Blindennotenschrift

Musikunterricht für blinde Menschen muss auch Notenschriftkenntnisse vermitteln.

Gemeinsame Resolution des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) und des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS)

Musik ist herausragender und unverzichtbarer Bestandteil aller Kulturen unserer Erde, und sie ist für diejenigen Menschen von noch größerer Bedeutung, denen der Sehsinn nicht zur Verfügung steht.

Für blinde Menschen bedeutet der Umgang mit Musik neben den vielen anderen positiven Auswirkungen auch einen besonderen Zugang zu sozialer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, da sie in Chören und Instrumentalgruppen zusammen mit Sehenden singen und musizieren können.

Neben den Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks und der sozialen Teilhabe öffnet Musik natürlich auch Wege der beruflichen Integration und Rehabilitation für blinde Profimusiker bis hin zu herausragenden Spitzenleistungen weit mehr als in vielen anderen Bereichen der Arbeitswelt.

Ein sehr wichtiges Medium zur Verbreitung von Musik ist schon seit vielen Jahrhunderten die Notenschrift. Grundkenntnisse dieses Schriftsystems sind zum Verständnis des musikalischen Teils unseres kulturellen Erbes ebenso unverzichtbar wie Lesen und Schreiben für die Kommunikation innerhalb unserer Gesellschaft. Daher ist es auch Aufgabe der Schulen, diese Grundkenntnisse zu vermitteln, und die Lehrpläne für das Fach „Musik“ sehen das auch vor.

Vertiefte Kenntnisse der Notenschrift werden im Einzelunterricht für Instrumente oder Gesang, in Chören und Musikgruppen an privaten und öffentlichen Musikschulen vermittelt ebenso wie natürlich auch im Rahmen professioneller Qualifizierung wie an Konservatorien und Hochschulen.

Louis Braille hat im Jahre 1825 nicht nur die Blindenschrift erfunden; er hat auch ein System der Notenschrift erdacht, das seitdem unzähligen blinden Menschen weltweit ermöglicht hat, sich unabhängig von der Hilfe Sehender komponierte Musik zu erarbeiten bzw. eigene musikalische Gedanken schriftlich festzuhalten. Dieses System hat sich bereits über fast zwei Jahrhunderte bewährt. Es gibt keine praktikable Alternative zur Musiknotation für blinde Musiker.

Die Selbsthilfeorganisationen blinder und sehbehinderter Menschen setzen sich daher dafür ein, dass es auch in Zukunft jedem blinden Menschen, der dies wünscht, zur Verfügung steht.

Daher erwarten wir von Bildungspolitik sowie öffentlichen und privaten Institutionen der musikalischen Bildung:

  1. Alle blinden Schülerinnen und Schüler, die in der Lage sind, die Brailleschrift zu erlernen, müssen auch Grundkenntnisse in Blindennotenschrift erwerben. Ziel muss sein, sie in die Lage zu versetzen, einfache Melodien vom Notenbild her nachzuvollziehen. Um dies zu erreichen, muss das Fach „Musik“ in den Stundentafeln der ersten 6 Schuljahre in ausreichendem Maße (2 Wochenstunden) Berücksichtigung finden.
  2. Alle Notenwerke, die im Unterricht allgemeinbildender Schulen verwendet werden, müssen dort lernenden blinden Schüler/-innen in Blindennotenschrift zugänglich sein, und das ohne Mehrkosten für die Betreffenden.
  3. Für die Unterrichtung blinder Schülerinnen und Schüler in Blindennotenschrift muss qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen, sowohl in Förderschulen für Blinde und Sehbehinderte als auch im gemeinsamen Unterricht. Wenn die Schulen über entsprechendes Personal nicht verfügen, sind fachkundige blinde Musiker hinzuzuziehen.
  4. All denjenigen, die die Begabung bzw. den Wunsch haben, ein Instrument zu erlernen, muss ermöglicht werden, ihre Notenkenntnisse so zu vertiefen, dass sie selbstständig Musik lesen und sich den Notentext musikalischer Werke ohne die Hilfe Sehender erarbeiten können.
  5. Öffentliche und private Musikschulen müssen blinden Menschen uneingeschränkt offenstehen. Damit sie dort die gleichen Bildungschancen haben wie ihre sehenden Mitschüler/-innen, müssen vor Ort Kooperationsmodelle von Musikschulen und blinden Experten/Expertinnen für Blindennotenschrift entwickelt werden. Da sich im Instrumentalunterricht spieltechnische Fähigkeiten sowie Notenschriftkenntnisse Hand in Hand entwickeln, bedarf es hier eines Höchstmaßes an Fantasie beim Erarbeiten individueller Lösungen.

Die Blindennotenschrift hat sich seit 180 Jahren als Schlüssel für Teilhabe und Inklusion blinder Menschen ins kulturelle Leben erwiesen. Sie ist unverzichtbar und unersetzlich.

Wir fordern daher, diese Schrift und ihre Anwendung so zu fördern, dass sie auch weiterhin den Erfolg blinder Kulturschaffender in unserer Gesellschaft sichern hilft.

Beschlossen vom Präsidium des DBSV und dem Vorstand des DVBS im März 2010