Gesetzliche Grundlage

Wenn man Assistenz braucht, gibt es zwei wichtige Fragen:

  1. Warum?
  2. Wofür?

Braucht man Assistenz bei der Arbeit, dann kann die Assistenz bezahlt werden von: Integrationsamt, Arbeitsagentur, Rentenversicherung oder Unfallversicherung.
Braucht man Assistenz bei medizinischen Maßnahmen (Arztbesuch, Krankenhaus, Kur), dann bezahlt meistens die Krankenkasse.
Braucht man Assistenz für das Privatleben (Alltag, Einkauf, Freizeit), dann kann die Eingliederungshilfe bezahlen.

4. Taubblindenassistenz: Gesetzliche Grundlagen

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So funktioniert Eingliederungshilfe

Die Eingliederungshilfe wurde durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) geändert. Früher gehörte sie zur Sozialhilfe (SGB XII). Ab 2020 gehört sie zur Rehabilitation für behinderte Menschen (SGB IX). Wichtige Merkmale von Eingliederungshilfe sind:

  • Eingliederungshilfe ist für behinderte Menschen: Das SGB IX sagt dazu in § 2 Abs. 1:

    "Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht."
    
Eingliederungshilfe ist also auch für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigung, z. B. Hörsehbehinderung oder Taubblindheit. Eingliederungshilfe gibt es auch ohne das Merkzeichen TBl im Schwerbehindertenausweis. Wichtig ist: Gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ist eingeschränkt.


    Das heißt: Alle Menschen mit Hör- und Sehbehinderung können Assistenz von der Eingliederungshilfe bezahlt bekommen, wenn sie ohne Assistenz Schwierigkeiten bei der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft haben.
  • Eingliederungshilfe ist "nachrangig": Sie bezahlt eine Leistung nur dann, wenn sonst niemand bezahlt. (§ 90 SGB IX)
  • Eingliederungshilfe deckt den individuellen Bedarf. Es wird geprüft: Welche Situation hat der einzelne Mensch ganz genau? Was braucht sie oder er? Was können andere helfen?


    Beispiele: Wenn eine Person ganz allein lebt, dann braucht sie vielleicht Assistenz zum Einkaufen. Wenn sie mit anderen zusammenlebt, dann braucht sie vielleicht keine Assistenz zum Einkaufen. Wenn sie "Essen auf Rädern" jeden Tag geliefert bekommt, dann braucht sie vielleicht auch keine Assistenz zum Einkaufen. Wenn sie allein im Supermarkt nebenan einkaufen gehen kann, dann braucht sie vielleicht auch keine Assistenz zum Einkaufen.
  • Eingliederungshilfe ist abhängig vom Einkommen. Wer selbst genug Geld verdient, bekommt weniger oder keine Eingliederungshilfe.


    Es wird das Einkommen oder die Rente vom Vorvorjahr berücksichtigt (für 2020 gilt das Einkommen von 2018).

    Für die Berechnung der Einkommens- und Vermögensgrenze ist die Sozialversicherungsbezugsgröße nach § 18 SGB IV wichtig. Sie wird jedes Jahr neu festgelegt. 2019 ist die Bezugsgröße 37.380 €.
 Die Grenze für das Jahreseinkommen ist:
 85 % der Bezugsgröße für die behinderte Person: 31.773 €
+ 15 % der Bezugsgröße für Erwachsene im Haushalt, z. B. Ehepartner: 5.607 €
+ 10 % der Bezugsgröße für jedes Kind: 3.738 €
.

    Bei einem Ehepaar mit einem Kind sind es also 110 % der Bezugsgröße: 41.118 € Jahreseinkommen.
Wenn das Jahreseinkommen mehr ist als dieser Betrag, z. B. 1.000 € mehr, dann muss man 2 % von diesen 1.000 € jeden Monat zu den Kosten der Assistenz selbst bezahlen, also 20 € im Monat.
  • Eingliederungshilfe ist auch abhängig vom Vermögen. Wer zu viel Vermögen besitzt, bekommt keine Unterstützung von der Eingliederungshilfe. Vermögen ist Geld, das man gespart hat. Vermögen sind auch andere Sachen, die man besitzt, z. B. Gold, Schmuck, wertvolle Kunstwerke. Als Einkommen wird nicht mitgezählt: Haus oder Wohnung, in der man selbst wohnt, Auto, dass für den Beruf gebraucht wird. Es zählt nur das eigene Vermögen. Es zählt nicht das Vermögen von Ehepartner, Kindern, Eltern oder anderen Verwandten. 
Man darf nur eine bestimmte Menge Vermögen haben. Diese Menge heißt Vermögensfreibetrag. 
Der Vermögensfreibetrag ist 150 % der Sozialversicherungsbezugsgröße, also 2019:
37.380 x 1,5 = 56.070 €
Wenn man mehr besitzt als die Vermögensgrenze, dann bekommt man gar keinen Eingliederungshilfe. Dann muss man für die Assistenz erst mal sein Vermögen verwenden.

Eingliederungshilfe und Assistenz

§ 90 Abs. 1 SGB IX nennt die Aufgabe der Eingliederungshilfe:

"Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können."

Das heißt, wichtig sind:

  • individuelle Lebensführung
  • Würde des Menschen
  • volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
  • selbstbestimmte Lebensplanung und -führung

Diese Punkte kann man nennen: in Gesprächen mit dem Sozialamt, bei Anträgen, Widersprüchen oder Gerichtsverfahren. Sie sagen auch, wofür Assistenz eigentlich wichtig ist.

Nach § 102 Abs. 1 SGB IX besteht Eingliederungshilfe aus:

  1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
  2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
  3. Leistungen zur Teilhabe an Bildung und
  4. Leistungen zur Sozialen Teilhabe,

Leistungen zur sozialen Teilhabe nach § 113 Abs. 2 SGB IX sind:

  1. Leistungen für Wohnraum,
  2. Assistenzleistungen,
  3. heilpädagogische Leistungen,
  4. Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie,
  5. Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten,
  6. Leistungen zur Förderung der Verständigung,
  7. Leistungen zur Mobilität,
  8. Hilfsmittel,
  9. Besuchsbeihilfen.

Anspruch auf Assistenz

Im Antrag kann man schreiben:


Ich beantrage die Übernahme der Kosten für meine Taubblindenassistenz nach § 113 in Verbindung mit § 78 SGB IX.

§ 78 SGB IX regelt den Anspruch auf Assistenz in der Eingliederungshilfe:

(1) Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.
(2) Die Leistungsberechtigten entscheiden auf der Grundlage des Teilhabeplans nach § 19 über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Die Leistungen umfassen:

  1. die vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie die Begleitung der Leistungsberechtigten und
  2. die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung.
Die Leistungen nach Nummer 2 werden von Fachkräften als qualifizierte Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere die Anleitungen und Übungen in den Bereichen nach Absatz 1 Satz 2.

(3) Die Leistungen für Assistenz nach Absatz 1 umfassen auch Leistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder.

(4) Sind mit der Assistenz nach Absatz 1 notwendige Fahrkosten oder weitere Aufwendungen des Assistenzgebers, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles notwendig sind, verbunden, werden diese als ergänzende Leistungen erbracht.

(5) Leistungsberechtigten Personen, die ein Ehrenamt ausüben, sind angemessene Aufwendungen für eine notwendige Unterstützung zu erstatten, soweit die Unterstützung nicht zumutbar unentgeltlich erbracht werden kann. Die notwendige Unterstützung soll hierbei vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden.

(6) Leistungen zur Erreichbarkeit einer Ansprechperson unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme werden erbracht, soweit dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich ist.

Wichtig sind folgende Punkte:

  • Assistenz ist für selbstbestimmte und eigenständige Bewältigung des Alltags. Behinderte Menschen entscheiden selbst über die Art der Assistenz.
  • für Tagesstrukturierung, Haushaltsführung, soziale Beziehungen, persönliche Lebensplanung, gemeinschaftliches Leben, Kultur, Freizeitgestaltung, Sport
  • für Eltern zur Betreuung und Erziehung ihrer Kinder
  • für ehrenamtliche Aktivitäten
  • für Verständigung mit der Umwelt; das heißt Assistenzen müssen die nötigen Kommunikationsformen beherrschen; für viele taubblinde Menschen sind dafür qualifizierte Taubblindenassistenzen nötig, aber jeder kann selbst entscheiden, wer ihm Assistenz leisten soll.
  • Auch Fahrzeiten werden mitgerechnet.
  • Assistenz kann auch Anleitung behinderter Menschen sein (§ 78 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX). Das ist für manche taubblinde Menschen vielleicht gut. Aber die meisten hörsehbehinderten und taubblinden Menschen brauchen keine Anleitung; sie brauchen Assistenz, um ihre Selbstbestimmten Pläne zu verwirklichen (§ 78 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX).

Assistenz als persönliches Budget

"Auf Antrag der Leistungsberechtigten werden Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsform eines Persönlichen Budgets ausgeführt, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen."

(§ 29 Abs. 1 SGB IX)

Das heißt:

Jemand hat Anspruch auf Taubblindenassistenz als Eingliederungshilfe. Jeden Monat bekommt sie oder er einen festen Geldbetrag. Er oder sie muss dann selbst Assistenzen bestellen und bezahlen und mit dem Sozialamt abrechnen.

Das Budget soll auch genug sein für Beratung zur Verwaltung und Organisation des Budgets.

Beispiel: Jemand braucht 20 Stunden Assistenz in der Woche. Dann kann er folgendes Budget beantragen:


20 Stunden x 4,5 Wochen = 90 Stunden

+ 8 Stunden für Organisation und Abrechnung = 98 Stunden

98 Stunden x 30 €/Stunde = 2.940 € im Monat

Zusammenfassung: Was gibt es für wen?

  • Assistenz für das Privatleben ist Leistung der Eingliederungshilfe nach § 113 i. V. m. § 78 SGB IX.
  • Assistenz ist für behinderte Menschen. Es gibt keine genauen Grenzen, wie stark die Behinderung sein muss. Assistenz macht möglich: Teilhabe an der Gesellschaft.
  • Bedarf an Assistenz wird für jeden einzeln geprüft.
  • Es gibt Grenzen für Einkommen und Vermögen.
  • Assistenz kann von verschiedenen Personen geleistet werden: Begleitperson, Taubblindenassistenz …
  • Assistenz kann bezahlt werden als "Sachleistung": Das Sozialamt bezahlt die Assistenzen direkt. Oder als persönliches Budget: Die behinderte Person bekommt Geld vom Sozialamt und bezahlt die Assistenzen selbst.