"Faustus" - ein taktiles Bilderbuch für blinde Kinder

Das Buch mit dem Kobold Faustus kann leicht selbst gebastelt werden und kostet nicht viel. Es enthält viele Elemente für die Begriffsentwicklung des Kindes und für motorische Übungen.

Diese Ausführungen sind entnommen aus:

Peter Hanke, Gestaltungsmöglichkeiten für taktile Bilderbücher

Vorgestellt an einem taktilen Bilderbuch für blinde und sehbehinderte Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren - Darlegung des Konzepts unter wahrnehmungsphysiologischen, pädagogischen, technischen und entwicklungspsychologischen Aspekten, Marburg 2006

 

Das folgende Buch ist ein Beispiel für fördernde taktile Bilderbücher und es kann einfach nachgebaut werden.

Vor allem soll es aber dazu anregen, selbst ähnliche Bücher zu entwickeln und herzustellen.

Die Geschichte von Faustus, dem Verstecke-Kobold handelt von einem kleinen Wesen, das versteckt im Haus lebt, und dort nachts sein Unwesen treibt.

Dabei vertauscht oder versteckt er Gegenstände, die für ein blindes Kind leicht zugänglich sind. Faustus ist so groß wie eine Faust und wird durch eine zusammen geknäulte Federboa dargestellt. Er hüpft von Raum zu Raum, dargestellt jeweils durch eine neue Buchseite. In jedem Raum vertauscht oder versteckt er etwas.

Die Seiten sind A3 quer. So ist auf einer Seite genügend Platz, um die Gegenstände in möglichst originaler Größe zu präsentieren.

 

Die Geschichte 0

Faustus, der Verstecke-Kobold

Spät in der Nacht wachte Faustus in seinem kleinen Versteck im Keller der Familie Rosenwürfel auf. Er schlüpft aus der alten Socke, in der er sich nachts immer kuschelt, reckt und streckt sich und quietscht vor Vergnügen vor sich hin.

Eine neue Nacht hat begonnen, in der Faustus sein Versteckspiel mit der Familie Rosenwürfel treiben kann.

Faustus ist nämlich ein Verstecke-Kobold und Verstecke-Kobolde verstecken und vertauschen alles, was ihnen in die Finger kommt.

Er ist so klein, dass er in deine Faust passen würde. Daher kommt auch der Name: Faustus.

Erste Seite

Faustus bringt in der Küche der Familie Rosenwürfel das Besteck in der Schublade durcheinander. Es ist ein fast original großer Satz Plastikbesteck und kann auch herausgenommen und zum Essen benutzt werden. Die Schublade kann herausgezogen werden. Es werden unterschiedliche Materialien verwendet, sodass alles gut unterscheidbar ist.

Die Geschichte 1

Zuerst schleicht Faustus in die Küche. Dort kann man bestimmt eine Menge Unfug anrichten. Er zieht die Schublade mit dem Besteck heraus und fängt an, alle Messer, Gabeln, Löffel und Löffelchen, die so ordentlich sortiert waren, durcheinander zu bringen. Dabei pfeift er leise "Hänschen klein, ging allein". Nach dieser Arbeit schiebt er zufrieden die Schublade wieder zu.

Buchseite mit Besteck

Zweite Seite

Im Badezimmer findet Faustus drei Zahnputzbecher. Darin stecken die Zahnbürsten der Familie Rosenwürfel, die er wieder vertauscht. Auf der Buchseite sind drei zersägte Zahnbecher angebracht, so dass ihre Rundungen dem Betrachter zugewandt sind. Sie sind mit Braille-Bucstaben gekennzeichnet: m = Mama, p = Papa, k = Kind. Unten auf der Seite ist eine leere Zahnpastatube, die sich aufschrauben lässt. Faustus hüpft darauf wie auf einem Trampolin, sodass - in der Geschichte - die ganze Zahnpasta im Bad verspritzt.

Die Geschichte 2

Nun rennt Faustus wie ein geölter Blitz ins Badezimmer. Hier klettert er aufs Waschbecken und von dort weiter auf die Ablage, wo die Zahnputzbecher der Familie Rosenwürfel stehen. Jeder hat dort ordentlich seine Zahnbürste in den eigenen Zahnbecher gesteckt.

Faustus nimmt Kristines kleine Zahnbürste und steckt sie in den  Zahnputzbecher von Papa Rosenwürfel und Papa Rosenwürfels lange Zahnbürste in den Zahnbecher von Kristine. Mama Rosenwürfels Zahnbürste stellt er falsch herum in den Zahnputzbecher.

Danach dreht er noch die Zahnpasta-Tube auf und hüpft auf ihr herum, dass die Zahnpasta bis an den Badspiegel spritzt und da kleben bleibt.

Buchseite mit drei Zahnputzbechern mit Zahnbürsten und Zahnpasta

Dritte Seite

Faustus ist auf dem Dachboden der Familie Rosenwürfel. Er nimmt Socken und Wäscheklammern von der Wäscheleine, öffnet den Reißverschluss des Klammerbeutels und versteckt Socken und Wäscheklammern darin. Die Wäscheleine ist oben auf der Seite quer gespannt. Die Klammern lassen sich leicht anstecken und entfernen. Die Leine ist mit zwei aufgeklebten Verschlussdeckeln aus Kunststoff befestigt, sodass sie nicht direkt auf der Buchseite aufliegt. Sie ist aus ummanteltem Draht und dadurch einer original Wäscheleine sehr ähnlich. Die Klammern und Socken sind leicht verkleinert, lassen sich aber noch gut handhaben. Der Klammersack ist mit Klett auf der Buchseite befestigt und lässt sich in die Hand nehmen. Das Kind kann die Wäsche und Klammern von der Leine in den Sack tun und wieder zurück.

Die Geschichte 3

Über beide Ohren grinsend hüpft Faustus die Treppe zum Dachboden hinauf, wo Mutter Rosenwürfel immer die Wäsche aufhängt.

Da hängen auch noch ein paar Socken und die ganzen Wäscheklammern an der Wäscheleine. Faustus öffnet langsam den Reißverschluss des großen Wäschesackes und versteckt die Socken und alle Klammern im Wäschesack. Dann macht er den Reißverschluss wieder zu.

Buchseite mit Socken an der Wäscheleine

Vierte Seite

Faustus ist wieder in der Küche, wo er den Spülschwamm mit dem Topflappen vertauscht. Der Platz des Schwamms ist im Buch mit dem Braillezeichen „Sch“ gekennzeichnet, der des Topflappens durch ein „T“.

Die Geschichte 4

Das war für einen Kobold eine ganz schön schwere Arbeit und Faustus schwitzt ordentlich.

Schnell die Dachbodentreppe hinuntergehüpft und zurück in die Küche.

Kann man hier nicht noch schnell den Topflappen mit dem Spülschwamm vertauschen?

Vom vielen Herumgehüpfe hat Faustus Hunger bekommen. Mühsam stemmt er die Kühlschranktür auf und findet dahinter ein Stück Quarkkuchen, von dem er einen kräftigen Bissen abbeißt. Nachdem er noch eine Erdbeere und eine Stück Käse gegessen hat, fühlt er sich gestärkt für neue Schandtaten.

Buchseite mit Topflappen und Spülschwamm

Fünfte Seite

Faustus hüpft kreuz und quer durch das Haus und verstellt alle Uhren. Auf der Seite gibt es originale Armbanduhren ohne Glas - eine davon mit Klett befestigt zum Herausnehmen - und ein größeres Modell einer Uhr mit beweglichen und deutlich unterschiedlichen Zeigern, die sich auch einzeln entfernen lassen, um sie zu erkunden. Außerdem hat es tastbare Markierungen auf der 3, 6, 9 und 12. Daran kann nicht nur das Uhrlesen geübt sondern auch räumliche Orientierung wie oben, unten, rechts, links oder vorne, hinten anschaulich gemacht werden.

Schließlich ist auf dieser Seite noch eine funktionstüchtige „normale Armbanduhr“ mit Klett befestigt, so dass sie sich aus dem Buch herausnehmen lässt und einen gesonderten Umgang ermöglicht.

Die Geschichte 5

Da hat Faustus eine Idee. Er hat gemerkt, dass Papa Rosenwürfel morgens nach dem Aufstehen immer wieder auf die Uhr guckt, bevor er zur Arbeit fährt, damit er nicht zu spät kommt.

Faustus hüpft durch das Haus und verdreht die Zeiger an allen Uhren, die er finden kann. Sogar die Armbanduhr von Herrn Rosenwürfel vergisst er nicht.

Nun ist Faustus von der vielen Arbeit müde. Draußen kann er schon die ersten Vögel in der Morgendämmerung zwitschern hören. Faustus gähnt und rutscht auf dem Hosenboden die Kellertreppe hinunter. In seinem Versteck kuschelt er sich gemütlich in seine alte Socke und schläft selig ein.

Buchseite mit drei verschiedenen Uhren und einer Socke

 

Finden Sie hier die englische Fassung: Faustus - a tactile picture book for blind children