Entwicklung und Gestaltung inklusiver Tastmodelle
Sylvia Schalley (blista)
Im Rahmen des Projektes „Kultur mit allen Sinnen“ wurden von der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) Tastmodelle zu drei Kunstwerken aus der Sammlung der Berlinischen Galerie hergestellt: „Tänzerin Baladine Klossowski“ von Eugen Spiro, „Synthetischer Musiker“ von Iwan Puni und „Straßenlärm“ von Otto Möller. Das Projekt „Kultur mit allen Sinnen“ hat uns in Sachen Tastmodellbau vor viele neue Herausforderungen gestellt und durch das erneute Überarbeiten der Modelle zu den Gemälden „Tänzerin Baladine Klossowski“ und „Synthetischer Musiker“ war es uns möglich nun auch Herstellungsverfahren weiter zu optimieren.
Tastmodelle, die in einer Dauerausstellung gezeigt werden, unterliegen großer Beanspruchung. Es ist daher wichtig, zu Beginn der Arbeiten festzulegen, ob die Modelle im Dauereinsatz sein oder nur zu speziellen Führungen gezeigt werden sollen. Da nicht nur blinde Menschen eingeladen sind, sie zu berühren, werden sie im besten Fall auch von sehenden Museumsbesucherinnen und –besuchern betastet. Es wird aber leider auch daran gezupft und gewackelt. Wir waren überrascht, wie schnell die Modelle erste Abnutzungserscheinungen aufwiesen.
Aber wir glauben, dass es hier ist wie bei allen „nutzbaren“ Ausstellungsobjekten z.B. in einem Technik- oder Erlebnismuseum: Es muss eingeplant werden, dass die Tastmodelle ab und zu überarbeitet werden bzw. teilweise Dinge wieder befestigt werden müssen. Hier ist es von großem Vorteil, wenn dies die Restauratorinnen und Restauratoren des Hauses mit übernehmen können. Nichtsdestotrotz muss natürlich eine bestmögliche Haltbarkeit der Elemente und der Farbe von vornherein angestrebt werden.
Um sinnvolle Tastmodelle bauen zu können, muss die Gestalterin/der Gestalter wissen, was die Intention der Künstlerin/des Künstlers war (ggf. durch eine Führung)und was zu dem Werk übermittelt werden soll. Dies sollte dann mit den Darstellungswünschen der späteren Nutzerinnen und Nutzer in Einklang gebracht werden. Also stand am Anfang ganz klar der intensive Dialog.
Damit sich mehr als der reine Bildaufbau vermittelt, muss fast immer mit einem Materialmix gearbeitet werden. Also haben wir uns angesehen, welche Stoffe und Materialien direkt Verwendung finden oder zumindest mit einem haptisch ähnlichen Material angedeutet werden könnten. Es bietet sich an, diese Materialien von späteren Nutzerinnen und Nutzern testen zu lassen, denn eine rein optische Ähnlichkeit reicht nicht aus. In unserem Fall sind blinde Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen immer gerne bereit, unsere Arbeitsmodelle zu testen und ihre Meinung zu Materialien zu äußern.
Danach wurde von uns eine sinnvolle Modellgröße definiert. Wie groß muss eine taktile Abbildung mindestens sein, wenn man die vorhandenen Details wie die Gesichter noch erkennbar darstellen möchte? Meist setzen der optimale Tastraum - also die Größe, die mit Armen und Händen überhaupt erreicht werden kann - und die Vorgaben des Museums zusätzliche Grenzen. In unserem Fall ließ sich bei allen drei Tastreliefs ein guter Kompromiss finden.
Im nächsten Schritt erfolgte die Auswahl der Herstellungsverfahren. Alle drei Tastmodelle enthalten Teile aus diversen Verfahren. Bei dem Tastrelief zu „Tänzerin Baladine Klossowski“ wurde der Oberkörper der dargestellten Figur bewusst manuell modelliert, genauso wie der Kopf des Musikers im Tastmodell zum Gemälde von Iwan Puni. Dadurch konnte man während des Arbeitens einzelne Partien noch weiter herausarbeiten und testen lassen. Die Tastbilder zu „Synthetischer Musiker“ und „Straßenlärm“ enthielten zu dem Teile aus dem Lasercutter und der CNC-Fräse. Bei beiden wurde jeweils individuell abgestimmt, ob das Material (Kunststoff, Holz, Metall…) besser auf die eine oder andere Art verarbeitet werden konnte und im Hinblick auf den Eindruck, den die einzelnen Teile haptisch erreichen sollten, überprüft.
Die intensiven Tests u.a. in der Berlinischen Galerie mit blinden und sehbehinderten Menschen der Projektgruppe während der Herstellung haben auch viel zur Wahl der richtigen Materialien beigetragen und wichtige Impulse gegeben. Denn auch mit jahrelanger Erfahrung auf dem Gebiet der taktilen Abbildungen für blinde und sehbehinderte Menschen unterschiedlichsten Alters ist jedes Projektergebnis immer wieder neu und individuell. Tests sind unserer Meinung nach unumgänglich und ein Muss!
Auch hat das Feedback der Museumskuratorinnen und –kuratoren sowie der Museumspädagoginnen und –pädagogen während der Arbeit sehr geholfen. Nach Tests und Input des Teams wurde schließlich das Tastmodell zum Kunstwerk „Tänzerin Baladine Klossowski“ noch einmal optimiert, was ich an diesem Beispiel einmal genauer ausführen möchte.
An der Wende zum 20. Jahrhundert, als das Jugendstil-Gemälde entstand, war es neu, dass sich Frauen nicht mehr in Korsetts zwingen mussten und der Maler daher absichtlich die Körperform in seiner Darstellung offen gelassen hat. Im Gespräch kristallisierte sich heraus, dass daher besser auch kein modellierter Unterkörper dargestellt, sondern dieser durch nachgiebiges Material ersetzt werden sollte, welches Formen nur erahnen lässt. Dennoch müssen Körperhaltungen korrekt dargestellt werden. In unserem Fall hat eine Gliederpuppe geholfen zu verstehen, welche Haltung sich unter dem Kleid verbergen muss.
Abschließend wurden die Einzelteile miteinander verbunden und auf den Hintergrunddrucken mit Heißkleber und Zweikomponentenkleber bzw. bei den Stoffen mit Nadel und Faden befestigt.
Bei der nachträglichen Überarbeitung der Tastmodelle zu „Tänzerin Baladine Klossowski“ und „Synthetischer Musiker“, die durch die starke Abnutzung der Modelle notwendig wurde, haben wir nun Materialien optimiert und verändert, um die Haltbarkeit zu steigern. Die damalige Entscheidung, als Grundplatten Kunststoffdrucke auf Forex zu verwenden, stellte sich im Nachhinein als nicht sinnvoll heraus. Zwar war die Farbigkeit so dem Originalbild sehr ähnlich gewesen, doch hielten einige kleine Elemente nicht dauerhaft auf der glatten Oberfläche des Kunststoffes. Daher haben wir nun auf stärkere hölzerne Grundplatten gebaut, die im Airbrush-Verfahren der Farbigkeit des Hintergrundes des Originalwerks angenähert wurden. So wurde neben dem Verkleben ein Verschrauben und Verspachteln zur Sicherung gegen Verschieben und Lösen von Elementen möglich.
Es ist immer sicherer manuell modellierte Teile abzuformen, also eine Negativform zu erstellen und mit einer haltbaren, taststabilen und möglichst harten Gießmasse auszugießen. So nun geschehen beim Oberkörper der Figur der Tänzerin. Natürlich benötigt dieser „Umweg“ Zeit und auch weitere teure Materialien. Doch so könnte auch nach Jahren noch einmal ein Abguss gemacht werden, wenn das Original-Tastmodell z.B. durch die Beanspruchung zu sehr gelitten hat. Eine Alternative wäre das Einscannen der modellierten Teile, um sie anschließend drucken oder fräsen zu lassen. Dafür muss aber wiederum ein Endmaterial gefunden werden, welches eine dauerhaft haltbare Kolorierung zulässt.
Ein weiterer Anspruch ist die Verwendung von Materialien, die keine gesundheitsschädlichen Stoffe enthalten. Diese Wahl ist nicht ganz einfach, da Klebstoffe und Lacke ohne Lösungsmittel meist nicht so haltbare Verbindungen eingehen wie andere.
Also kurz gesagt: es lohnt sich im Materialmix zu arbeiten, denn nur so kann man zusätzlich wichtige Qualitäten einbringen, jedoch sollte man sich schon bei Projektbeginn mit intensiven Überlegungen zu optimalen Verbindungen beschäftigen.
Die Herstellung dieser Qualität von Tastmodellen erfordert zugleich
- hohen Planungs-, Test- und Arbeitsaufwand, also auch Zeit
- fundiertes künstlerisches und kunstgeschichtliches Hintergrundwissen
- handwerkliche Fähigkeiten in verschiedenen Methoden und Materialien
- Beherrschung IT-gestützter Fertigungsverfahren
- hochwertige, aufeinander abgestimmte und passende Materialien
Wir haben nun schon von einigen Menschen gehört, dass sie die Tastmodelle ebenfalls als kleine Kunstwerke ansehen. Das ehrt uns. Allerdings sollte es nicht passieren, dass eine taktile Abbildung mit dem Originalkunstwerk in Konkurrenz tritt oder davon ablenkt.
In Bezug auf die Empfehlungen zur Erstellung guter Tastmedien lässt sich zur Darstellung von Perspektive sagen: Es wäre immer besser, man wählt zur Umsetzung von vornherein ein Werk ohne perspektivische Darstellung oder Überschneidungen von Bildelementen aus. Doch gerade bei Gemälden lässt sich dies manchmal nicht vermeiden. Von Grund auf können also Perspektive, Überschneidung oder Verkleinerungen nicht ausgeschlossen werden. Es bedarf mehr Erfahrung und Fingerspitzengefühl bei der taktilen Umsetzung und auch Tests mit blinden Menschen während der Erstellung, doch es ist in einem bestimmten Maße sicherlich möglich.
In der Farbigkeit weichen die Tastmodelle von den Gemälden etwas ab. Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es nicht möglich die Farben zu jedem Zeitpunkt während des Produktionsprozesses mit dem Original abzugleichen, zum anderen sind einige Materialien nur in vergleichbaren Farben zu bekommen und sollten, um langlebiger und robuster zu sein, nicht eingefärbt werden (z.B. Stoffe). Es ist zwar möglich, die Kontraste und Farben bei Gemälden für sehbehinderte Menschen zu verstärken, aber dann sollte klar sein, dass es einen erheblichen Eingriff darstellt und den optischen Eindruck verändern kann, den die Künstlerin/der Künstler bei ihrem/seinem Werk beabsichtigt hat.
Tastmodelle sind in der Regel nicht komplett selbsterklärend, doch eingebunden in eine gute Führung und verbunden mit einer Audiodeskription können sie dazu beitragen einen Museumsbesuch noch verständlicher und abwechslungsreicher zu machen.
Ich möchte auch noch einmal betonen, wie viel Spaß diese Herausforderung der Umsetzungen und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Parteien gemacht hat und fände es schade, wenn sich Museen aus Kostengründen gegen aufwändige Tastmodelle entscheiden und dafür auf einfache - leider oft nicht gut durchdachte - Umsetzungen wechseln müssten.
Kontakt
Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Am Schlag 2-12, 35037 Marburg
E-Mail: barrierefrei@blista.de, Internet: www.blista.de