III Der Schwerbehindertenausweis

1 Wozu der Ausweis?

Man benötigt den Schwerbehindertenausweis, um seine Rechte als schwerbehinderter Mensch zu belegen. Er dient quasi als Beweiserleichterung, um die für schwerbehinderte Menschen geschaffenen Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen zu können. Seine Funktion ist es nicht, Menschen mit Behinderungen zu stigmatisieren. Man braucht also keine Bedenken zu haben, dass die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises möglicherweise von bestimmten Rechten ausschließt oder Nachteile, etwa im Berufsleben, bringt.

2 Wo und wie beantragt man den Ausweis?

Die Zuständigkeit ist in jedem Bundesland anders geregelt. Die Sozialämter können aber in jedem Fall Auskunft über den richtigen Ansprechpartner geben. Sie halten meist auch Antragsformulare bereit. Alternativ stehen die Informationen und die notwendigen Antragsformulare im Internet zur Verfügung. Ein Suchformular mit einer Verlinkung zu dem für Ihren Wohnort passenden Antragsvordruck finden Sie u. a. unter:

https://www.einfach-teilhaben.de/DE/AS/Ratgeber/01_Schwerbehindertenausweis/Schwerbehindertenausweis_node.html

Da für den Ausweis Lichtbilder benötigt werden, sollten sie rechtzeitig vorher besorgt werden.

3 Wer bekommt einen Schwerbehindertenausweis?

Auf Antrag erhält man einen schriftlichen Bescheid über die Anerkennung (oder auch Nichtanerkennung) einer Behinderung und eines Behinderungsgrades. Der Grad der Behinderung (GdB) wird von 0 bis 100 angegeben, und zwar in vollen Zehnern, also 10, 20, 30 etc. bis zum Höchstgrad 100.

Der Schwerbehindertenausweis wird ab GdB 50 ausgestellt. Bei einem GdB von weniger als 50, aber mindestens 30 kann man, wenn es behinderungsbedingt Schwierigkeiten beim Finden oder beim Erhalt eines Arbeitsplatzes gibt, auf Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit einen Gleichstellungsbescheid ausgestellt bekommen. Gleichgestellte Personen haben im Arbeitsleben die gleichen Schutzrechte wie Schwerbehinderte, jedoch keinen Anspruch auf den Zusatzurlaub.

Im Schwerbehindertenausweis werden neben dem Grad der Behinderung auch bestimmte Merkzeichen eingetragen. Diese Merkzeichen sind wichtig, weil sie mit Ansprüchen auf bestimmte Leistungen verknüpft sind. Folgende Merkzeichen sind für Menschen mit Seheinschränkung besonders relevant:

RF: Dieses Merkzeichen wird vergeben, wenn allein aufgrund der Sehbehinderung ein GdB von mindestens 60 festgestellt wird. Es dient dem Nachweis der Voraussetzungen für die Ermäßigung des Rundfunkbeitrags (siehe Kapitel XV, 2).

G (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr): Dieses Merkzeichen wird ab einem GdB von 70 allein wegen der Sehminderung vergeben. Es berechtigt zum Erwerb einer Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personennahverkehr bzw. alternativ zur Ermäßigung der Kfz-Steuer.

B: Das Merkzeichen wird ab einem GdB von 70 allein wegen der Sehminderung vergeben. Es berechtigt zur unentgeltlichen Beförderung einer Begleitperson im Personenverkehr. Auf freiwilliger Basis gewähren darüber hinaus zahlreiche Stellen einen kostenfreien oder zumindest ermäßigten Eintritt in Kultur- und Freizeiteinrichtungen, wie Kinos, Schwimmbäder, Museen etc. Wichtig: Das Merkzeichen „B” berechtigt zur Mitnahme einer Begleitung. Keinesfalls ist man aber verpflichtet, eine Begleitperson (etwa ins Schwimmbad) mitzunehmen.

H (hilflos): Bei Erwachsenen, die allein wegen der Sehminderung einen GdB von 100 haben, wird zusätzlich dieses Merkzeichen anerkannt. Kinder bis zur Beendigung der Schulausbildung erhalten das Merkzeichen ab einem GdB von 80 wegen der Sehminderung. Es berechtigt unter anderem zur Geltendmachung eines höheren Steuerpauschbetrages, zum kostenlosen Erhalt der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personennahverkehr und gleichzeitig zur Befreiung von der Kfz-Steuer, in medizinisch notwendigen Fällen zur Bezahlung von Krankenfahrten und als Ausnahmetatbestand zur Beförderung in einem Kfz bei Fahrverboten aufgrund des Immissionsschutzgesetzes.

Bl (blind): Dieses Merkzeichen wird ab einem GdB von 100 allein wegen der Sehminderung und der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen (siehe zur Definition gesetzlicher Blindheit auch Kapitel III, 4.1) vergeben. Es dient dem Nachweis von Blindheit bei der Beantragung von Blindengeld oder Blindenhilfe, berechtigt zur Inanspruchnahme von Parkerleichterungen und führt zu weiteren Steuervergünstigungen.

TBl (Taubblind): Siehe zur Definition Kapitel III, 4.4. Es kann zum Nachweis der Befreiung vom Rundfunkbeitrag genutzt werden. Wichtig: Liegen gleichzeitig die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „Bl“ vor, muss dieses Merkzeichen zusätzlich in den Schwerbehindertenausweis eingetragen werden. Nur so erhält man auch die hierfür vorgesehenen Nachteilsausgleiche.

Wichtig: An dieser Stelle wird nur dargestellt, wann bei einer Sehminderung das jeweilige Merkzeichen zuerkannt wird. Die Vergabe der Merkzeichen „G“, „RF“, „B“ und „H“ kann aber auch mit anderen Beeinträchtigungen gerechtfertigt sein. Auch gibt es weitere Merkzeichen, die aber allein wegen einer Sehbehinderung nicht infrage kommen, wie zum Beispiel das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung).

In der Regel werden die Behinderung und die Zuerkennung von Merkzeichen ab dem Antragsmonat festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Bei einem berechtigten Interesse kann aber auch eine rückwirkende Feststellung erfolgen (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX).

Zu beachten ist, dass der Schwerbehindertenausweis häufig eine befristete Gültigkeit hat (meist fünf Jahre). Es ist daher wichtig, sich rechtzeitig um eine Verlängerung zu kümmern.

4 Wann gilt jemand als „blind”, als „hochgradig sehbehindert”, als „wesentlich sehbehindert” oder als „taubblind“?

4.1 Blindheit im Sinne des Gesetzes

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt oder wer auf dem besseren Auge oder beidäugig eine Sehschärfe von nicht mehr als 0,02 (1/50) besitzt (Teil A.6.a der Anlage zu § 2 VersMedVO).

Blindheit kann aber auch bei einer besseren Sehschärfe, eventuell sogar bei einer normalen Sehschärfe, vorliegen, wenn zum Beispiel das Gesichtsfeld beeinträchtigt ist. Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 oder weniger gleichzusetzende Sehschädigung liegt nach der VersMedVO insbesondere vor:

  • a) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,
  • b) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,
  • c) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,
  • d) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,
  • e) bei großen Ausfällen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50-Grad-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
  • f) bei einseitigen Gesichtsfeldausfällen mit Verlust des zentralen Sehens beiderseits, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30 Grad Durchmesser besitzt,
  • g) bei beiderseitigen Ausfällen mit Verlust des zentralen Sehens beiderseits, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene binokulare Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30 Grad Durchmesser besitzt.

Blindheit im Sinne des Schwerbehindertenrechts und damit im Falle der Zuerkennung des Merkzeichens „Bl“ ist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 24.10.2019 – B 9 SB 1/18 R) beschränkt auf Störungen des Sehapparats einschließlich der Sehrinde. Wer demgegenüber sehen, die visuellen Reize aber durch eine Hirnschädigung nicht interpretieren kann, ist nicht blind. Ein (weitergehender) Blindheitsbegriff, der auch das „Nichtsehenkönnen“ aufgrund von Hirnschädigungen einbezieht, kann unter Umständen bei der Beurteilung eines Anspruchs auf Landesblindengeld gelten (vgl. hierzu Kapitel IV, 2).

4.2 Hochgradige Sehbehinderung

Als hochgradig sehbehindert gilt, wer nicht mehr als 0,05 (1/20) sieht oder bei wem gleichartige Störungen des Sehvermögens vorliegen. Auch für die Anerkennung einer hochgradigen Sehbehinderung sind neben der Sehschärfe andere Beeinträchtigungen, wie etwa ein eingeschränktes Gesichtsfeld, zu berücksichtigen. Es ist damit zu prüfen, ob allein wegen der Sehminderung ein GdB von 100 vorliegt, jedoch noch keine Blindheit im Sinne des Gesetzes anerkannt wird.

4.3 Wesentliche Sehbehinderung

Wenn von wesentlich sehbehinderten Menschen gesprochen wird, meint dies in der Regel solche, deren Sehschärfe mit Korrektur nicht mehr als 0,3 beträgt oder bei denen eine andere Störung der Sehfunktion von entsprechendem Schweregrad vorliegt. Diese Menschen haben z. B. Anspruch auf Sehhilfen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen oder auf Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.

4.4 Taubblindheit

Taubblindheit hindert die betroffenen Menschen in ganz besonderem Maße an der gesellschaftlichen Teilhabe. Das fehlende Sehvermögen kann nicht durch das Hörvermögen ausgeglichen werden und umgekehrt. Taubblindheit liegt vor, wenn wegen einer Störung der Hörfunktion mindestens ein Grad der Behinderung von 70 und gleichzeitig wegen einer Störung des Sehvermögens ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt ist (§ 3 Nr. 8 SchwerbehindertenausweisVO). Das Vorliegen gesetzlicher Blindheit oder Gehörlosigkeit ist nicht zwingend erforderlich. Vielmehr werden die wechselseitigen Auswirkungen einer gleichzeitig bestehenden massiven Hör- und Sehminderung zum Maßstab gemacht. Zu den Wirkungen des Merkzeichens siehe Kapitel III, 3, IV, 5 und XV, 2.

4.5 Feststellung der Sehminderung

Die augenärztliche Untersuchung der Sehschärfe soll im Hinblick sowohl auf das einäugige als auch auf das beidäugige Sehen erfolgen. Sind die Ergebnisse beider Prüfungen unterschiedlich, so ist bei der Bewertung die beidäugige Sehschärfe als Sehschärfewert des besseren Auges anzusetzen. Maßgeblich ist immer die Sehschärfe mit bestmöglicher Korrektur (also mit Brille oder Kontaktlinsen). Im Rahmen des Feststellungsverfahrens gibt es sowohl für die Sehschärfeprüfung als auch für die Bestimmung des Gesichtsfeldes vorgegebene Prüfmethoden, die unbedingt beachtet werden sollten. Wichtig: Nicht jeder Augenarzt bzw. Augenärztin verfügt über die einzusetzenden Prüfgeräte.