und aufeinanderfolgenden Ereignissen

    Das Entschlüsseln von Braille ist nur ein Teil des Leselernprozesses. Sprachentwicklung ist ebenso wichtig. Fragen Sie Ihr Kind, was es heute getan hat! Lassen Sie es fünf Dinge nennen, die Sie heute mit ihm auf dem Markt gekauft haben! Fragen Sie es, was es gestern in der Schule gemacht hat! Was das erste war, was es nach dem Aufstehen getan hat. Was geschah dann? Was tat es, bevor es zu Bett ging?
  5. Helfen Sie Ihrem Kind, Standort, Richtung und räumliche Orientierung zu verstehen

    Verschaffen Sie Ihrem Kind Übung mit Positionsbegriffen wie hoch/runter, über/unter, vor/hinter/neben, oben/Mitte/unten, links/in der Mitte/rechts. Fordern Sie es auf, diese räumlichen Bestimmungen an sich selbst zu zeigen (z.B.: "Stelle die Tasse hinter dich!"). Dann bitten Sie es, es mit zwei Gegenständen zu tun ("Leg das Buch über den Teller!"). Bitten Sie es, sie Ihnen auf einer Buchseite zu zeigen ("Zeig mir die linke untere Ecke!").
  6. Üben Sie Zählen

    Zählen Sie den Tag über ganz natürlich viele Dinge! Zählen Sie die Zahl der Shirts im Wäschekorb, die Gabeln im Spülbecken, die Stufen von einem Ort zum anderen! Zählen Sie, wie viele Leute beim Abendessen am Tisch sitzen werden! Dann zählen Sie die Stühle und das Besteck. Ordnen Sie jedem Stuhl einen Teller zu und eine Tasse zu jedem Teller! Fragen Sie Ihr Kind, aus wie vielen Gegenständen ein Set besteht. Oder geben Sie ihm z.B. acht Löffel und fragen Sie es: "Wie viele Löffel sind das?" Als nächstes geben Sie ihm eine größere Anzahl von Gegenständen und bitten Sie es, Ihnen einen Teil davon zurückzugeben. Geben Sie ihm z.B. zehn Nüsse und bitten Sie es, Ihnen sechs wiederzugeben.
  7. Schaffen Sie Gelegenheiten, die Tastfähigkeiten zu verbessern

    Stellen Sie Tastbücher her und lassen Sie Ihr Kind so mit verschiedenen Gegenständen umgehen! Entwickeln Sie anhand dieser Stichwörter Ideen für Objekt- und Tastbücher.
    Weiterführende Tipps:
    meinem dreijährigen taubblinden Sohn Bücher in die Hand geben (Englisch)
    ein Buch über den Begriff von Groß und Klein (Englisch)
    eine Buch-Bastel-Party (Englisch)
    Als nächstes geben Sie Ihrem Kind mehr formelle Übung, indem Sie lauter gleiche Braillezeichen schreiben und ein unterschiedliches. Schreiben Sie z.B. folgende Zeile: a, a, a, a, a, l, a, a, a. Bitten Sie Ihr Kind das Zeichen zu finden, das anders ist! Schreiben Sie seinen Namen in Brailleschrift, schreiben ein anderes Wort dazwischen und lassen Ihr Kind es finden: z.B. Ahmed, Ahmed, Ahmed, Ahmed, Katze, Ahmed, Ahmed. Ahmed. Sie können die Aufgaben schwieriger machen, je besser Ihr Kind es kann.
  8. Gestalten Sie Erfahrungsgeschichten (oder: Erlebnisgeschichten?)

    Laden Sie Ihr Kind ein, eine Geschichte über ein Ereignis zu diktieren! Schreiben Sie, was es sagt, in Schwarzschrift und in Braille auf, und lassen Sie es dann mit Ihnen zusammen immer und immer wieder laut lesen. Das wird ihm helfen, zu beginnen zu verstehen, dass der Braille-Code mit Bedeutungen verknüpft ist und dass jedes Braillewort auf einer Seite einem gesprochenen Wort entspricht. Auf diesem Weg motivieren Sie Ihr Kind auch, eigene Bücher herzustellen.
    Mehr Informationen dazu:
    Wie man ein Erfahrungsbuch/Erlebnisbuch? gestaltet (Englisch)
    Taktile Erlebnisbücher (Englisch)
    Spracherlebnisbücher (Englisch)
  9. Ermutigen Sie Ihr Kind, mit der Punktschriftmaschine zu "kritzeln"

    Praktisches Lesen und Schreiben gehen Hand in Hand mit der Entwicklung des Leseverständnisses. Sehende Kinder üben das Kritzeln mit Buntstiften und Filzstiften lange bevor sie beginnen, eigentliche Buchstaben zu schreiben. Entsprechend sollten Kinder, die Braille lernen, üben, mit der Braille-Schreibmaschine oder mit Schablone und Prägestift auf Papier zu "kritzeln".
    Wie das geht?: Kritzeln mit meinem taubblinden Sohn (Englisch)
  10. Lesen Sie jeden Tag

    Zu Beginn haben wir vorgeschlagen, dass Ihr Kind überall im Haus und in jeder nur möglichen Umgebung Braille vorfinden sollte. Es ist also wichtig, jeden Tag Geschichten mit ihm zu lesen. In Deutschland gibt es viele Möglichkeiten, kostenlos Braille-Bücher zu erhalten, z. B. im MediBuS-Katalog. Der Umgang mit Braille ist generell wichtig; aber es ist ebenso wichtig für Ihr Kind, dass es zu verstehen beginnt, dass Braille ein Code für gesprochene Sprache ist. Laut vorgelesenen Geschichten zuzuhören ist ein großartiger Einstieg in diesen Prozess - und inspiriert eine lebenslange Liebe zum Lesen.

Finden Sie hier Tipps für Eltern von Charlotte Cushman (Perkins School for the Blind): Ten tips to prepare your child to learn to read braille