Recht auf Braille
Mainzer Erklärung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, der Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder, des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf, der Pro Retina Deutschland und des Verbandes für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik zum nachhaltigen Ausbau von Informationsangeboten in Blindenschrift
Seit der Erfindung der Blindenschrift durch Louis Braille sind blinde Menschen in der Lage, in einer Welt des Sehens selbst zu lesen und zu schreiben. Heute sind die sechs tastbaren Punkte mehr und besser verfügbar als je zuvor und das nicht nur in gedruckten Braillebüchern, sondern am Computer, auf Fahrstuhlknöpfen, Treppengeländern, Medikamentenverpackungen und Speisekarten. Brailleschrift ist die optimale Schrift für sensible Fingerkuppen:
- Die Punkte sind leicht zu ertasten und wesentlich flüssiger zu lesen, als z. B. erhabene Lettern in ihrer komplexen Gestalt. Schon wenige Grundkenntnisse reichen aus, um die Punktschrift als Markierungsschrift zu nutzen und Karten zu spielen oder die Gewürzdosen in der Küche zu kennzeichnen.
- Brailleschrift schreibt sich leicht mit Griffel oder Bogenmaschine.
- Handy, PC und Internet sind gut mit Braillezeile nutzbar.
- Mit den Punktkombinationen lassen sich lateinische Buchstaben ebenso darstellen, wie griechische und kyrillische, desgleichen mathematische oder chemische Formeln und sogar Musiknoten.
Man mag sich mit gehörten Texten die Freizeit vertreiben, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften hören, doch erst durch eigenes Lesen erschließt sich der volle Sinn des geschriebenen Textes und entwickeln und erhalten sich gute Rechtschreibkenntnisse. Wer kompliziertere Texte lesen, auch selbst Dinge aufschreiben, anderen vorlesen, Fremdsprachen erlernen oder Computerprogramme bedienen will, muss die Brailleschrift beherrschen. Auch für erfolgreiches Arbeiten im Beruf ist sie unerlässlich.
Die Fertigkeit, selbst zu lesen und zu schreiben, muss daher auch stets das Ziel der Bildung für blinde Menschen sein.
Betroffene, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer fordern deshalb gemeinsam:
- Im Schulunterricht - sowohl an speziellen Förderschulen als auch im gemeinsamen Unterricht an allgemeinen Schulen - müssen blinde Kinder die Brailleschrift (Voll- und Kurzschrift) erlernen und sich in deren Anwendung üben. Der wichtige Einsatz von Hörmedien im Unterricht darf nicht zur Verdrängung in Brailleschrift gedruckter Unterrichtsmaterialien führen.
- Blinde Schüler haben einen Anspruch darauf, am Computer nicht nur mit einer synthetischen Sprachausgabe zu arbeiten, sondern auch mit einer Braillezeile. Diese muss sowohl für den Unterricht als auch für das heimische Umfeld finanziert werden.
- Für den Brailleschrift-Unterricht von blinden Kindern und Erwachsenen müssen stets qualifizierte Lehrkräfte verfügbar sein.
- Menschen, die im Seniorenalter erblinden, haben einen Anspruch auf intensive Grundrehabilitation, um ihr Tastvermögen zu schulen und die Brailleschrift zu erlernen.
- Bücher in Blindenschrift müssen zeitgleich mit dem Original erscheinen. Verlage - vor allem die für Schulbücher - müssen ihre Satzdaten an die Einrichtungen weitergeben, die Blindenschrift herstellen, um die Aufbereitung in alternativen Formaten zu beschleunigen. Blindenbüchereien und -verlage müssen finanziell so ausgestattet werden, dass sie mehr Literatur in Blindenschrift produzieren und anbieten können.
- Allgemeine Bildungsangebote, zum Beispiel in Volkshochschulen, müssen auch für blinde Menschen nutzbar sein, indem Lernmaterialien auch in Brailleschrift verfügbar gemacht werden.
- Im öffentlichen Raum, auf Geräten und Verpackungen muss Brailleschrift selbstverständlich werden, um blinden Menschen einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen.
Der 200. Geburtstag von Louis Braille in diesem Jahr ist uns Anlass, die großen Fortschritte in Bildung, Information, Selbstbestimmung und Lebensqualität zu feiern und einem drohenden Schriftkompetenzverlust blinder Menschen entgegen zu treten.
Beschlossen vom DBSV-Verwaltungsrat am 8. Mai 2009 in Mainz