XIII Straßenverkehr
1 Allgemeines
Maßgeblich für die Teilnahme am Straßenverkehr, auch als Fußgängerinnen und Fußgänger, Rollstuhlnutzende oder Radfahrende, ist die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr – Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Grundsätzlich ist jede Person zum Straßenverkehr zugelassen, soweit nicht, wie zum Beispiel zum Führen eines Kraftfahrzeugs, eine besondere Erlaubniserteilung erforderlich ist.
2 Fußgänger – Verkehrsschutzzeichen
Der § 2 FeV bestimmt, dass behinderte Menschen, die sich nicht sicher im Verkehr bewegen können, die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen, damit sie sich selbst und andere nicht gefährden. Solche Vorsichtsmaßnahmen können darin bestehen, dass die Betreffenden eine Begleitung in Anspruch nehmen oder, wenn sie allein gehen, auf beiden Armen die gelbe Binde mit den drei schwarzen Punkten tragen. Blinde und wesentlich sehbehinderte Menschen können sich alternativ mit dem weißen Langstock oder einem Führhund im weißen Führgeschirr kennzeichnen. Es ist zu empfehlen, sich in einer der genannten Formen kenntlich zu machen, und zwar nicht nur zur Verhütung von Unfällen, sondern auch, um zu vermeiden, dass im Falle eines erlittenen Verkehrsunfalls Schadensersatzansprüche verweigert werden. Ein kleiner, für andere Verkehrsteilnehmende nicht gut erkennbarer Ansteckknopf mit dem Hinweis auf Blindheit genügt nicht. Ebenso wenig sind die blauen Abzeichen mit dem weißen „Stockmännchen“ als Verkehrsschutzzeichen gesetzlich anerkannt. Wer mit Unterstützung durch eine Begleitperson am Straßenverkehr teilnimmt, muss sich nicht zusätzlich kenntlich machen.
3 Führerschein und Fahrtauglichkeit
Wann jemand – bezogen auf das Sehvermögen – eine Fahrerlaubnis erwerben kann oder ein Kraftfahrzeug noch führen darf, ist in § 12 FeV i. V. m. Anlage 6 dieser Verordnung geregelt. Besondere Regelungen gelten je nach Führerscheinklasse. Für den herkömmlichen Pkw-Führerschein und weitere Führerscheinklassen (AM, A1, A2, A, B, BE, L oder T) gilt vereinfacht gesagt Folgendes: Liegt die Tagessehschärfe bei unter 70 Prozent auf beiden Augen (0,7), ist aufzumerken. Ein Führerschein kann dann in der Regel nur noch erworben werden, wenn nach einer besonderen augenärztlichen Untersuchung feststeht, dass die Sehschärfe auf dem besseren Auge mindestens 50 Prozent (0,5) beträgt und keine zusätzlichen gravierenden Sehprobleme wie Gesichtsfeldeinschränkungen oder eingeschränktes Dämmerungssehen vorliegen. Nicht ganz unwichtig sind daneben auch Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, visuelle Reaktion und Verarbeitung oder auch das Vorhandensein anderer Einschränkungen. In jedem Fall handelt es sich um Einzelfallentscheidungen.
Menschen, denen das Führen eines Kraftfahrzeugs mit dem vorhandenen Sehvermögen gestattet ist und die an einer fortschreitenden Augenerkrankung leiden, sollten regelmäßig zum Augenarzt bzw. zur Augenärztin gehen und dort die Fahrtauglichkeit besprechen. Auch nach Augenoperationen ist insoweit unbedingt der ärztliche Rat einzuholen und zu befolgen.
Wichtig: Nimmt jemand wider besseres Wissen trotz zu geringen Sehvermögens als Fahrzeugführer bzw. Fahrzeugführerin am Straßenverkehr teil, kann dies gemäß § 315c des Strafgesetzbuches (StGB) strafrechtliche Folgen haben – abgesehen davon, dass die Schuldfrage im Falle eines Unfalls von den Versicherungsgesellschaften und den Gerichten wohl zulasten der sehbehinderten fahrzeugführenden Person entschieden werden dürfte. Und das kann teuer werden.
4 Radfahren
Reicht das Sehvermögen nicht mehr zweifelsfrei für den Erwerb des Führerscheins aus (vgl. soeben unter 3), bewegen wir uns in einer Grauzone, denn es gibt keine verbindlichen Vorgaben, wann noch Rad gefahren werden darf und wann nicht. Es ist also immer eine Abwägung im Einzelfall zu treffen. Oberstes Gebot dabei: Man darf weder sich noch andere im Straßenverkehr gefährden. Aber woran kann man sich dann orientieren? Am besten ist es, diese Frage mit dem behandelnden Augenarzt bzw. seiner Augenärztin zu besprechen und diese Empfehlungen zu befolgen. Neben der Sehbehinderung sollten dabei auch andere Einschränkungen, wie zum Beispiel eine Schwerhörigkeit, berücksichtigt werden. Im Juli 2010 hat sich das Bundesverkehrsministerium zum Thema wie folgt geäußert: „Es wurden Untersuchungen in Bezug auf Unfälle und Beinahe-Unfälle durchgeführt. Es zeigte sich, dass sicheres Radfahren unter einem Visus von 0,1 (das heißt 10 Prozent Sehvermögen) kaum mehr möglich ist. Unter einem Visus von 0,2 (20 Prozent Sehvermögen) nehmen Unfälle und Beinahe-Unfälle zu. Ein Gesichtsfeld unter 60 Grad oder ein Zentralskotom (Gesichtsfeldausfall) über 10 Grad bedeuten ebenfalls, dass sicheres Radfahren nicht mehr gewährleistet ist.“ Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die Aussagen auf eine Befragung und keine anhand objektiver Überprüfungen ermittelten Untersuchungsergebnisse beziehen. Wer mit Seheinschränkungen Fahrrad fährt, trägt also letztlich ein gewisses Risiko.
5 Nutzung eines Elektrorollstuhls
Für die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrorollstuhl ist keine Fahrerlaubnis erforderlich. Dementsprechend gibt es auch keine straßenverkehrsrechtlichen Vorgaben zum erforderlichen Sehvermögen. Dass Krankenkassen ihren Versicherten die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl pauschal mit Blick auf ein vermeintlich zu geringes Sehvermögen ablehnen, ist ebenfalls nicht statthaft. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seiner Entscheidung vom 04.10.2021 – L 16 KR 423/20 deutlich gemacht.
Gleichsam gilt aber auch bei der Nutzung eines Elektrorollstuhls das Gebot der Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme, um weder sich selbst noch andere bei der Teilnahme am Straßenverkehr zu gefährden. Die Verkehrskommission des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft gibt in ihrer Stellungnahme zu Anforderungen an das Sehvermögen bei Krankenfahrstühlen und anderen motorisierten Fahrzeugen vom März 2021 an, dass sich in der Vergangenheit Ausschlüsse der Fahrtauglichkeit bei der Nutzung eines Elektrorollstuhls mit einer zulässigen maximalen Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h in den folgenden Fällen als zutreffend erwiesen hätten: eine Sehschärfe von weniger als 0,05, permanente Doppelbilder, ausgeprägte Kopfzwangshaltung und Gesichtsfeldausfälle innerhalb von 20 Grad. Bei einem besseren Sehvermögen sei eine Einzelfallentscheidung zu treffen. Zu unterscheiden hiervon seien Elektrorollstühle, die lediglich Schrittgeschwindigkeit erreichten (maximal 6 km/h). Hier sei eine Nutzung auch bei einem geringeren Sehvermögen denkbar. Es müsse aber eine Einzelfallentscheidung getroffen werden.
Hingewiesen sei an dieser Stelle darauf, dass es spezielle Schulungsangebote für blinde und sehbehinderte Nutzende eines Elektrorollstuhls gibt, um sich unter Einsatz von Blindenhilfsmitteln sicher im Straßenverkehr fortbewegen zu können. Nähere Auskünfte erhalten Sie von einer Rehabilitationsfachkraft für Orientierung und Mobilität.
6 Parkerleichterungen
Jeder blinde Mensch (Merkzeichen „Bl“) kann beim Straßenverkehrsamt einen Parkausweis erhalten, der – unter der Windschutzscheibe angebracht – zu Parkerleichterungen berechtigt. Die blinde Person braucht nicht selbst Halterin eines Kraftfahrzeugs zu sein. Der Parkausweis gilt in allen Mitgliedstaaten der EU, jedoch können damit nur diejenigen Parkerleichterungen in Anspruch genommen werden, die in dem jeweiligen Staat gewährt werden. Näheres ergibt sich aus einer Broschüre, die mit dem Parkausweis ausgehändigt wird.
- In Deutschland erlaubt der Parkausweis:
- Parken auf Behindertenparkplätzen,
- gebührenfreies Parken an Parkuhren,
- Parken im eingeschränkten Halteverbot bis zu drei Stunden (Parkscheibe erforderlich),
- Überschreitung der Parkzeit, wo diese durch ein Zusatzschild begrenzt ist.
Voraussetzung ist jeweils, dass in zumutbarer Entfernung keine andere Parkmöglichkeit besteht.