X Leistungen bei Pflegebedürftigkeit

Die Unterstützung bei Pflegebedürftigkeit erfolgt vorrangig über die soziale oder private Pflegeversicherung, wobei hier nur auf die Ansprüche aus der sozialen Pflegeversicherung eingegangen wird. Gesetzlich Krankenversicherte sind automatisch auch in der sozialen Pflegeversicherung abgesichert. Die soziale Pflegeversicherung deckt jedoch nicht alle Kosten der Pflege. Daher spricht man auch von einer Teilkostenversicherung. Die zusätzlichen Aufwendungen sind selbst zu tragen und werden – wenn das Einkommen und Vermögen nicht ausreicht – durch den Sozialhilfeträger finanziert.

 

1 Einstufung als „pflegebedürftig”

Die Voraussetzungen für die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sind im SGB XI geregelt.

Die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen setzt voraus, dass die betreffende Person in der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI versichert ist, einen Antrag auf Pflegeleistungen stellt und dass sie aufgrund einer speziellen Begutachtung als „pflegebedürftig” im Sinne der §§ 14 ff. SGB XI eingestuft wird.

Es gibt fünf Pflegegrade. Das Begutachtungsverfahren, das zur Einordnung in einen Pflegegrad verwendet wird, misst die Schwere der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit anhand eines Punktesystems. Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Erfasst werden dabei die folgenden sechs pflegerelevanten Bereiche:

  1. Mobilität – u. Selbstständigkeit bei der Änderung der Körperhaltung, Bewegen innerhalb der Wohnung, Treppensteigen, nicht aber Orientierung und Fortbewegung außerhalb des Hauses
  2. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen – zum Beispiel Häufigkeit der Hilfe wegen Angst oder aggressiven Verhaltens
  3. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten – räumliche oder zeitliche Orientierung, die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, Gespräche zu führen oder sich mitteilen zu können,
  4. Selbstversorgung – Selbstständigkeit beim Essen, Trinken, bei der Körperpflege etc., nicht relevant ist die Selbstständigkeit beim Einkauf oder beim Reinigen der Wohnung
  5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen – Häufigkeit der Unterstützung bei der Medikamentengabe, beim Verbandswechsel, beim Blutzuckermessen oder bei Arztbesuchen u.
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte – Möglichkeit der Kontaktpflege mit anderen, eigenständige Planung des Alltags etc.

Die einzelnen pflegerelevanten Bereiche sind unterschiedlich gewichtet. Dabei kommt der Selbstversorgung der größte Anteil zu. Die in jedem pflegerelevanten Bereich erreichten Punktwerte werden addiert und mit einem Gesamtpunktwert versehen. Für Pflegegrad 1 sind mindestens 12,5 Punkte notwendig.

Rund 30 Prozent der blinden Menschen in Deutschland sind als pflegebedürftig anerkannt. Blindheit allein führt also nicht automatisch zur Pflegebedürftigkeit. Diese liegt erst vor, wenn nach einer individuellen Prüfung eine erhebliche Einschränkung der Selbstständigkeit in den oben genannten Bereichen festgestellt wird.

2 Leistungen

Personen, die Leistungen nach dem SGB XI erhalten, haben Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin bei der Auswahl und Inanspruchnahme von bundes- oder landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen sowie sonstigen Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- oder Betreuungsbedarf ausgerichtet sind (Pflegeberatung).

Die Leistungen der Pflegeversicherung sind Dienst-, Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung sowie Kostenerstattung. Art und Umfang der Leistungen richten sich nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit und den eigenen Wünschen bei der Organisation der Unterstützung im Rahmen der möglichen Leistungen.

Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 erhalten lediglich einen Entlastungsbetrag, der hier auch für Unterstützung bei der Haushaltsführung eingesetzt werden kann.

Ab Pflegegrad 2 hat man Anspruch auf Pflegegeld und Pflegesachleistungen sowie zusätzlich den Entlastungsbetrag. Welche Leistungen es gibt und wie diese kombinierbar sind, hängt davon ab, ob man zu Hause gepflegt wird oder in einer stationären Einrichtung.

Bei einer Pflege zu Hause haben Pflegebedürftige die Wahl: Sie können sich für Pflegesachleistungen, das sind zum Beispiel Pflegeeinsätze ambulanter Pflegedienste entscheiden oder das Pflegegeld in Anspruch nehmen; Kombinationen sind möglich. Das Pflegegeld wird dem Pflegebedürftigen ausgezahlt und dient dazu, es pflegenden Angehörigen oder sonst ehrenamtlich pflegenden Personen als Anerkennung für ihre geleistete Pflege zukommen zu lassen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, im Wege der Kostenerstattung bestimmte nach Landesrecht anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag zu nutzen. Zur Unterstützung der häuslichen Pflege können auch teilstationäre Leistungen der Tages- oder Nachtpflege sowie vorübergehende vollstationäre Leistungen der Kurzzeitpflege in Anspruch genommen werden. Ist die Pflegeperson im Urlaub, kann Verhinderungspflege genutzt werden.

Ist die pflegende Person ein Angehöriger oder sonst jemand, der die Pflege zur Erfüllung einer „sittlichen Pflicht” leistet, so ist dessen Vergütung aus dem Pflegegeld nicht zu versteuern (§ 3 Nr. 36 EStG) und wird auch nicht als Hinzuverdienst auf die Rente angerechnet (§ 34 Abs. 3b Nr. 1 SGB VI). Die gemeldeten Pflegepersonen sind in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (§ 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII), soweit sie Pflegebedürftige unterstützen, denen mindestens Pflegegrad 2 zuerkannt wurde.

Ist die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung notwendig, übernimmt die Pflegeversicherung die Kosten im Rahmen bestimmter Grenzen.

Pflegebedürftige aller Pflegegrade können Pflegehilfsmittel beanspruchen, wenn diese dazu beitragen, die Pflege zu erleichtern, Beschwerden zu lindern oder ihnen eine selbstständigere Lebensführung zu ermöglichen. Das sind zum Beispiel Pflegebetten oder Notrufsysteme.

Weiterhin haben pflegebedürftige Menschen nach Maß­gabe der §§ 39a, 40a und 40b SGB XI Anspruch auf Kostenübernahme von digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) sowie ergänzende Unterstützung bei deren Nutzung im Umfang von maximal 50 Euro monatlich. DiPAs sind digitale „Helfer“, die von den Pflegebedürftigen oder in der Interaktion von Pflegebedürftigen, Angehörigen und zugelassenen ambulanten Pflegeeinrichtungen genutzt werden. Sie sollen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person mindern und einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit entgegenwirken. Voraussetzung ist, dass die jeweilige DiPA in das Verzeichnis für digitale Pflegeanwendungen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgenommen worden ist. Vergleichbare Regelungen gibt es auch im SGB XII für Pflegebedürftige, die nicht in der Pflegeversicherung versichert sind.

Die Pflegekassen „können” auch zusätzliche Leistungen für „Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen” gewähren (§ 40 SGB XI, wie zum Beispiel den Umbau eines barrierefreien Badezimmers); die Voraussetzungen dafür sind allerdings eng und die zur Verfügung gestellten Mittel begrenzt.

Obwohl Pflegegeld und Blindengeld grundsätzlich verschiedenen Zwecken dienen, so ist doch unbestritten, dass bei pflegebedürftigen blinden Personen das Blindengeld auch für die Pflege einzusetzen ist (so bereits die amtliche Begründung zu § 67 BSHG und das Urteil des VG Oldenburg vom 20.06.1968 – A 9/68). Werden beide Leistungen gewährt, findet daher eine Anrechnung statt (siehe Kapitel IV, 3)

3 (Ergänzende) Hilfe zur Pflege

In den meisten Fällen reichen die von der Pflegeversicherung gewährten Leistungen nicht aus, um den gesamten benötigten Pflegeaufwand zu bezahlen. Der bei der Festlegung der Pflegebedürftigkeit erreichte Punktwert spiegelt nicht den eigentlichen Pflegebedarf wider, sondern nur eine Richtgröße der eigenen Pflegebedürftigkeit im Verhältnis zu anderen Versicherten. Personen mit Pflege- oder Betreuungsbedarf, die keine oder keine ausreichenden Leistungen von der Pflegeversicherung erhalten, haben Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. Voraussetzung ist allerdings, dass man sozialhilfebedürftig ist, also insbesondere über kein vorrangig einzusetzendes Einkommen oder Vermögen verfügt (siehe Kapitel XI, 2.3.2). Zu den Hilfen zur Pflege kann die Unterbringung in einem Pflegeheim gehören, wenn sie unumgänglich ist. Die Kosten der Unterbringung werden auf das Blindengeld und die Blindenhilfe (zumeist) bis zur Hälfte des Blindengeldbetrages angerechnet; Blindengeld- und -hilfeempfänger erhalten auch nicht den anderen Bewohnern stationärer Einrichtungen zustehenden Barbetrag.

4 Weiterführende Informationen

Ausführliche Darstellungen zu Leistungen bei Pflegebedürftigkeit gibt es u. a. auf den Internetseiten des Bundes Gesundheitsministerium (www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/online-ratgeber-pflege.html)