Wandern

Wandern für blinde und sehbehinderte Sportfreunde.

Abenteuer Wandern

ein Beitrag von Manuela Myszka, Berlin

Wandern mit Sehbehinderung

Jeder Mensch will sich im Urlaub von den Belastungen des Alltags erholen, so auch Menschen, die durch ihre Behinderung auch noch zusätzliche Belastungen erfahren. So möchte man diese natürlich nicht auch noch in den „schönsten Wochen des Jahres“ erleben müssen. Für Sehbehinderte bedeutet dies, dass sie ihren Urlaub sehr gut planen sollten, damit ihnen das auch wirklich gelingt. Nur so lässt sich der Alltagsstress abbauen, ohne durch neuen „Urlaubsstress“ ersetzt zu werden.

Als sehbehindertes Alpenvereinsmitglied liebe ich es natürlich, in die Berge zu fahren. Soweit mein verbliebener Sehrest es zulässt, habe ich mit Hilfe meines Fernglases und der Schilderung und Hinweise meines sehenden Begleiters einen für mich brauchbaren Eindruck von der Vielfalt der Landschaft, den ich jedoch etwas langsamer als normal sehende Menschen erhalte. Daher ist für mich ein Begleiter unverzichtbar. Allerdings muss beachtet werden, dass die Urlaubsfreuden für die Begleitperson durch die von ihr geleisteten Hilfestellungen nicht beeinträchtigt werden. Oft liegt für mich ein äußerst beschwerlicher Weg hinter mir, bevor ich die „Belohnung“ für all die Mühen bekomme und das mir gesetzte Ziel erreicht habe. Wenn man dann aber so „erledigt“ ist, dass dadurch der Genuss getrübt wird, ist es höchste Zeit, sich die Frage zu stellen: Habe ich mir da nicht zuviel zugemutet - und wie kann ich das künftig vermeiden, ohne dabei das Gefühl zu haben, dass ich etwas versäumt hätte? Sicher ist es ein schönes Gefühl, „etwas geschafft zu haben“ - aber nicht um jeden Preis! So möchte ich an dieser Stelle einige Kriterien aufzeigen, die sicher nicht nur für Sehbehinderte, sondern auch für ältere Menschen oder Familien mit kleinen Kindern von großem Nutzen für die Urlaubsgestaltung sein können. Es versteht sich von selbst, dass die Kondition nichts mit der Behinderung zu tun hat.

Gute Ausrüstung

Die Ausrüstung sollte in Bezug auf Schuhe und Wanderstöcke mindestens so gut wie bei sehenden Wanderern sein. So habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich gute Bergschuhe gerade auch in flacheren Gefilden als nützlich erweisen - so manche „übersehene“ Unebenheit wird dann nicht gleich zu einer Stolperfalle. Der Fuß ist in einem festen Schuh nun mal besser geschützt als in einfachen Wanderhalbschuhen. Auch ein Paar (Teleskop-)Wanderstöcke sind für mich unverzichtbar. Sie erhalten sogar eine spezielle Bedeutung als Tast- und Stützstöcke bei plötzlich auftauchenden Unebenheiten. Für mich ist das besonders wichtig, da mir aufgrund meiner Behinderung die Fähigkeit zum räumlichen Sehen fehlt und ich somit Höhenunterschiede des Weges, die abwärts führen, nicht erkennen kann. So bin ich also eher bereit, einen noch so steinigen Weg aufwärts zu gehen, als diesen beim Abwärtsgehen vor jedem Schritt erst mit dem Stock auf seine Höhenunterschiede und Unebenheiten hin auszukundschaften (frei nach dem Motto: “Rauffallen ist angenehmer als Runterfallen“). Eine Kopfbedeckung sollte nie fehlen – und eine Schirmmütze bietet nicht nur Schutz vor Sonnenstrahlen, sondern auch vor zusätzlicher Blendwirkung durch von oben einfallendes Licht, das sich bei einer getrübten Linse verstärkt bricht und zu erhöhter Blendung führt. Zudem schützt der Schirm als „Hindernisanzeiger“ vor unliebsamen Berührungen mit Ästen, die in den Weg hineinragen – und auch eine Brille, die nicht zwangsläufig eine dunkle Sonnenbrille sein muss, hilft, die Augen zu schützen, wenn man ein Hindernis in Augenhöhe nicht erkennt. Wer einen Helligkeitsschutz benötigt, sollte verschieden stark getönte Brillen mitführen - denn in einem dichten Wald ist es ja ohnehin dunkler als auf einer unbewaldeten Fläche.

Sorgfältige Routenplanung

Als Abstieg eignen sich daher Ziehwege, Forstwege etc. besser als schmale Steige. Diese sollten es nämlich zulassen, dass die Begleitperson bei schwierigen Abschnitten nebenher oder in unmittelbarer Nähe vorausgehen kann, um leichter Hilfestellung durch Führen, Ansagen von Unebenheiten und Hindernissen usw. geben zu können. Außerdem kann der Begleiter auf geeignete Ausweichstellen achten, die es anderen Wanderern ermöglichen, zu überholen, da wir in schwierigem Gelände zwangsläufig langsamer gehen - ein zusätzlicher Stressfaktor für alle Beteiligten, wenn nicht jeder bei dem ihm angenehmen Tempo bleiben kann. Dies ist für uns auch ein Grund, warum wir viel begangene Wanderrouten in der Hochsaison bzw. an Wochenenden meiden.

Optische Täuschungen

Da ich die Bodenbeschaffenheit außer durch Ertasten mit den Stöcken nur anhand von Hell-Dunkel-Kontrasten (z. B. helle Felsbrocken auf dunklem Waldboden) erkennen kann, passiert es mir häufig, dass ich in bewaldeten Gebieten durch das Spiel von Licht und Schatten auf dem Boden so manchen Schatten werfenden Ast für eine Wurzel halte. Solche „Hindernisse“ tragen dazu bei, dass ich für eine Tour eher mehr Zeit (ca. 50%) einplanen muss, als sie üblicherweise von Wanderbüchern und Wegweisern angegeben werden.

Exaktes Kartenmaterial

Spätestens an dieser Stelle wird auch deutlich, wie wichtig gutes Kartenmaterial ist. Am besten sind topographische Karten im Maßstab 1:25.000 und kleiner, da nur aus diesen die genauesten Informationen über Wegebeschaffenheit und Geländeformationen zu entnehmen sind. Die geplante Route sollte man sich als Behinderter gut einprägen und dann auch immer wissen, wo man gerade ist - auch die Begleitperson konnte ja mal auf Hilfe angewiesen sein, die man dann mit dem Handy unter genauer Ortsangabe anfordern muss.

Wo sollte es hingehen?

Nach meinen Erfahrungen sind die Wege in den Nördlichen und Südlichen Kalkalpen geeigneter als in den Zentralalpen (Alpenhauptkamm). So habe ich z. B. die sehr steinigen und über große Felsbrocken führenden Wege um die Berliner Hütte (Österreich), im Bergell (Schweiz) oder im Aostatal (Italien) in nicht so guter Erinnerung. Geeignete Wanderziele sind daher z. B. eher in den Deutschen Alpen, im nördlichen Tirol oder auch in Teilen von Südtirol zu finden oder die ausgewiesenen und gut angelegten Höhenwanderwege in Graubünden (Schweiz). Angenehm sind für mich auch Jochwanderungen, da es sich dabei meist um alte Saumpfade (Handelswege) handelt.

Auch wenn das alles kompliziert klingt – Wandern macht Spaß, und gute Planung ist schon der halbe Weg zum Ziel!