Die technischen Grundlagen für die App

Isabel Jäger, shoutr labs

Im März 2017 stießen wir, die Agentur shoutr labs, als Technologiepartner zum Projekt „Kultur mit allen Sinnen” dazu. Als Teil der Arbeitsgemeinschaft „Audio- und Informationsvermittlung” waren und sind wir weiterhin verantwortlich für die gestalterische und technische Konzeption und Umsetzung der App „Berlinische Galerie - ein inklusiver Guide”.

Mit dem Projekt „Kultur mit allen Sinnen” eröffnete sich für uns ein spannender Weg. Dieser umfasste die Konzeption der App in der AG und umfangreiche Usability Tests bis hin zur finalen Umsetzung.

Das Projekt begann mit mehreren Sitzungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern des DBSV, ABSV, der Berlinischen Galerie und shoutr labs. In diesen Workshops wurden genaue Ziele festgelegt, ausgehend von den Fragestellungen: Was soll die App vermitteln? Welche Besuchergruppen, Bedürfnisse und Anforderungen müssen beachtet werden? Wie muss dementsprechend die Menüführung und Benutzeroberfläche aufgebaut werden? Und was ist die beste technische Lösung dafür?

Als Software-/Appentwicklerinnen und -entwickler war für uns die Ermittlung der Bedürfnisse von Endnutzerinnen und Endnutzern und die daraus resultierenden Anforderungen zur Gestaltung der App grundlegend für das Entwicklungsgerüst. Auf der Grundlage der definierten Ziele aller Beteiligten, der Analyse des Nutzungskontextes sowie der Bedürfnisse der Endnutzerinnen und Endnutzern ergaben sich die ersten Anforderungen an die App. (Vgl. Fischer & Postert 2014, S. 1) Diese wurden in Mockups - einer groben digitalen Skizze - festgehalten. Eine taktile Version der Prototypen erstellte Eva Cambeiro Andrade, Mitarbeiterin des DBSV.

Die kontinuierliche Evaluation war bedeutend für den gesamten Verlauf des Projektes. So wurde sich auf Grundlage des User-Centered Design Prozesses Schritt für Schritt der Beta-Version der App genähert.

Anforderungen einer barrierefreien Mediaguide App

Prinzipiell werden die Anforderungen einer barrierefreien Informationstechnik in der WCAG 2.0 (Web Content Accessibility Guidelines) sowie der deutschen Version der BITV 2.0 (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) formuliert. Die Vorgaben dienten uns als Richtwerte für die Entwicklung der App.

Grundlegende Punkte wie Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit werden hinsichtlich der Barrierefreiheit von Informationstechnik definiert (genaue Ausführungen sind in der BITV 2.0 und WCAG 2.0 dargestellt).

Eine barrierefreie Anwendung von Informationstechnik geht einher mit gestalterischen, programmiertechnischen, konzeptionellen und redaktionellen Grundlagen.

Benutzeroberfläche und Inhalte

Als inklusiver Guide sollte die App ganz unterschiedlichen Anforderungen genügen. Dabei sollte das System für verschiedenste Informationsebenen und die Erweiterung von Inhalten und Nutzergruppen offen sein.

Um diesen vielfältigen Anforderungen zu entsprechen, bietet die App nun folgende spezifische Angebote:

  • Eine Informationsebene für alle Besucherinnen und Besucher ist eine Abbildung des jeweiligen Kunstwerks sowie der kunstgeschichtlichen Einordnung als Audiodatei. Zudem werden Einführungstexte zu den Ausstellungsräumen als Tonspur bereitgestellt.
  • Die Abbildung eines Kunstwerk ist über eine Geste vergrößerbar.
  • Jede Audioinformation ist ebenfalls als Textversion vorhanden.
  • Wahlweise werden Informationen zu den Kunstwerken automatisch ortsbezogen ausgelöst oder können manuell über eine Übersicht aufgerufen werden.
  • Blinden und sehbehinderten, aber auch anderen interessierten Personen, werden zusätzliche Beschreibungen der Kunstwerke und der Tastreliefs sowie Orientierungshinweise gegeben.
  • Alle Informationen liegen auf Deutsch und Englisch vor.
  • Nutzerinnen und Nutzer können Ihre App in den Einstellungen individuell konfigurieren. Das beinhaltet die Tour- und Sprachauswahl sowie automatischer Auslösung der Kunstwerke und Audiodateien.
  • Die App ist weltweit abrufbar. Dies ermöglicht den Zugang zu den Inhalten auch außerhalb des Museums und ist daher ebenfalls für die Vor- und Nachbereitung eines Museumsbesuchs oder für Personen, die nicht ins Museum kommen können, angedacht.
  • Die Inhalte der App sind wie eine Internetseite strukturiert und werden über ein Content Management System (CMS) gepflegt. Diese Struktur ist hoch flexibel und kann laufend angepasst werden. Die Pflege und Ergänzung der Inhalte wird vom Museum selbst übernommen. Daher kann das Museum entscheiden, ob es zusätzliche Kunstwerke aufnehmen möchte oder die App um neue Formate wie Gebärdenvideos, Beschreibungen in leichter Sprache sowie um Kinderführungen erweitert.

Die Navigation im Raum durch technische Unterstützung

Teil des Konzeptes der App ist die Orientierung im Ausstellungsbereich der Berlinischen Galerie. Die Navigation in Gebäuden ist seit langem ein präsentes Thema für Kultureinrichtungen, aber auch für verschiedene Unternehmen. Daher wird kontinuierlich an unterschiedlichen Ansätzen geforscht.

Für die Orientierung im Außenbereich können wir auf das Global Positioning System (GPS) zurückgreifen, das über eine Genauigkeit von bis zu wenigen Metern verfügt. Für Innenräume sind andere Ortungstechnologien notwendig. Hierbei gibt es verschiedene Systeme, die zur Lokalisierung im Raum beitragen können, z.B. sind WLAN-Triangulation, Visible Light Communication, Beacons (Sender basierend auf Bluetooth-Low-Energy) und Ultra-Wideband eine Auswahl von Verfahren. Die genannten Ortungssysteme unterscheiden sich stark hinsichtlich Kostenaufwand, Genauigkeit und technischen Voraussetzungen.

Das Ziel des Projektes „Kultur mit allen Sinnen” war eine Applikation zu entwickeln, die seheingeschränkte und blinde Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung führt und zur Orientierung dient. Viele Systeme kommen jedoch wegen des hohen Kostenaufwands für Museen nicht in Frage (z.B. Visible Light Communication, Ultra-wideband).

Die WLAN-Triangulation und Beacons sind für Museen erschwingliche Technologien, unterliegen jedoch aufgrund ihrer Fehlerquote noch immer umfangreichen Tests. Die WLAN-Triangulation funktioniert nur bedingt auf verschiedenen Geräten und die Genauigkeit liegt mit 5 bis 15 Metern unter der von Bluetooth-Low-Energy. (Vgl. infsoft 2015). Aus diesem Grund verwenden wir für die Berlinische Galerie die Beacontechnologie.

Die kleinen Sender geben Signale in einer Reichweite von bis zu 30 Metern weiter, diese Angaben können nach Hersteller und Entwicklungsgrad schwanken. Für den Empfang wird ein mobiles Endgerät mit einer installierten App benötigt, die die Signalleistung der umgebenden Beacons auswerten kann. Die Beacons werden mit Batterien oder Strom betrieben und können an Vitrinen oder in der Nähe der Ausstellungsstücke angebracht werden. Sobald sich Besucherinnen und Besucher dem Sender nähern, empfangen sie ein Signal und die dazugehörigen Informationen, die in der App vorliegen oder über ein Netzwerk gestreamt werden. Dabei kann eine Genauigkeit von bis zu einem Meter erreicht werden. (Vgl. infsoft 2018)

Zu Beginn hatten wir die Absicht, die Beacons direkt neben den Gemälden anzubringen. Dies konnte jedoch seitens des Museums nicht realisiert werden, da neben den Kunstwerken keine Beacons sichtbar sein sollten. Sie wurden daraufhin mit Stromadaptern verbunden, die an ERCO-Schienen an der Decke befestigt sind. Das hat den Vorteil, dass Besucherinnen und Besucher das Signal nicht verdecken können. Allerdings kann die Deckenhöhe und folglich der größere Abstand der Nutzerinnen und Nutzer zum Beacon ein Nachteil darstellen, da die Entfernung die Genauigkeit der Auslösung beeinflusst.

Die Beacons verteilen sich über die gesamte Ausstellungsfläche im Obergeschoss. Weitere Beacons befinden sich im Untergeschoss am Aufzug und Treppenaufgang. Dabei sind sie direkt über einem Aufmerksamkeitsfeld positioniert und sollen dort Inhalte auslösen, wo wichtige Orientierungshinweise oder Informationen zu Kunstwerken benötigt werden. In Kombination mit dem Bodenleitsystem soll so eine eigenständige Navigation durch den Ausstellungsbereich möglich gemacht werden.

Ähnlich wie bei der WLAN-Triangulation gibt es bei der Beacontechnologie Einschränkungen und Fehlerquellen. Zu den bereits genannten Faktoren können die Architektur des Gebäudes bzw. des Ausstellungsbereichs oder der Abstand der Ausstellungsstücke, an denen Beacons angebracht wurden, die Qualität des Signals beeinflussen. Darüber hinaus kann das mobile Endgerät der Nutzerinnen und Nutzer für einen mangelhaften Empfang der Signale verantwortlich sein. Abstürzende Software-Stacks im Betriebssystem oder schlecht verbaute Bluetooth-Chips in den Smartphones sind u.a. Gründe dafür.

Mit diesen Schwierigkeiten waren auch wir innerhalb des Projekts konfrontiert. Im Ausstellungsbereich der Berlinischen Galerie werden die Räume durch Wände voneinander getrennt, die nicht mit der Decke abschließen, sondern oben offen sind. Die Signale der Beacons an der Decke strahlen daher teilweise in die nächstgelegenen Räume. Ein Problem, das uns zunehmend begegnete, war die Überschneidung der Beaconsignale und folglich fehlerhafte Auslösung der Inhalte. Um dies zu verhindern, brachten wir sogenannte “Blocker-Beacons” an. Diese beinhalten keine Informationen, aber können, durch ihre Präsenz zwischen zwei Point of Interest (POI), Punkte räumlich genauer voneinander trennen und Signale abschirmen. Weiterhin griffen wir auf batteriebetriebene Beacons zurück, die sich an den Sitzbänken befinden. So konnten wir eine verbesserte Ortung erzielen.

Alle Inhalte werden von unserem System über das hauseigene WLAN gestreamt. Die dortige WLAN-Infrastruktur verhindert jedoch eine schnelle Übertragung der Informationen, was wir vorerst mit einer Offline-Version der App auf Leihgeräten (iPod Touch) lösten.

Der Feldversuch und Ergebnisse

In umfangreichen Usability-Tests wurde die Funktionalität der App sowie Beaconauslösung untersucht und sukzessiv nachjustiert.

Insbesondere in einer öffentlichen Testphase der App begleiteten wir verschiedene Testpersonen durch die Ausstellungspräsentation und beobachteten die Interaktion mit der App. Dabei wurden Probleme bei der Bedienbarkeit aufgenommen und die Erfahrung der Besucherinnen und Besucher untersucht. Ergebnisse zeigten, dass grundsätzlich eine automatische Auslösung gegenüber der manuellen Steuerung von blinden und seheingeschränkten Besucherinnen und Besuchern bevorzugt wurde. Von Sehenden war die automatische Auslösung weniger gewünscht und wurde daher ausgeschaltet. Dieser Modus kann in den Einstellungen der App nach Belieben geändert werden. Vor allem blinde Probandinnen und Probanden sind vom Ausbau der Indoornavigation angetan.

Aufgrund der unterschiedlichsten Anforderungen für seheingeschränkte Besucherinnen und Besuchern ist die Kompatibilität mit Bedienungshilfen wie z.B. Farbinvertierung, Zoom oder Skalierbarkeit notwendig.

Die Nutzung des eigenen mobilen Endgeräts hat den Vorteil, dass grundlegende Einstellungen (z.B. Geschwindigkeit des VoiceOver, Schriftvergrößerung) bereits vorhanden sind. Die Anwendung der Leihgeräte erfordert eine Einführung seitens der Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Da die Leihgeräte für sehende, seheingeschränkte und blinde Besucherinnen und Besucher vorgesehen sind, sind die Bedienungshilfen nicht von vornherein eingerichtet.

Fazit und Ausblick

Mit der Mediaguide App steigern wir die Museumserfahrung für blinde und seheingeschränkte Besucherinnen und Besucher. Eine Testperson beschrieb die Möglichkeit der Vorbereitung mithilfe der App als ein „entspanntes Ankommen” im Museum. Weiterhin fördern die App sowie die Tastmodelle eine gemeinschaftliche Erkundung der Kunstwerke durch Anregung der verschiedenen Sinne.

Barrierefreiheit und Inklusion müssen in einem ganzheitlichen Konstrukt gesehen werden: Wir können mit der App zur Barrierearmut beitragen, jedoch muss Zugänglichkeit auch seitens des Services und der physischen Umwelt der Besucherin und des Besuchers gewährleistet sein.

Ein wesentlicher Bestandteil bei der Erarbeitung des Konzeptes und der Umsetzung der App war die Kooperation mit blinden und seheingeschränkten Personen, so dass die App auf die genauen Bedürfnisse hin entwickelt werden konnte.

Ebenso ist die Kombination mit dem Bodenleitsystem ein wichtiger Teil des Konzeptes, um einen selbstständigen Besuch des Museums zu ermöglichen.

Für uns war das Projekt „Kultur mit allen Sinnen” ein spannender Prozess, der sich lohnt über die zeitliche Begrenzung hinaus zu verfolgen. Daher planen wir mögliche Erweiterungen der App mit der Berlinischen Galerie und dem DBSV zu erarbeiten. Auch hinsichtlich der Indoornavigation wird es in den nächsten Jahren Fortschritte geben, von denen mit Sicherheit auch Museen profitieren werden. Fest steht, dass nur eine Entwicklung eng an den Anforderungen der Endnutzerinnen und -nutzer zu guten Ergebnissen führt.

(Hinweis: Genaue Angaben unserer Testergebnisse gibt es in der wissenschaftlichen Arbeit „Konzeption einer barrierefreien Mediaguide-App für sehbehinderte und blinde Menschen - Am Beispiel der Berlinischen Galerie” von Isabel Jäger nachzulesen. Interessierte Leserinnen und Leser wenden sich direkt unter Kontakt an die Verfasserin.)

Quellennachweise:

BITV 2.0: Juristisches Informationssystem für die BRD (2011): Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung - BITV 2.0). Verfügbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bitv_2_0/BJNR184300011.html [Zugriff zuletzt am 10.07.2018]

FISCHER, Thorsten & POSTERT Daniel (2014): User-Centered Design. Verfügbar unter http://www.mittelstand-digital.de/MD/Redaktion/DE/PDF/user-centered-design,property=pdf,bereich=md,sprache=de,rwb=true.pdf [Zugriff zuletzt am 01.12.2017]

Gaudlitz, Eva (2015, 29. September): Indoor Navigation mit WLAN als Ortungstechnik. infsoft. Verfügbar unter https://www.infsoft.de/blog-de/articleid/86/indoor-navigation-mit-wifi-als-ortungstechnik [Zugriff zuletzt am 10.07.2018]

infsoft (2017): Indoor Positionsbestimmung, Tracking und Indoor Navigation mit Beacons. Verfügbar unter https://www.infsoft.de/technologie/sensorik/bluetooth-low-energy-beacons [Zugriff zuletzt am 10.07.2018]

WCAG 2.0: W3C (2009, 29. Oktober): Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0.Verfügbar unter https://www.w3.org/Translations/WCAG20-de/ [Zugriff zuletzt am 10.07.2018]

Kontakt

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